B: An Bischöfe und Politiker: „Für Gemeinwohl arbeiten, nicht für Profit“
„In der politischen
Klasse und unter den Unternehmern muss ein unverfälschter Geist der Wahrhaftigkeit
und der Ehrlichkeit geschaffen werden.“ So die Worte Benedikts beim Treffen
mit den brasilianischen Bischöfen. Kirchenvertreter und Gläubige hatten sich klare
Worte vom Besuch des Papstes erhofft, sie haben sie bekommen. Papst Benedikt hat Kirche
und Politik zur Verantwortung für die Armen gerufen. „Wer eine führende Rolle
in der Gesellschaft übernimmt, muss sich darum bemühen, die sozialen Konsequenzen
der eigenen Entscheidungen vorauszusehen, die direkten und indirekten, die kurzfristigen
und die langfristigen. Er muss für das höchstmögliche Gemeinwohl arbeiten, anstatt
seine persönlichen Profit zu suchen.“ Kurz nach 16 Uhr Ortszeit in Sao Paolo,
also 21 Uhr unserer Zeit, erreichte Papst Benedikt XVI. die Kathedrale im Herzen der
Altstadt Sao Paolos. Der Dom ist eine der fünf größten gotischen Kirchen weltweit.
Dort empfing ihn der Episkopat Brasiliens, rund 430 Bischöfe und Kardinäle waren gekommen,
die Bischofskonferenz Brasiliens ist die drittgrößte der Erde. Benedikt XVI. sprach
von „uns Bischöfen“ und wandte sich an „die lieben Brüder im Episkopat“. Eine kollegiale
Ansprache also, die nicht frei war von Ermahnungen und konkreten Aufträgen: „Wo
man Gott und seinen Willen nicht kennt, wo es den Glauben an Jesus Christus und seine
Gegenwart in den Feiern der Sakramente nicht gibt, fehlt das Wesentliche auch für
die Lösung der dringenden sozialen und politischen Probleme.“ Kirche und Gesellschaft
stünden vor großen Problemen; der Papst griff die zentralen Fragen vergangener Ansprachen
wieder auf, erhob bildlich gesprochen den Zeigefinger zum Schutz der Ehe, der Menschenwürde
und des priesterlichen Zölibats. „Wenn im Schoß der Kirche der Wert des priesterlichen
Auftrags als vollkommene Hingabe an Gott mittels des apostolischen Zölibats in Frage
gestellt wird, der die vollkommene Bereitschaft zum Dienst an den Seelen bedeuten
soll, und man den ideologischen, politischen - auch parteipolitischen - Fragen den
Vorzug gibt, dann beginnt die Struktur der Weihe an Gott ihre tiefste Bedeutung zu
verlieren.“ Die Zahl der Katholiken in Brasilien sinkt, prozentual betrachtet
ist das Land schon nicht mehr das katholischste weltweit. Dazu der Papst: „Es
scheint klar, dass die erste Ursache - unter anderen - dieses Problems auf das Fehlen
einer Evangelisierung zurückzuführen ist, in der Christus und seine Kirche im Zentrum
jeder Erklärung steht. Die Personen, die dem aggressiven Proselytismus der Sekten
- der zu Recht Grund zur Sorge gibt - am schwächsten gegenüber stehen, und nicht in
der Lage sind, dem Ansturm des Agnostizismus, des Relativismus und Laizismus zu widerstehen,
sind in der Regel Getaufte, die nicht genügend im Evangelium unterwiesen wurden, die
leicht zu beeinflussen sind, weil sie einen zerbrechlichen Glauben haben, der manchmal
auch verworren ist, schwankend und naiv, auch wenn sie eine ursprüngliche Religiosität
besitzen. Es gibt kein zurück hinter die „Option der Armen“, der Papst müsse
das gerade jetzt in Brasilien deutlich machen, hatte der Wiener Pastoraltheologe Paul
Zulehner gefordert. Den Begriff, der schließlich in die Befreiungstheologie eingegangen
war, hatte Benedikt nicht auf den Lippen. Aber: „Wenn die Menschen, denen ihr
begegnet, in Armut leben, muss man ihnen helfen, so wie es die ersten christlichen
Gemeinden gemacht haben, man muss Solidarität leben, damit sie sich wirklich geliebt
fühlen. Die arme Bevölkerung an den Stadträndern oder auf dem Land muss die Nähe der
Kirche spüren, sei es in der Hilfe der dringendsten Notwendigkeiten, sei es in der
Verteidigung ihrer Rechte und der gemeinsamen Anstrengung für eine Gesellschaft, die
auf Gerechtigkeit und Frieden gründet.“ Erziehung im Glauben sei unabdingbar,
das gelte aber auch für die persönlichen wie sozialen Tugenden des Christen. Bischöfen
wie Katecheten legte er den Katechismus der Katholischen Kirche und sein Kompendium
ans Herz. Dann erhob er wieder den Zeigefinger, wieder ohne Namen oder konkrete Konfliktfälle
der Vergangenheit zu nennen. Benedikt sagte schlicht und fast nebenbei: „Vor
allem, weil Glauben, Leben und Feier der Heiligen Liturgie als Quelle des Glaubens
und des Lebens untrennbar voneinander sind, braucht es eine korrektere Anwendung der
Prinzipien des II. Vatikanischen Konzils. … Den Gehorsam der Bischöfe … gegenüber
den liturgischen Normen wiederentdecken und wertschätzen bedeutet von der Kirche selbst
Zeugnis geben, der einen und universalen, die in der Liebe leitet.“ Mehr Qualität
im Glauben forderte Benedikt. Der Bischof habe Autorität und Pflicht, den Glauben
zu bewahren, könne zur Auslegung mit Theologen zusammenarbeiten. „Es reicht
nicht, die Realität vom Glauben ausgehend zu betrachten; es ist nötig, mit dem Evangelium
in der Hand zu arbeiten und von Herzen verbunden mit dem authentischen Erbe der Apostolischen
Tradition, ohne Interpretationen, die von rationalistischen Ideologien motiviert sind.“ Ein
Wort zur Ökumene, die stets „Suche nach Einheit“ sei, die Ermahnung zur Zusammenarbeit
bei der Verteidigung der Grundwerte in einer relativistischen und konsumorientierten
Kultur. Der Papst zitierte an einer Popolorium Progressio, die erste Sozialenzyklika
zur Entwicklungsproblematik und formulierte treu dieser Tradition und angesichts der
gespaltenen Realität der brasilianischen Gesellschaft seinen Schlussappell: „Eine
Vision der Wirtschaft und der sozialen Probleme, die von der Soziallehre der katholischen
Kirche ausgeht, lässt die Dinge immer aus Sicht der Menschenwürde sehen, die das schlichte
Spiel der ökonomischen Fakten übersteigt. Man muss also unermüdlich für die Bildung
der Politiker arbeiten, wie auch für die aller Brasilianer, die eine bestimmte Entscheidungsmacht,
sei sie nun groß oder klein, haben, und ganz allgemein für die aller Mitglieder der
Gesellschaft, so dass sie ihre eigene Verantwortung voll und ganz wahrnehmen und der
Wirtschaft ein menschliches und solidarisches Gesicht geben.“ (rv 11.05.2007
bp)