2007-05-09 09:22:06

Robert Spaemann 80 Jahre


Prof. Dr. Robert Spaemann zählt zu den bedeutendsten Philosophen Deutschlands und gilt als einer der intellektuell profiliertesten Denker im europäischen Großraum. Sein Arbeitsfeld sind ethische Fragen auf der Grundlage eines christlichen Menschenbildes. Spaemann stellt die Vernünftigkeit des Glaubens in den Mittelpunkt seiner Philosophie. Die Auseinandersetzung über die Frage nach der Existenz Gottes hat der unabhängige Denker nie gescheut.Gleichwohl kommt der Philosoph oft zu völlig anderen Ergebnissen als andere berdeutende Denker. Spaemann - ein guter Joseph Ratzinger-Kenner - veröffentlichte zahlreiche Bücher und Aufsätze unter anderem in der FAZ, WELT, Zeit oder Cicero. Er lehrte in Stuttgart, Heidelberg, München, an der Sorbonne, in Rio de Janeiro und Salzburg. Robert Spaemann erblickte am 5. Mai 1927 in Berlin das Licht der Welt und stammt aus einer zum katholischen Glauben konvertierten Familie.


… Mit einem Philosophen sollte man ein ganzes Leben und nicht nur eine halbe Stunde lang sprechen können. Die Frage, die ich gleich am Anfang an Sie stelle, ist so alt wie die Menschheit: Was ist das Glück? Gibt es das überhaupt, das Glück? Wann kann ein Leben als glücklich und gelungen bezeichnet werden?


'Der klassische Begriff des Glücks bezieht sich auf das Leben als ganzes. Und meint so etwas wie ein gelungenes Leben. Das kann man erst vom Ende her beurteilen. Ich denke, dass der Heilige Augustinus doch Recht hat, wenn er sagt: die Philosophen versprechen so etwas, wie ein vollkommenes Glück, aber da täuschen sie nur sich selbst und die Menschen. Augustinus sagt: 'Ein wirklich vollkommenes Glück gibt es in diesem Leben nicht. Das Glücklichste, was man erreichen kann, ist der Glaube und die Hoffnung auf ein vollkommenes Glück'.


… Wenn Sie Rückschau halten auf Ihr bisheriges Leben: war es ein glückliches Leben?


'Die Bilanz unseres Lebens ziehen wir nicht selbst. Ich kann sagen, dass ich vieles von dem, was ich gewollt habe, erreicht habe, dass ich das Glück hatte, mein ganzes Leben mich mit dem zu beschäftigen und für das bezahlt zu werden, was ich sowieso gerne tue: nämlich denken, philosopsch nachdenken. Das ist ja schon eine privilegierte Sache. Darüber hinaus erlebe ich das Glück in und mit der Familie. In diesem allgemeinen Sinne kann ich sagen, dass mein Leben glücklich war'.


… Oft fühlen wir uns - nachdem wir erreicht haben, was wir unbedingt wollten, dennoch nicht glücklich: war es dann die falsche Sache, die wir anstrebten, oder sind wir ganz einfach unfähig, glücklich zu sein?


'Ja,. Das falsche, gemessen woran eigentlich? Wie kann ich etwas wollen, und dann bekomme ich was ich will, und dann sage ich, ja, das wars eigentlich nicht. Ja, wieso nicht? Ja, weil es nicht das vollkommene Glück gebracht hat. Ich glaube, dass jemand, der sich eine übertriebene Vorstellung von dem macht, was er erreichen möchte, sozusagen in einer permanenten Euphorie lebt, der kann nur scheitern. Aber da mein Leben doch immer glücklicherweise durchdrungen war von dem Glauben und der Hoffnung auf einen wirklich glücklichen Zustand, in einer Vereinigung mit Gott, kann ich sagen: Ja, dies ist ein Teil des Glücks meines Lebens, der Teil, der großer ist, als der Rest'.


… Eine Frage, die vor allem junge Menschen an Sie richten: Ist der Zustand des Verliebtseins zum Beispiel - ein absulutes oder vermeintliches Glück?


'Eine absolutes Glück ist es sicher nicht, denn in dem Verliebtsein steckt ja immer eine große Hoffnung. Das Verliebtsein hat auch zum Inhalt, dass der andere ein ungeheueres Versprechen enthält. Dieses Versprechen kann natürlich nie gehalten werden. Der eine ist für den anderen ein Versprechen, das nicht gehalten werden kann. Das Verliebtsein ist insofern auch ein Trick der Natur, mich mit einem Menschen zu verbinden, über die Zeit des euphorischen Verliebtseins hinaus. Dann beginnt eigentlich erst das wirkliche Abenteur.
Nämlich sich mit einem Menschen so einzulassen, dass man die Wandlungen des eigenen Lebens und die Veränderungen die man selbst durchmacht, nicht mehr unabhängig macht,von der Entwicklung, von den Wandlungen des anderen. Das heißt: beide verknüpfen ihr Schicksal mit dem des anderen. Und das ist unabsehbar und wer erwartet, dass dieser Zustand der Verliebtheit in diesem anfänglichen Sinne immer andauert, der kann nur ein paar Jahre durchhalten und dann braucht er was neues, um dieses Gefühl wieder zu erleben. Aber es gibt dann etwas ganz anderes. Die Liebe, die etwas tiefer rutscht ins Herz und die dann ein Glück über ein langes Leben hin ermöglicht, und viel größer ist als das Verliebtsein. Um dieses Glück zu erfahren, muss man es wollen, man muss bereit sein, dafür auch etwas zu zahlen, man darf nicht darauf bestehen, dass der andere immer genau meine Erwartungen erfüllt. Ich muss auch die seinen erfüllen. Das ist dann aber ein Abenteuer, das sich lohnt. Das Verliebtsein ist da, und den Mut zu machen, dieses Abenteuer einzugehen. Denn ohne Verliebtsein würde man es nicht riskieren.'


… Was unterscheidet das glücklich sein von der Zufriedenheit, dem zufrieden sein?


'Zufriedenheit ist das, was die Philosophen, die Stoiker zum Beispiel angeboten haben als Ersatz für das Glück. Sie sagten: wenn der Mensch alles so hinnimmt, wie es ist, dann kann er sagen, er ist zufrieden, er hat keine übertriebenen Wünsche und Zufriedenheit ist im gewissen Sinne etwas Unübertreffliches. Denn der Zufriedene wird sagen: was wollt ihr? Ich bin ja zufrieden, mit dem was ich habe. Aber derjenige, der wirklich liebt, sieht, dass der bloß Zufriedene sich das Wichtigste entgehen läßt. Die Zufriedenheit wird unter Umständen aufgesprengt. Sei es durch ein schweres Schicksal, durch ein schweres Leiden, durch Verliebtheit, durch eine große Liebe. Es bricht etwas in das Leben ein, auch die Begegnung mit großer Kunst bricht die Zufriedenheit auf. Der wirklich Glückliche wird dem Zufriedenen sagen: Du weißt gar nicht, was du dir entgehen läßt. In dem Glück, das über die Zufriedenheit hinausgeht, steckt immer auch ein Moment von Traurigkeit. Weil in diesem Glück ein Versprechen enthalten ist, das - wie ich sagte - nie so gehalten werden kann. Es ist ein Vorschein des künftigen Lebens. Es ist ein Angelhaken Gottes um uns schließlich dahin zu bringen, wohin wir vielleicht von uns aus gar nicht wollen würden'.


… Drückt der bekannte Ausspruch von Goethe 'Verweile doch o Augenblick, du bist so schön' nun Glückseligkeit oder Zufriedenheit aus?


'Das ist ein glücklicher Augenblick. Das ist nicht Glück im Sinne eines gelingenden Lebens. Der Gedanke dahinter ist der: das gelungene Leben wäre dieses, in dem der glückliche Augenblick auf Dauer gestellt ist. Das ist die Ewigkeit. Die Ewigkeit ist ein ewiger Augenblick. Das ist nicht eine unendliche Zeit, die dann irgendwann auch langweilig wird, sondern es ist ein Augenblick, der nicht aufhört. Dieses 'Verweile doch, du bist so schön' beschreibt einen himmlischen Zustand. Denn unter irdischen Bedingungen ist das gar nicht erfüllbar. Wir können zwar in eine Situation kommen, wo wir zum Augenblick sagen: 'Verweile doch, du bist so schön', aber das tut er nicht.'


… Kann man denn glücklich sein, ohne zu wissen, dass man es ist?


' Eine gescheite Frage: ja, ich denke schon. Man kann es im Rückblick wissen. Man kann sagen: ja, da war ich wirklich glücklich. Ich habe gar nicht darüber nachgedacht, ob ich glücklich oder nicht glücklich war. Ich denke, ein Mensch, der sagt, ich will unbedingt glücklich sein, wird nie glücklich sein. Denn das wirkliche Glück beruht auf einer Selbstüberschreitung. Ich bin hingerissen von etwas. Und dieses Hingerissensein bedeutet, dass ich gar nicht darüber reflektiere, ob ich glücklich bin oder nicht. Auch im Zustand großer Verliebtheit ist es so, dass man von dem anderen so hingerissen ist, dass die Reflexion darauf, ob ich jetzt glücklich bin oder nicht, sich gar nicht stellt. Vielleicht bin ich sogar sehr traurig, weil ich schon spüre: das kann so nicht ewig sein. Es gibt ja Menschen, die haben sich das Leben genommen: das Motiv des Liebestodes bei Tristan zum Beispiel. Im Bewußtsein, dass man das Glück nicht auf Dauer stellen kann, will man es mit dem Tod besiegeln: ich will nicht, dass es zu Ende geht, und will lieber jetzt sterben. Das sind exaltierte Zustände. Aber dieses Hingerissensein gehört zum vollkommenen Glück und nicht die Reflexion über die Frage, bin ich jetzt glücklich oder nicht'.


… Muss man Glück haben, um glücklich zu sein?


Das sind zwei verschiedene Begriffe von Glück. Das Lateinische unterscheidet zwischen 'fortuna' und 'felicitas'. Glück haben und glücklich sein. Ein Mensch kann Glück haben - zum Beispiel im Spiel - und doch ein unglücklicher Mensch sein. Oder er kann glücklich sein, obwohl er viel Pech hat. Aber ich glaube das Versprechen der stoischen Philosophen, das Glücklichsein vom Glückhaben vollkommen ablösen zu können, und den Menschen zum Herrn der Situation zu machen, das ist - denke ich - utopisch. Man muss tatsächlich Glück haben, um glücklich zu sein. Das sagt übrigens auch der Hl. Thomas. Und ich denke auch, Glücklichsein ist untrennbar von Dankbarkeit. Ich glaube, dass ein Mensch, der nicht dankbar ist, nicht wirklich glücklich sein kann.'




… Sie sind ein katholischer Philosoph: was glaubt, wer an Gott glaubt?


'Also: ich bin ein Philosoph und ein katholischer Christ. Ich würde lieber das sagen, als dass ich ein katholischer Philosoph wäre. Ja, was glaubt, wer an Gott glaubt? Er glaubt, dass etwas wirklich ist, was wir nicht unmittelbar sehen. Nämlich, dass die absolute Macht, die die Welt aus sich hervorgehen läßt, die die Welt erhellt, dass diese absolute Macht zugleich absolute Liebe ist. Oder umgekehrt: dass Liebe nicht ein Ideal ist, sondern dass Liebe die fundamentale Realität der Welt ist. Dante spricht am Ende der göttlichen Kommödie von der Liebe, die die Sonne bewegt und die anderen Sterne. Diese Einheit absoluter Macht und absoluter Liebe ist das, was der glaubt, de an Gott glaubt.'


… Welchen Grund hat ein Mensch, zu glauben, dass es Gott wirklich gibt?


' Ich denke, wir erfahren in der Welt, wenn auch manchmal nur punktuell, etwas dermaßen Sinnvolles und Schönes, dass wir das nicht verstehen können, als bloßes Resultat eines Zufallsprozesses. Ich will noch einen anderen Grund nennen: es ist eine abstrakte Überlegung, die aber - glaube ich - weit trägt. Wir sitzen jetzt hier im Vatikan und führen ein Gespräch. Das Gespräch ist gleich zu Ende. Aber es wird in alle Ewigkeit wahr bleiben, dass wir heute dieses Gesprch geführt haben. Das ist eine ewige Wahrheit. Nun kann man fragen: ja, wo ist denn diese Wahrheit, wenn die Welt einmal nicht mehr existieren wird? Wenn die Menschen, die unser Gespräch gehört oder gelesen haben, gestorben sind, wenn alle Spuren dieses Gesprächs verschwunden sind? Und am Ende auch das Universum kollabiert ist? Muss man dann sagen: es ist nicht mehr wahr, dass wir hier saßen und philosophierten? Natürlich nicht. Die Gegenwart denken heißt, das Futurum exaktum denken - was jetzt ist, wird immer gewesen sein. Auf die Frage, von welcher Art ist denn dieses Sein, kann man nur sagen: wenn es nicht ein absolutes BewußÝsein gibt, in dem alles aufgehoben ist, was geschieht, dann müßten wir zu der absurden Konsequenz kommen, dass es einmal nicht mehr wahr ist, dass wir hier gesessen haben, dass ich ein großes Glück erlebt habe, dass ich Schmerzen erlebt habe. Auch das unendliche Leiden von Menschen - das wird alles einmal nicht mehr gewesen sein? Aber, indem wir das Denken, denken wir schon Gott.'


… Bleibt ein Atheist, der Gutes tut, ein Atheist? Er glaubt nicht an Gott und tut - ohne Aussicht auf eine künftige Entschädigung - dennoch Gutes. Ist er nicht ein noch besserer Mensch, als jener, der Gutes tut, um einmal dafür belohnt zu werden?


' Es ist nicht die absolute Bedingung für gutes Handeln, dass ich an Gott glaube. Wohl aber ist es so, dass der Atheist in der unmöglichen Lage ist, zwar Gutes zu tun, aber gleichzeitig zu glauben, dass es am Ende vollkommen sinnlos war. Der Atheismus zerstört die theoretischen Grundlagen des Guten, aber das heißt nicht, dass er den Impuls des Guten unmöglich macht. Es gibt ein sehr schönes Gedicht von Gottfried Benn, das diese Haltung eines traurigen Agnostikers ausdrückt: 'Ich habe mich oft gefragt, und keine Antwort gefunden, woher das Sanfte und das Gute kommt. Ich weiß es auch jetzt noch nicht und muss nun gehen'.


… Gibt es denn ein Heil außerhalb des Christentums?


'Es gibt kein Heil außer Christus! Das sagt Jesus im Neuen Testament: 'Niemand kommt zum Vater außer durch mich'. Die Kirche hat in ihrer Tradition das immer so interpretiert, dass dieses durch 'Christus-zum -Vater- kommen' nicht bedeutet, dass derjenige, der von Christus nichts weiß, oder der niemals in irgend eine existentielle Berührung mit Christus gekommen ist, von diesem Weg ausgeschlossen ist. Ich denke, wenn er wirklich geleitet war von der Suche nach dem Licht und von einem primären Impuls der Liebe, dann wird er am Ende, wenn er zum Heil kommt, sehen, dass er immer schon mit Christus verbunden war. Es ist sicher sehr viel schwerer, zum Heil zu kommen, wenn man von diesem Weg nichts weiß oder wenn man ihn für illusorisch hält.'


… Viele Menschen bedürfen eines Beweises, um an Gott glauben zu können. Was ist für Sie - philosophisch betrachtet - der beste Gottesbeweis?


' Im Mittelalter glaubte man aus der Struktur der Wirklicheit auf Gott schließen zu können. Weil man voraussetzte, dass die Vernunft wahrheitsfähig und die Welt erkennbar ist. Der französische Philosoph Foucauld schreibt einmal: wir dürfen uns nicht einbilden, dass die Welt uns ein lesbares Gesicht zuwendet. Das ist auch die These von Nietzsche. Wenn das so ist, dann gibt es natürlich überhaupt keine Möglichkeit eines Gottesbeweises. Außer wir sagen: wenn wir die Wahrheitsfähigkeit der Vernunft verteidigen wollen - und ohne die sind wir ein Nichts - dann müssen wir zugleich Gott annehmen. Wenn es Gott nicht gibt, gibt es keine Vernunft - das sagt Nietzsche selbst. Er glaubt, dass es Gott nicht gibt und er sagt, es gibt deshalb auch keine warheitsfähige Vernunft. Heute glaube ich kann ein Gottesbeweis nur noch so aussehen: dass er beides gleichzeitig behauptet. Die Existenz Gottes und die Existenz unserer selbst als Personen. Der beste Gottesbeweis ist am Ende der Mensch. Mir ist es passiert, ich bin in Rom bestohlen worden. Ich hatte kein Geld mehr, das Flugzeug war weg, ich wußte nicht, was ich machen sollte. Ich hatte kein Geld ein Flugticket zu kaufen. Kommt ein junger, italienischer Pilot, sieht meine Situation, versucht mir zu helfen, und sagt: bleiben Sie mal einen Augenblick sitzen. Dann kommt er und kauft mir ein Ticket für ein paar hundert Euro, gibt mir es und sagt: 'Sie können mir das Geld dann zurückschicken'. Ich sage: 'Sie kennen mich doch gar nicht, ich habe keinen Ausweis, mir ist alles gestohlen worden'. 'Macht nichts - sagte er - Sie werden es mir schon zurückschicken'. Ja, das ist für mich ein Gottesbeweis.'


… Wehren Sie sich, wenn man Sie als einen konservativen Ethiker bezeichnen würde?


'Ja. Weil konservativ so eine Parteibezeichnung ist. Man ist entweder konservativ oder progressiv. Ich glaube, es gibt Dinge, die nicht von gestern sind, die sind auch nicht von morgen, sondern die gelten immer. Was ich versuche, ist, zu zeigen, was immer gilt. Wenn man das konservativ nennen will, schön. Dann können Sie mich konservativ nennen. Ich selbst würde mich nicht so bezeichnen'.


… Sie können auf ein langes Leben zurückschauen und haben viel Erfahrung gesammelt. Welchen moralischen Begriff stellen Sie an die Spitze aller Werte ?


'Die Liebe'.


… Robert Spaemann- einer der profiliertesten deutschen Philosophen - wird 80 Jahre alt. Was ist für Sie rückblickend die Zeit?


' Da kann ich nur mit dem Hl.Augustinus sagen: ich weiß, was die Zeit ist. Aber wenn ich anfange, darüber nachzudenken, dann weiß ich es nicht mehr.'


Aldo Parmeggiani










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