Brüder und Schwestern in aller Welt, Männer und Frauen guten Willens! Christus ist
auferstanden! Der Friede sei mit Euch! Heute feiern wir das große Mysterium, das Fundament
des Glaubens und der christlichen Hoffnung: Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte, ist
am dritten Tag von den Toten erstanden, nach der Schrift. Die Botschaft, welche die
Engel im Morgengrauen jenes ersten Tages nach dem Sabbat Maria Magdalena und den anderen
Frauen, die zum Grab geeilt waren, verkündeten, hören wir heute wieder neu mit innerer
Ergriffenheit: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern
er ist auferstanden“ (Lc 24,5-6).
Es ist nicht schwer, sich vorzustellen,
was diese Frauen in jenem Moment empfanden: Traurigkeit und Erschütterung über den
Tod ihres Herrn mischten sich mit Unglauben und Staunen über das, was zu außerordentlich
erschien, um wahr sein zu können. Das Grab aber war offen und leer: Der Leichnam war
nicht mehr da. Petrus und Johannes liefen auf die Nachricht der Frauen hin schnell
zum Grab und stellten fest, daß diese recht berichtet hatten. Der Glaube der Apostel
an Jesus, den erwarteten Messias, war durch das Ärgernis des Kreuzes auf eine sehr
harte Probe gestellt worden. Bei Jesu Festnahme und angesichts seiner Verurteilung
und seines Todes waren alle auseinandergelaufen; nun hatten sie sich wieder zusammengefunden,
ratlos und verwirrt. Doch der Auferstandene selbst kam ihrem ungläubigen Verlangen
nach Sicherheiten entgegen: Diese Begegnung war kein Traum, keine Illusion oder subjektive
Vorstellung; es war eine reale, wenn auch unerwartete und gerade deshalb besonders
eindrucksvolle Erfahrung. „Jesus kam, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: »Friede
sei mit euch!« (Joh 20,19).
Bei diesen Worten flammte in ihren Herzen
der beinahe erloschene Glaube wieder auf. Die Apostel berichteten dem Thomas, der
bei dieser ersten außergewöhnlichen Begegnung nicht zugegen gewesen war: Jawohl, der
Herr hat erfüllt, was er angekündigt hatte; er ist wirklich auferstanden, und wir
haben ihn gesehen und angefaßt! Thomas aber blieb zweifelnd und unschlüssig. Als Jesus
acht Tage darauf zum zweiten Mal in den Abendmahlssaal kam, sagte er zu ihm: „Streck
deinen Finger aus – hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine
Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Die Antwort des Apostels ist ein
bewegendes Glaubensbekenntnis: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,27-28).
„Mein
Herr und mein Gott!“ Gemeinsam wollen auch wir das Glaubensbekenntnis des Thomas erneuern.
Als österlichen Glückwunsch habe ich in diesem Jahr gerade seine Worte gewählt, denn
die heutige Menschheit erwartet von den Christen ein neuerliches Zeugnis der Auferstehung
Christi; sie hat es nötig, ihm zu begegnen und ihn kennenzulernen als wahren Gott
und wahren Menschen. Wenn wir bei diesem Apostel die Zweifel und Unsicherheiten so
vieler heutiger Christen, die Ängste und Enttäuschungen unzähliger unserer Zeitgenossen
feststellen können, dann können wir mit ihm auch den Glauben an den für uns gestorbenen
und auferstandenen Christus mit erneuter Überzeugung wiederentdecken. Dieser Glaube,
der im Laufe der Jahrhunderte von den Nachfolgern der Apostel weitergegeben wurde,
besteht weiter, denn der auferstandene Herr stirbt nicht mehr. Er lebt in der Kirche
und führt sie sicher bis zur Vollendung seines ewigen Heilsplanes.
Jeder von
uns kann versucht sein, dem Unglauben des Thomas zu verfallen. Der Schmerz, das Böse,
die Ungerechtigkeiten, der Tod, besonders wenn Unschuldige betroffen sind – zum Beispiel
die Kinder, die Krieg und Terrorismus, Krankheiten und Hunger zum Opfer fallen – stellt
all das unseren Glauben etwa nicht auf eine harte Probe? Und doch ist uns paradoxerweise
gerade in diesen Fällen der Unglaube des Thomas nützlich und wertvoll, weil er uns
hilft, alle falschen Vorstellungen von Gott zu läutern, und uns dazu führt, sein wahres
Angesicht zu entdecken: das Angesicht eines Gottes, der in Christus die Qualen der
verwundeten Menschheit auf sich genommen hat. Thomas hat die Gabe eines durch Jesu
Passion und Tod geprüften und durch die Begegnung mit Ihm als dem Auferstandenen bestärkten
Glaubens vom Herrn empfangen und an die Kirche weitergegeben. Eines Glaubens, der
fast gestorben war und dank der Berührung mit Christi Wunden wiedergeboren wurde –
mit jenen Wunden, die der Auferstandene nicht verborgen, sondern gezeigt hat und auf
die er uns in der Not und den Leiden eines jeden Menschen immer noch hinweist.
„Durch
seine Wunden seid ihr geheilt“ (1 Petr 2,24) – das ist die Botschaft, die Petrus
an die ersten Konvertiten richtete. Diese Wunden, die für den Glauben des Thomas zuerst
ein Hindernis darstellten, da sie Zeichen des augenscheinlichen Scheiterns Jesu waren,
diese selben Wunden sind in der Begegnung mit dem Auferstandenen Beweise einer siegreichen
Liebe geworden. Diese Wunden, die Christus sich aus Liebe zu uns zugezogen hat, helfen
uns zu begreifen, wer Gott ist, und selber nachzusprechen: „Mein Herr und mein Gott.“
Nur ein Gott, der uns so liebt, daß er unsere Wunden und unseren Schmerz – vor allem
den der Unschuldigen – auf sich nimmt, ist glaubwürdig.
Wie viele Verwundungen,
wieviel Schmerz ist in der Welt! Es fehlt nicht an Naturkatastrophen und menschlichen
Tragödien, die unzählige Opfer fordern und ungeheure materielle Schäden verursachen.
Ich denke daran, was jüngst in Madagaskar, auf den Salomon-Inseln, in Lateinamerika
und in anderen Regionen der Welt geschehen ist. Ich denke an die Plage des Hungers,
an die unheilbaren Krankheiten, an den Terrorismus und an die Geiselnahmen, an die
tausend Gesichter der – manchmal im Namen der Religion gerechtfertigten – Gewalt,
an die Geringschätzung des Lebens und an die Verletzung der Menschenrechte, an die
Ausbeutung von Menschen. Mit Besorgnis sehe ich die Lage, in der sich nicht wenige
Regionen Afrikas befinden: In Darfur und in den Nachbarländern dauert eine katastrophale
und leider unterschätzte humanitäre Situation an; in Kinshasa, in der Demokratischen
Republik Kongo lassen die Zusammenstöße und Plünderungen der vergangenen Wochen um
die Zukunft des kongolesischen demokratischen Prozesses und um den Wiederaufbau des
Landes fürchten; in Somalia rückt die Wiederaufnahme der Gefechte die Friedensaussicht
in die Ferne und belastet die regionale Krise, besonders was die Bevölkerungsbewegungen
und den Waffenhandel betrifft; eine schwere Krise peinigt Simbabwe, für deren Überwindung
die Bischöfe des Landes in einem Dokument kürzlich als einzigen Weg das Gebet und
den gemeinsamen Einsatz für das Gute angegeben haben.
Versöhnung und Frieden
braucht die Bevölkerung von Ost-Timor, die wichtigen Wahlen entgegengeht. Frieden
brauchen auch Sri Lanka, wo nur eine auf dem Verhandlungsweg gefundene Lösung dem
Drama des blutigen Konflikts ein Ende setzen kann, und Afghanistan, das von zunehmender
Unruhe und Instabilität gezeichnet ist. Im Mittleren Osten gibt es neben Zeichen der
Hoffnung im Dialog zwischen Israel und den palästinensischen Autoritäten leider keine
positiven Signale aus dem Irak, der fortdauernd von blutigen Gemetzeln heimgesucht
ist, während die Zivilbevölkerungen fliehen; im Libanon bedroht die Pattsituation
der politischen Institutionen die Rolle, die das Land im nahöstlichen Raum erfüllen
sollte, und belastet stark seine Zukunft. Schließlich kann ich nicht die Schwierigkeiten
unerwähnt lassen, mit denen sich die christlichen Gemeinden täglich auseinandersetzen
müssen, und die Auswanderung der Christen aus dem Heiligen Land, der Wiege unseres
Glaubens. Diesen Bevölkerungen möchte ich mit Liebe erneut versichern, daß ich ihnen
im Geiste nahe bin.
Liebe Brüder und Schwestern, durch die Wunden des auferstandenen
Christus können wir die Übel, welche die Menschheit quälen, mit Augen der Hoffnung
sehen. Der Herr hat zwar in seiner Auferstehung das Leid und das Böse nicht aus der
Welt genommen, aber er hat es mit der Überfülle seiner Gnade an der Wurzel besiegt.
Der Übermacht des Bösen hat er die Allmacht seiner Liebe entgegengesetzt. Er hat uns
als Weg zum Frieden und zur Freude die Liebe hinterlassen, die den Tod nicht fürchtet.
„Wie ich euch geliebt habe“, hat er vor seinem Sterben zu den Aposteln gesagt, „so
sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34).
Brüder und Schwestern im
Glauben, die ihr mich in allen Teilen der Erde hört! Der auferstandene Christus lebt
unter uns; er ist die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Während wir mit Thomas sagen:
„Mein Herr und mein Gott!“, möge in unseren Herzen das freundliche, aber anspruchsvolle
Wort des Herrn nachklingen: „Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo
ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn
ehren“ (Joh 12,26). Und wenn wir, mit ihm vereint, bereit sind, unser Leben
für unsere Brüder und Schwestern einzusetzen (vgl. 1 Joh 3, 16), dann werden
auch wir Apostel des Friedens, Boten einer Freude, die den Schmerz nicht fürchtet,
der Auferstehungsfreude. Diese österliche Gabe erwirke uns Maria, die Mutter des auferstandenen
Christus. Frohe Ostern Euch allen! (Ostern, 8 April 2007)