D / Österreich: Wann exkommuniziert man sich selbst?
Eine Hörerin hat uns geschrieben und - mit Blick auf die Berichterstattung zu den
Äußerungen Kardinal Schönborns und der Abtreibungsklinik in der sog. "Lugner-City"
- nach der katholischen Lehre im Hinblick auf die Abtreibung und der Beihilfe zur
Abtreibung gefragt. In welchen Fällen ist es so, dass man "sich selbst exkommuniziert"?
Wir veröffentlichen hier eine Antwort des Radio-Vatikan-Mitarbeiters Dr. Gero Weishaupt.
Wenn
ich das richtig lese, werden hier im Grund zwei Fragen gestellt: einerseits die nach
der Abtreibung aus moraltheologischer Sicht (Wie ist die katholische Lehre im Hinblick
auf Abtreibung, Beihilfe zur Abtreibung?), andererseits die von der Abtreibung
an sich losgelöste Frage, wann jemandem automatisch, also ohne verwaltungsmäßiges
oder richterliches Eingreifen, die Strafe der Exkommunikation trifft (In welchen
Fällen ist es so, daß man „sich selbst exkommuniziert“?). Zu den Fragen:
Wie
ist die katholische Lehre im Hinblick auf Abtreibung, Beihilfe zur Abtreibung? Die
Katholische Kirche geht, gestützt von den Wissenschaften der Humanembryologie und
Humanbiologie, davon aus, daß vom Augenblick der Empfängnis an, also bei der Vereinigung
der mütterlichen Chromosomen der Eizelle und der väterlichen Chromosomen der Samenzelle,
ein Mensch, eine menschliche Person existiert. Dabei ist es nicht so, daß sich im
Mutterleib während der neunmonatigen Schwangerschaft der Mensch erst zum Menschen
entwickelt, sondern er ist es schon vom Moment der Zeugung an, wenn er auch noch nicht
ganz funktionsfähig ist. Im ersten Augenblick seiner Existenz verfügt er über die
Anlagen, durch die er sich kontinuierlich entwickelt und lebens- und funktionsfähig
wird. So stellen etwa die Entwicklung des Gehirns, des Zentralnervensystems, das Ichbewustsein
oder die Fähigkeit zur Kommunikation spätere Abschnitte der Entwicklung der menschlichen
Person dar. Das Personsein, d.h. der Mensch als Einheit von Leib und Seele, ist dagegen
bereits im Augenblick der Zeugung gegeben. Als Person ist der Mensch darum auch von
Anfang an zugleich Rechtsperson, d.h. Träger der wesentlichen Menschenrechte, wozu
auch das Recht auf Leben und der leiblichen Integrität gehört. Das aber heißt, daß
ein Schwangerschaftsabbruch in der Phase der embryonalen Entwicklung Tötung eines
unschuldigen Menschen bedeutet. Entsprechend sagt der Kathesismus der Katholischen
Kirche (KKK) in Nr. 2270, daß, ausgehend von der Tatsache, daß im Augenblick der
Empfängnis der Mensch als Person existiert, dem menschlichen Wesen „im ersten Augenblick
seines Daseins“ „die Rechte der Person zuzuerkennen“ sind, „darunter das unveränderliche
Recht jedes unschuldigen Wesens auf das Leben“. Daraus erklärt sich die moralische
Verwerflichkeit der Abtreibung (KKK, Nr. 2271). „Eine direkte, das heißt als Ziel
oder Mittel gewollte Abtreibung stellt ein schweres Vergehen gegen das sittliche Gesetz
dar“ (ibid.). Das Zweite Vatikanische Konzil (GS 51, 3) bezeichnet darum Abtreibung
und Tötung des Kindes als “verabscheuenswürdige Verbrechen” (nefanda crimina).
Die Katholische Kirche glaubt, daß jeder einzelne Mensch von Gott erschaffen ist.
Jeder Mensch ist Bild und Gleichnis Gottes, insofern er, von Anfang an mit Verstand
und Wille ausgestattet, ein freies Wesen ist, fähig zur Gemeinschaft mit Gott und
den Mitmenschen sowie zur Gotteskindschaft berufen. Jeder Mensch nimmt darum in den
Plänen Gottes einen besonderen Platz ein. Wer das Kind im Mutteschoß abtreibt, nimmt
ihm die Möglichkeit zur Verwirklichung dieses Planes.
Die direkte Tötung
eines Kindes ist immer unerlaubt. Die Handlung ist in sich selbst schlecht (intrinsice
malum: vgl. die deontologische Begründung des Sittlichen durch das Lehramt der
Kirche auf der Grundlage des Naturrechts), also unabhängig von der jeweiligen Situation
(vgl. Situationsethik) oder den abzusehenden Folgen (vgl. teleologische Begründung
des Sittlichen). Eine Güterabwägung ist bei intrinsisch schlechten Handlungen darum
immer ausgeschlossen.
Direkt ist die Tötung, wenn die Abtreibung als Mittel
und Ziel angewandt wird. Hierzu können Situationen, Umstände, tragische Verwicklungen,
in denen die Mutter oder auch das Kind sich befinden, Anlaß geben. Man spricht in
diesem Zusammenhang von Indikationen. Es können sich medizinische, humanitäre,
ethische oder kriminologische Indikationen ergeben. So ist z.B. die Zeugung eines
Kindes aufgrund einer Vergewaltigung eine Indikation, da sie für die Mutter schwere
seelische Konflikte mit sich bringt. Dabei ist jedoch zu beachten, daß das Unrecht
gegenüber der Mutter nicht durch ein weiteres Unrecht, nämlich die Tötung eines unschuldigen
Menschen, beseitigt wird. Im Gegenteil, man fügt dem einen Unrecht ein anderes hinzu.
Darüber hinaus gibt es die eugenische, genetische und embryopathische Indikation.
Sie bezeichenen den Fall, daß das Kind im Mutterleib unheilbar gesundheitlich geschädigt
oder behindert ist. Wenngleich dies für die Mutter und die Angehörigen sehr belastend
sein kann, rechtfertigt eine solche Indikation niemals eine Abtreibung. Schon die
Unterscheidung zwischen lebenswertem und lebenunwertem Menschen ist moralisch verwerflich,
geschweige denn einem gesundheitlich geschädigtem und behindertem Kind das Lebensrecht
zu verweigern. Auch die häufig angeführte soziale Indikation, etwa die finazielle
Notlage der Mutter, die Verhinderung der beruflichen Ausbildung und Karriere der Mutter,
das durch die Schwangerschaft gespannte Verhältnis der Eltern untereinander oder zum
sozialen Umfeld rechtfertigt keine Abteibung.
Die einzige Ausnahme ist die
sogenannten indirekte Tötung des Kindes. Diese Situation kann vorkommen, wenn
eine derartige ernsthafte Komplikation während der Schwangerschaft aufgetreten ist,
daß das Leben der Mutter oder von Mutter und Kind bedroht ist. Dabei ist es medizinisch
nur möglich, daß das Leben des einen der beiden durch einen Eingriff gerettet wird,
wobei dieser Eingriff für den anderen den Tod zur Folge hat. Dank der medizinischen
Fortschritte ist dies jedoch ein selten vorkommendes Problem. Für die moralisch-ethische
Bewertung des Handlung ist nun folgendes zu beachten: Bei dem Eingriff darf das Tun
des Arztes nicht unmittelbar auf das Töten des Kindes gerichtet sein, sondern auf
die Rettung der Mutter. Die Operation bezweckt nicht die Tötung, sondern die Rettung
der Mutter. Jedoch hat dieser lebensrettende Eingriff zur Folge, daß das Kind getötet
wird. Der Tod des Kindes ist nicht Mittel zur Rettung der Mutter, sondern eine Nebenfolge.
Man spricht in diesem Zusammenhang in der Moraltheologie von einem actus cum duplici
effectu (= Handlung mit zweifacher Wirkung): eine und dieselbe Handlung hat zwei
Wirkungen: die eine wird angestrebt [hier die Rettung des Lebens der Mutter], die
andere [Tötung des Kindes] wird nicht angestrebt, sondern ist eine ungewünschte, aber
notwendig mit eintretende weitere Folge aus der Handlung [hier dem operativen Eingriff]).
Was die Beihilfe zur Abtreibung betrifft, also der Mitwirkung an der Sünder
der Abtreibung (etwa durch den Arzt, den Vater des Kinders, die Eltern der Mutter
etc.) muß man moralttheologisch unterschieden zwischen der formalen und der materialen
Mittäterschaft. Bei der formalen oder formellen Mitwirkung (cooperatio formalis)
wird die Abtreibung gebilligt. Derjenige, der Beihilfe leistet, stimmt der sündigen
Handlung zu und will ihr zum Erfolg verhelfen. Die formale Mittäterschaft setzt zudem
Zurechnungsfähigkeit und innere wie äußere Freiheit voraus. Bei der materialen oder
materiellen Mithilfe (cooperatio materialis) ist entweder die Absicht des Tötens
nicht vorhanden oder der Mittäter ist nicht zurechnungsfähig bzw. unfrei. Sowohl für
die moralisch-ethische als auch für die strafrechtlich-kanonische Bewertung der Abtreibung,
wie weiter unten noch zu zeigen sein wird, ist die Unterscheidung zwischen formeller
und materieller Mittäterschaft ausschlaggebend. Nur die formelle Mitwirkung ist moralisch
und strafrechtlich relevant. Berhard Häring, Frei in Christus. Moraltheologie
für die Praxis des christlichen Lebens, Bd. II, Freiburg 1980, 428 ff., schreibt zur
Unterscheidung zwischen formaler und materialer Mitwirkung: “Das bedeutet, daß der
formal Mitwirkende sich selbst direkt in den Dienst des Bösen stellt. Er macht sich
die sündhafte Handlung des anderen zu eigen, wenn nicht durch die ausdrückliche Absicht,
so doch durch die Erkenntis, daß sein eigener Beitrag so beschaffen ist, daß er nur
dem Bösen dienen kann. ... In der materialen Mitwirkung” wird “der Akt der Mitwirkung
... einfach mißbraucht und so vom anderen in den Dienst seiner bösen Handlung gestellt.
Die moralische Frage stellt sich aufgrund es Vorauswissens oder der Wahrscheinlichkeit
eines solchen Mißbrauches. ... Im allgemeinen kann man sagen, daß materielle Mitwirkung
zulässig ist, wenn dadurch, alles in allem, ein höheres sittlich bedeutsames Gut gewahrt
und größeres Übel verhütet wird”.
In welchen Fällen ist es so, daß
man „sich selbst exkommuniziert“? Im Kirchenrecht unterscheidet man zwei
Arten der Strafverhängung: Eine Strafe kann entweder gerichtlich bzw. über den Verwaltungsweg
erklärt und auferlegt werden oder von selbst, das heißt von Rechts wegen eintreten.
Erste nennt man Spruchstrafe (poena ferendae sententiae), letztere Tatstrafe
(poena latae sententiae). Diese wird so angedroht, daß sie mit der Begehung
der Straftat eintritt. Der Täter spricht also mit Begehung der Tat sein eigenes Urteil.
Die kirchliche Gemeinschaft weiß unter Umständen noch nicht, daß durch ihn eine Straftat
verübt worden ist. Dennoch ist der Täter in seinem Gewissen (forum internum =
innere Gewissensbereich) verplichtet, die Wirkungen der Strafe an sich selbst zu vollziehen.
Der Eintritt der Strafe kann aber im nachhinein noch von der zuständigen kirchlichen
Autorität im äußeren Rechtsbereich (forum externum) festgestellt werden. Ist
jemand von Rechts wegen exkommuniziert, dann ist er mit Vollendung der Straftat aus
der Kirche ausgeschlossen. Welche Rechtsfolgen hat das? Der Betroffene darf nicht
mehr aktiv teilnehmen an der Feier der Eucharistie und anderen gottesdienstlichen
Feiern. Er darf keine Sakramenten und Sakramentalien spenden bzw. empfangen. Die Ausübung
von kirchlichen Ämtern ist ihm untersagt (vgl. Can. 1331 §1). Wenn die Exkommunikation
verhängt oder festgestellt worden ist, also im forum externum (äußerer Rechtsbereich)
bekannt ist, dann ist auch die Straftat bekannt. Dies hat weitere, für den Täter erschwerende
Rechtsfolgen. In diesem Falle muß der Täter nämlich von liturgischen Handlungen ferngehalten
werden. Ihm ist der Gebrauch von voher gewährten Privilegien untersagt. Er ist zudem
unfähig, Ämter, Würden und andere Dienste in der Kirche (bei Laien etwa die Dienste
des Meßdieners, Lektors, Akolyten, des außerordentlichen Kommunionspenders, des Kantors,
Organisten, Kirchenvorstandmitglieds oder der Pfarrsekretärin etc.) zu erlangen (vgl.
can. 1331 §2).
Die Exkommunikation als Tatstrafe, d.h. die durch Begehung
der Straftat von selbst bzw. von Rechts wegen eintretende Strafe, wird in folgenden
sieben Fällen im Kirchlichen Gesetzbuch (CIC/1983) angedroht:– Apostasie, Häresie
und Schisma (can. 1364) – Verunehrung der heiligen (konsekrierten) Gestalten (can.
1367) – Gewalt gegen den Papst (can. 1370 §1) – Absolution des Mitschuldigen
an einer Sünde gegen das sechste Gebot, die zwischen dem Beichtvater und dem Pönitenten
begangen worden ist (sog. Absolutio complicis: can. 1378) – Bischofsweihe
ohne päpstliches Mandat (can. 1382) – Verletzung des Beichtgeheimnisses (can. 1388) – mit
Erfolg durchgeführte Abtreibung (can. 1398).
Die Kirche schützt das ungeborene
Leben auch dadurch, daß sie Abtreibung mit der Exkommunikation bestraft. Diese tritt
automatisch, also durch die beabsichtigte und mit Erfolg durchgeführte Abtreibung,
ein. Die Tat gilt dabei als vollendet, wenn die bestehende Schwangerschaft beendet
worden ist. Damit kommt aber schon eine strafrechtliche Einschränkung ins Spiel:
Nur die Vollendung des Abbruchs, nicht der Versuch einer Abtreibung führt zur
Exkommunikation. Auch muß ein Vorsatz vorhanden sein, eine Abtreibung vorzunehmen.
Wenn die Abtreibung nicht direkt gewollt ist, sondern bloß zugelassen wird, tritt
die Exkommunikation nicht ein (vgl. oben das über die materielle Mitwirkung Gesagte)
“Der Vorsatz sieht die Kenntnis der Schwangerschaft voraus. Wer also” z.B. “durch
die Einnahme von Medikamenten, die eine Schwangerschaft beenden können, tatsächlich
eine Abtreibung bewirkt, aber nicht wußte, daß überhaupt eine Schwangerschaft bestand,
handelt ohne Vorsatz” (Klaus LÜDICKE, Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici,
1398/4). Ebenfalls tritt die Exkommunikation nicht von selbst ein, wenn der Täter
zwar die Abtreibung wollte, aber schuldlos nicht weiß, daß es sich um eine verbotene
Tat handelt. K. Lüdicke kommentiert hierzu: “Es ist besonders zu bedenken, daß das
Wissen um die Strafbarkeit zur Zeit der Tat vorliegen muß. Wenn also ein Beichtvater
dem Täter im Beichtstuhl erstmals zur Kenntnis bringt, daß die Abtreibung eine Straftat
kirchlichen Rechtes ist, wird dadurch der Strafminderungsgrund ... nicht aufgehoben:
Eine Tatstrafe hat sich der Täter nicht zugezogen ... “ (Münsterischer Kommentar,
1398/4).
Ein wichtiger Strafausschlußgrund ist die schwere Furcht beim Täter.
Wenn die Mutter z.B. aus schwerer seelischer Not oder drohendem Nachteil gehandelt
hat, ist sie nicht exkommuniziert. Die Exkommunikation als Tatstrafe tritt nicht ein.
Sollte sie im nachhinein auferlegt werden (sog. Spruchstafe bzw. poena ferendae
sententiae), dann muß der Richter oder die entsprechende kirchliche Verwaltungsinstanz
nachprüfen, ob die Frau unter starkem psychischen Druck gestanden hat. In den meisten
Fälle dürfte das der Fall sein. Jeder Fall muß aber einzeln geprüft werden. Wenn feststeht,
daß die Frau oder der/die Mittäter unter Furcht gehandelt hat bzw. haben, dann kann
keine Exkommunikation ausgesprochen werden.
Ebensowenig trifft eine Exkommunikation
bei einer Minderjährigen ein, die eine Abtreibung hat vornehmen lassen, sofern sie
das 16. Lebenjahr noch nicht vollendet hat. Dasselbe gilt für eine Person, die mit
physischer Gewalt zu einer Abtreibung gezwungen worden ist, unabhängig von ihrem Alter.
Ferner wird trotz durchgeführter Abtreibung nicht exkommuniziert, wer “aus dem Sturm
einer Leidenschaft” (ex gravi passionis aestu: vgl. can. 1324 §1, Nr. 3) gehandelt
hat, oder wer die Abtreibung “ohne volle Vorwerfbarkeit” (sine plena imputabilitate)
hat durchführen lassen (can. 1324 §1, Nr. 10).
Liegt also eine der genannten
Sachverhalte vor, ist die betreffende Person nicht automatisch exkommuniziert (Tatstrafe
– poena latae sententiae) bzw. sie kann nicht nachträglich durch richterliches
Urteil oder verwaltungsmäßige Verfügung exkommuniziert werden (Spruchstrafe – poena
ferendae sententiae).
Man kann sich fragen, ob angesichts der psychischen
Notlage, in der zahllose Frauen eine Abtreibung vornehmen lassen, eine Exkommunikation
vorliegt. Das muß im konkreten Fall immer nachgeprüft werden.