Frankreich trauert um den Armenpriester Abbé Pierre. Der 94-Jährige starb vergangene
Nacht in einem Pariser Krankenhaus an den Folgen einer Lungenentzündung. Das teilte
der Leiter der von Abbé Pierre gegründeten Bewegung Emmaus, Martin Hirsch, in Paris
mit. Abbé Pierre hatte in der Pariser Vorstadt Neuilly-Plaisance die erste "Emmaus"-Gemeinschaft
zur Unterstützung von Obdachlosen gegründet. Heute umfasst die Bewegung mehr als 500
Vereinigungen in gut 40 Ländern. Hier die Gründung von Emmaus in Abbé Pierres eigenen
Worten: "Die alten Menschen erinnern sich an das, was man den Aufstand der
Güte nennt, diesen fantastischen Aufbruch in Frankreich im Winter 1954. In jenem Winter
haben sich einige Menschen unter dem Namen Emmaus versammelt. Gemeinsam hatten wir
bereits seit drei Jahren daran gearbeitet, verzweifelten Familien zu Hilfe zu kommen." Über
viele Jahre hatte Abbé Pierre die Rangliste der beliebtesten Franzosen angeführt.
Der Priester nutzte seine Popularität, um „mit und für die Armen“ zu wirken. Die Emmaus-Bewegung
sammelt Möbel und Objekte aller Art, um sie billig an Bedürftige abzugeben. International
arbeitet Emmaus für die Verbesserung der Trinkwasserversorgung in Afrika ebenso wie
für die Menschenrechte oder die Versorgung der Straßenkinder Südamerikas. An der Basis
des Engagements stand für Abbé Pierre die gemeinsame Erfahrung des Leidens aller Menschen.
"Es ist wichtig zu wissen, dass jeder Mensch verwundbar und verletzt ist vom
Leiden anderer. Wir alle sind auf schreckliche Weise privilegiert; und dennoch wäre
es geradezu eine Katastrophe, ja ein Fluch für diese wissende Gemeinschaft der Gläubigen,
wenn es das Leid anderer Menschen nicht gäbe." Der Vorsitzende der französischen
Bischofskonferenz, Kardinal Jean-Pierre Ricard, würdigte die Persönlichkeit und das
Werk Abbé Pierres in einer Erklärung. Vereinigungen wie Emmaus erinnerten „an das
außergewöhnliche Zeugnis des Engagements und der Menschlichkeit, die das Leben Abbé
Pierres kennzeichneten“. Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac sagte, das Land
verliere eine große Persönlichkeit, "ein Gewissen, eine Inkarnation der Güte". Abbé
Pierre kam am 5. August 1912 in Lyon unter dem Namen Henri Grouès als Kind einer wohlhabenden
Familie zur Welt. Mit 19 Jahren trat er dem Kapuzinerorden bei, musste diesen aber
wegen einer Krankheit wieder verlassen. Stattdessen wurde er Vikar in Grenoble. Während
der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg ging er in den Untergrund und unterstützte
Juden und Widerstandskämpfer. (afp / ap / rv 22.01.07 gs)