2007-04-22 11:32:45

Italien: Papst, Augustinus für alle


Papst Benedikt betet und predigt heute am Grab des Heiligen Augustinus. Wir dokumentieren hier die Predigt aus der Messe am Morgen in Pavia in unserer eigenen Übersetzung:


In der Osterzeit führt uns die Kirche Sonntag für Sonntag einige Verse aus den Predigten vor Augen, mit denen die Apostel, vor allem Petrus, nach dem Osterfest Israel zum Glauben an Jesus Christus, den Auferstandenen einladen und so die Kirche gründen. In der heutigen Lesung stehen die Apostel vor dem Hohen Rat, dem Gremium, das Jesus des Todes schuldig erklärt hatte. Der Hohe Rat konnte nicht tolerieren, dass dieser Jesus mittels der Predigten der Apostel jetzt anfinge neu zu wirken, er konnte nicht tolerieren, dass seine Heil bringende Kraft wieder gegenwärtig werde und sich Menschen zusammenscharten, die an ihn als den verheißenen Retter glaubten. Die Apostel werden angeklagt. Der Vorwurf lautet: „Ihr wollt das Blut dieses Menschen über uns bringen.“ Petrus antwortet auf diese Anklage mit einer kurzen Katechese über den Kern des christlichen Glaubens: „Nein, wir wollen nicht sein Blut über euch bringen. Die Wirkung des Todes und der Auferstehung Jesu ist gänzlich anders. Gott hat ihn zum ,Herrscher und Retter’ für alle gemacht, auch und gerade für euch, für sein Volk Israel.“ Und wohin führt dieser Herrscher? Was bringt dieser „Retter“? Er führt uns zur Umkehr, schafft den Raum und die Möglichkeit sich zu besinnen, zu bereuen und neu anzufangen. Er gibt die Vergebung der Sünden, er führt uns in die rechte Beziehung zu Gott und so auch jeden einzelnen in die rechte Beziehung zu sich selbst und damit zu den anderen.


Diese kurze Katechese des Petrus galt nicht nur für den Hohen Rat. Sie gilt uns allen. Denn Jesus, der Auferstandenen, lebt auch heute. Für alle Generationen, für alle Menschen ist er der „Herrscher“, der auf dem Weg vorangeht, und der „Retter“, der unser Leben recht macht. Die zwei Worte „Umkehr“ und „Vergebung der Sünden“ entsprechen den beiden Jesustiteln „Herrscher“ und „Retter“, und sie sind die Schlüsselwörter der Predigt des Petrus, Worte, die in dieser Stunde auch unser Herz erreichen wollen. Der Weg, den wir gehen müssen, der Weg, den Jesus uns aufzeigt, heißt „Umkehr“. Aber was ist das? Was müssen wir dafür tun? In jedem Leben hat Umkehr ihre eigene Form, denn jeder Mensch ist etwas Neues und keiner ist nur die Kopie eines anderen. Aber im Lauf der Geschichte des Christentums hat der Herr uns Beispiele für Umkehr geschenkt, und mit Blick auf diese können wir Orientierung finden. Wir könnten auf Petrus selbst schauen, dem der Herr im Abendmahlssaal gesagt hatte: „Wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder“ (Lk 22.32). Wir könnten auf Paulus schauen, einen großen Bekehrten. Die Stadt Pavia spricht von einem der größten Bekehrten der Kirchengeschichte: der Heilige Aurelius Augustinus. Er starb am 28. August 430 in der Hafenstadt Hippo, damals von den Vandalen umzingelt und besetzt. Nach einigen Unruhen einer bewegten Geschichte gewann der König der Langobarden seine sterblichen Überreste für die Stadt Pavia, so dass er jetzt auf besondere Weise zu dieser Stadt gehört und in ihr und durch sie zu uns allen in besonderer Weise spricht.


In seiner Schrift „Bekenntnisse“ zeigt uns Augustinus auf anrührende Weise den Weg seiner Bekehrung, die mit seiner Taufe durch Bischof Ambrosius im Dom von Mailand ihr Ziel erreicht hatte. Wer die Bekenntnisse liest, kann den Weg mitgehen, den Augustinus in einem langen inneren Kampf gehen musste, um in der Osternacht 387 am Taufbecken endlich das Sakrament zu erhalten, das die große Wende seines Lebens markiert. Aufmerksam dem Lebenslauf des Heiligen Augustinus folgend kann man sehen, dass die Bekehrung nicht ein Momentereignis war, sondern wirklich ein Weg. Man kann sehen, dass dieser Weg am Taufbecken noch nicht zu Ende war. So wie vor der Taufe ist das Leben des Augustinus auch nach der Taufe ein Weg der Umkehr geblieben, wenn auch auf andere Weise, bis zu seiner letzten Krankheit, als er auf die Wand die Bußpsalmen aufschreiben ließ, um sie immer vor Augen zu haben; als er sich selbst vom Empfang der Eucharistie ausschloss, um noch einmal den Weg des Büßers zu gehen und aus den Händen Christi das Heil zu empfangen als Geschenk der Barmherzigkeit Gottes. So können wir von den „Bekehrungen“ des Augustinus sprechen, die tatsächlich eine einzige große Umkehr waren auf der Suche nach dem Antlitz Christi und dann im gemeinsamen Gehen mit ihm.


Ich möchte von den drei großen Etappen auf diesem Weg der Bekehrung sprechen, von drei „Bekehrungen“. Die erste grundlegende Bekehrung war der innere Weg hin zum Christentum, hin zum „Ja“ des Glaubens und der Taufe. Was war der wesentliche Aspekt dieses Weges? Augustinus, auf der einen Seite, war Sohn seiner Zeit, zutiefst bedingt von den Gewohnheiten und Leidenschaften, die sie dominierten, aber auch von all den Fragen und Problemen eines Heranwachsenden. Er lebte wie alle anderen, und dennoch war in ihm etwas Besonderes: Er blieb immer ein suchender Mensch. Er gab sich nicht zufrieden mit dem Leben, wie es war und wie alle es lebten. Er war immer geplagt von der Frage nach Wahrheit. Er wollte die Wahrheit finden. Er wollte herausfinden, wer der Mensch ist, woher die Welt kommt, woher wir selbst kommen, wohin wir gehen und wo wir das wahre Leben finden können. Er wollte das rechte Leben finden und nicht blind ohne Sinn und ohne Ziel vor sich hin leben. Die Leidenschaft für die Wahrheit ist das wirkliche Schlüsselwort für sein Leben. Und es gibt noch eine Besonderheit: Alles, was nicht den Namen Christi trug, genügte ihm nicht. Die Liebe zu diesem Namen – sagt er uns – hatte er mit der Muttermilch aufgesogen (vgl. Conf 3,4,8). Er hatte immer geglaubt – mal eher vage, mal sehr konkret -, dass Gott existiert und dass er für uns sorgt. Aber diesen Gott wahrhaft zu kennen, sich wirklich mit diesem Christus vertraut zu machen und dazu zu kommen, „Ja“ zu ihm zu sagen, mit allen Konsequenzen – das war der große innere Kampf seiner Jugendjahre. Er erzählt uns, dass er mittels der platonischen Philosophie gelernt und erkannt hatte, dass „im Anfang das Wort war“ – der Logos, die schöpferische Vernunft. Aber die Philosophie zeigte ihm keinen einzigen Weg, um zu ihm zu gelangen; dieser Logos blieb fern und unantastbar. Nur im Glauben der Kirche fand er dann die zweite Grundwahrheit: das Wort ist Fleisch geworden. Und so berührt es uns, und wir berühren es. Der Demut der Menschwerdung Gottes muss die Demut unseres Glaubens entsprechen, der Hochmut und Besserwisserei ablegt und sich beugt, wenn er in die Gemeinschaft des Leibes Christi eintritt und Teil von ihm wird; dieser Glaube, der mit der Kirche lebt und nur so in die konkrete, die leibliche Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott eintritt. Ich muss nicht eigens sagen, wie sehr das uns alle angeht: suchende Menschen bleiben, sich nicht mit dem zufrieden geben, was alle sagen und tun, den Blick nicht vom ewigen Gott und von Jesus Christus abwenden, immer wieder neu die Demut des Glaubens in der leibhaften Kirche Jesu Christi lernen.


Seine zweite Bekehrung beschreibt uns Augustinus am Ende des zehnten Buches seiner Bekenntnisse mit den Worten: „Von meinen Sünden geschreckt und von der Last meines Elends bewegte ich es in meinem Herzen, dachte darüber nach und floh in die Einsamkeit; aber du hieltest mich auf und befestigtest mich mit den Worten: ,Er ist für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb.’“ (2 Kor 5,15; Conf 10,43,70). Was war geschehen? Nach seiner Taufe hatte Augustinus beschlossen, nach Afrika zurück zu kehren und hatte dort gemeinsam mit seinen Gefährten ein kleines Kloster gegründet. Sein Leben sollte jetzt ganz der Zwiesprache mit Gott gewidmet sein, dem Nachdenken und der Betrachtung der Schönheit und der Wahrheit seines Wortes. So verbrachte er drei glückliche Jahre, in denen er glaubte, am Ziel seines Lebens angekommen zu sein. In dieser Zeit entstand eine Vielzahl philosophischer Werke. Im Jahr 391 besuchte er in der Hafenstadt Hippo einen Freund, den er für das klösterliche Leben gewinnen wollte. Aber in der sonntäglichen Liturgie, an der er in der Kathedralkirche teilnahm, wurde er erkannt. Der Bischof der Stadt, ein Mann griechischer Herkunft, der nicht gut Latein sprach und dem das Predigen mühe machte, sagte in seiner Predigt nicht zufällig, dass er vorhabe, einen Priester auszuwählen, dem er die Aufgabe des Predigens übertragen wolle. Sofort ergriffen die Menschen Augustinus und zerrten ihn nach vorne, damit er zum Priester im Dienst der Stadt geweiht werden würde. Sofort nach seiner erzwungenen Weihe schrieb Augustinus an Bischof Valerius: „Ich fühlte mich wie einer, der das Ruder nicht halten kann und der dennoch zum zweiten Steuermann gemacht wurde…Daher rührten die Tränen, die einige meiner Brüder mich in der Stadt vergießen sahen, als ich geweiht wurde“ (Ep 21,1s). Der schöne Traum vom kontemplativen Leben war hinfällig. Das Leben Augustinus’ hatte sich völlig verändert. Nun musste er für alle mit Christus leben. Er musste sein Wissen und seine erhabenen Gedanken in das Denken und die Worte der einfachen Menschen seiner Stadt übersetzen. Das große philosophische Werk eines ganzen Lebens, das er erträumt hatte, würde ungeschrieben bleiben. An seine Stelle wurde etwas kostbareres gerückt: das Evangelium übersetzt in die Sprache des Alttags und des Leidens. Das, was jetzt seinen Alltag ausmachte, hat er so beschrieben: „Die Undisziplinierten ändern, die Kleinmütigen stärken, die Schwachen unterstützen, die Gegner widerlegen… die Nachlässigen anspornen, die Streitenden bremsen, den Bedürftigen helfen, die Unterdrückten befreien, den Guten Zustimmung zeigen, die Schlechten tolerieren und alle lieben“ (vgl. Serm 340,3). „Unablässig predigen, diskutieren, tadeln, aufbauen, allen zur Verfügung stehen – es ist eine riesige Aufgabe, eine große Last, eine enorme Mühe“ (Serm 339,4). Das war die zweite Bekehrung dieses Menschen, der kämpfte und litt, der immer wieder versuchte, seine Pflicht zu tun: für alle da sein; immer wieder neu mit Christus gemeinsam sein eigenes Leben hingeben, damit die anderen ihn, das wahre Leben, finden können.


Es gibt noch eine dritte entscheidende Etappe auf dem Weg der Bekehrung des Heiligen Augustinus. Nach seiner Priesterweihe hatte er um einige Zeit Urlaub gebeten, um die Heiligen Schriften grundlegender studieren zu können. Sein erster Predigtzyklus nach dieser Reflexionspause behandelte die Bergpredigt; er erklärte das rechte Leben, „das vollkommene Leben“ von Christus auf neue Weise gezeigt, er führte es als Pilgerweg auf den Heiligen Berg des Wortes Gottes vor Augen. In diesen Predigten kann man noch den ganzen Enthusiasmus des gerade gefundenen und erfahrenen Glaubens spüren: die feste Überzeugung, dass der Getaufte, voll und ganz nach der Botschaft Christi lebend, wirklich „vollkommen“ sein kann. Rund zwanzig Jahre später schrieb Augustinus ein Buch mit dem Titel „Die Widerrufe“, in dem er sich kritisch mit seinen bis dato verfassten Werken auseinandersetzte und Korrekturen anbrachte, wo er inzwischen anderes erlernt und erfahren hatte. Mit Blick auf das Ideal des vollkommenen Lebens in seinen Auslegungen zur Bergpredigt merkte er an: „In der Zwischenzeit hatte ich verstanden, dass einer allein wahrhaft vollkommen ist und dass die Worte der Bergpredigt in einem allein vollkommen wirklich geworden sind: in Jesus Christus selbst. Die ganze Kirche hingegen, wir alle, die Apostel eingeschlossen, müssen jeden Tag beten: Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ (vgl. Retract. I 19,1-3). Augustinus hatte den letzten Grad der Demut angenommen – nicht nur die Demut, sein großes Denken in den Glauben der Kirche einzufügen, nicht nur die Demut, sein großes Wissen in die Einfachheit der Verkündigung zu übersetzen, sondern auch die Demut, dass er selbst und die ganze pilgernde Kirche stets der barmherzigen Güte eines vergebenden Gottes bedarf; und wir – so fügte er hinzu – werden Christus, dem einzig Vollkommenen, im größtmöglichen Maß ähnlich, wenn wir wie er barmherzige Menschen werden.


In dieser Stunde danken wir Gott für das große Licht, das aus der Weisheit und der Demut des Heiligen Augustinus aufstrahlt, und wir bitten den Herrn, dass er uns allen Tag für Tag die notwendige Umkehr schenkt und uns so zum wahren Leben führt. Amen.
(Übersetzung: Birgit Pottler)







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