Die Theologie muss
dazu beitragen, den selbstzentrierten Blick Europas auf die eigenen Probleme zu überwinden
und stärker die Verlierer der Globalisierung in den Blick zu nehmen. Das betonte der
emeritierte Tübinger Dogmatiker Peter Hünermann gestern in Wien. Eine solche Ausweitung
des Blicks auf die "Outcasts" entspreche dem innersten Kern der Botschaft des Evangeliums,
welches eine Botschaft der "Liebe zur Welt und zu den Menschen" darstellt, so Hünermann
im Gespräch mit "Radio Stephansdom". Auch wurzele in diesem erweiterten Blick eine
neue "weltoffene katholische Dogmatik". Die Theologie, so Hünermann, sei durch
eine "doppelte Spannung" bestimmt, die zwischen der Notwendigkeit einer rationalen
Diskursfähigkeit mit den Wissenschaften sowie zwischer der tragenden "Achse der Liebe,
des sich-Kümmerns und Ernstnehmens der Leiden der Menschen" bestehe. Nur in dieser
Spannung könne die Theologie sich wirklich entfalten, ohne jedoch die "innere Achse
der großen Liebe Gottes zu den Menschen" zu marginalisieren. Als Beispiel für ein
gelungenes praktisch-Werden dieser Form der Theologie führte Hünermann die theologische
Adaption der Situation in Lateinamerika an. Dort sei es seit dem 2. Vatikanischen
Konzil zu einem Aufbruch in der Theologie gekommen, von dem auch die europäische Theologie
profitieren könne. So werde Theologie nur dort "geistvolle Theologie", die "neue Sichtweisen
ermöglicht", wo sie sich "den Brennpunkt ihres Interesses von den Problemen der Welt
vorgeben lässt". Lobend äußerte sich Hünermann in diesem Zusammenhang auch über
die Antrittsenzyklika Papst Benedikts XVI., "Deus caritas est". Die Enzyklika enthalte
"eine ganz wichtige Botschaft", so Hünermann, insofern sie in eine Zeit hinein spricht,
in der "Religion zumeist benutzt wird, um zu polarisieren und Feindschaft zu stiften".
Die Aussage jedoch, dass Gott die Liebe sei, müsse dagegen "die Kirche im Ganzen auszeichnen"
und "kollektive Formen annehmen". Kritisch merkte Hünermann an, dass die "politische
Dimension des Glaubens" in der Enzyklika nicht ausreichend stark betont worden sei. Peter
Hünermann gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen katholischen Dogmatiker.
Er referierte am 17. und 18. Jänner auf Einladung der Wiener Theologischen Kurse über
die Themen "Die Geschichtlichkeit kirchlichen Lehrens und die Unfehlbarkeit des Glaubens"
sowie über "Theologie, die an der Zeit ist. Alte und neue Herausforderungen". Der
gebürtige Berliner und emeritierte Tübinger Dogmatiker steht dem 1996 gegründeten
weltweiten Netzwerk von Gesellschaften für katholische Theologie vor. 1955 in Rom
zum Priester geweiht, war Hünermann Dozent in Freiburg, Dogmatiker in Münster und
folgte dann einem Ruf als Nachfolger von Hans Küng nach Tübingen. (kathpress/radio
stephansdom 19.01.07 sk)