2007-01-21 13:18:47

Kenia: Theologen suchen nach einer anderen Welt


"Weltforum Theologie und Befreiung" - unter diesem Titel stand ein Treffen in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, das dem jetzigen Weltsozialforum vorausging. Der deutsche Jesuit Martin Maier schickte uns darüber folgenden Bericht:

Theologen suchen nach einer anderen Welt
 
Erzbischof Desmond Tutu begeistert das Zweite Weltforum Theologie und Befreiung

Von Martin Maier, Nairobi

Der Höhepunkt des Zweiten Weltforums Theologie und Befreiung, das am Freitag in Nairobi zu Ende ging, war die fulminante Schlußrede von Erzbischof Desmond Tutu aus Südafrika. Tutu ist ein Prophet voller Humor. So klärte er die über 250 Theologen und Theologinnen aus allen fünf Kontinenten zuerst auf: „Warum ich den Friedensnobelpreis bekommen habe? – Wegen meines einfach auszusprechenden Namens.“

Ernsthafter wurde er in seinen Äußerungen zur aktuellen Situation der Kirche. In Zeiten der Apartheid sei es relativ einfach gewesen, eine klare Position zu beziehen: entweder für oder gegen die Apartheid. Die heutige Identitätskrise der Kirche weltweit hänge damit zusammen, daß die Positionen nicht mehr so klar seien: „Die Kirche ist eine der möglichen Optionen auf dem Marktplatz.“ Dann lenkte er die Aufmerksamkeit der Versammlung auf die Bibel: „Ein sicheres Rezept, um jemanden zu unterdrücken, ist, ihm die Bibel wegzunehmen.“ Ausgehend vom Propheten Jesaja im Alten Testament mit seiner massiven Kritik der religiösen Opfer auf Kosten der Armen verdeutlichte er die notwendige Verbindung von Religion und Politik: „Gott ist unverbesserlich einseitig zugunsten der Schwachen, der Hungrigen und der Sünder.“

Damit griff Erzbischof Tutu das Thema auf, mit dem sich das theologische Weltforum vom 16. bis 19. Januar im Vorfeld des Weltsozialforums intensiv und zum Teil auch kontrovers beschäftigt hatte: „Spiritualität für eine andere mögliche Welt.“ Wie schon vor zwei Jahren im brasilianischen Porto Alegre ging es darum, die theologische Reflexion mit den Werten und Projekten des Weltsozialforums zu verbinden. Ein gemeinsamer Nenner war die Ablehnung des weltweit vorherrschenden Neoliberalismus. Doch die Geister schieden sich bei der Frage, ob man innerhalb des gegebenen Systems nach Veränderungen suchen solle, oder ob das System mit den internationalen Organisationen wie Weltbank, Internationaler Währungsfonds und Welthandelsorganisation als Ganzes abzulehnen sei. Uneinigkeit gab es auch über die ökonomische Fundamentalkritik, die der belgische Religionssoziologe François Houtard an der Globalisierung übte.

Ein ganzer Tag war den Kirchen und der Theologie in Afrika gewidmet. Augen- und ohrenfällig wurde die Lebendigkeit afrikanischer Religiosität in den Morgengottesdiensten, die von Gruppen und Chören aus den Armenvierteln Nairobis gestaltet wurden. Doch auch die Ambivalenz der animistischen Grundströmung in allen afrikanischen Religionen kam zur Sprache. Formen von Satanskult greifen immer weiter um sich.

Am Mittwochnachmittag brachen die Teilnehmer des Forums zu Besuchen in Waisenhäusern und Slums auf. Hier kamen sie mit den Menschen in Berührung, um die es eigentlich ging. Der bekannte Befreiungstheologe Jon Sobrino aus El Salvador kennt Armut und Elend in Lateinamerika. Doch die Not, der er in Nairobis größtem Slum Kibera begegnete, verschlug ihm zuerst einmal den Atem. Auf engstem Raum zusammengepfercht leben über 800 000 Menschen in unmenschlichen Lebensbedingungen. Im Gespräch mit Schülern sagte er: „Ich komme von weit her und verneige mich vor dem Leid, dem ich hier begegne.“

Am letzten Tag wurde eine Öffnung hin auf den interreligiösen Dialog mit Beiträgen von Vertretern des Islam, des Hinduismus und traditioneller afrikanischer Religionen gesucht. Eine gemeinsame Grundlage für alle Religionen könnte darin bestehen, die heiligen Schriften zugunsten des Lebens, der Gerechtigkeit, der Versöhnung und des Friedens auszulegen. Fundamentalistische Tendenzen in allen Religionen zeigen aber auch Grenzen der Verständigung.

Für Michael Ramminger vom Institut für Theologie und Politik in Münster kam die politische und soziale Dimension in den Vorträgen, Debatten und Arbeitsgruppen zu kurz. Immerhin rückte die Theologin Teresa Okure aus Nigeria die riesigen sozialen Nöte Afrikas ins Blickfeld: „Afrika ist nicht arm, sondern wurde von anderen arm gemacht.“ In den traditionellen afrikanischen Kulturen habe es keine Slums gegeben. Doch auch die kulturellen Traditionen Afrikas sind kritisch zu prüfen. So wurde wiederholt die Praxis der rituellen Beschneidungen angeprangert, von denen täglich 6000 Mädchen in Afrika betroffen sind.

Jon Sobrino zieht trotz der erwähnten Mängel eine positive Bilanz: „In diesem Forum war die wirkliche Welt der Opfer gegenwärtig. Und hier haben sich viele positive Kräfte zusammengeschlossen, um nach Veränderungen zu suchen.“ Vielleicht, so Sobrino kritisch, hätte Gott als ein Gott der Armen und der Opfer, so wie er sich in Jesus Christus gezeigt hat, noch mehr im Mittelpunkt stehen müssen. Aus ihm könne eine weltweite Bewegung für eine andere Welt Licht, Hoffnung und Kraft schöpfen. Dies hätten Märtyrer wie Erzbischof Oscar Romero aus El Salvador gezeigt. An die Adresse der Theologen und damit auch an die eigene Adresse gerichtet merkte er an: „Es genügt nicht, die Übel der Welt anzuprangern. Die Bekehrung muß bei den Theologen selbst anfangen.“








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