2007-02-25 18:27:55

D / Österreich: Wann exkommuniziert man sich selbst?


Eine Hörerin hat uns geschrieben und - mit Blick auf die Berichterstattung zu den Äußerungen Kardinal Schönborns und der Abtreibungsklinik in der sog. "Lugner-City" - nach der katholischen Lehre im Hinblick auf die Abtreibung und der Beihilfe zur Abtreibung gefragt. In welchen Fällen ist es so, dass man "sich selbst exkommuniziert"? Wir veröffentlichen hier eine Antwort des Radio-Vatikan-Mitarbeiters Dr. Gero Weishaupt.

Wenn ich das richtig lese, werden hier im Grund zwei Fragen gestellt: einerseits die nach der Abtreibung aus moraltheologischer Sicht (Wie ist die katholische Lehre im Hinblick auf Abtreibung, Beihilfe zur Abtreibung?), andererseits die von der Abtreibung an sich losgelöste Frage, wann jemandem automatisch, also ohne verwaltungsmäßiges oder richterliches Eingreifen, die Strafe der Exkommunikation trifft (In welchen Fällen ist es so, daß man „sich selbst exkommuniziert“?).
Zu den Fragen:

Wie ist die katholische Lehre im Hinblick auf Abtreibung, Beihilfe zur Abtreibung? 
Die Katholische Kirche geht, gestützt von den Wissenschaften der Humanembryologie und Humanbiologie, davon aus, daß vom Augenblick der Empfängnis an, also bei der Vereinigung der mütterlichen Chromosomen der Eizelle und der väterlichen Chromosomen der Samenzelle, ein Mensch, eine menschliche Person existiert. Dabei ist es nicht so, daß sich im Mutterleib während der neunmonatigen Schwangerschaft der Mensch erst zum Menschen entwickelt, sondern er ist es schon vom Moment der Zeugung an, wenn er auch noch nicht ganz funktionsfähig ist. Im ersten Augenblick seiner Existenz verfügt er über die Anlagen, durch die er sich kontinuierlich entwickelt und lebens- und funktionsfähig wird. So stellen etwa die Entwicklung des Gehirns, des Zentralnervensystems, das Ichbewustsein oder die Fähigkeit zur Kommunikation spätere Abschnitte der Entwicklung der menschlichen Person dar. Das Personsein, d.h. der Mensch als Einheit von Leib und Seele, ist dagegen bereits im Augenblick der Zeugung gegeben. Als Person ist der Mensch darum auch von Anfang an zugleich Rechtsperson, d.h. Träger der wesentlichen Menschenrechte, wozu auch das Recht auf Leben und der leiblichen Integrität gehört. Das aber heißt, daß ein Schwangerschaftsabbruch in der Phase der embryonalen Entwicklung Tötung eines unschuldigen Menschen bedeutet. Entsprechend sagt der Kathesismus der Katholischen Kirche (KKK) in Nr. 2270, daß, ausgehend von der Tatsache, daß im Augenblick der Empfängnis der Mensch als Person existiert, dem menschlichen Wesen „im ersten Augenblick seines Daseins“ „die Rechte der Person zuzuerkennen“ sind, „darunter das unveränderliche Recht jedes unschuldigen Wesens auf das Leben“. Daraus erklärt sich die moralische Verwerflichkeit der Abtreibung (KKK, Nr. 2271). „Eine direkte, das heißt als Ziel oder Mittel gewollte Abtreibung stellt ein schweres Vergehen gegen das sittliche Gesetz dar“ (ibid.). Das Zweite Vatikanische Konzil (GS 51, 3) bezeichnet darum Abtreibung und Tötung des Kindes als “verabscheuenswürdige Verbrechen” (nefanda crimina). Die Katholische Kirche glaubt, daß jeder einzelne Mensch von Gott erschaffen ist. Jeder Mensch ist Bild und Gleichnis Gottes, insofern er, von Anfang an mit Verstand und Wille ausgestattet, ein freies Wesen ist, fähig zur Gemeinschaft mit Gott und den Mitmenschen sowie zur Gotteskindschaft berufen. Jeder Mensch nimmt darum in den Plänen Gottes einen besonderen Platz ein. Wer das Kind im Mutteschoß abtreibt, nimmt ihm die Möglichkeit zur Verwirklichung dieses Planes.

Die direkte Tötung eines Kindes ist immer unerlaubt. Die Handlung ist in sich selbst schlecht (intrinsice malum: vgl. die deontologische Begründung des Sittlichen durch das Lehramt der Kirche auf der Grundlage des Naturrechts), also unabhängig von der jeweiligen Situation (vgl. Situationsethik) oder den abzusehenden Folgen (vgl. teleologische Begründung des Sittlichen). Eine Güterabwägung ist bei intrinsisch schlechten Handlungen darum immer ausgeschlossen.

Direkt ist die Tötung, wenn die Abtreibung als Mittel und Ziel angewandt wird. Hierzu können Situationen, Umstände, tragische Verwicklungen, in denen die Mutter oder auch das Kind sich befinden, Anlaß geben. Man spricht in diesem Zusammenhang von Indikationen. Es können sich medizinische, humanitäre, ethische oder kriminologische Indikationen ergeben. So ist z.B. die Zeugung eines Kindes aufgrund einer Vergewaltigung eine Indikation, da sie für die Mutter schwere seelische Konflikte mit sich bringt. Dabei ist jedoch zu beachten, daß das Unrecht gegenüber der Mutter nicht durch ein weiteres Unrecht, nämlich die Tötung eines unschuldigen Menschen, beseitigt wird. Im Gegenteil, man fügt dem einen Unrecht ein anderes hinzu. Darüber hinaus gibt es die eugenische, genetische und embryopathische Indikation. Sie bezeichenen den Fall, daß das Kind im Mutterleib unheilbar gesundheitlich geschädigt oder behindert ist. Wenngleich dies für die Mutter und die Angehörigen sehr belastend sein kann, rechtfertigt eine solche Indikation niemals eine Abtreibung. Schon die Unterscheidung zwischen lebenswertem und lebenunwertem Menschen ist moralisch verwerflich, geschweige denn einem gesundheitlich geschädigtem und behindertem Kind das Lebensrecht zu verweigern. Auch die häufig angeführte soziale Indikation, etwa die finazielle Notlage der Mutter, die Verhinderung der beruflichen Ausbildung und Karriere der Mutter, das durch die Schwangerschaft gespannte Verhältnis der Eltern untereinander oder zum sozialen Umfeld rechtfertigt keine Abteibung.

Die einzige Ausnahme ist die sogenannten indirekte Tötung des Kindes. Diese Situation kann vorkommen, wenn eine derartige ernsthafte Komplikation während der Schwangerschaft aufgetreten ist, daß das Leben der Mutter oder von Mutter und Kind bedroht ist. Dabei ist es medizinisch nur möglich, daß das Leben des einen der beiden durch einen Eingriff gerettet wird, wobei dieser Eingriff für den anderen den Tod zur Folge hat. Dank der medizinischen Fortschritte ist dies jedoch ein selten vorkommendes Problem. Für die moralisch-ethische Bewertung des Handlung ist nun folgendes zu beachten: Bei dem Eingriff darf das Tun des Arztes nicht unmittelbar auf das Töten des Kindes gerichtet sein, sondern auf die Rettung der Mutter. Die Operation bezweckt nicht die Tötung, sondern die Rettung der Mutter. Jedoch hat dieser lebensrettende Eingriff zur Folge, daß das Kind getötet wird. Der Tod des Kindes ist nicht Mittel zur Rettung der Mutter, sondern eine Nebenfolge. Man spricht in diesem Zusammenhang in der Moraltheologie von einem actus cum duplici effectu (= Handlung mit zweifacher Wirkung): eine und dieselbe Handlung hat zwei Wirkungen: die eine wird angestrebt [hier die Rettung des Lebens der Mutter], die andere [Tötung des Kindes] wird nicht angestrebt, sondern ist eine ungewünschte, aber notwendig mit eintretende weitere Folge aus der Handlung [hier dem operativen Eingriff]).

Was die Beihilfe zur Abtreibung betrifft, also der Mitwirkung an der Sünder der Abtreibung (etwa durch den Arzt, den Vater des Kinders, die Eltern der Mutter etc.) muß man moralttheologisch unterschieden zwischen der formalen und der materialen Mittäterschaft. Bei der formalen oder formellen Mitwirkung (cooperatio formalis) wird die Abtreibung gebilligt. Derjenige, der Beihilfe leistet, stimmt der sündigen Handlung zu und will ihr zum Erfolg verhelfen. Die formale Mittäterschaft setzt zudem Zurechnungsfähigkeit und innere wie äußere Freiheit voraus. Bei der materialen oder materiellen Mithilfe (cooperatio materialis) ist entweder die Absicht des Tötens nicht vorhanden oder der Mittäter ist nicht zurechnungsfähig bzw. unfrei. Sowohl für die moralisch-ethische als auch für die strafrechtlich-kanonische Bewertung der Abtreibung, wie weiter unten noch zu zeigen sein wird, ist die Unterscheidung zwischen formeller und materieller Mittäterschaft ausschlaggebend. Nur die formelle Mitwirkung ist moralisch und strafrechtlich relevant.
Berhard Häring, Frei in Christus. Moraltheologie für die Praxis des christlichen Lebens, Bd. II, Freiburg 1980, 428 ff., schreibt zur Unterscheidung zwischen formaler und materialer Mitwirkung: “Das bedeutet, daß der formal Mitwirkende sich selbst direkt in den Dienst des Bösen stellt. Er macht sich die sündhafte Handlung des anderen zu eigen, wenn nicht durch die ausdrückliche Absicht, so doch durch die Erkenntis, daß sein eigener Beitrag so beschaffen ist, daß er nur dem Bösen dienen kann. ... In der materialen Mitwirkung” wird “der Akt der Mitwirkung ... einfach mißbraucht und so vom anderen in den Dienst seiner bösen Handlung gestellt. Die moralische Frage stellt sich aufgrund es Vorauswissens oder der Wahrscheinlichkeit eines solchen Mißbrauches. ... Im allgemeinen kann man sagen, daß materielle Mitwirkung zulässig ist, wenn dadurch, alles in allem, ein höheres sittlich bedeutsames Gut gewahrt und größeres Übel verhütet wird”.

 In welchen Fällen ist es so, daß man „sich selbst exkommuniziert“?
  Im Kirchenrecht unterscheidet man zwei Arten der Strafverhängung: Eine Strafe kann entweder gerichtlich bzw. über den Verwaltungsweg erklärt und auferlegt werden oder von selbst, das heißt von Rechts wegen eintreten. Erste nennt man Spruchstrafe (poena ferendae sententiae), letztere Tatstrafe (poena latae sententiae). Diese wird so angedroht, daß sie mit der Begehung der Straftat eintritt. Der Täter spricht also mit Begehung der Tat sein eigenes Urteil. Die kirchliche Gemeinschaft weiß unter Umständen noch nicht, daß durch ihn eine Straftat verübt worden ist. Dennoch ist der Täter in seinem Gewissen (forum internum = innere Gewissensbereich) verplichtet, die Wirkungen der Strafe an sich selbst zu vollziehen. Der Eintritt der Strafe kann aber im nachhinein noch von der zuständigen kirchlichen Autorität im äußeren Rechtsbereich (forum externum) festgestellt werden.
Ist jemand von Rechts wegen exkommuniziert, dann ist er mit Vollendung der Straftat aus der Kirche ausgeschlossen. Welche Rechtsfolgen hat das? Der Betroffene darf nicht mehr aktiv teilnehmen an der Feier der Eucharistie und anderen gottesdienstlichen Feiern. Er darf keine Sakramenten und Sakramentalien spenden bzw. empfangen. Die Ausübung von kirchlichen Ämtern ist ihm untersagt (vgl. Can. 1331 §1). Wenn die Exkommunikation verhängt oder festgestellt worden ist, also im forum externum (äußerer Rechtsbereich) bekannt ist, dann ist auch die Straftat bekannt. Dies hat weitere, für den Täter erschwerende Rechtsfolgen. In diesem Falle muß der Täter nämlich von liturgischen Handlungen ferngehalten werden. Ihm ist der Gebrauch von voher gewährten Privilegien untersagt. Er ist zudem unfähig, Ämter, Würden und andere Dienste in der Kirche (bei Laien etwa die Dienste des Meßdieners, Lektors, Akolyten, des außerordentlichen Kommunionspenders, des Kantors, Organisten, Kirchenvorstandmitglieds oder der Pfarrsekretärin etc.) zu erlangen (vgl. can. 1331 §2).

Die Exkommunikation als Tatstrafe, d.h. die durch Begehung der Straftat von selbst bzw. von Rechts wegen eintretende Strafe, wird in folgenden sieben Fällen im Kirchlichen Gesetzbuch (CIC/1983) angedroht:– Apostasie, Häresie und Schisma (can. 1364)
– Verunehrung der heiligen (konsekrierten) Gestalten (can. 1367)
– Gewalt gegen den Papst (can. 1370 §1)
– Absolution des Mitschuldigen an einer Sünde gegen das sechste Gebot, die zwischen dem Beichtvater und dem Pönitenten begangen worden ist (sog. Absolutio complicis: can. 1378)
– Bischofsweihe ohne päpstliches Mandat (can. 1382)
– Verletzung des Beichtgeheimnisses (can. 1388)
– mit Erfolg durchgeführte Abtreibung (can. 1398).

Die Kirche schützt das ungeborene Leben auch dadurch, daß sie Abtreibung mit der Exkommunikation bestraft. Diese tritt automatisch, also durch die beabsichtigte und mit Erfolg durchgeführte Abtreibung, ein. Die Tat gilt dabei als vollendet, wenn die bestehende Schwangerschaft beendet worden ist. Damit kommt aber schon eine strafrechtliche Einschränkung ins Spiel: Nur die Vollendung des Abbruchs, nicht der Versuch einer Abtreibung führt zur Exkommunikation. Auch muß ein Vorsatz vorhanden sein, eine Abtreibung vorzunehmen. Wenn die Abtreibung nicht direkt gewollt ist, sondern bloß zugelassen wird, tritt die Exkommunikation nicht ein (vgl. oben das über die materielle Mitwirkung Gesagte) “Der Vorsatz sieht die Kenntnis der Schwangerschaft voraus. Wer also” z.B. “durch die Einnahme von Medikamenten, die eine Schwangerschaft beenden können, tatsächlich eine Abtreibung bewirkt, aber nicht wußte, daß überhaupt eine Schwangerschaft bestand, handelt ohne Vorsatz” (Klaus LÜDICKE, Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, 1398/4).
Ebenfalls tritt die Exkommunikation nicht von selbst ein, wenn der Täter zwar die Abtreibung wollte, aber schuldlos nicht weiß, daß es sich um eine verbotene Tat handelt. K. Lüdicke kommentiert hierzu: “Es ist besonders zu bedenken, daß das Wissen um die Strafbarkeit zur Zeit der Tat vorliegen muß. Wenn also ein Beichtvater dem Täter im Beichtstuhl erstmals zur Kenntnis bringt, daß die Abtreibung eine Straftat kirchlichen Rechtes ist, wird dadurch der Strafminderungsgrund ... nicht aufgehoben: Eine Tatstrafe hat sich der Täter nicht zugezogen ... “ (Münsterischer Kommentar, 1398/4).

Ein wichtiger Strafausschlußgrund ist die schwere Furcht beim Täter. Wenn die Mutter z.B. aus schwerer seelischer Not oder drohendem Nachteil gehandelt hat, ist sie nicht exkommuniziert. Die Exkommunikation als Tatstrafe tritt nicht ein. Sollte sie im nachhinein auferlegt werden (sog. Spruchstafe bzw. poena ferendae sententiae), dann muß der Richter oder die entsprechende kirchliche Verwaltungsinstanz nachprüfen, ob die Frau unter starkem psychischen Druck gestanden hat. In den meisten Fälle dürfte das der Fall sein. Jeder Fall muß aber einzeln geprüft werden. Wenn feststeht, daß die Frau oder der/die Mittäter unter Furcht gehandelt hat bzw. haben, dann kann keine Exkommunikation ausgesprochen werden.

Ebensowenig trifft eine Exkommunikation bei einer Minderjährigen ein, die eine Abtreibung hat vornehmen lassen, sofern sie das 16. Lebenjahr noch nicht vollendet hat. Dasselbe gilt für eine Person, die mit physischer Gewalt zu einer Abtreibung gezwungen worden ist, unabhängig von ihrem Alter. Ferner wird trotz durchgeführter Abtreibung nicht exkommuniziert, wer “aus dem Sturm einer Leidenschaft” (ex gravi passionis aestu: vgl. can. 1324 §1, Nr. 3) gehandelt hat, oder wer die Abtreibung “ohne volle Vorwerfbarkeit” (sine plena imputabilitate) hat durchführen lassen (can. 1324 §1, Nr. 10).

Liegt also eine der genannten Sachverhalte vor, ist die betreffende Person nicht automatisch exkommuniziert (Tatstrafe – poena latae sententiae) bzw. sie kann nicht nachträglich durch richterliches Urteil oder verwaltungsmäßige Verfügung exkommuniziert werden (Spruchstrafe – poena ferendae sententiae).

Man kann sich fragen, ob angesichts der psychischen Notlage, in der zahllose Frauen eine Abtreibung vornehmen lassen, eine Exkommunikation vorliegt. Das muß im konkreten Fall immer nachgeprüft werden.

(rv 250207 mc)







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