2007-04-09 11:45:08

Dissonanzen in der Grabeskirche


RealAudioMP3 Im Blickfeld der Christenheit an Ostern: das Grab Jesu. In Jerusalem verehren Christen seit den ersten Jahrhunderten einen bestimmten Ort als das authentische Grab Jesu – in der Grabeskirche oder auch Anasthasis – Auferstehungskirche. Diese Kirche ist in vielerlei Hinsicht einmalig, nicht nur was die Glaubensgeschichte angeht, sondern auch in puncto Ökumene: Insgesamt sechs Konfessionen teilen sich Anrechte in der verwinkelten Basilika. Das Miteinander der Kirchen an diesem zentralen christlichen Heiligtum allerdings ist kompliziert und nicht immer Beweis christlicher Nächstenliebe. Gabi Fröhlich hat sich in das liturgische Getümmel gestürzt und nachgefragt:
Wilde Kakophonie oder bereichernde Vielfalt: Das Urteil über die Gebetszeiten in der Grabeskirche ist Geschmacks- oder Glaubenssache. Fakt ist, dass man in diesen Tagen manchmal sein eigenes Wort kaum verstehen kann, am heiligsten Ort der Christenheit. Die Ostertermine sämtlicher Kirchen fallen nämlich zusammen; fünf Ostkirchen und die westlichen Katholiken feiern gleichzeitig – das Chaos scheint perfekt. In Wirklichkeit aber folgt die Liturgie einem ganz genauen Plan, der im so genannten „Status quo“ festgelegt ist. Franziskanerpater Athanasius Macora erklärt die Zusammenhänge: „Der Status quo stammt aus dem Jahr 1852. Der osmanische Sultan wollte damals als weltlicher Herrscher den Rangeleien der Kirchen um die heiligen Stätten ein Ende bereiten und entschied einfach, dass alles genau so zu bleiben habe, wie es zu diesem Zeitpunkt war.“ Pech für die Franziskaner – die hatten nämlich damals viele ihrer ursprünglichen Anrechte in der Basilika an die Griechen verloren.
Der US-Amerikaner Macora ist bei seinem Orden für alle Angelegenheiten des Status quo zuständig. Keine leichte Aufgabe, denn in der kleinen Kapelle über dem Grab Jesu selbst zum Beispiel teilen drei Konfessionen sich wenige Quadratmeter: die orthodoxen Griechen und Armenier sowie die von den Franziskanern vertretenen Katholiken. An der Rückwand haben außerdem noch die orthodoxen Kopten einen Altar. Da kam es schon mal zu handfesten Auseinandersetzungen. „Hier darf man nicht naiv sein“, meint Pater Athanasius und erzählt ein Beispiel: „Der frühere griechische Patriarch Irenäus wollte einmal unbedingt mit seiner Prozession durch unseren katholischen Teil rechts vom Grab ziehen. Wir haben ihm eine Ausnahmegenehmigung erteilt, und das war von uns als Geste der Freundschaft und Harmonie gemeint. Die Reaktion von Irenäus jedoch war ausgesprochen gewalttätig.“ Der Patriarch forderte die Franziskaner auf, ihre Tür während der Prozession zu schließen und die heilige Handlung endete in einer Schlägerei. Das ist mittlerweile allerdings zweieinhalb Jahre her und seitdem ist es ruhig geblieben, zwischen den Konfessionen in der Grabeskirche. Auch der neue griechische Patriarch Theophilos III. legt Wert auf ein friedliches Miteinander: „Die Kooperation ist exzellent. Natürlich gibt es noch einzelne kleinere Meinungsverschiedenheiten, aber die bereiten keine größeren Probleme.“ Nicht nur das, Theophilos schwört auch dem einstigen Anspruch der Griechen ab, alleiniger Herr über die Grabeskirche sein zu wollen: „Es ist sehr wichtig, dass alle Christen sich diese Kirche teilen. Denn schließlich hat dieser heilige Ort eine universelle Bedeutung, nicht nur für die Christenheit, sondern für die ganze Welt.“
Zu den Franziskanern, die regelmäßig am liturgischen Dienst in der Basilika teilnehmen, gehört der deutsche Pater Robert Jauch. Auch er stellt fest, was sein Orden schon lange als Direktive hat: „Es geht ja nicht darum, sich hier eine erste Position zu ergattern - und die Regelungen, die getroffen wurden, verhindern das eigentlich auch. Es geht darum, dass wir uns zusammenfinden, und manchmal auch zusammenraufen.“ Dabei aber knirscht es naturgemäß manchmal im Getriebe. Und da, so Pater Robert, spielt auch die Mentalität eine gewisse Rolle: „Wenn man eine Zeit lang hier lebt, hat man manchmal das Gefühl, wenn Menschen sich miteinander unterhalten, dass die sich miteinan der streiten. Der orientalische Mensch unterhält sich einfach in einer ganz anderen Lautstärke. Dann wird von Händler zu Händler irgendetwas verhacktstückt, ich weiß nicht worum es geht und denke, das sei ein mordsmäßiger Streit – und hinterher heißt es: Nein, die haben nur eine Regelung vereinbart für dies oder jenes. Ich gehe davon aus, dass auch diese Mentalität eine gewisse Rolle spielt, wenn man von dem Miteinander auch in der Grabeskirche spricht.“
Dabei geht es nicht etwa um theologische Fragen. Statt dessen gibt es in der Grabeskirche so etwas wie eine Mietshaus-Ökumene: Man streitet über die Renovierung der Toiletten, auf die man sich nicht einigen kann, obwohl es den Franziskanern seit Jahrzehnten buchstäblich stinkt. Oder über den Notausgang, den die israelische Regierung vergeblich fordert. Der Verantwortliche der Stadt Jerusalem für die Religionsgemeinschaften, Mordechay Lewy, sieht darin ein großes Problem: Tausende von Menschen gleichzeitig in der Basilika wie an diesen Ostertagen – und nur ein einziger Ausgang, weil alle anderen vor 800 Jahren zugemauert wurden. Bis heute, so Lewy, haben die Konfessionen sich nicht darauf einigen können, wo ein weiterer Ausgang geöffnet werden könnte:
Das Problem hier beim Erreichen eines Konsens – auch in anderen Fragen, die überlebenswichtig sein könnten, wie etwa sanitäre Fragen – ist, dass sie zwar allgemein als wünschenswert erkannt werden. Aber jeder versucht doch, aus seiner Verhandlungsposition das Beste herauszuschlagen und für die Erreichung eines Kompromisses auch eigene Vorteile zu erreichen.“ Der katholische Verhandlungsführer P. Athanasius seinerseits ist der Ansicht, dass gerade dieses Problem tatsächlich sehr schwer zu lösen sei. Denn in den vergangenen Jahrhunderten wurde die Kirche von allen Seiten zugebaut, so dass de facto keine Außenwand mehr auf die Straße führt: „Es gibt tatsächlich keine Stelle – nur beim derzeitigen Tor ist ein direkter Zugang da. An allen anderen Stellen müsste man durch fremdes Privateigentum durch. Hinter dem Kloster von uns Katholiken zum Beispiel liegt eine Moschee. Absolut unmöglich, da einen Ausgang zu schaffen. Insofern werden wir Konfessionen in diesem Fall kaum allein eine Lösung finden können. Denn in Jerusalem gibt niemand einfach so Privateigentum auf. Hinzu kommt, dass einige der anderen Konfessionen Angst haben, dass solch eine einschneidende Veränderung in der Kirche den Status quo verändern könnte. Der Status quo ist ja so etwas wie ein Ökosystem – ändert man auch nur eine Kleinigkeit, dann zieht das einen ganzen Rattenschwanz an weiteren Veränderungen nach sich.“
Und der städtische Verantwortliche für die Religionsgemeinschaften, Mordechay Lewy, merkt dazu an: „Das passt zu dieser Region. Die Religiosität drückt sich hier anders aus, als woanders, nämlich in Besitzrechten. Dabei geht es nicht nur um Grundstücke, das können auch Gebets- oder Liturgierechte sein. Und die werden emsig verteidigt.“
Manchmal gleichen die Verhandlungen in der Grabeskirche so einem arabischen Basar.  Auch die westlich geprägten Franziskaner haben das Handeln gelernt – lernen müssen, sagt der Amerikaner Athanasius: Zum Beispiel gibt es da jene Leiter, die die Franziskaner zu bestimmten Zeiten hinter dem Salbungsstein beim Eingang der Basilika aufstellen. Diese Leiter ist seit Jahrzehnten ohne Funktion, aber P. Athanasius lässt sie dennoch dort stehen – für ihn ist sie durchaus noch nützlich: „Die anderen haben uns gebeten, sie weg zu tun. Aber ich habe gesagt: Ich bin schon bereit dazu. Aber es gibt viele andere Dinge in der Kirche, die mir nicht gefallen. Und ich bin nicht bereit, immer nur einseitige Zugeständnisse zu machen. In dieser Region werden einem einseitige Gesten der Versöhnung gern als Schwäche ausgelegt. Deshalb sollte jede Art von Rückzug verhandelt werden.“
Unterdessen geht der Alltag in der Grabeskirche weiter, mit seinem kunterbunten Durcheinander von Gottesdiensten und Prozessionen. Der deutsche Pater Robert Jauch gibt zu bedenken: Immerhin ist dies der einzige Ort in der Welt, in dem solch ein Nebeneinander überhaupt möglich ist. Wer tolerant ist und dazu etwas Humor hat, kann dem Szenario auch viel Gutes abgewinnen: „Natürlich wird für manchen Griechen oder Armenier das Erklingen unserer wunderschönen Orgel ein gewisses Ärgernis sein. Aber es ist halt so aufgeteilt, und wenn jeder sich an die Regeln hält, dann ist es eigentlich auch nicht schwierig. Die Armenier zum Beispiel haben dafür einen sehr kräftigen Gesang, wenn sie mit ihren Prozessionen durch die Kirche ziehen, manchmal hört man auch an zwei oder drei Ecken gleichzeitig Liturgien, Prozessionen oder Gebetszeiten... Ach, der liebe Gott bekommt das schon wieder hin und auseinander klamüsert, sozusagen.“ (rv 09.04.2007 gf)







All the contents on this site are copyrighted ©.