Aparecida: Papst, der Glaube bringt Hoffnung, nicht die Ideologie
Der Glaube habe Amerika
zum Kontinent der Hoffnung gemacht, nicht eine politische Ideologie, eine soziale
Bewegung, oder ein Wirtschaftssystem. Das hat Papst Benedikt XVI. zum Auftakt der
Bischofsversammlung in Aparecida betont. Wir dokumentieren hier seine Predigt in der
Heiligen Messe am Wallfahrtsort in unserer eigenen Übersetzung:
Ich betrachte
es als besonderes Geschenk der Vorsehung, dass diese Heilige Messe zu dieser Zeit
und an diesem Ort gefeiert wird. Wir sind in der liturgischen Osterzeit, angekommen
am 6. Sonntag: Pfingsten ist schon nahe, und die Kirche ist eingeladen, den Heiligen
Geist immer mehr anzurufen. Der Ort ist das Nationalheiligtum Unserer lieben Frau
von Aparecida, marianisches Herz Brasiliens: Maria empfängt uns in diesem Abendmahlssaal,
und diese Mutter und Meisterin hilft uns zu Gott ein einmütiges und vertrauensvolles
Gebet zu richten. Diese liturgische Feier ist das wirklich Fundament der V. Konferenz,
denn sie stellt sie auf die Grundlage des Gebets und der Eucharistie, Sacramentum
caritatis – Sakrament der Liebe. Tatsächlich, nur die Liebe Christi, ausgegossen durch
den Heiligen Geist, kann aus dieser Versammlung ein authentisches kirchliches Ereignis
machen, einen Moment der Gnade für diesen Kontinent und für die ganze Welt. Heute
Nachmittag werde ich die Möglichkeit haben, zum Kern der Fragen kommen, die das Thema
euer Konferenz aufwirft. Jetzt lassen wir dem Wort Gottes Raum, das wir in Freude
dem Vorbild Marias folgend aufnehmen können, unserer Frau der unbefleckten Empfängnis,
mit offenem und gehorsamen Herzen, damit durch die Kraft des Heiligen Geistes Christus
im Heute unserer Tage aufs neue Fleisch annehmen kann.
Die erste Lesung aus
der Apostelgeschichte spricht vom so genannten „Konzil von Jerusalem“, das die Frage
behandelte, ob die Heiden, die Christen wurden, die Gebote des Mose zu befolgen hätten.
Der Text überspringt die Diskussion „zwischen den Aposteln und den Ältesten“ (vv.
4-21) und gibt die abschließende Entscheidung wieder, die in einem Brief niedergeschrieben
wurde, der zwei Gesandten anvertraut wurde; diese sollten ihn der Gemeinde von Antiochien
überbringen (vv. 22.29). Diese Passage der Apostelgeschichte passt für uns, denn auch
wir sind zu einer Kirchenversammlung zusammen gekommen. Der Text erinnert uns an den
Sinn des gemeinschaftlichen Unterscheidungsvermögens angesichts wichtiger Problemfelder,
die sich der Kirche auf ihrem Weg stellen und die durch die „Apostel“ und „Ältesten“
geklärt werden – im Licht des Heiligen Geistes, der, so sagt das heutige Evangelium,
an die Lehre Jesu Christi erinnert (vgl. Joh 14,26) und so der christlichen Gemeinde
hilft, in Liebe zur ganzen Wahrheit zu gelangen (vgl. Joh 16,13). Die Häupter der
Kirche diskutieren und tauschen Argumente aus, aber immer gestützt auf das gläubige
Hören des Wortes Christi im Heiligen Geist. So können sie am Ende sagen: „Wir haben
entschieden, der Heilige Geist und wir…“ (Apg 15,28).
Das ist die „Methode“,
mit der wir in der Kirche arbeiten, in den kleinen wie großen Versammlungen. Das ist
nicht nur eine Verfahrensfrage; es ist Spiegelbild der Natur der Kirche selbst, Geheimnis
der Gemeinschaft mit Christus im Heiligen Geist. Was die Konferenzen der Bischöfe
Lateinamerikas und der Karibik angeht: die erste Konferenz im Jahr 1955 in Rio de
Janeiro stützt sich auf einen Brief Papst Pius XII.; in den folgenden bis heute ist
der Bischof von Rom an den Versammlungsort gekommen, um die Anfangsphase zu leiten.
In ehrfürchtiger Dankbarkeit denken wir an die Diener Gottes Paul VI: und Johannes
Paul II, die den Konferenzen in Medellín, Puebla und Santo Domingo Zeugnis gegeben
haben, dass die Weltkirche den Kirchen in Lateinamerika nahe ist, die proportional
betrachtet, den Großteil der katholischen Welt umfassen.
„Der Heilige Geist
und wir.“ Das ist die Kirche: wir, die gläubige Gemeinde, das Volk Gottes, mit seinen
Hirten, die gerufen sind sie auf dem Weg zu führen; zusammen mit dem Heiligen Geist,
Geist des Vaters im Namen des Sohnes gesandt, Geist dessen, der größer ist als alle
und uns durch Christus geschenkt, der sich für uns klein gemacht hat. Geist des Beistands,
Anwalt, Verteidiger und Tröster. Er lässt uns in der Gegenwart Gottes leben, im Hören
auf sein Wort, frei von Verwirrung und Furcht, mit dem Frieden im Herzen, den Jesus
uns hinterlassen hat und den die Welt nicht geben kann (vgl. Joh 14,26-27). Der Geist
begleitet die Kirche auf dem langen Weg, der zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen
Christi liegt: „Ich gehe fort und komme wieder zu euch zurück“ (Joh 14,28) sagte Jesus
zu den Aposteln. Zwischen dem „Gehen“ und dem „Wiederkommen“ Christi liegt die Zeit
der Kirche, die sein Leib ist; das sind die 2000 Jahre, die bisher vergangen sind;
das sind auch die fünf Jahrhunderte und mehr, in denen die Kirche in Amerika auf Pilgerschaft
ist, den Gläubigen durch die Sakramente das Leben Christi bringt und in diesen Erdteilen
den guten Samen des Evangeliums ausstreut, der dreißigfach, sechzigfach oder hundertfach
Frucht trägt. Zeit der Kirche, Zeit des Geistes: Er ist der Meister, der zu Jüngern
macht: Er entfacht die Liebe zu Jesus, er erzieht zum Hören auf sein Wort, zur Betrachtung
seines Antlitzes; er macht uns der von ihm selig genannten Menschheit ähnlich, arm
im Geist, trauernd, sanft, hungernd nach Gerechtigkeit, barmherzig, rein im Herzen,
Friedensstifter, verfolgt um der Gerechtigkeit willen (vgl. Mt 5,3-10). So, dank des
Eingreifens des Heiligen Geistes, wird Jesus der Weg, auf dem der Jünger vorangeht.
„Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten“, sagt Jesus am Beginn
des heutigen Evangelienabschnitts. „Das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir,
sondern vom Vater, der mich gesandt hat“ (Joh 13,23-24). Wie Jesus die Worte des Vaters
weitergibt, so erinnert der Heilige Geist die Kirche an die Worte Jesu (vgl. Joh 14,26).
Und wie die Liebe zum Vater Jesus dazu brachte, sich an seinem Willen zu nähren, so
zeigt unsere Liebe zu Jesus uns den Gehorsam zu seinem Wort. Die Treue Jesu zum Willen
des Vaters kann sich den Jüngern mitteilen dank des Heiligen Geistes, der die Liebe
Gottes in ihren Herzen ausgießt (vgl.Röm 5,5).
Das Neue Testament zeigt uns
Christus als Bote des Vaters. Vor allem im Johannesevangelium spricht Jesus von sich
oft in Beziehung zum Vater, der ihn in die Welt gesandt habe. So sagt Jesus auch im
heutigen Text: „Das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der
mich gesandt hat“ (Joh 14,24). In diesem Augenblick, liebe Freunde, sind wir eingeladen,
den Blick fest auf ihn zu richten, denn die Aufgabe der Kirche ist nichts anderes
als die Fortführung der Mission Christi: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende
ich euch“ (Joh 20,21). Der Evangelist hebt auch bildlich hervor, dass diese Übertragung
des Auftrags im Heiligen Geist erfolgt: „Er hauchte sie an und sprach zu ihnen: Empfangt
den Heiligen Geist…“ (Joh 20,22). Die Mission Christi hat sich in Liebe erfüllt. Er
hat in der Welt das Feuer der Liebe Gottes entfacht (vgl.Lk 12,49). Die Liebe schenkt
das Leben: Deshalb ist die Kirche dazu gesandt, in der Welt die Liebe Christi zu verbreiten,
damit die Menschen und die Völker „das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10).
Auch Euch, die ihr die Kirche in Lateinamerika vertretet, kann ich voll Freude auf
ideelle Weise meine Enzyklika „Deus caritas est“ anvertrauen, mit der ich allen aufzeigen
wollte, was an der christlichen Botschaft wesentlich ist. Die Kirche fühlt sich als
Jüngerin und Missionarin dieser Liebe; Missionarin nur in dem Maß in dem sie auch
Jüngerin ist, das heißt fähig, sich stets mit erneuertem Staunen von Gott anziehen
zu lassen, der uns zuerst geliebt hat und uns zuerst liebt (vgl. 1 Joh 4,10). Die
Kirche betreibt keinen Proselytismus. Sie entwickelt sich viel mehr durch „Anziehung“:
Wie Christus „alles an sich zieht“ mit der Kraft seiner Liebe, die im Opfer am Kreuz
gipfelt, so erfüllt die Kirche ihre Mission in dem Maß, in dem sie - mit Christus
vereint - jedes Werk in geistlicher wie praktischer Übereinstimmung, in Konformität
mit der Liebe ihres Herrn erfüllt.
Liebe Schwestern und Brüder! Das ist der
unschätzbare Schatz und Reichtum des lateinamerikanischen Kontinents, das ist sein
kostbarstes Erbe: der Glaube an Gott, der die Liebe ist, die sich in Jesus Christus
gezeigt hat. Ihr glaubt an den liebenden Gott: Das ist eure Stärke, die die Welt besiegt,
die Freude, die nichts und niemand euch nehmen kann, der Friede, den Christus am Kreuz
für euch errungen hat“ Dieser Glaube hat aus Amerika den „Kontinent der Hoffnung“
gemacht. Es war nicht eine politische Ideologie, nicht eine soziale Bewegung, nicht
ein Wirtschaftssystem; es ist der Glaube an Gott, der die Liebe ist, Mensch geworden,
gestorben und auferstanden in Jesus Christus, das authentische Fundament dieser Hoffnung,
die viele wunderbare Früchte hervorgebracht hat, von der Evangelisierung bis heute;
die Schar der Heiligen und Seligen, die der Heilige Geist in allen Teilen des Kontinents
gerufen hat, beweißt es. Papst Johannes Paul II. hat euch eine Neu-Evangelisierung
aufgetragen, ihr habt seinen Auftrag mit der Großzügigkeit und dem Einsatz angenommen,
der für euch typisch ist. Ich bestätige euch darin und ich sage euch mit den Worten
der fünften Konferenz: Seid gläubige Jünger, damit ihr mutige und überzeugende Missionare
seid.
Die zweite Lesung hat uns die wundervolle Vision des himmlischen Jerusalem
gezeigt. Es ist ein Bild von strahlender Schönheit, an der nichts dekorativ ist, sondern
alles zur perfekten Harmonie der Heiligen Stadt beiträgt. Der Seher Johannes schreibt,
dass „sie von Gott her aus dem Himmel herabkam, erfüllt von der Herrlichkeit Gottes“
(Offb 20,9). Aber die Herrlichkeit Gottes ist die Liebe; deshalb ist das himmlische
Jerusalem ein Bild der Kirche, heilig und herrlich, ohne Flecken und Fehler (vgl.
Eph 5,27), die in ihrer Mitte und in allen Teilen von der Gegenwart des liebenden
Gottes erstrahlt. Sie wird „Braut“ genannt, „Braut des Lammes“ (Offb 20,9), denn in
ihr erfüllt sich das Bild des Hochzeitsmahles, das von Anfang bis Ende die biblische
Offenbarung durchzieht. Die Stadt als Braut ist Heimat der vollen Gemeinschaft Gottes
mit den Menschen; in ihr braucht es weder einen Tempel noch eine äußere Lichtquelle,
denn Gott und das Lamm sind stets gegenwärtig und erleuchten sie von innen heraus.
Dieses
wundervolle Bild hat eschatologischen Wert: Es drückt das Geheimnis der Schönheit
aus, die die Kirche jetzt schon besitzt, auch wenn sie noch nicht zu ihrer ganzen
Fülle gekommen ist. Sie ist das Ziel unserer Pilgerfahrt, die Heimat die uns erwartet
und nach der wir uns verzehren. Sie mit den Augen des Glaubens sehen, betrachten und
ersehnen, darf nicht der Grund für eine Flucht aus der Gegenwart sein, in der die
Kirche Freuden und Hoffnungen, Schmerzen und Ängste der zeitgenössischen Menschheit
mit lebt, vor allem die der Ärmsten und Bedürftigsten (vgl. Gaudium et Spes, 1). Wenn
die Schönheit des himmlischen Jerusalem die Herrlichkeit Gottes ist, also seine Liebe,
dann heißt das, das wir uns ihr nur in der Liebe nähern können und in einem bestimmten
Maß bereits in ihr Leben können. Wer den Herrn Jesus liebt und sein Wort befolgt,
verbreitet schon in dieser Welt die geheimnisvolle Gegenwart des einen dreifaltigen
Gottes, wie wir im Evangelium gehört haben: „Wir werden zu ihm kommen und wir werden
bei ihm wohnen“ (Joh 14,23). Jeder Christ ist deshalb gerufen, lebendiger Stein dieser
wunderbaren „Wohnung Gottes unter den Menschen“ zu werden. Welch wunderbare Berufung! Eine
Kirche, die ganz von der Liebe Christi beseelt und bewegt ist, ist das historische
Bild des himmlischen Jerusalem, Vorwegnahme der Heiligen Stadt, strahlt die Herrlichkeit
Gottes aus. Sie setzt eine unwiderstehliche missionarische Kraft frei, die die Kraft
der Heiligkeit ist. Die Jungfrau Maria erlange der Kirche in Lateinamerika und der
Karibik die Fülle der Kraft aus der Höhe (vgl. 24,49), um auf dem Kontinent und in
der ganzen Welt die Heiligkeit Christi auszustrahlen. Ihm sei Ehre, mit dem Vater
und dem Heiligen Geist, bis in alle Ewigkeit. Amen. (Übersetzung:
Birgit Pottler)