"Weltforum Theologie und Befreiung" - unter diesem Titel stand ein Treffen in der
kenianischen Hauptstadt Nairobi, das dem jetzigen Weltsozialforum vorausging. Der
deutsche Jesuit Martin Maier schickte uns darüber folgenden Bericht:
Theologen
suchen nach einer anderen Welt Erzbischof Desmond Tutu begeistert
das Zweite Weltforum Theologie und Befreiung
Von Martin Maier, Nairobi
Der
Höhepunkt des Zweiten Weltforums Theologie und Befreiung, das am Freitag in Nairobi
zu Ende ging, war die fulminante Schlußrede von Erzbischof Desmond Tutu aus Südafrika.
Tutu ist ein Prophet voller Humor. So klärte er die über 250 Theologen und Theologinnen
aus allen fünf Kontinenten zuerst auf: „Warum ich den Friedensnobelpreis bekommen
habe? – Wegen meines einfach auszusprechenden Namens.“
Ernsthafter wurde er
in seinen Äußerungen zur aktuellen Situation der Kirche. In Zeiten der Apartheid sei
es relativ einfach gewesen, eine klare Position zu beziehen: entweder für oder gegen
die Apartheid. Die heutige Identitätskrise der Kirche weltweit hänge damit zusammen,
daß die Positionen nicht mehr so klar seien: „Die Kirche ist eine der möglichen Optionen
auf dem Marktplatz.“ Dann lenkte er die Aufmerksamkeit der Versammlung auf die Bibel:
„Ein sicheres Rezept, um jemanden zu unterdrücken, ist, ihm die Bibel wegzunehmen.“
Ausgehend vom Propheten Jesaja im Alten Testament mit seiner massiven Kritik der religiösen
Opfer auf Kosten der Armen verdeutlichte er die notwendige Verbindung von Religion
und Politik: „Gott ist unverbesserlich einseitig zugunsten der Schwachen, der Hungrigen
und der Sünder.“
Damit griff Erzbischof Tutu das Thema auf, mit dem sich das
theologische Weltforum vom 16. bis 19. Januar im Vorfeld des Weltsozialforums intensiv
und zum Teil auch kontrovers beschäftigt hatte: „Spiritualität für eine andere mögliche
Welt.“ Wie schon vor zwei Jahren im brasilianischen Porto Alegre ging es darum, die
theologische Reflexion mit den Werten und Projekten des Weltsozialforums zu verbinden.
Ein gemeinsamer Nenner war die Ablehnung des weltweit vorherrschenden Neoliberalismus.
Doch die Geister schieden sich bei der Frage, ob man innerhalb des gegebenen Systems
nach Veränderungen suchen solle, oder ob das System mit den internationalen Organisationen
wie Weltbank, Internationaler Währungsfonds und Welthandelsorganisation als Ganzes
abzulehnen sei. Uneinigkeit gab es auch über die ökonomische Fundamentalkritik, die
der belgische Religionssoziologe François Houtard an der Globalisierung übte.
Ein
ganzer Tag war den Kirchen und der Theologie in Afrika gewidmet. Augen- und ohrenfällig
wurde die Lebendigkeit afrikanischer Religiosität in den Morgengottesdiensten, die
von Gruppen und Chören aus den Armenvierteln Nairobis gestaltet wurden. Doch auch
die Ambivalenz der animistischen Grundströmung in allen afrikanischen Religionen kam
zur Sprache. Formen von Satanskult greifen immer weiter um sich.
Am Mittwochnachmittag
brachen die Teilnehmer des Forums zu Besuchen in Waisenhäusern und Slums auf. Hier
kamen sie mit den Menschen in Berührung, um die es eigentlich ging. Der bekannte Befreiungstheologe
Jon Sobrino aus El Salvador kennt Armut und Elend in Lateinamerika. Doch die Not,
der er in Nairobis größtem Slum Kibera begegnete, verschlug ihm zuerst einmal den
Atem. Auf engstem Raum zusammengepfercht leben über 800 000 Menschen in unmenschlichen
Lebensbedingungen. Im Gespräch mit Schülern sagte er: „Ich komme von weit her und
verneige mich vor dem Leid, dem ich hier begegne.“
Am letzten Tag wurde eine
Öffnung hin auf den interreligiösen Dialog mit Beiträgen von Vertretern des Islam,
des Hinduismus und traditioneller afrikanischer Religionen gesucht. Eine gemeinsame
Grundlage für alle Religionen könnte darin bestehen, die heiligen Schriften zugunsten
des Lebens, der Gerechtigkeit, der Versöhnung und des Friedens auszulegen. Fundamentalistische
Tendenzen in allen Religionen zeigen aber auch Grenzen der Verständigung.
Für
Michael Ramminger vom Institut für Theologie und Politik in Münster kam die politische
und soziale Dimension in den Vorträgen, Debatten und Arbeitsgruppen zu kurz. Immerhin
rückte die Theologin Teresa Okure aus Nigeria die riesigen sozialen Nöte Afrikas ins
Blickfeld: „Afrika ist nicht arm, sondern wurde von anderen arm gemacht.“ In den traditionellen
afrikanischen Kulturen habe es keine Slums gegeben. Doch auch die kulturellen Traditionen
Afrikas sind kritisch zu prüfen. So wurde wiederholt die Praxis der rituellen Beschneidungen
angeprangert, von denen täglich 6000 Mädchen in Afrika betroffen sind.
Jon
Sobrino zieht trotz der erwähnten Mängel eine positive Bilanz: „In diesem Forum war
die wirkliche Welt der Opfer gegenwärtig. Und hier haben sich viele positive Kräfte
zusammengeschlossen, um nach Veränderungen zu suchen.“ Vielleicht, so Sobrino kritisch,
hätte Gott als ein Gott der Armen und der Opfer, so wie er sich in Jesus Christus
gezeigt hat, noch mehr im Mittelpunkt stehen müssen. Aus ihm könne eine weltweite
Bewegung für eine andere Welt Licht, Hoffnung und Kraft schöpfen. Dies hätten Märtyrer
wie Erzbischof Oscar Romero aus El Salvador gezeigt. An die Adresse der Theologen
und damit auch an die eigene Adresse gerichtet merkte er an: „Es genügt nicht, die
Übel der Welt anzuprangern. Die Bekehrung muß bei den Theologen selbst anfangen.“