„Jesus hat kein Lamm
geopfert, er war selber das Lamm.“ Das sagte Benedikt XVI gestern bei einem Gottesdienst
in der römischen Lateranbasilika. Der Papst feierte die „Messe vom letzten Abendmahl“;
sie erinnert an die Einsetzung der Eucharistie und eröffnet die „Heiligen Drei Tage“:
„Dies
ist der Abend, da sich der Herr als Diener Gottes erwies, indem er die Füße seiner
Jünger wusch. Dies ist der Abend, da der Herr in der Eucharistie das Gedächtnis des
Neuen Bundes hinterließ. Dies ist der Abend, da der Herr das Neue Gebot ausgab und
betete für die Einheit derer, die an ihn glauben. Indem wir die Worte und Gesten des
Herrn Jesus nacherleben, wollen wir teilhaben an seinen Gedanken, seinen Empfindungen
und seiner Liebe, die uns das Heil gebracht hat“.
In der Predigt unterstrich
der Papst die Verbindung von jüdischem Pessach-Fest und dem Abendmahl und ging der
unter Bibelwissenschaftlern umstrittenen Frage nach, ob Jesus sein Letztes Abendmahl
als jüdisches Pessach-Mahl beging oder ob er bereits vor diesem jüdischen Festtermin
gekreuzigt wurde. Im Zentrum des Neuen Pessach-Festes stehe das Kreuz, an dem Jesus
sich für die Menschen geopfert habe, so Benedikt. Nach alter liturgischer Tradition
wusch der Papst unmittelbar nach der Predigt zwölf jungen Männern symbolisch die Füße:
eine Erinnerung an die Demutsgeste Jesu während des letzten Abendmahls. Zwölf Seminaristen
des Bistums Rom versinnbildlichten die Apostel Jesu.
„Bitten wir den Herrn,
uns zu helfen, damit wir unser Leben nicht für uns selbst behalten, sondern es mit
ihm vereinen, und so mit ihm zusammen zu arbeiten, damit die Menschen das Leben finden,
das wahre Leben, das nur von ihm selbst kommen kann, der selbst der Weg, die Wahrheit
und das Leben ist.“
Die Kollekte der Messe kam einer Armenapotheke in Somalia
zugute. (rv 06.04.2007 mg)
Hier der vollständige Text der Predigt in der
offiziellen Vatikan-Übersetzung:
PREDIGT AM GRÜNDONNERSTAG AM 5. APRIL 2007 IN
DER „MISSA IN COENA DOMINI“ IN DER LATERAN-BASILIKA
In der Lesung aus dem
Buch Exodus, die wir eben gehört haben, wird uns die Pascha-Feier Israels geschildert,
so wie sie in der mosaischen Gesetzgebung verbindliche Gestalt gefunden hatte. Am
Anfang mag ein Frühlingsfest der Nomaden gestanden haben. Aber für Israel war daraus
ein Fest des Geden-kens, des Dankens und zugleich der Hoffnung geworden. Im Mittelpunkt
des nach festen liturgischen Regeln geordneten Pascha-Mahles steht das Lamm als Symbol
der Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens. Daher gehört zum Lamm-Essen die Pascha-Haggada:
das erzählende Erinnern daran, daß es Gott selber war, der mit „erhobener Hand“ Israel
befreite. Er, der Geheimnis-volle und Verborgene, hatte sich mächtiger erwiesen als
der Pharao mit all seiner Gewalt, die ihm zur Verfügung stand. Israel sollte nicht
vergessen, daß Gott seine Geschichte selbst in die Hand genommen hatte und daß seine
Ge-schichte immerfort auf der Gemeinschaft mit Gott aufruhte. Es sollte Gottes nicht
vergessen. Das Wort des Gedenkens ist umrahmt von Worten der Lob-preisung und des
Dankens aus den Psalmen. Das Danken und Preisen fand seinen Mittelpunkt in der Berakha,
die griechisch Eulogia oder Eucharistia heißt: Die Preisung Gottes wird Segen für
die Preisenden. Die Gott übereignete Gabe kehrt gesegnet zum Menschen zurück. All
dies spannte die Brücke vom Vergangenen in die Gegenwart und in die Zukunft hinein:
Noch immer war die Befreiung Israels nicht vollendet. Noch immer litt es als kleines
Volk im Span-nungsfeld der großen Mächte. Das dankende Erinnern an das vergangene
Tun Gottes wird so zugleich Bitte und Hoffnung: Vollende, was du begonnen hast. Schenke
uns die endgültige Freiheit.
Dieses Mahl Israels mit seinen vielfältigen Bedeutungen
hat Jesus mit den Seinen am Abend vor seinem Leiden gefeiert. Von diesem Kontext her
müssen wir sein neues Pascha verstehen, das er uns in der heiligen Eucharistie ge-schenkt
hat. In den Berichten der Evangelisten darüber gibt es einen schein-baren Widerspruch
zwischen dem Evangelium des heiligen Johannes einer-seits und dem, was uns Matthäus,
Markus und Lukas mitteilen auf der ande-ren Seite. Nach Johannes ist Jesus genau in
dem Augenblick am Kreuz ge-storben, in dem im Tempel die Pascha-Lämmer geopfert wurden.
Sein Tod und das Lamm-Opfer im Heiligtum fielen zusammen. Das bedeutet aber, daß er
am Vorabend des Pascha gestorben ist und selbst kein Pascha-Mahl gehalten ha-ben kann
– so scheint es jedenfalls. Nach den drei synoptischen Evangelien hingegen war Jesu
letztes Mahl ein Pascha-Mahl, in dessen überlieferten Rahmen hinein er das Neue der
Gabe seines Leibes und Blutes einsenkte. Die-ser Widerspruch erschien bis vor kurzem
unlösbar: Die Mehrheit der Ausleger war der Meinung, Johannes habe uns nicht das wirkliche
historische Datum des Todes Jesu mitteilen wollen, sondern ein symbolisches Datum
gewählt, um so die tiefere Wahrheit deutlich zu machen: Jesus ist das neue, das wahre
Lamm, das sein Blut für uns alle vergossen hat.
Die Schriftfunde von Qumran
haben inzwischen zu einer überzeugenden Lö-sungsmöglichkeit geführt, die zwar noch
nicht allgemein angenommen ist, aber doch eine hohe Wahrscheinlichkeit für sich hat.
Johannes hat historisch genau berichtet, so dürfen wir nun sagen. Jesus hat tatsächlich
am Vorabend des Pascha-Festes zur Stunde des Lamm-Opfers sein Blut vergossen. Er hat
aber wahrscheinlich mit den Jüngern Pascha nach dem Qumran-Kalender, al-so wenigstens
einen Tag früher gefeiert – ohne Lamm gefeiert, wie Qumran, das den Tempel des Herodes
ablehnte und auf den neuen Tempel wartete. Je-sus hat Pascha gefeiert: ohne Lamm,
nein, nicht ohne Lamm: An der Stelle des Lamms hat er sich selbst geschenkt, seinen
Leib und sein Blut. Er hat so sei-nen Tod vorweggenommen gemäß seinem Wort: „Niemand
entreißt mir mein Leben, sondern ich gebe es von mir aus hin“ (Joh 10, 18). In dem
Augenblick, als er den Jüngern seinen Leib und sein Blut reichte, hat er diesen Satz
wirk-lich vollzogen. Er hat sein Leben selbst gegeben. So erst erhielt das uralte
Pa-scha seinen wahren Sinn. Der heilige Johannes Chrysostomus hat in seinen eucharistischen
Katechesen einmal geschrieben: Was sagst du da, Mose? Das Blut eines Lammes reinigt
Menschen? Rettet sie vor dem Tod? Wie soll das Blut eines Tieres Menschen reinigen,
Menschen retten, Macht gegen den Tod sein? In der Tat – so sagt er weiter – das Lamm
konnte nur eine symbolische Gebärde sein und so Ausdruck der Erwartung und der Hoffnung
auf jeman-den, der vermochte, was das Opfer eines Tieres nicht vermag. Jesus feierte
Pa-scha ohne Lamm und ohne Tempel und doch nicht ohne Lamm und ohne Tempel. Er selbst
ist das erwartete, das wirkliche Lamm, wie es Johannes der Täufer am Anfang der Wege
Jesu angekündigt hatte: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“
(Joh 1, 29). Und er ist selbst der wahre Tempel, der lebendige Tempel, in dem Gott
wohnt und in dem wir Gott begeg-nen und ihn anbeten können. Sein Blut, die Liebe dessen,
der der Sohn Gottes ist und der zugleich Mensch, einer von uns ist, kann retten. Seine
Liebe rettet, in der er sich frei hingibt für uns. Die irgendwie hilflose Gebärde
der Sehn-sucht, die das geschlachtete, fehlerfreie, unschuldige Lamm gewesen war,
hat Antwort gefunden in dem, der für uns Lamm und Tempel zugleich geworden ist.
So
stand im Mittelpunkt von Jesu neuem Pascha das Kreuz. Von ihm her kam die neue Gabe,
die er schenkte. Immer bleibt es so in der heiligen Eucharistie, in der wir mit den
Aposteln die Zeiten hindurch das neue Pascha feiern dür-fen. Vom Kreuz Christi her
kommt die Gabe. „Niemand entreißt mir mein Le-ben. Ich gebe es selber hin.“ Er gibt
es uns jetzt. Die Pascha-Haggada, das Ge-denken an die rettende Tat Gottes, ist zum
Gedächtnis (Memoria) von Kreuz und Auferstehung Christi geworden – zu einem Gedächtnis,
das nicht Vergan-genes erinnert, sondern uns in die Gegenwart von Christi Liebe hineinzieht.
Und so ist die Berakha, das Segens- und Dankesgebet Israels zu unserer Eu-charistiefeier
geworden, in der der Herr unsere Gaben – Brot und Wein – seg-net, um in ihnen sich
selber zu schenken. Bitten wir den Herrn, daß er uns hilft, dieses wunderbare Geheimnis
immer tiefer zu verstehen, es immer mehr zu lieben und darin ihn selber immer mehr
zu lieben. Bitten wir ihn, daß er uns in der heiligen Kommunion immer mehr hineinzieht
in sich selbst. Bitten wir ihn, daß er uns hilft, unser Leben nicht für uns selber
zu behalten, son-dern es ihm zu schenken und so mit ihm dahin zu wirken, daß die Menschen
das Leben finden – das wahre Leben, das nur von dem kommen kann, der selbst der Weg,
die Wahrheit und das Leben ist. Amen.