2007-03-30 09:50:37

Europa und wir - Überlegungen von W. Bartoszewski


50 Jahre Europäische Union - zu diesem Thema hat uns ein großer Europäer, nämlich der polnische Intellektuelle und Ex-Außenminister Wladislaw Bartoszewski gleich zwei Kommentare geschickt... die wir hier dokumentieren.

I

Der 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge verleit zu einer tieferen Reflexion – vor allem jemanden, der ein aktiver Zeuge des Zweiten Weltkrieges war und dazu noch von jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs stammt. Zu den Gründerväter des europäischen Integrationsprozesses zählten Menschen guten Willens und es lag ihnen besonders am Herzen, dem von Kriegstragödie verwüsteten Europa eine von Frieden uns Wohlstand gekennzeichnete Zukunft zu garantieren. Einige wichtige Überlegungen bleiben dennoch.

Zunächst eine Reflexion mit bezug auf die Geschichte: Die ersten dreißig Jahre der Integration verliefen im Schatten der Spaltung. Die Zone der ersehnten Stabilität, des Wohlstands und der Demokratie war lediglich auf ein Teil des Kontinents begrenzt. Deutschland wurde von unmenschlichen ideologischen und politischen Trennlinien durchzogen. Die Länder Mittel- und Osteuropas blieben unter sowjetischer Dominanz und wurden für Jahrzehnte von der Integration ausgeschlossen. Eine bittere und bis heute gültige Lektion.

Meine zweite Reflexion konzentriert sich auf der Wendezeit: nicht zuletzt dank der polnischen Bewegung „Solidarnosc“ haben die Bürger des „zweiten Teils“ Europas eigenhändig die Unabhängigkeit wiedererlangt. Dadurch wurde erst die Möglichkeit der gesamteuropäischen Annäherung realistisch. Die schließlich erfolgte Entscheidung von der Erweiterung der Europäischen Union, wage ich als einen der wichtigsten Meilensteine der Integration Europas überhaupt zu bezeichnen. Die Prophezeiung des großen Polen, Johannes Paul des II. hat sich erfüllt: Europa atmet heute mit zwei Lungen. Zugleich zerfiel das Sowjetische Imperium, wodurch sich auch für viele Völkergruppen der ehemaligen Sowjetunion bislang undenkbare Perspektiven eröffnet haben.

Die dritte und letzte Reflexion betrifft schließlich die Chancen. Der bisherige Verlauf des europäischen Integrationsprozesses ist eine Geschichte des Erfolgs. Doch nichts, auch der Erfolg, ist eins für alle Mal gegeben. Die Annäherung, Zusammenarbeit und Versöhnung müssen stets und unaufhaltsam angestrebt werden. Es ist daher wichtig die Effektivität des institutionalen Systems zu garantieren und dafür zu sorgen, dass die für künftiges Funktionieren der Union notwendigen Arbeiten rund um den Konstitutionsvertrag im Rahmen der deutschen Präsidentschaft erfolgreich abgeschlossen werden. Es ist auch wichtig den Binnenmarkt zu stärken, damit das europäische Sozialmodell tatsächlich wirken kann. Die Erfahrungen meines Landes sind hier eindeutig: man sollte nicht zögern sobald eine Chance besteht, die Zone der Stabilität, der Demokratie und des Wohlstands auszudehnen, denn die internationalen Relationen dulden kein politisches Vakuum. Letztendlich wäre noch die grenzübergreifende Solidarität zu erwähnen. Ein wohlständiges Europa muss im noch stärkeren Ausmaß zum Frieden und zur Demokratie in der Welt beitragen.

Es sind also bedeutende Herausforderungen, an die man anlässlich des 50. Jahrestages der Unterzeichnung der Römischen Verträge denken sollte. Und auf Polen und Deutschen ruht dabei eine ganz besondere Verantwortung. Denn ohne solide deutsch-polnische Verständigung wird auch die europäische Integration ein mangelhaftes Projekt bleiben. Der Besuch von Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel in Polen ist dabei ein optimistisches Anzeichen, dass die von mir erwähnte und wohl uns allen am Herzen liegende Verantwortung tatsächlich wahrgenommen wird.

II

In meinem letzten Beitrag habe ich mit Ihnen einige Reflexionen anlässlich des inzwischen vergangenen 50. Jahrestages der Unterzeichnung der Römischen Verträge geteilt. Dabei bin ich zu der eigentlich offensichtlichen und dennoch überraschend oft außer Acht gelassenen Schlussfolgerung gekommen, dass gerade wir – Polen und Deutsche – eine besonders ausgeprägte Verantwortung für das Gelingen des Projekts Europa tragen, dessen Erfolg ohne unseren guten Willen und ohne einfache Bereitschaft zur zwischenmenschlicher Verständigung zweifellsfrei in Frage gestellt wäre. Eine Verantwortung die vergleichbar ist mit der seinerzeit entscheidenden Fähigkeit zur deutsch – französischen Versöhnung, ohne die ein europäischer Integrationsprozess überhaupt nicht geboren wäre. Mit der politischen Wende 1989 und mit der Erweiterung der Europäischen Union hat sich die selbe Aufgabe an die Oder und Neisse verlagert und von ihrer Erfüllung hängt nun die heutige und künftige Gestalt des gemeinsamen europäischen Hauses ab.

Seit der Wendezeit schien es, als wären wir dieser Aufgabe vorbildlich gewachsen. Doch leider musste ich neuerlich die Richtigkeit meiner eigenen These erleben, wonach die Versöhnung und Verständigung ständig gepflegt werden müssen und ohne entsprechende Fürsorge, ohne auch nur minimale Anstrengung sehr schnell von kurzlebigen Interessenskonflikten überschattet werden.

Vor dem Hintergrund des angespannten Verhältnisses der letzten Monate, erscheint der neuerliche Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Polen als eine vorsichtige zwar, aber dennoch optimistische Ankündigung einer möglicherweise neuen Chance auf konstruktiven Dialog anstatt historisch bedingter Ressentiments, ängstlicher Skepsis, kritischer Haltung und unüberlegter Ansprüche. Ein Besuch der vielleicht keine bahnbrechenden Akzente setzte, wie die frühere Versöhnungsgeste von Helmut Kohl und Tadeusz Mazowiecki von 1989, aber dennoch ein Anzeichen der zurückkehrenden Normalität zwischen Berlin und Warschau. Einer Normalität, die eigentlich längst selbstverständlich sein sollte. Denn Deutschland gehörte schon vor Jahren zu den Fürsprechen Polens auf dem Weg zur EU und damit zu den wichtigsten Architekten der Integration Europas. Einer Integration, die wiederum durch polnischen Beitrag erst ermöglicht wurde. Diesen Beitrag hat Frau Merkel mit einer persönlichen Note bei ihrer Rede an der Warschauer Universität erwähnt: „Ohne Ihre Freiheitsbewegung, ohne die Solidarność, wäre auch mein persönlicher Lebensweg anders gelaufen“. Genau wie vermutlich auch die Wiedervereinigung Deutschlands anders gelaufen wäre.

Dieses sich einander ergänzende Verhältnis zwischen Polen und Deutschland ist ein bester Beweis, dass sich ein Zusammenleben in Frieden und Kooperation zum gemeinsamen Nutzen auswirken kann. Gewisse Konflikte und Meinungsverschiedenheiten sind natürlich dabei vorprogrammiert – wie bei jeder partnerschaftlichen Beziehung – und überschwängliche Liebesklärungen dagegen nicht immer unbedingt notwendig. Was aber einen Grundstein unserer Zukunft bildet, ist eben die alltägliche, unscheinbare, oft unbemerkte Normalität des Neben- und Miteinanderseins. Eine Normalität die wir vielleicht öfter erleben und die wir endlich zu schätzen lernen.








All the contents on this site are copyrighted ©.