Papst Benedikt betet und predigt heute am Grab des Heiligen Augustinus. Wir dokumentieren
hier die Predigt aus der Messe am Morgen in Pavia in unserer eigenen Übersetzung:
In
der Osterzeit führt uns die Kirche Sonntag für Sonntag einige Verse aus den Predigten
vor Augen, mit denen die Apostel, vor allem Petrus, nach dem Osterfest Israel zum
Glauben an Jesus Christus, den Auferstandenen einladen und so die Kirche gründen.
In der heutigen Lesung stehen die Apostel vor dem Hohen Rat, dem Gremium, das Jesus
des Todes schuldig erklärt hatte. Der Hohe Rat konnte nicht tolerieren, dass dieser
Jesus mittels der Predigten der Apostel jetzt anfinge neu zu wirken, er konnte nicht
tolerieren, dass seine Heil bringende Kraft wieder gegenwärtig werde und sich Menschen
zusammenscharten, die an ihn als den verheißenen Retter glaubten. Die Apostel werden
angeklagt. Der Vorwurf lautet: „Ihr wollt das Blut dieses Menschen über uns bringen.“
Petrus antwortet auf diese Anklage mit einer kurzen Katechese über den Kern des christlichen
Glaubens: „Nein, wir wollen nicht sein Blut über euch bringen. Die Wirkung des Todes
und der Auferstehung Jesu ist gänzlich anders. Gott hat ihn zum ,Herrscher und Retter’
für alle gemacht, auch und gerade für euch, für sein Volk Israel.“ Und wohin führt
dieser Herrscher? Was bringt dieser „Retter“? Er führt uns zur Umkehr, schafft den
Raum und die Möglichkeit sich zu besinnen, zu bereuen und neu anzufangen. Er gibt
die Vergebung der Sünden, er führt uns in die rechte Beziehung zu Gott und so auch
jeden einzelnen in die rechte Beziehung zu sich selbst und damit zu den anderen.
Diese
kurze Katechese des Petrus galt nicht nur für den Hohen Rat. Sie gilt uns allen. Denn
Jesus, der Auferstandenen, lebt auch heute. Für alle Generationen, für alle Menschen
ist er der „Herrscher“, der auf dem Weg vorangeht, und der „Retter“, der unser Leben
recht macht. Die zwei Worte „Umkehr“ und „Vergebung der Sünden“ entsprechen den beiden
Jesustiteln „Herrscher“ und „Retter“, und sie sind die Schlüsselwörter der Predigt
des Petrus, Worte, die in dieser Stunde auch unser Herz erreichen wollen. Der Weg,
den wir gehen müssen, der Weg, den Jesus uns aufzeigt, heißt „Umkehr“. Aber was ist
das? Was müssen wir dafür tun? In jedem Leben hat Umkehr ihre eigene Form, denn jeder
Mensch ist etwas Neues und keiner ist nur die Kopie eines anderen. Aber im Lauf der
Geschichte des Christentums hat der Herr uns Beispiele für Umkehr geschenkt, und mit
Blick auf diese können wir Orientierung finden. Wir könnten auf Petrus selbst schauen,
dem der Herr im Abendmahlssaal gesagt hatte: „Wenn du dich wieder bekehrt hast, dann
stärke deine Brüder“ (Lk 22.32). Wir könnten auf Paulus schauen, einen großen Bekehrten.
Die Stadt Pavia spricht von einem der größten Bekehrten der Kirchengeschichte: der
Heilige Aurelius Augustinus. Er starb am 28. August 430 in der Hafenstadt Hippo, damals
von den Vandalen umzingelt und besetzt. Nach einigen Unruhen einer bewegten Geschichte
gewann der König der Langobarden seine sterblichen Überreste für die Stadt Pavia,
so dass er jetzt auf besondere Weise zu dieser Stadt gehört und in ihr und durch sie
zu uns allen in besonderer Weise spricht.
In seiner Schrift „Bekenntnisse“
zeigt uns Augustinus auf anrührende Weise den Weg seiner Bekehrung, die mit seiner
Taufe durch Bischof Ambrosius im Dom von Mailand ihr Ziel erreicht hatte. Wer die
Bekenntnisse liest, kann den Weg mitgehen, den Augustinus in einem langen inneren
Kampf gehen musste, um in der Osternacht 387 am Taufbecken endlich das Sakrament zu
erhalten, das die große Wende seines Lebens markiert. Aufmerksam dem Lebenslauf des
Heiligen Augustinus folgend kann man sehen, dass die Bekehrung nicht ein Momentereignis
war, sondern wirklich ein Weg. Man kann sehen, dass dieser Weg am Taufbecken noch
nicht zu Ende war. So wie vor der Taufe ist das Leben des Augustinus auch nach der
Taufe ein Weg der Umkehr geblieben, wenn auch auf andere Weise, bis zu seiner letzten
Krankheit, als er auf die Wand die Bußpsalmen aufschreiben ließ, um sie immer vor
Augen zu haben; als er sich selbst vom Empfang der Eucharistie ausschloss, um noch
einmal den Weg des Büßers zu gehen und aus den Händen Christi das Heil zu empfangen
als Geschenk der Barmherzigkeit Gottes. So können wir von den „Bekehrungen“ des Augustinus
sprechen, die tatsächlich eine einzige große Umkehr waren auf der Suche nach dem Antlitz
Christi und dann im gemeinsamen Gehen mit ihm.
Ich möchte von den drei
großen Etappen auf diesem Weg der Bekehrung sprechen, von drei „Bekehrungen“. Die
erste grundlegende Bekehrung war der innere Weg hin zum Christentum, hin zum „Ja“
des Glaubens und der Taufe. Was war der wesentliche Aspekt dieses Weges? Augustinus,
auf der einen Seite, war Sohn seiner Zeit, zutiefst bedingt von den Gewohnheiten und
Leidenschaften, die sie dominierten, aber auch von all den Fragen und Problemen eines
Heranwachsenden. Er lebte wie alle anderen, und dennoch war in ihm etwas Besonderes:
Er blieb immer ein suchender Mensch. Er gab sich nicht zufrieden mit dem Leben, wie
es war und wie alle es lebten. Er war immer geplagt von der Frage nach Wahrheit. Er
wollte die Wahrheit finden. Er wollte herausfinden, wer der Mensch ist, woher die
Welt kommt, woher wir selbst kommen, wohin wir gehen und wo wir das wahre Leben finden
können. Er wollte das rechte Leben finden und nicht blind ohne Sinn und ohne Ziel
vor sich hin leben. Die Leidenschaft für die Wahrheit ist das wirkliche Schlüsselwort
für sein Leben. Und es gibt noch eine Besonderheit: Alles, was nicht den Namen Christi
trug, genügte ihm nicht. Die Liebe zu diesem Namen – sagt er uns – hatte er mit der
Muttermilch aufgesogen (vgl. Conf 3,4,8). Er hatte immer geglaubt – mal eher vage,
mal sehr konkret -, dass Gott existiert und dass er für uns sorgt. Aber diesen Gott
wahrhaft zu kennen, sich wirklich mit diesem Christus vertraut zu machen und dazu
zu kommen, „Ja“ zu ihm zu sagen, mit allen Konsequenzen – das war der große innere
Kampf seiner Jugendjahre. Er erzählt uns, dass er mittels der platonischen Philosophie
gelernt und erkannt hatte, dass „im Anfang das Wort war“ – der Logos, die schöpferische
Vernunft. Aber die Philosophie zeigte ihm keinen einzigen Weg, um zu ihm zu gelangen;
dieser Logos blieb fern und unantastbar. Nur im Glauben der Kirche fand er dann die
zweite Grundwahrheit: das Wort ist Fleisch geworden. Und so berührt es uns, und wir
berühren es. Der Demut der Menschwerdung Gottes muss die Demut unseres Glaubens entsprechen,
der Hochmut und Besserwisserei ablegt und sich beugt, wenn er in die Gemeinschaft
des Leibes Christi eintritt und Teil von ihm wird; dieser Glaube, der mit der Kirche
lebt und nur so in die konkrete, die leibliche Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott
eintritt. Ich muss nicht eigens sagen, wie sehr das uns alle angeht: suchende Menschen
bleiben, sich nicht mit dem zufrieden geben, was alle sagen und tun, den Blick nicht
vom ewigen Gott und von Jesus Christus abwenden, immer wieder neu die Demut des Glaubens
in der leibhaften Kirche Jesu Christi lernen.
Seine zweite Bekehrung beschreibt
uns Augustinus am Ende des zehnten Buches seiner Bekenntnisse mit den Worten: „Von
meinen Sünden geschreckt und von der Last meines Elends bewegte ich es in meinem Herzen,
dachte darüber nach und floh in die Einsamkeit; aber du hieltest mich auf und befestigtest
mich mit den Worten: ,Er ist für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für
sich leben, sondern für den, der für sie starb.’“ (2 Kor 5,15; Conf 10,43,70). Was
war geschehen? Nach seiner Taufe hatte Augustinus beschlossen, nach Afrika zurück
zu kehren und hatte dort gemeinsam mit seinen Gefährten ein kleines Kloster gegründet.
Sein Leben sollte jetzt ganz der Zwiesprache mit Gott gewidmet sein, dem Nachdenken
und der Betrachtung der Schönheit und der Wahrheit seines Wortes. So verbrachte er
drei glückliche Jahre, in denen er glaubte, am Ziel seines Lebens angekommen zu sein.
In dieser Zeit entstand eine Vielzahl philosophischer Werke. Im Jahr 391 besuchte
er in der Hafenstadt Hippo einen Freund, den er für das klösterliche Leben gewinnen
wollte. Aber in der sonntäglichen Liturgie, an der er in der Kathedralkirche teilnahm,
wurde er erkannt. Der Bischof der Stadt, ein Mann griechischer Herkunft, der nicht
gut Latein sprach und dem das Predigen mühe machte, sagte in seiner Predigt nicht
zufällig, dass er vorhabe, einen Priester auszuwählen, dem er die Aufgabe des Predigens
übertragen wolle. Sofort ergriffen die Menschen Augustinus und zerrten ihn nach vorne,
damit er zum Priester im Dienst der Stadt geweiht werden würde. Sofort nach seiner
erzwungenen Weihe schrieb Augustinus an Bischof Valerius: „Ich fühlte mich wie einer,
der das Ruder nicht halten kann und der dennoch zum zweiten Steuermann gemacht wurde…Daher
rührten die Tränen, die einige meiner Brüder mich in der Stadt vergießen sahen, als
ich geweiht wurde“ (Ep 21,1s). Der schöne Traum vom kontemplativen Leben war hinfällig.
Das Leben Augustinus’ hatte sich völlig verändert. Nun musste er für alle mit Christus
leben. Er musste sein Wissen und seine erhabenen Gedanken in das Denken und die Worte
der einfachen Menschen seiner Stadt übersetzen. Das große philosophische Werk eines
ganzen Lebens, das er erträumt hatte, würde ungeschrieben bleiben. An seine Stelle
wurde etwas kostbareres gerückt: das Evangelium übersetzt in die Sprache des Alttags
und des Leidens. Das, was jetzt seinen Alltag ausmachte, hat er so beschrieben: „Die
Undisziplinierten ändern, die Kleinmütigen stärken, die Schwachen unterstützen, die
Gegner widerlegen… die Nachlässigen anspornen, die Streitenden bremsen, den Bedürftigen
helfen, die Unterdrückten befreien, den Guten Zustimmung zeigen, die Schlechten tolerieren
und alle lieben“ (vgl. Serm 340,3). „Unablässig predigen, diskutieren, tadeln, aufbauen,
allen zur Verfügung stehen – es ist eine riesige Aufgabe, eine große Last, eine enorme
Mühe“ (Serm 339,4). Das war die zweite Bekehrung dieses Menschen, der kämpfte und
litt, der immer wieder versuchte, seine Pflicht zu tun: für alle da sein; immer wieder
neu mit Christus gemeinsam sein eigenes Leben hingeben, damit die anderen ihn, das
wahre Leben, finden können.
Es gibt noch eine dritte entscheidende Etappe
auf dem Weg der Bekehrung des Heiligen Augustinus. Nach seiner Priesterweihe hatte
er um einige Zeit Urlaub gebeten, um die Heiligen Schriften grundlegender studieren
zu können. Sein erster Predigtzyklus nach dieser Reflexionspause behandelte die Bergpredigt;
er erklärte das rechte Leben, „das vollkommene Leben“ von Christus auf neue Weise
gezeigt, er führte es als Pilgerweg auf den Heiligen Berg des Wortes Gottes vor Augen.
In diesen Predigten kann man noch den ganzen Enthusiasmus des gerade gefundenen und
erfahrenen Glaubens spüren: die feste Überzeugung, dass der Getaufte, voll und ganz
nach der Botschaft Christi lebend, wirklich „vollkommen“ sein kann. Rund zwanzig Jahre
später schrieb Augustinus ein Buch mit dem Titel „Die Widerrufe“, in dem er sich kritisch
mit seinen bis dato verfassten Werken auseinandersetzte und Korrekturen anbrachte,
wo er inzwischen anderes erlernt und erfahren hatte. Mit Blick auf das Ideal des vollkommenen
Lebens in seinen Auslegungen zur Bergpredigt merkte er an: „In der Zwischenzeit hatte
ich verstanden, dass einer allein wahrhaft vollkommen ist und dass die Worte der Bergpredigt
in einem allein vollkommen wirklich geworden sind: in Jesus Christus selbst. Die ganze
Kirche hingegen, wir alle, die Apostel eingeschlossen, müssen jeden Tag beten: Vergib
uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ (vgl. Retract. I 19,1-3).
Augustinus hatte den letzten Grad der Demut angenommen – nicht nur die Demut, sein
großes Denken in den Glauben der Kirche einzufügen, nicht nur die Demut, sein großes
Wissen in die Einfachheit der Verkündigung zu übersetzen, sondern auch die Demut,
dass er selbst und die ganze pilgernde Kirche stets der barmherzigen Güte eines vergebenden
Gottes bedarf; und wir – so fügte er hinzu – werden Christus, dem einzig Vollkommenen,
im größtmöglichen Maß ähnlich, wenn wir wie er barmherzige Menschen werden.
In
dieser Stunde danken wir Gott für das große Licht, das aus der Weisheit und der Demut
des Heiligen Augustinus aufstrahlt, und wir bitten den Herrn, dass er uns allen Tag
für Tag die notwendige Umkehr schenkt und uns so zum wahren Leben führt. Amen. (Übersetzung:
Birgit Pottler)