Keine andere Weltgegend
ausserhalb Europas kennt Benedikt XVI. so gut wie den amerikanischen Doppelkontinent;
als Kardinal war er Mitglied der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika, besuchte
Brasilien und Peru, focht eine lange Kontroverse mit der brasilianischen Befreiungstheologie
aus und berief schon bald nach seiner Wahl auf den Stuhl Petri den brasilianischen
Kardinal Hummes zu einem seiner engsten Mitarbeiter (als Präfekt der Klerus-Kongregation).
Die Reise nach Brasilien vom Mai 2007 zur Eröffnung der V. Generalversammlung des
Lateinamerikanischen Bischofsrates – die bislang weiteste Auslandsreise Benedikts
– kam ohne einen Zwischenstopp in den USA aus, und in einer grossen Rede an Diplomaten
an Neujahr 2007 widmete sich der Papst ausführlich der Lage in mehreren Ländern Lateinamerikas,
erwähnte hingegen die USA so gut wie gar nicht.
„Kontinent der Hoffnung“ –
dieses Wort Johannes Pauls II. münzt auch sein Nachfolger auf Lateinamerika, ohne
allerdings einen scharfen Blick und eine gewisse Skepsis verbergen zu können. Das
spanisch- und portugiesisch-sprachige Amerika brauche stabilere Institutionen und
einen entschiedenen Kampf gegen Armut, Drogenhandel und Korruption. „Dank einer ausserordentlichen
Geschichte der Mission“ hat das Christentum in Lateinamerika Fuss gefasst, und dieses
bis heute prägende Erbe dürfen die dortigen Regierungen jetzt nicht einfach über Bord
kippen, etwa durch liberale Abtreibungsgesetze oder die Aufwertung von Ehen ohne Trauschein.
„Es muss ... vor der Gefahr gewarnt werden, dass sich die Ausübung der Demokratie
in eine Diktatur des Relativismus verwandelt“; Familienpolitik scheint auf dem Kontinent
dem „Druck von Lobbies nachzugeben..., die imstande sind, die legislativen Prozesse
negativ zu beeinflussen“. Genauso alarmierend: „Ehescheidungen und freie Partnerschaften
nehmen zu, während der Ehebruch mit nicht zu rechtfertigender Toleranz gesehen wird.“
Keiner kann die „geschichtliche, geistliche, kulturelle und soziale Rolle“
übersehen, „die die katholische Kirche in Lateinamerika spielt“ – nicht als politische
Kraft allerdings, und diese Präzisierung ist dem Papst wichtig, sondern als jemand,
der innerhalb der Gesellschaft seinen „eigenen Beitrag (leistet), den des Evangeliums“.
Gleichzeitig bekräftigt er: „Die Hilfe für die Armen und die Bekämpfung der Armut
sind und bleiben grundlegend und vorrangig im Leben der Kirchen in Lateinamerika.“
Ihre „gefestigte Präsenz“ wird allerdings immer mehr von Sekten herausgefordert: „Wir
müssen ernsthaft darüber nachdenken, warum die Sekten eine so große Anziehungskraft
besitzen, um die angemessenen Antworten zu finden.“ Die Christen sollten angesichts
dieser Herausforderung versuchen, ihre Freude am Glauben (einem „reifen Glauben“)
nach außen zu zeigen. Es geht, so meint er realistisch, „nicht um Re-, sondern um
Neuevangelisierung“; viele, die sich noch Katholiken nennen, haben sich in Wirklichkeit
„weit vom Glauben entfernt, geben die Glaubenspraxis auf und verlieren nach und nach
ihre Identität als Gläubige“.
Im allgemeinen hält der Papst die „Verschmelzung
zwischen der alten und reichen Sensibilität der Ureinwohner mit dem Christentum“ für
geglückt; „in manchen Bereichen, das wissen wir, wird ein Kontrast zwischen dem Reichtum
und der Tiefe der vorkolumbischen Kulturen und dem christlichen Glauben behauptet,
der wie ein äußerer Zwang oder eine Entfremdung für die Völker Lateinamerikas dargestellt
wird. In Wirklichkeit war das Zusammentreffen zwischen diesen Kulturen und dem Glauben
an Christus eine Antwort auf die inneren Erwartungen dieser Kulturen.“ Man sollte
„diese Begegnung nicht ... verleugnen, sondern ... vertiefen; sie hat die wahre Identität
der Völker Lateinamerikas geschaffen.“ Es sei doch kein Zufall, dass keine Institution
bei den Lateinamerikanern ein so grosses Ansehen geniesst wie die katholische Kirche.
Quellen: An Nuntien, 17.2.07; Ansprache, 20.1.07; an Diplomaten, 9.1.07;
an Bischöfe aus Mexiko, 15.9.05. Befreiungstheologie
Eigentlich:
Befreiungstheologien, im Plural. Sehr vielfältiges Phänomen, das es auf allen Kontinenten
gab und gibt; hat nach Ansicht des neuen Papstes in Lateinamerika die Ärmsten der
Armen nie wirklich erreicht. Als Leiter der vatikanischen Glaubenskongregation ist
Kardinal Ratzinger in den achtziger Jahren dagegen vorgegangen, dass einzelne Befreiungstheologen
in Lateinamerika sich aus seiner Sicht zu sehr dem Marxismus annäherten, was zu einer
attraktiven, aber explosiven „Umdeutung des Christlichen“ führte. Allgemein stört
ihn an der Befreiungstheologie, dass diese „doch sehr intellektuelle Versprechung
... einen Verlust an Trost und Wärme der Religion“ gebracht habe. Die Armen hätten
sich weniger für eine „politisierte religiöse Gemeinschaft“ und mehr für eine „in
ihr Leben hineinreichende Religion“ interessiert, und darum hätten sich viele von
ihnen nach dem Scheitern der Befreiungstheologie in Lateinamerika dann in die Arme
von Sekten geworfen.
Im Kern kritisiert der jetzige Papst am Denken eines
marxistisch orientierten Teils der Befreiungstheologie, dass er das christliche Wort
Erlösung politisch versteht. „Der Mensch ist nicht Gott und die Geschichte ist es
nicht“; Politik kann nicht erlösen, „und wenn sie diesen Anspruch erhebt, wird sie
zur Sklaverei“. Die richtige Antwort auf die durchaus legitimen und wichtigen Fragen
der Befreiungstheologie sind für den Papst mehr „Bekehrung in der Kirche“ und auch
eine größere „Radikalität des Glaubens“.
Eine Instruktion der vatikanischen
Glaubenskongregation unter Leitung von Kardinal Ratzinger zum Thema Befreiungstheologie
wies 1984 schon im ersten Satz darauf hin, dass das Evangelium durchaus „eine Botschaft
der Freiheit und eine Kraft der Befreiung“ ist. Diese Befreiung bedeutet allerdings
in erster Linie „eine Befreiung von der radikalen Knechtschaft der Sünde“, und das
vergessen „angesichts der Dringlichkeit der Probleme … manche, (die) … den Akzent
einseitig auf die Befreiung von der Versklavung auf irdischem und weltlichem Gebiet
… setzen“. Andere bedienen sich wiederum „eines geistigen Instrumentariums, das nur
sehr schwer, vielleicht überhaupt nicht, von ideologischen Vorstellungen“ – gemeint
sind marxistische – „gereinigt werden kann“. „Zuerst das Brot, später das Wort“ –
diese Haltung ist „ein tödlicher Irrtum“, und erst recht ist der „Kampf für Gerechtigkeit
und menschliche Freiheit“ aus christlicher Sicht nicht schon „das Wesentliche und
das Ganze des Heils“.
Die von Ratzinger unterschriebene Instruktion legt aber
Wert darauf, dass sie „in keiner Weise“ jene engagierten Christen verurteilen wolle,
„die hochherzig und im authentischen Geist des Evangeliums auf die vorrangige Option
für die Armen antworten wollen“ – eine Option, die Bischöfe aus ganz Lateinamerika
auf einer gemeinsamen Konferenz feierlich ausgesprochen haben. Es gebe „zahlreiche
Priester, Ordensleute und Laien, die sich in wahrhaft evangelischem Geist der Bildung
einer gerechten Gesellschaft widmen“, und durchaus auch eine „authentische Theologie
der Befreiung..., die im recht verstandenen Wort Gottes verwurzelt ist“. Kardinal
Ratzinger hat in einer späteren „Instruktion“ seiner Behörde 1986 versucht, das Wort
Befreiung aus christlicher Sicht mit positivem Inhalt zu füllen. Zwischen diesen beiden
Dokumenten lag 1985 sein Vorgehen gegen den Befreiungstheologen Leonardo Boff wegen
dessen Buch „Kirche – Charisma und Macht“.
Seit seiner Wahl zum Papst hat sich
Benedikt XVI. nicht mehr zum Thema Befreiungstheologie geäußert und das Wort „Befreiung“
überhaupt nur selten in einem aktuellen politischen Zusammenhang erwähnt. Eine Warnung
der Glaubenskongregation unter Kardinal Levada vom März 2007 an den Jesuiten und Befreiungstheologen
Jon Sobrino kam ohne Sanktionen aus und war in auffallend versöhnlichem Ton gehalten.
Quellen: Notifikation der Glaubenskongregation, März 07; Zur Lage des Glaubens,
197 f.; Salz der Erde, 156; Wiederauffinden der Mitte, 264; Instruktionen bzw.
Notifikation der vatikanischen Glaubenskongregation in den Jahren 1984-86
Dritte
Welt / Entwicklungshilfe Die so genannte Dritte Welt – Benedikt
XVI. verwendet diesen Begriff fast gar nicht – darf nicht zum Verlierer des Globalisierungsprozesses
werden. Der Papst betont, dass Christen „eine besondere Verantwortung gegenüber Afrika,
Lateinamerika und Asien haben“. Sein spezielles Interesse gilt Afrika, das er von
Korruption, Gewalt, Aids, Ausbeutung der Ressourcen und Waffenhandel „verwüstet“ sieht.
„Wir müssen unsere Verantwortung anerkennen, indem wir sicherstellen, dass die Verbreitung
des Glaubens, der auf die tiefsten Erwartungen jedes Menschen antwortet, stärker ist
als die Ausfuhr der europäischen Laster.“ Dem Papst schwebt ein „christliches Afrika“
vor, „ein glückliches Afrika, ein großer Kontinent des neuen Humanismus“. Mit Blick
auf Asien bemerkt Benedikt, dass dort das Christentum „mit Ausnahme der Philippinen“
in allen Staaten nur „eine sehr kleine Minderheit“ ist, „auch wenn es in Indien wächst
und sich als eine Kraft der Zukunft darstellt“. In Lateinamerika bereitet dem Papst,
der sich intensiv und kritisch mit der Befreiungstheologie auseinandergesetzt
hat, der Zustrom zu Sekten Kopfzerbrechen.
An der westlichen Entwicklungshilfe
stört den Papst, dass sie glaubt, „von ethischen Problemen völlig absehen“ und moderne
Wirtschaften „an bestehenden ethischen und sozialen Systemen vorbei“ aufbauen zu können.
Auch die Kirchen hätten zu oft geglaubt, „man müsse zuerst die Segnungen des Wohlstands
ausbreiten, und dann könne man hernach auch einmal von Gott reden“. Mit dieser Einstellung
lasse sich nicht eine Gesellschaft konstruieren, „in der Freiheit und Recht sinnvoll
miteinander vermittelt sind“. Von daher rührt seiner Ansicht nach auch der „Zorn,
der sich heute in der Dritten Welt zunehmend gegen Europa und Amerika ausbreitet“:
Menschen in diesen Teilen der Welt hätten das Gefühl, „dass einem die eigene Seele
zertrampelt worden ist“. Die „Besserwisserei“ der westlichen Entwicklungshilfe, „die
Gott nicht nur ausgelassen, sondern die Menschen von Gott abgedrängt hat..., hat erst
die Dritte Welt zur Dritten Welt im heutigen Sinn gemacht“. Welche Hybris, zu glauben,
man könne mit einer „technizistischen Mentalität“, die die örtlichen Traditionen leugnet,
„Steine in Brot verwandeln“! Die kirchliche Lehre von der „universalen Bestimmung
der Güter der Schöpfung“ trägt der Papst mit – aber er merkt an, das „ist nicht nur
eine schöne Idee, sie muss auch funktionieren.“
In einem
Brief an die deutsche Kanzlerin Merkel hat der Papst Ende 2006 seine konkreten, wirtschaftspolitischen
Vorstellungen in Sachen Entwicklungshilfe einmal folgendermaßen auf den Punkt gebracht:
„Günstige Handelsbedingungen“ für die armen Länder, einschließlich einem „breiten
und vorbehaltlosen Zugang zu den Märkten“ der reichen Staaten. Ein völliger „Erlaß
der Auslandsschulden der stark verschuldeten armen Länder und der am wenigsten entwickelten
Länder“. Erfüllung der so genannten „Millenniumsziele“ zur Erhöhung westlicher Entwicklungshilfe
und Reduzierung des Hungers. „Investitionen“ in die Entwicklung von billigen Medikamenten
gegen Aids und Malaria. Eindämmung des Handels mit Waffen und Rohstoffen. Und schließlich
Kampf gegen Korruption bzw. „Kapitalflucht aus armen Ländern“. Quellen:
Jesus von Nazareth, 62; Brief an Bundeskanzlerin Merkel, 16.12.06; an römischen Klerus,
13.5.05; Wendezeit für Europa, 117; Gott und die Welt, 153 Menschenrechte
„Das
erste und grundlegende aller Menschenrechte ist das Recht auf Gott“, und für den Papst
bedeutet das gleichzeitig das Recht des Menschen auf die Wahrheit. Ohne dieses Recht
„sind die anderen Menschenrechte ungenügend“, weil sie den Menschen auf ein „bloßes
Bedürfniswesen“ reduzieren. Religionsfreiheit wird so gesehen zu einem der wichtigsten
Menschenrechte, weil es bei ihr um die „wichtigste menschliche Beziehung“ geht, nämlich
„die zu Gott“; die katholische Kirche verlangt Religionsfreiheit nicht nur für sich
selbst, sondern „für alle“. In politischer Hinsicht forderte der Papst in seiner ersten
feierlichen Friedensbotschaft, dass die Staaten die genauen Vorschriften, die sich
aus den Menschenrechten ergeben, immer wieder aktualisieren müssen, um „den veränderlichen
Gegebenheiten der modernen bewaffneten Konflikte sowie der Verwendung ständig neuer,
immer hochentwickelterer Waffensysteme entgegenzutreten“.
Wichtig war schon
dem Theologen Ratzinger, dass die Menschenrechte mit der Gottes-Ebenbildlichkeit des
Menschen im Zusammenhang stehen. Wer das nicht akzeptiere und dem die „Tiergleichheit“
des Menschen entgegenstelle, „der achet ihn auch bald nur als ein Tier“. Wenn hinter
den Menschenrechten nur „ein schwaches Menschenbild“ steht, so fragt Benedikt XVI.,
„ wie sollten dann nicht auch sie selber geschwacht sein?“, und der Papst lässt keinen
Zweifel daran, dass er mit diesem schwachen Menschenbild die in weiten Teilen des
so genannten Westens verbreitete „relativistische Auffassung vom Menschen“ meint.
Der Widerspruch sei doch „offenkundig“: „Die Rechte werden als absolut hingestellt,
aber das Fundament, das man für sie anführt, ist nur relativ.“ Wer die Menschenrechte
heutzutage wirksam verteidigen will, muss also an seinem Menschenbild arbeiten – um
zu verhindern, dass der Begriff Menschenrechte für jeden etwas anderes bedeutet: „Für
einige ist es die menschliche Person, die durch eine ständige Würde und die Rechte
ausgezeichnet ist, die stets, überall und jedem gegenüber gültig sind“ – das ist eindeutig
die christliche Sicht vom Menschen. „Für andere ist es der Mensch mit veränderlicher
Würde und mit Rechten, die immer neu ausgehandelt werden können: in ihren Inhalten,
ihrer zeitlichen Dauer und ihrem Geltungsbereich.“
Der Papst stellt sich hinter
die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO aus dem Jahr 1948; diese Rechte
seien „nicht nur einfach der Beschluss der Versammlung“, sondern leiteten sich aus
der „Natur des Menschen selbst“ und seiner von Gott ihm gegebenen Würde her. Würde
man sie als lediglich von der UNO dem Menschen zugesprochene Rechte behandeln, dann
würde sich bald „herausstellen, dass die internationalen Organe nicht über das nötige
Ansehen verfügen, um ihre Rolle als Verteidiger der Grundrechte der Person und der
Völker zu entfalten“. Dabei ist das die „Aufgabe, in der aber die grundsätzliche Rechtfertigung
ihres Daseins und ihres Handelns besteht“... In gewisser Weise adoptiert Benedikt
damit die in der UNO-Konvention aufgelisteten Menschenrechte für das Christentum,
damit ihre Einhaltung nicht unter dem Ansehensverlust der Vereinten Nationen leiden
kann. Im übrigen, so urteilt das Kirchenoberhaupt, ist es „offensichtlich, dass die
Rechte des Menschen für ihn auch Pflichten beinhalten“, und er zitiert, um das zu
unterstreichen, sogar Mahatma Gandhi: „Der Ganges der Rechte fliesst vom Himalaya
der Pflichten herab.“ Ansprache, 24.2.07; Botschaften zum Weltfriedenstag,
2006/07; an den ital. Präsidenten, 20.11.06; vor Diplomaten, 9.1.06; Schauen auf
den Durchbohrten, 104; Gottes Glanz in unserer Zeit, 55 Mission
Ist
wichtig, weil die Botschaft Jesu sich an alle Menschen richtet. Wie bei der wunderbaren
Brotvermehrung fordert Jesus seine Jünger auch heute noch auf: „Gebt ihr ihnen zu
essen!“ Missionare, ja Christen überhaupt sollten keine Scheu vor der Verkündigung
auch unter Angehörigen anderer Religionen haben, denn das Neue Testament sieht eine
enge Verbindung „zwischen dem Heil und der Wahrheit“, und die Wahrheit ist für einen
Christen nun mal der christliche Glaube, während andere Religionen nur „außerordentliche
Wege“ zum Heil des Menschen darstellen. Das heißt nicht, dass Mission ohne Dialog
auskäme, im Gegenteil, er gehört zu ihrem Wesen dazu: „Nur wenn ich den einen verstehe,
kann der andere anfangen, mich zu verstehen“. Und Benedikt betont auch in aller Deutlichkeit:
„Wir drängen unseren Glauben niemandem auf: Diese Art von Proselytismus ist dem Christlichen
zuwider.“ Glaube kann nur in Freiheit geschehen, „aber die Freiheit der Menschen,
die rufen wir an, sich für Gott aufzutun“. Denn die Welt braucht Gott – den Gott mit
menschlichem Antlitz, der am Kreuz seine „Liebe bis zum Ende“ gezeigt hat: „Diesen
Gott brauchen wir. Wir verletzen nicht den Respekt vor anderen Religionen und Kulturen,
wir verletzen nicht die Ehrfurcht vor ihrem Glauben, wenn wir uns laut und eindeutig
zu dem Gott bekennen, der der Gewalt sein Leiden entgegengestellt hat“.
Christen
aus dem Westen dürfen in die Dritte Welt nicht „nur Geld oder Know-how“ liefern, sondern
„müssen schon mehr geben“. Wer die Menschen dort ernstnehmen will, muss ihnen auch
von Gott erzählen und von einem „neuen Weg des Lebens“ – ja er muß sogar sein Leben
daran hängen, „nicht für zwei, drei Jahre, für ein interessantes Abenteuer“. Mission
ohne Nächstenliebe, genauer noch: Mission ohne Rückbindung an die göttliche Liebe
ist immer in „Gefahr, auf eine rein philanthropische und soziale Tätigkeit reduziert
zu werden“. Dagegen heißt Missionar sein, „Gott mit seinem ganzen Selbst zu lieben
und, wenn nötig, auch das Leben für ihn hinzugeben“; Tausende von Klerikern und gläubigen
Laien sind im Lauf der Jahrhunderte als Zeugen Christi sogar in den Tod gegangen.
„Wer mit dem Herzen Christi liebt, sucht nicht die Verwirklichung eigennütziger Interessen,
sondern allein die Herrlichkeit des Vaters und das Wohl des Nächsten.“ In der Verkettung
dieser zwei Komponenten „liegt das Geheimnis der apostolischen Fruchtbarkeit“ von
Mission.
Ursprung des missionarischen Drangs hinaus in die Welt ist für den
Papst die Eucharistie. Mission hat aber auch wichtige Rückwirkungen auf die Kirche:
Sie hält sie dynamisch und bewahrt sie davor, sich nur noch für sich selbst zu interessieren.
Nachdrücklich fordert der Papst dazu auf, in der Kirche „die missionarische Spannung“
aufrechtzuerhalten. Mission betrifft alle, man darf sie nicht „als Abenteuer des einzelnen“
sehen, sondern „als gemeinsame Verpflichtung jeder Gemeinschaft“: Der Papst nennt
sie sogar „eine Baustelle, auf der für alle Platz ist“, Schwarzarbeiter gibt`s da
nicht, hier werkeln alle legal. Startpunkt der Mission ist das Herz: Wer sich „von
der Liebe Gottes“ überschütten lässt, will sie automatisch weitergeben. Das muß nicht
unbedingt in einer entfernten Weltgegend sein, sondern funktioniert auch da, wo Gott
einen gerade hingestellt hat. „Wir müssen von einer heiligen Unruhe beseelt sein“
– Gott schenkt uns seine Liebe und Freundschaft, „damit sie auch die anderen erreiche“.
Weitergabe der Freude am Glauben führt außerdem zu einer tiefen inneren Befriedigung
darüber, etwas Bleibendes geleistet zu haben, meint Benedikt XVI.: „Alle Menschen
wollen eine Spur hinterlassen, die bleibt“, aber was bleibt schon? „Das Geld nicht.
Auch die Gebäude bleiben nicht; ebenso wenig die Bücher“ – eine etwas überraschende
Sentenz aus dem Mund eines Vielschreibers. „Nach einer gewissen … Zeit verschwinden
alle diese Dinge.“ Nur die menschliche Seele ist unsterblich, und „die Frucht, die
bleibt, ist daher das, was wir in die menschlichen Seelen gesät haben“.
Botschaft
zum Weltmissionssonntag 06; Messe in München, 10.11.06; Angelus, 22.10.06; Predigt
vor dem Konklave, 18.4.05; Zur Lage des Glaubens, 212; Interview mit Radio Vatikan,
14.4.02; Gott und die Welt, 166
Aus: S. Kempis, Benedikt XVI.
- Lexikon, Leipzig. Erscheint im Herbst 2007.