Papst Benedikt hat
einen Brief an die katholischen Gläubigen in China geschrieben. Das Dokument steht
kurz vor der Veröffentlichung. Religion, Glaube und Gott im Reich der Mitte: Mit diesem
Thema hat sich die deutsche Philosophin Raphaela Schmid beschäftigt. Sie leitet den
römischen Ableger des US-amerikanischen Becket-Instituts, das sich mit Fragen der
Religionsfreiheit beschäftigt. Soeben hat Raphaela Schmid ihre Fernseh-Dokumentation
„Gott in China“ vorgelegt.
Das deutsch-amerikanische Filmteam war zweimal
in China: Einmal, um mit Gläubigen der Untergrundkirche zu sprechen. Und ein zweites
Mal, um Führer und Angehörige der offiziellen katholischen Kirche zu treffen, die
über die „Patriotische Vereinigung“ von Peking kontrolliert wird. Keiner sollte den
Filmleuten in Quartiere von Untergrund-Gläubigen folgen können. Zum Beispiel ins Priesterseminar.
„Die Untergrundkirche hat immer noch riesige Probleme mit der Priesterausbildung.
Es ist immer noch so, dass die Seminare nicht so gut versorgt sind, und dass der Rektor
die meisten Fächer unterrichtet, aber schön langsam sieht man auch da, dass sich die
Strukturen etwas verändern, und dass die Untergrundkirche in manchen Diözesen, wo
es einen offiziellen Bischof gibt, der die Approbation Roms hat, doch so der offiziellen
Kirche vertraut, dass sie ihre eigenen Studenten dort ins Seminar schickt.“
Freilich
mussten die Filmemacher ihre Gesprächpartner aus dem katholischen Untergrund – auch
die Seminaristen - schützen. Namen und Gesichter gibt der Film nicht preis. 1995 hatte
eine französische Fernsehdokumentation zu einer Verhaftungswelle bei den Untergrundchristen
geführt. Einer der Festgenommenen ist heute noch in Haft.
Dennoch hat Raphaela
Schmid bei ihren Recherchen und Interviews in China beobachtet: Die Unterschiede zwischen
der offiziellen und der Untergrundkirche werden schwerer nachvollziehbar. Unter den
Gläubigen der offiziellen Kirche gebe es viele,
„…die ganz romtreu sind,
und die sagen, wir haben jetzt eine neue Freiheit, wir können für den Papst in der
Messe beten, wir können den Katechismus der Katholischen Kirche drucken hier in China,
obwohl ein Satz ausgelassen werden muss, in dem es heißt, dass die Kirche Abstand
nimmt von dem Totalitarismus, der im 20. Jahrhundert mit dem Kommunismus und Sozialismus
einherging. Dieser Satz muss dann ausgelassen werden, aber trotzdem die Tatsache,
dass man den Katechismus publizieren kann, dass die katholischen Zeitungen der offiziellen
Kirche voller Bilder des Papstes sind – da sieht man schon, da gibt’s eine neue Freiheit,
und es ist jetzt nicht mehr so, dass man dem Papst wirklich abschwören muss.“
Allerdings
hat diese Freiheit klare Grenzen.
„Zum Beispiel die Einkindpolitik, Abtreibung,
Todesstrafe, und es gibt in China 10.000 Exekutionen im Jahr - zu solchen Themen kann
sich die offizielle Kirche nicht aussprechen.“
„Die Kirche ist jung“, rief
ein frisch gewählter Papst Benedikt XVI. bei seinem Amtsantritt den Gläubigen der
Welt zu. In China, diesem Riesenreich mit 1,3 Milliarden Menschen, stimmt diese Diagnose
mehr als in vielen anderen Teilen der Welt. Bis vor kurzem haben offizielle Pekinger
Statistiken bloß fünf Prozent Gläubige aller Religionen zusammen zugegeben. Die jüngste
Erhebung stammt von Anfang 2007. Und sie enthält eine Sensation. Raphaela Schmid:
„Die
letzte Umfrage zum Thema wurde geleitet von einem prominenten Mitglied der Shanghai
Akademie der Sozialwissenschaften, ein Professor, der der kommunistischen Partei angehört,
und da kam heraus, dass 30 Prozent der Chinesen sagen, sie sind religiös. Das würde
bedeuten, dass 300 Millionen Chinesen sagen wir beten! Eine überraschende große Zahl,
dass die von einer offiziellen Quelle kommt, ist erstaunlich. Das bedeutet, es gibt
eine neue Offenheit, mit der man zugibt, dass Religion in China wichtiger ist, als
man es bisher zugegeben hat.“
Manch anderes Positivbeispiel für eine beginnende
neue Offenheit bringt Schmids Dokumentation „Gott in China“ ans Licht. Zum Beispiel
einen kommunistischen Bürgermeister und einen Untergrund-Priester, die im gegenseitigen
Respekt arbeiten und Seite an Seite vor die Kamera treten.
„Und es gibt
eine ganz interessante Bewegung unter jungen Juristen in Peking, die sich darum bemühen,
die schon existierenden Gesetze Chinas besser anzuwenden. In der chinesischen Verfassung
heißt es, dass die Menschen Religionsfreiheit haben. Rechtlich gesehen könnte man
gegen solche vorgehen, die Gläubige ohne Gerichtsverfahren für bis zu drei Jahren
in Arbeitslager schicken. Aber de facto ist es noch nie passiert.“ Immer
noch hat das postkommunistische China Angst vor der Kirche. Angst vor der Gewissensfreiheit
der Gläubigen, die Anweisungen und Parolen der Partei radikal in Frage stellt. Bestes
Beispiel: Lebensschutz.
„Abtreibungen sind in China gang und gäbe. Bei
unseren Filmarbeiten sind wir da ganz beeindruckenden Menschen begegnet, zB ein Vater,
der ein Pastoralassistent ist, dem Priester hilft, spielt auch die Orgel in der Kirche,
und der hat fünf Kinder. Ich habe ich gefragt, ob er Schwierigkeiten gehabt hätte,
er sagte natürlich, man muss Strafe bezahlen, aber wir waren zu arm, um die zu bezahlen.
Dann kam die Polizei und hat die Möbel mitgenommen. Und obwohl er es sich selbst schon
überlegt hatte, keine weiteren Kinder zu haben, war es seine Frau die gesagt hat,
nein, wenn ich jetzt schwanger bin, möchte ich unbedingt das Kind auf die Welt bringen,
und sie wurde dafür dann festgenommen. Und er sagte: ja, ich muss mich so schämen,
denn ich habe selbst schon an Abtreibung gedacht. Bei uns ist das so normal, wenn
nicht der Priester erklären würde, dass das falsch ist, käme nie jemand auf die Idee,
dass daran etwas falsch sein kann. Es war meine Frau, die damals nicht Katholikin
war, die gesagt hat: Das kann nicht richtig sein, sein eigenes Kind zu töten.“
Angst
hat Peking nicht nur vor dieser Form von Freiheit. Angst hat es auch vor einer Art
Parallelstruktur. Deshalb besteht Peking auf der Ernennung von katholischen Bischöfen,
was der Heilige Stuhl nicht toleriert, auch wenn man in diesem Punkt mittlerweile
zu einem Kompromiss gefunden hat. Der Vatikan ist heute involviert in die Bischofsernennungen
der offiziellen Kirche.
„Das heißt, der Vatikan sucht jemanden aus, der
nachher pro forma von der patriotischen Assoziation gewählt wird, und somit hat man
einen Kandidaten, der beiden Recht ist. Dieser Schritt hat aber den Nachteil, dass
man der Untergrundkirche abverlangt, diesen Bischöfen zu vertrauen. Denn die Untergrundhierarchie
wird seitdem nicht mehr fortgesetzt. Das bedeutet schon, dass man den Menschen, die
so große Opfer erbracht haben, ein weiteres großes Opfer verlangt, nämlich, jemandem
zu vertrauen, der aus einer anderen Tradition kommt und dass man mit der Approbation
Roms der Untergrundkirche sagt: Gebt ihm eine Chance.“
Der Brief des Papstes
an die Katholiken in China steht unmittelbar vor seiner Veröffentlichung. Was die
Philosophin und Fachfrau für Religionsfreiheit Raphaela Schmid sich davon erhofft?
„Ich
würde mir erhoffen, dass dieser Brief an die chinesischen Katholiken erstens ihnen
diese lange Leidenszeit, mit der man diese Treue zu Rom gelebt hat, zu einem Punkt
der Freude bringt, indem sich die chinesischen Katholiken ganz eng verbunden mit der
Universalkirche fühlen können, dass sie wissen, wir denken an sie, wir beten für sie,
wir wissen, was dort los ist. Und ich würde mir sehr wünschen, dass dieser Brief diese
Tapferkeit und den Heroismus und die Leidensbereitschaft der Untergrundkirche anerkennt
in einer Art und Weise, dass vielleicht auch die Menschen außerhalb Chinas, die das
lesen werden, davon inspiriert sein können. Und dass er gleichzeitig der offiziellen
Kirche, die das ja auch lesen wird, in Erinnerung bringt, dass die große Tradition
des Christentums in China zwei Seiten hat.“ (rv 30.05.07 gs)