Joseph Ratzinger, Ein "Kirchenbekenntnis" von 1970
Papst Benedikt XVI.
wird 80. Zum runden Geburtstag haben wir - mit Hilfe des Bayerischen Rundfunks - im
Archiv gestöbert und einige der ersten Tonaufnahmen Josef Ratzingers gefunden. Am
4. Juni 1970 etwa, bekannte der damalige Dogmatikprofessor an der Universität Regensburg
„Warum ich heute noch in der Kirche bin“. Ein Bekenntnis, das auf den ersten Blick
etwas seltsam anmutet aus dem Munde eines Mannes, der heute Papst ist. Wenn er nicht
überzeugtes Mitglied dieses Gefüges ist, dass das Reich Gottes auf Erden sichtbar
machen will, wer dann? Doch in den frühen 70-er Jahren schien die Frage berechtigt.
Hören Sie selbst. Ein Beitrag von Birgit Pottler. (rv)
„Wie kann man angesichts
der gegenwärtigen Situation das Bleiben in der Kirche rechtfertigen? Anders ausgedrückt:
Der Entscheid für die Kirche muss ein spiritueller Entscheid sein, wenn er Sinn haben
soll.“
Grundfrage: Was ist die Kirche? Wie ist ihre Lage? Ratzinger griff
zurück auf die Symbolsprache der Kirchenväter. Sie verglichen den Mond und seine Rolle
im Kosmos mit der Kirche und ihrer Bedeutung.
„Das Licht des Mondes ist
fremdes Licht. Er leuchtet, aber sein Licht ist nicht sein Licht, sondern Licht eines
Anderen. Er selbst ist dunkel, aber er schenkt Helligkeit von einem Anderen her, dessen
Licht durch ihn weitergeht. Eben darin aber stellt er, nach Meinung der Väter, die
Kirche da, die leuchtet, auch wenn sie selber dunkel ist. Nicht von ihrem eigenen
Licht her ist sie hell, aus dem was die Menschen in ihr tun und sind und leisten,
sondern der wirklichen, kosmischen Sonne, von Christus her, empfängt sie Licht.“
Symbole
soll man nicht pressen, so der genaue Theologe und Liebhaber der Sprache, aber im
„Zeitalter der Mondfahrt“ dränge sich ein Vergleich auf:
„Wer sie sozusagen
mit der Raumsonde beschaufelt und befährt und Gesteinsproben aus ihr entnimmt, kann
irdener Wüste Sand und Gestein entdecken, die Menschlichkeiten des Menschen an seiner
Geschichte mit ihren Wüsten, ihrem Staub und ihren Höhen, die es auch gibt.“
Doch
– wie der Mond – zähle sie selbst nicht, sie bestehe, weil sie ihr Licht von anderswo
bekommt. Das zähle.
„Sie ist ,luna’, Mond - ,Mysterium lunae’. Und so geht
sie den Gläubigen an, denn so eben ist sie Ort einer bleibenden, spirituellen Entscheidung.“
Der
Priester Ratzinger bekannte eine - wie er sagt - „Sprachhemmung“ im Gottesdienst.
„Mir
kam statt ,Zum Segen für uns und seine ganze Kirche’ immer wieder einfach auf die
Lippen ,Zum Segen für uns und unsere ganze Kirche’. In dieser Sprachhemmung liegt
noch einmal, scheint mir, das ganze Problem zu Tage, um das es geht. Und die ganze
Verschiebung wird darin offenkundig, die uns widerfahren ist. An die Stelle ,seiner
Kirche’ ist ,unsere Kirche’ und sind damit die vielen Kirchen getreten – jeder hat
die Seinige. Die Kirchen sind unsere Unternehmungen geworden, auf die wir stolz sind
oder derer wir uns schämen. Viele kleine Privateigentümer stehen nebeneinander. Lauter
,unsrige’ Kirchen, die wir selber machen, die unser Werk und Eigentum sind, und die
wir demgemäß entweder umgestalten oder erhalten wollen. Hinter ,unserer Kirche’ oder
auch ,eurer Kirche’ ist uns ,seine Kirche’ entschwunden. Aber um sie allein geht es.
Und wenn es sie nicht mehr gäbe, sollte auch ,unsere Kirche’ abdanken. Kirche als
bloß ,unsrige’ wäre ein überflüssiges Sandkastenspiel.“
Und damit gibt
Josef Ratzinger die Antwort auf die Frage aller Fragen:
„Ich bin in der
Kirche, weil ich daran glaube, dass nach wie vor - und unaufhebbar durch uns - hinter
unserer Kirche seine Kirche steht. Und das ich bei ihm nicht anders stehen kann, als
indem ich bei und in seiner Kirche stehe.“
Ohne die Kirche gebe es Jesus
nur als historische Reminiszenz. Kirche, so Ratzinger, mache Christus auch in der
Gegenwart lebendig. Trotz aller Schwächen.
„Was immer es in der Kirche an
Untreue geben mag und gibt, wie sehr es wahr ist, dass sie immer ständig neu maßnehmen
muss an Christus, so gibt es doch keine letzte Entgegensetzung von Christus und Kirche.
Und indem die Kirche, sie allein, uns Jesus Christus gibt, ihn im Glauben und Beten
der Menschen allzeit neu gewährt, gibt sie auch der Menschheit insgesamt über den
Raum der Kirche hinaus ein Licht und einen Maßstab, ohne den sie nicht mehr vorstellbar
wäre und der wirkt, weit über die Grenzen der Glaubenden hinaus. Und damit
ist auch schon das Nächste gesagt. Ich bin infolgedessen in der Kirche aus denselben
Gründen, aus denen heraus ich überhaupt Christ bin. Denn glauben kann man nicht allein,
das liegt im Wesen des Glaubens. Glauben kann man nur als Mitglaubender. Glaube ist
seinem Wesen nach Kraft der Vereinigung. Der Urentwurf dessen, was er bedeutet und
dessen, was Kirche bedeutet, ist in dem Bild des ersten Pfingsten gegeben. Alle Völker
der Erde, wie getrennt sie auch durch die Grammatik und durch ihre Geschichte und
durch so vieles Anderes sein mögen, verstehen sich. Dieses Bild ist der bleibende
Auftrag der Kirche, das was sie meint und soll und das, was dem Glauben wesentlich
ist, das eine Kraft des Verstehens und der Vereinigung schafft. Glaube ist kirchlich
oder er ist nicht.“
Ratzinger scheute nicht, mit großer Verehrung auf Henri
de Lubac zu verweisen und dessen Kirchenbild. Theologische Skizzen seien notwendig
– aber das „konkret menschliche“ dürfe man nicht außer Acht lassen. Auch das würde
der heutige Papst wohl noch so formulieren:
„Wenn man sich so indiskret
ausdrücken will, würde ich sagen, ich bleibe in der Kirche, weil ich sie liebe.“
Denn,
so der Verweis Ratzingers nach der Schilderung evidenter Probleme in Kirche und Welt,
wenn man die Augen offen halte, sehe man Menschen, die „lebendiges Zeugnis der freimachenden
Kraft des christlichen Glaubens“ sind. Es sei keine Schande, Christ zu sein und zu
bleiben – wegen der Menschen, die uns Christsein vorgelebt haben.
„Wie sollte
ich eine Kirche nicht lieben, die uns die herrlichen Basiliken des christlichen Altertums,
die romanischen Dome und die gotischen Kathedralen geschenkt hat, die Festlichkeit
des Barock und die heitere Fröhlichkeit des Rokoko. Wie sollte ich eine Kirche nicht
lieben, die uns die Werke eines Palestrina und die Messen eines Mozart ebenso geschenkt
hat, wie den gregorianischen Choral und die sublime Poesie der großen, alten Liturgien,
in denen die Jahrhunderte sich betend vereinigt und verstanden haben. Wie sollte ich
eine Kirche nicht lieben, die uns das unvergängliche Werk eines Augustinus ermöglicht
hat, das einen einfach immer wieder förmlich elektrisiert, so oft man es aufschlägt.
Eine Kirche, die hinter der Synthese des Thomas von Aquin steht, die Männer wie Möhler
und Newman und Henri de Lubac inspiriert hat. Wie sollte ich eine Kirche nicht lieben,
die mit ihrer Liturgie mir immer wieder jenes köstliche Geheimnis schenkt, das man
Fest und Feiern nennt, und das mir niemand sonst auf gleiche Weise geben kann. Die
mit dem Kirchenjahr Zeit zur Geschichte werden lässt, in der das Heute und das Damals,
die Ewigkeit und der Augenblick sich durchdringen. Wie sollte ich eine Kirche nicht
lieben, die Gestalten wie Franz von Assisi und Johannes XXIII. geprägt hat, und die
Menschen, die uns allen am Nächsten stehen – die eigenen Eltern. Ich müsste mich von
mir selbst abschneiden, wollte ich ohne sie sein.“
„Liebe macht blind“,
sagt der internationale Volksmund.
„Und irgendetwas ist daran wohl wahr.
Aber nicht weniger wahr ist, dass Liebe sehend macht. In einem alten, runzligen Gesicht,
das, äußerlich betrachtet, keine Schönheit hat, entdeckt sie uns den Menschen, der
dieses Gesicht beseelt und der unserer ganzen Liebe wert ist. Im Gesicht der Kirche
entdeckt sie uns durch soviel Runzeln und Narben hindurch dennoch das Geheimnis des
Herrn, das durch dieses Gesicht hindurchleuchtet. Wenn wir so etwas hören, geraten
wir alle sofort in Angst. Auf solche Weise möchte alles Bestehende beschönigt und
die nötige Unterscheidung, die zur Erneuerung und Verjüngung führt, versäumt werden.
Aber ich glaube, wir täuschen uns da. Wirkliche Liebe ist nicht unkritisch. Und ist
nicht statisch. Im Gegenteil. Sie allein ist die Kraft, die verwandeln kann und die
aufbaut. Und so sollten wir doch wohl auch heute wieder mehr den Mut haben, die Kirche
mit den Augen der Liebe zu sehen und auf die Liebe als die wahre Kraft der Reform,
der Verjüngung und der Erneuerung zu bauen.“ (rv 13.04.2007 bp)