D: "Nicht Gnadenakt, sondern Aussetzung der Strafe"
Sollen ehemalige Mitglieder
der „Roten Armee Fraktion“ - kurz RAF - nach 24 Jahren Haft begnadigt werden, oder
nicht? Diese Frage wird derzeit kontrovers diskutiert - Bundespräsident Horst Köhler
hat sich vorgenommen, über ein Gnadengesuch des verurteilten RAF-Terroristen Christian
Klar zu entscheiden. Außerdem steht die vorzeitige Freilassung der ehemaligen RAF-Terroristin
Brigitte Mohnhaupt im Raum. Von kirchlicher Seite hat sich der Abt-Primas der Benediktiner,
Notker Wolf dazu geäußert. Bei Brigitte Mohnhaupt handle es sich, so Notker Wolf,
um das „Aussetzen der Strafe“. Die Begnadigung Christian Klars hingegen erschließe
sich aus dem Wort „Gnade“ selbst. Silke Schmitt hat den Abt-Primas Wolf zu seinen
Aussagen nachgefragt. Warum sollen die beiden RAF-Terroristen frei gelassen werden?
„Ich
würde das so nicht ausdrücken. Ich würde eher sagen, man kann durchaus und berechtigterweise
die Gnade aussprechen. In einem Fall handelt es sich nicht um einen Gnadenakt, sondern
um eine Aussetzung der Strafe, eine Aussetzung der Strafe nach 24 Jahren Haft. Das
ist ein üblicher Vorgang, der auch bei allen anderen Mördern gemacht wird. Das ist
also nichts Besonderes. Gnade bedeutet für mich die Gewährung einer Sache, die ich
nicht verdient habe. Deshalb ist sie nicht an Bedingungen geknüpft. Aber Gnade ist
vom Ursprungsgedanken her ein Akt des Souveräns – das war früher beim König oder beim
Kaiser so. Auch in der Kirche gibt es viele solche Gnadenerweise. Das heißt, ich habe
keinen Anspruch darauf. Ich kann eine Gnade sogar dann erteilen, wenn ein anderer
nicht mal um Verzeihung bittet, was im Fall von Christian Klar offenbar vorliegt.
Aber Gnade ist, wie Gott auf den Menschen unverdienter Maßen zugegangen ist. Das bedeutet
eigentlich Gnade.“
Silke Schmitt: Der Dialog zwischen Kirche, Rechtsstaat,
den RAF-Terroristen: Wie können Sie sich vorstellen, wie es möglich wäre, diesen Dialog
in der Gesellschaft voranzutreiben und in der Öffentlichkeit ein Empfinden dafür zu
schaffen?
„Ich glaube, was unsere Gesellschaft langsam abgeht, ist das Gespür
unserer menschlichen Begrenztheit. Wir sind immer wieder darauf angewiesen, dass andere
Menschen großzügig über unsere Fehler hinwegsehen. Die dann sagen: „O.k. Schwamm drüber
und lassen wir das mal gelten.“ Oder dass der eine sagt: „Das kannst du ihm nicht
verdenken. Er kapiert es nicht!“ Der Heilige Benedikt hat gesagt, dem Abt gehe immer
Barmherzigkeit vor Recht und der strengen Ausübung des Rechtes. Denn nur so kann ich
Menschen wieder zusammenbringen.“
Silke Schmitt: Terror ist derzeit das
Schlagwort schlechthin. Viele Leute haben Angst vor Terror und insbesondere vor Terroranschlägen.
Was würden Sie diesen Menschen entgegnen?
„Die Terroristen müssen geschnappt
werden. Sie müssen gefangen werden. Der Staat muss hier seine Souveränität ausüben.
Nun ist es aber ein kleiner Unterschied von damals und heute. Das zeigt die Größe
eines solchen Rechtsstaates, der nicht darauf besteht, dass einer bis zum letzten
Heller und Pfennig alles abbüßt, sondern sagt: „Ich kann auch darüber hinwegsehen
– nicht weil der andere es verdient hätte, sondern einfach aus menschlichen Gründen,
damit er doch noch ein Stück menschliche Zukunft aufbauen kann. Natürlich – jetzt
werden Leute gleich wieder sagen, jetzt denke ich nicht an die Opfer. Aber ich glaube
auch Opfer müssen fähig werden zu vergeben, sonst bleiben sie ewig in der Opferrolle
und kommen nie frei von der ganzen Bindung an dieses schreckliche Geschehen von einst.“
Abmod Neben dem Abt-Primas der Benediktiner, Notker Wolf, hat sich auch
die hannoversche Landesbischöfin, Margot Käßmann für den Dialog zwischen dem deutschen
Rechtsstaat und den inhaftierten Terroristen der RAF ausgesprochen. (rv 3.2.2007
sis/mg)