Es ist viel Porzellan
zerbrochen in den vergangenen Wochen, vor allem wohl Vertrauen enttäuscht. Hier eine
Zusammenfassung des Falls Wielgus aus unserer Sendung "Kreuzfeuer" von Birgit Pottler.
"Das
Verhalten von Monsignore Wielgus in Jahren des kommunistischen Regimes in Polen hat
sein Ansehen schwer beschädigt, auch bei den Gläubigen." So Vatikansprecher Pater
Federico Lombardi am Tag des Rücktritts des Warschauer Erzbischofs. Die polnische
Kirche ist aufgewacht und mit ihr das ganze Land. Erstens weil wohl nirgends in Europa
Kirche oder zumindest Glauben und Gesellschaft so eng miteinander verwoben sind. Zweitens
weil der Streit um Wielgus’ Geheimdiensttätigkeit gezeigt hat, wie jung die Demokratie
noch ist, wie brüchig die Unabhängigkeit einer frei agierenden Kirche. Die kommunistische
Vergangenheit ist nicht aufgearbeitet. Es ist ein Moment großen Leids, hatte Lombardi
erklärt: "Deshalb scheint, trotz seiner demütigen und bewegenden Bitte um Vergebung,
der Verzicht auf den Stuhl von Warschau und dessen schnelle Annahme seitens des Heiligen
Vaters die angemessene Lösung zu sein um auf die Desorientierung zu reagieren, die
in der Nation um sich gegriffen hat." Stanislaw Wielgus war am 7. Januar zurückgetreten,
zwei Tage nachdem er sein Amt als Erzbischof von Warschau angetreten hatte. Die Katholiken
sprechen inzwischen vom "Schwarzen Sonntag“.
In die öffentliche Kritik
geraten: der Nuntius in Polen, Erzbischof Jozef Kowalczyk. Er hätte seine Arbeit nicht
richtig gemacht, den Vatikan nicht gut genug informiert. Kowalczyk selbst verteidigt
sein Vorgehen, sagt, Verfahrensfehler habe es keine gegeben, er selbst wusste schlicht
nichts. Wielgus habe von Geheimdienstkontakten gesprochen, aber nichts davon, dass
er einer Spitzeltätigkeit zugestimmt hätte. Deswegen sei Wielgus auch nicht in erster
Linie zurückgetreten, so Kowalczyk. Schuld sei der Druck, unter dem er gestanden habe.
"Man muss daran erinnern, dass man - symbolisch gesprochen - mit einem Satz einen
Menschen töten kann. Das kann man später auch nicht mehr rückgängig machen. Was nun
die Lage von Monsignore Wielgus angeht: Er hat die Erzdiözese zurückgegeben, weil
sein Name beschmutzt worden war. In dieser Situation kann man weder den Dienst in
einer Pfarrei noch in der Erzdiözese akzeptieren. Monsignore Wielgus hat das erkannt
und gesagt: Ich trete zurück."
Das gleiche sagte der
Primas von Polen, Kardinal Jozef Glemp. Der Vorgänger und gleichzeitig Interimsnachfolger
hatte Wielgus schon am Tag des Rücktritts verteidigt. Die geplante Messe zu dessen
feierlichen Amtseinführung war schnell in einen Dankgottesdienst für Kardinal Glemps
Verdienste umgewandelt worden. In der Predigt wetterte dieser gegen die "Pressehetze".
"Heute hat man über Wielgus gerichtet. Aber was ist das für ein Gericht? Nur auf
Grundlage von Gerüchten und Indizien, die zum x-ten mal aufgewärmt wurden. So ein
Gericht wollen wir nicht!" Es gab Applaus für Glemp, es gab Tumulte auf der
Straße, es gab Proteste und Bravo-Rufe. Auf einer eigens eingerichteten Internetseite
dankten polnische Gläubige dem Papst via E-Mail für die so wörtlich "schnelle und
entschiedene Lösung der Krise“ der polnischen Kirche. Die Initiative soll vom Klub
der katholischen Intelligenz Warschaus ausgehen. Andere Laienorganisationen hatten
sich angeschlossen. Anders der Rundfunksender "Radio Maryja“, dessen Kontroll- und
Beratungsgremium Wielgus angehört und der in Polen seit Monaten für Unruhe sorgt.
"Radio Maryja“ hatte einen Solidaritätsaufruf gestartet.
Wielgus beteuert,
er habe niemandem geschadet. Doch der Fall Wielgus zieht Kreise und hat Folgen, nicht
nur, weil vatikanische wie örtliche Kirchenbehörden nun die Schuldzuweisungen hin
und her schieben. Vatikansprecher Lombardi hatte betont, "dass der Fall von Monsignore
Wielgus nicht der erste ist und wahrscheinlich nicht der letzte sein wird, in dem
Persönlichkeiten der Kirche auf Grundlage der Geheimdienstunterlagen des früheren
Regimes angeklagt werden. Es handelt sich um endloses Material, und man darf bei der
Auswertung und daraus zu ziehenden glaubwürdigen Schlussfolgerungen nicht vergessen,
dass es von Funktionären eines diktatorischen und erpresserischen Regimes angefertigt
wurde."
Nuntius Jozef Kowalczyk: "Die Bewertung des gesammelten Materials,
das hier und dort existiert, ist Ansichtssache. Diese Auswertung muss von Experten
gemacht werden, die alle Techniken kennen, mit denen man Dokumente herstellt, von
Experten, die alle Techniken kennen, mit denen Geheimdienstmaterial gesammelt wird.
Dann erst kann man über einen Menschen urteilen."
Entsprechend
handeln die polnischen Bischöfe: Jeder der 133 Oberhirten soll das Institut für das
Nationale Gedächtnis (IPN), das die Unterlagen der kommunistischen Geheimdienste verwahrt,
um eine Überprüfung bitten, beschloss die Bischofskonferenz am 12. Januar einstimmig
bei einer Sondersitzung in Warschau. Zudem sollen in allen 44 Diözesen lokale kirchliche
Untersuchungskommissionen eingerichtet werden, sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz,
Erzbischof Jozef Michalik. Bisher hatte es nur in sieben Diözesen entsprechende Einrichtungen
gegeben. "Die Kirche fürchtet keine Wahrheit, die Wahrheit verteidigt die Kirche",
betonte Michalik. Er selbst habe bereits die von der Kirche eingerichtete Historische
Kommission darum gebeten, seine "Akte" im IPN zu überprüfen.
Die polnischen
Medien applaudierten. Daniel Kaiser berichtet aus Warschau: "Biskupi do Lustracji"
– "Bischöfe zur Durchleuchtung!“ Die Entscheidung der Bischofskonferenz ist ein Befreiungsschlag.
Mit dem Vorstoß reagiert die Kirche darauf, dass es in den Medien fast täglich neue
Enthüllungsberichte über vermeintliche Stasi-Spitzel in der Kirche gab. So hatte beispielsweise
die Tageszeitung "Dziennik" geschrieben, dass mindestens zwölf Bischöfe dem Geheimdienst
zugearbeitet haben. Die Ergebnisse der Untersuchung sollen nicht veröffentlicht
werden. Die Akten wandern in den Vatikan. Dort werden sie noch einmal analysiert
und bewertet. Sollte sich herausstellen, dass Bischöfe tatsächlich mit dem Geheimdienst
SB (Sluzba Bezpieczenstwa)zusammengearbeitet haben, dann müsse der Vatikan entscheiden,
ob die Betroffenen im Amt bleiben können oder nicht. Nach Ansicht der polnischen Kirche
gibt es in Polen kein Gericht, das qualifiziert sei, über einen Bischof zu urteilen.
Kardinalstaatssekretär
Tarcisio Bertone zeigte sich indes zufrieden mit der Entscheidung des polnischen Episkopats.
Er erklärte nach der Sondersitzung der Bischöfe: "Kommunikation ist notwendig.
Ein Kommunikationsdefizit ist immer gefährlich und schädlich. Es macht es unmöglich,
gereifte und begründete Beschlüsse zu fassen, verwehrt es vor allem, zwischen Wahrheit
und Fälschung bei diesen so genannten Dokumenten zu entscheiden. Ich möchte betonen,
wie wichtig das für alle ist, nicht nur für die Geistlichen, sondern für alle, die
in der Vergangenheit mit jeder Art von Regime zusammengearbeitet haben." Man
müsse ganz genau aufarbeiten und unterscheiden können, "was wahr ist und was erfunden,
was gefälscht ist und auf Strategien zur Destabilisierung hinweist". Es sei
schlicht nicht fair, falsche Dokumente zu benutzen, um Menschen zu schaden und ins
schlechte Licht zu rücken. Doch ein Verfahren für Kirchenmänner reicht dem zweiten
Mann im Vatikan nicht aus. Er fordert genaue Untersuchungen auch im staatlichen Bereich.
"Ich wäre zufrieden, - das habe ich auch den zuständigen Behörden gesagt -
wenn alle Funktionäre untersucht würden, nicht nur von Parteien, sondern auch von
öffentlichen Behörden und Funktionäre, die politisch eine Rolle spielen - in der polnischen
Gesellschaft und auch in den anderen Ländern Osteuropas." Bemerkung der Beobachterin:
Nur so kann die öffentliche Hand in Polen auch den inzwischen mehrmals aufgetauchten
Vorwurf eines Rachefeldzugs gegen die katholische Kirche widerlegen.
Beobachter
sprechen seit Wochen von zwölf, inzwischen gar von 15 Bischöfen, die dem Geheimdienst
aktiv zugearbeitet haben sollen. Nach Schätzungen von Primas Glemp haben 15 Prozent
mit den Kommunisten gemeinsame Sache gemacht. Auch wenn er Wielgus jetzt verteidigte,
zum Jahrestag der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen und der Verhaftung der Solidarnosc-Führer
vor wenigen Wochen sagte Glemp: "Die Durchleuchtung, ist schon jetzt sehr schwierig.
Wenn wir nicht den ganzen Mechanismus aufdecken, den sich damalige Machthaber zu nutze
gemacht haben, um die Intelligenz des Landes zu manipulieren, dann wird man das nicht
verstehen, was da passiert ist." Insgesamt wird es wohl schwierig sein, in
der Hierarchie der polnischen Kirche jemanden zu finden, der niemals wenigstens kontaktiert
oder umgekehrt eben vom Regime beobachtet worden war. Die Kirche in Polen wäre sonst
kaum so einflussreich in Polens Gesellschaft gewesen. Absolute Kontrolle war der Preis,
den der Kommunismus ihr abverlangte.
Das wusste auch Johannes Paul II.
aus seiner eigener Vergangenheit. Stefan Kempis fasst zusammen: Er kannte seine
polnische Kirche. Er hatte, zur Zeit des kommunistischen Regimes, den besten Platz
dazu: den zweiten nämlich. Hinter dem greisen, übermächtigen Bekenner-Kardinal von
Warschau, Stephan Wyszynski, konnte sich Karol Wojtyla als Kardinal von Krakau zurückhalten
und beobachten. Der Geheimdienst wusste offenbar nicht so genau, was von ihm zu halten
war: War er ein eher verschrobener Philosoph? Vielleicht völlig unpolitisch? "Sie
haben`s auch bei mir versucht“, wird Wojtyla später einmal erzählen. "Sie haben mich
vorgeladen, aber ich bin ihren Fragen ausgewichen.“ Dass andere – auch Kirchenleute
– sich bereitwilliger auf einen faustischen Pakt mit den Stasi-Herren einließen, wird
ihm nicht entgangen sein. 1978: Das Regime versucht nach neuesten Erkenntnissen
in einer Undercover-Operation, Wojtyla von einer möglichen Nachfolge Wyszynskis in
Warschau fernzuhalten. Aber es rechnet nicht mit der Möglichkeit B: einer Wahl Wojtylas
zum Papst. Wenige Monate vergehen, schon besucht Polens plötzlich größter Sohn seine
kommunistische Heimat. Und feiert eine Massen-Messe mitten im Herzen von Warschau. "Und
ich rufe: Ich, Sohn der polnischen Erde und zugleich ich, Johannes Paul II, Papst,
ich rufe aus der Tiefe dieses Jahrtausends, ich rufe am Vorabend des Pfingstfestes,
komm herab Heiliger Geist! Komm, und erneuere das Antlitz der Erde, das Antlitz dieser
Erde. Amen." Wenige Tage später, in Krakau, wird Johannes Paul II. noch deutlicher.
"Man muss den Mut haben, in eine Richtung zu gehen, in die bis her noch niemand
gegangen ist. Ohne diesen Mut können Völker und Systeme in diesen Zeiten weder einander
näher kommen, noch kann man den Frieden herstellen." Die Marschrichtung für
die polnische Kirche ist klar: Neue Wege gehen, Mut zum Bekenntnis. Nicht zurückweichen.
Kirchenintern fährt der Papst gleichzeitig aber keinen harten Kurs; sein Einfluss
auf Polens Kirche ist eher ideell als konkret – vielleicht, weil der große Wyszynski
sich nicht so einfach aus der Ferne steuern lässt. Dass Johannes Paul davon wusste,
dass auch Kirchenleute mit dem Regime zusammenarbeiteten, steht fest. Womöglich dachte
er auch an seine schuldig gewordenen Amtsbrüder in der Heimat, als er zum Heiligen
Jahr 2000 ein großes Schuldbekenntnis für Kirchenleute ablegte. "Wir tragen die
Last der Irrtümer und die Schuld derer, die uns vorausgegangen sind. Die Verfehlungen
der Vergangenheit anerkennen, dient dazu, unser Gewissen aufzuwecken angesichts der
falschen Kompromisse der Gegenwart. Wir vergeben und bitten um Vergebung. Trotz aller
Heiligkeit in der Kirche, kann sie doch auch die Untreue gegenüber dem Evangelium
nicht leugnen, die gewisse unserer Brüder im Verlauf der vergangenen tausend Jahre
begangen haben." Die letzte seiner vielen Reisen nach Polen stellt Papst Wojtyla
unter das Motto: Göttliche Barmherzigkeit. Das lege er, so sagt er es bei der letzten
Messe in Krakau, vor allem seinen Amtsbrüdern ans Herz, sagt er. Das ist im August
2002. Drei Jahre vor dem Tod des Papstes – und viereinhalb Jahre vor dem Fall Wielgus. Barmherzigkeit
hatte Johannes Paul seinen Polen ans Herz gelegt. In diesem Sinn spricht der Gnesener
Erzbischof Henryk Muszynski. Der gilt als einer der profiliertesten Kirchenmänner
Polens und sagte nach Wielgus’ Fall, er wolle nicht verteidigen, was nicht zu verteidigen
sei. Meint wohl das lange Schweigen. "Aber wenn jemand seine Schuld anerkennt, sollte
man ihm im Sinne des Evangeliums die Hand reichen.“ Der langjährige Papstsekretär
und jetziger Oberhirte von Krakau, Stansilaw Dziwisz, sprach von einem "Jugendirrtum“.
Wie
um den Aktendeckel fürs erste zu Schließen, wurde am Sonntag nach der Sondersitzung
der Bischöfe ein Hirtenbrief in allen Gottesdiensten verlesen. Von dramatischen Ereignissen,
ist darin die Rede, von Schmerz, sichtbar gewordenen Spaltungen zwischen den Gläubigen.
Die Bischöfe danken dem Papst für seine "väterliche Hilfe“. Die Entscheidung von Mitbruder
Wielgus nehmen sie "mit Respekt“ entgegen, er habe über Jahre treu für das Wohl der
Kirche gewirkt. Die "dunkle Vergangenheit“ des totalitären Regimes sei noch immer
spürbar. Doch die Kirche habe keine Angst vor der Wahrheit, denn nur sie mache frei.
Auch Bischöfe und Priester bedürften der Vergebung, daher rufen die Oberhirten den
gesamten Klerus zu einem besonderen Bußtag am Aschermittwoch auf, bei dem für die
Fehler und Schwächen um Vergebung gebetet werden soll. Die Politiker, so die Bischöfe
weiter, sollten dafür sorgen, dass verantwortungsvoll mit den Akten umgegangen wird,
ohne Rechte und Würde der Menschen zu verletzten.
Der Fall Wielgus wird
wohl frühestens gelöst, wenn ein neuer Erzbischof in Warschaus Kathedrale eingezogen
ist. Wann das der Fall ist, wagt auch Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone noch
nicht zu sagen. Das wisse allein Gott. Er bete und denke nach - gemeinsam mit dem
Papst und den Mitarbeitern. Dann wird man sehen.
Der Danziger Bischof Tadeusz
Goclowski ist davon überzeugt, dass Polens Kirche auch diese Krise überstehen wird: "Wir
haben schon früher viel durchgemacht. Es war damals auch ein sehr schwieriger Moment,
als Primas Wyszynksi im Gefängnis saß. Wir dachten damals, alles würde zusammenbrechen.
Sogar die Bischöfe wackelten in ihrer Beziehung zum Primas. Aber die Kirche hat auch
das überstanden."