50 Jahre Europäische Union - zu diesem Thema hat uns ein großer Europäer, nämlich
der polnische Intellektuelle und Ex-Außenminister Wladislaw Bartoszewski gleich zwei
Kommentare geschickt... die wir hier dokumentieren.
I
Der 50. Jahrestag
der Unterzeichnung der Römischen Verträge verleit zu einer tieferen Reflexion – vor
allem jemanden, der ein aktiver Zeuge des Zweiten Weltkrieges war und dazu noch von
jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs stammt. Zu den Gründerväter des europäischen
Integrationsprozesses zählten Menschen guten Willens und es lag ihnen besonders am
Herzen, dem von Kriegstragödie verwüsteten Europa eine von Frieden uns Wohlstand gekennzeichnete
Zukunft zu garantieren. Einige wichtige Überlegungen bleiben dennoch.
Zunächst
eine Reflexion mit bezug auf die Geschichte: Die ersten dreißig Jahre der Integration
verliefen im Schatten der Spaltung. Die Zone der ersehnten Stabilität, des Wohlstands
und der Demokratie war lediglich auf ein Teil des Kontinents begrenzt. Deutschland
wurde von unmenschlichen ideologischen und politischen Trennlinien durchzogen. Die
Länder Mittel- und Osteuropas blieben unter sowjetischer Dominanz und wurden für Jahrzehnte
von der Integration ausgeschlossen. Eine bittere und bis heute gültige Lektion.
Meine
zweite Reflexion konzentriert sich auf der Wendezeit: nicht zuletzt dank der polnischen
Bewegung „Solidarnosc“ haben die Bürger des „zweiten Teils“ Europas eigenhändig die
Unabhängigkeit wiedererlangt. Dadurch wurde erst die Möglichkeit der gesamteuropäischen
Annäherung realistisch. Die schließlich erfolgte Entscheidung von der Erweiterung
der Europäischen Union, wage ich als einen der wichtigsten Meilensteine der Integration
Europas überhaupt zu bezeichnen. Die Prophezeiung des großen Polen, Johannes Paul
des II. hat sich erfüllt: Europa atmet heute mit zwei Lungen. Zugleich zerfiel das
Sowjetische Imperium, wodurch sich auch für viele Völkergruppen der ehemaligen Sowjetunion
bislang undenkbare Perspektiven eröffnet haben.
Die dritte und letzte Reflexion
betrifft schließlich die Chancen. Der bisherige Verlauf des europäischen Integrationsprozesses
ist eine Geschichte des Erfolgs. Doch nichts, auch der Erfolg, ist eins für alle Mal
gegeben. Die Annäherung, Zusammenarbeit und Versöhnung müssen stets und unaufhaltsam
angestrebt werden. Es ist daher wichtig die Effektivität des institutionalen Systems
zu garantieren und dafür zu sorgen, dass die für künftiges Funktionieren der Union
notwendigen Arbeiten rund um den Konstitutionsvertrag im Rahmen der deutschen Präsidentschaft
erfolgreich abgeschlossen werden. Es ist auch wichtig den Binnenmarkt zu stärken,
damit das europäische Sozialmodell tatsächlich wirken kann. Die Erfahrungen meines
Landes sind hier eindeutig: man sollte nicht zögern sobald eine Chance besteht, die
Zone der Stabilität, der Demokratie und des Wohlstands auszudehnen, denn die internationalen
Relationen dulden kein politisches Vakuum. Letztendlich wäre noch die grenzübergreifende
Solidarität zu erwähnen. Ein wohlständiges Europa muss im noch stärkeren Ausmaß zum
Frieden und zur Demokratie in der Welt beitragen.
Es sind also bedeutende
Herausforderungen, an die man anlässlich des 50. Jahrestages der Unterzeichnung der
Römischen Verträge denken sollte. Und auf Polen und Deutschen ruht dabei eine ganz
besondere Verantwortung. Denn ohne solide deutsch-polnische Verständigung wird auch
die europäische Integration ein mangelhaftes Projekt bleiben. Der Besuch von Frau
Bundeskanzlerin Angela Merkel in Polen ist dabei ein optimistisches Anzeichen, dass
die von mir erwähnte und wohl uns allen am Herzen liegende Verantwortung tatsächlich
wahrgenommen wird.
II
In meinem letzten Beitrag habe ich mit
Ihnen einige Reflexionen anlässlich des inzwischen vergangenen 50. Jahrestages der
Unterzeichnung der Römischen Verträge geteilt. Dabei bin ich zu der eigentlich offensichtlichen
und dennoch überraschend oft außer Acht gelassenen Schlussfolgerung gekommen, dass
gerade wir – Polen und Deutsche – eine besonders ausgeprägte Verantwortung für das
Gelingen des Projekts Europa tragen, dessen Erfolg ohne unseren guten Willen und ohne
einfache Bereitschaft zur zwischenmenschlicher Verständigung zweifellsfrei in Frage
gestellt wäre. Eine Verantwortung die vergleichbar ist mit der seinerzeit entscheidenden
Fähigkeit zur deutsch – französischen Versöhnung, ohne die ein europäischer Integrationsprozess
überhaupt nicht geboren wäre. Mit der politischen Wende 1989 und mit der Erweiterung
der Europäischen Union hat sich die selbe Aufgabe an die Oder und Neisse verlagert
und von ihrer Erfüllung hängt nun die heutige und künftige Gestalt des gemeinsamen
europäischen Hauses ab.
Seit der Wendezeit schien es, als wären wir dieser
Aufgabe vorbildlich gewachsen. Doch leider musste ich neuerlich die Richtigkeit meiner
eigenen These erleben, wonach die Versöhnung und Verständigung ständig gepflegt werden
müssen und ohne entsprechende Fürsorge, ohne auch nur minimale Anstrengung sehr schnell
von kurzlebigen Interessenskonflikten überschattet werden.
Vor dem Hintergrund
des angespannten Verhältnisses der letzten Monate, erscheint der neuerliche Besuch
von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Polen als eine vorsichtige zwar, aber dennoch
optimistische Ankündigung einer möglicherweise neuen Chance auf konstruktiven Dialog
anstatt historisch bedingter Ressentiments, ängstlicher Skepsis, kritischer Haltung
und unüberlegter Ansprüche. Ein Besuch der vielleicht keine bahnbrechenden Akzente
setzte, wie die frühere Versöhnungsgeste von Helmut Kohl und Tadeusz Mazowiecki von
1989, aber dennoch ein Anzeichen der zurückkehrenden Normalität zwischen Berlin und
Warschau. Einer Normalität, die eigentlich längst selbstverständlich sein sollte.
Denn Deutschland gehörte schon vor Jahren zu den Fürsprechen Polens auf dem Weg zur
EU und damit zu den wichtigsten Architekten der Integration Europas. Einer Integration,
die wiederum durch polnischen Beitrag erst ermöglicht wurde. Diesen Beitrag hat Frau
Merkel mit einer persönlichen Note bei ihrer Rede an der Warschauer Universität erwähnt:
„Ohne Ihre Freiheitsbewegung, ohne die Solidarność, wäre auch mein persönlicher Lebensweg
anders gelaufen“. Genau wie vermutlich auch die Wiedervereinigung Deutschlands anders
gelaufen wäre.
Dieses sich einander ergänzende Verhältnis zwischen Polen und
Deutschland ist ein bester Beweis, dass sich ein Zusammenleben in Frieden und Kooperation
zum gemeinsamen Nutzen auswirken kann. Gewisse Konflikte und Meinungsverschiedenheiten
sind natürlich dabei vorprogrammiert – wie bei jeder partnerschaftlichen Beziehung
– und überschwängliche Liebesklärungen dagegen nicht immer unbedingt notwendig. Was
aber einen Grundstein unserer Zukunft bildet, ist eben die alltägliche, unscheinbare,
oft unbemerkte Normalität des Neben- und Miteinanderseins. Eine Normalität die wir
vielleicht öfter erleben und die wir endlich zu schätzen lernen.