"Der Herr segne
alle, die hier zugegen sind, sowie auch alle Pilger und die Bewohner des Landes. Gott
schütze die Bundesrepublik Deutschland!"(18. August 2005) Es ist die erste
Widmung, die der deutsche Papst seinem Volk auf heimischem Boden hinterlässt. Auf
dem Kölner Flughafen beim ersten Deutschlandbesuch sprach Benedikt XVI. von „den großen
sozialen, ökonomischen und kulturellen Zielen“, die Deutschland erreicht habe. Der
Stammbucheintrag ist mehr als reine Huldigung. Ist ein Gebet „zum Herrn für den
zukünftigen Weg der Kirche und der gesamten Gesellschaft dieser mir so lieben Bundesrepublik
Deutschland“ (18. August 2005).
Kirche und Gesellschaft gehören zusammen.
Daran lässt der Papst keinen Zweifel, betont immer wieder die christlichen Wurzeln
des Abendlandes und damit Deutschlands, erinnert an die tief verwurzelten Traditionen
vor allem bayerischer Volksfrömmigkeit. Kurz nach seiner Bayernreise trifft der Papst
den neuen Botschafter der Bundesrepublik am Heiligen Stuhl, Hans-Henning Horstmann.
Ihm sagt er, erfüllt vom Gemeinschaftserlebnis des Glaubensfestes in Bayern:
"All
dies, so meine ich, entbehrt gewiss nicht der gesellschaftlichen Relevanz: Wo Gemeinschaft
wächst und Menschen durch die Botschaft des Glaubens stark im Guten werden, kommt
dies auch dem menschlichen Zusammenleben in der Gesellschaft zugute und bestärkt die
Bürger in ihrer Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung im Sinne des Gemeinwohls.“
(28. September 2006)
Die Beziehungen zwischen Deutschland
und dem Heiligen Stuhl seien gut. Daran lässt der deutsche Hirte keinen Zweifel. Sie
seien Spiegel für das „solide“ Staat-Kirche-Verhältnis in Deutschland selbst. "Bei
früheren Gelegenheiten ist wiederholt auf die gute Zusammenarbeit beider Institutionen
auf verschiedenen Feldern zum Nutzen und Wohl der Menschen in unserer Heimat hingewiesen
worden. Es bleibt zu hoffen, dass das bewährte Zusammenwirken von Kirche und Staat
in Deutschland auch bei sich verändernden politischen Prämissen auf der europäischen
Ebene fortgesetzt und ausgebaut werden kann.“ (28. September 2006)
Das
deutsche Staat-Kirche-Verhältnis ist eng mit der Gesetzgebung verbunden. Der Heilige
Stuhl beobachte alle Veränderungen, das betonte der Papst ausdrücklich. Er schrieb
damit nicht nur dem diplomatischen Mittelsmann eine Präambel fürs Stammbuch, sondern
zeigte auch den Kirchenmännern und -frauen in Deutschland, worauf sie bei ihren Gesprächen
mit Politikern Wert legen sollen. "Ich nenne an erster Stelle den im Grundgesetz
verbrieften Schutz von Ehe und Familie, der … von der Aushöhlung bedroht ist.“ (28.
September 2006) Schuld daran sei ein neues Verständnis von Ehe, Gesetzesvorschläge,
die sich von der "natürlichen Familie“ Vater-Mutter-Kind entfernten. "Die durch
nichts zu rechtfertigende Abtreibung, die nach wie vor vielen unschuldigen ungeborenen
Kindern das Leben kostet, bleibt eine schmerzlich empfundene Sorge des Heiligen Stuhls
und der ganzen Kirche.“ (28. September 2006) Der Papst beobachtet auch die
aktuelle Diskussion um die Spätabtreibungen. Sie soll "bei den politisch Verantwortlichen
das Bewusstsein dafür schärfen, dass die absehbare Behinderung eines Kindes kein Grund
für einen Schwangerschaftsabbruch sein darf, weil auch das behinderte Leben ebenso
wertvoll und von Gott bejaht ist und weil es auf dieser Erde niemals und für niemanden
eine Garantie auf ein Leben ohne körperliche, seelische oder geistige Einschränkungen
geben kann. ... Des weiteren wird der Heilige Stuhl nicht müde, bei den betreffenden
europäischen Institutionen und den einzelnen Nationen auf die ethischen Probleme im
Kontext der embryonalen Stammzellenforschung und der sogenannten 'neuartigen Therapien'
hinzuweisen“. (28. September 2006)
Die Verteidigung der "großen Werte,
die dem menschlichen Leben Sinn geben und seine Würde schützen“, sei die Pflicht der
Kirche. Wenn sie in moralischen Fragen Stellung beziehe, sei das alles andere als
"unrechtmäßige Einmischung“ in die gesetzgeberische Kompetenz des Staates. So redete
Benedikt italienischen Juristen ins Gewissen. Benedikt spricht auch bei dem Thema
Trennung bzw. Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat also als Papst, nicht als Deutscher.
Die Widmung im Stammbuch ist deswegen nicht minder prägnant. Der bayerischen Staatsregierung
redete er im November 2005 ins Gewissen: "Aus dem Fortschritt der Wissenschaften
können ebenso Segen wie Verderben erwachsen. Hier kommt es darauf an, ob jene, die
über rechten Gebrauch oder Missbrauch zu entscheiden haben, dabei bloß den Gesetzen
vordergründigen Nutzens oder aber den Gesetzen Gottes folgen. Männer und Frauen, die
sich ihrer Verantwortung vor Gott, dem Geber allen Lebens, bewusst sind, werden ihr
Bestes tun, damit die unantastbare Würde des Menschen, dessen Leben in allen Phasen
heilig ist, den Umgang mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen bestimmt." (3. November
2005)
In München, bei der großen Predigt über die Schwerhörigkeit gegenüber
Gott waren sie auch Thema gewesen, die kirchlichen Hilfswerke. Der Papst hatte sie
ausdrücklich gelobt. Er präzisierte, als es an der Zeit bzw. an der Reihe war - bei
den Ad Limina-Besuchen der deutschen Bischöfe. "All das Gute der Kirche in unserer
Heimat kenne ich nicht nur aus eigener Anschauung und Erfahrung, sondern auch, weil
mir immer wieder Bischöfe, Priester und andere Besucher aus Europa und aus vielen
Teilen der Welt vom tätigen Wohl berichten, das ihnen seitens kirchlicher Stellen
und Personen zuteil wird.“ (18. November 2006) Doch, so schon in München fein
bemerkt - scheinbar fehlt es mitunter am Tiefgang. Zur Erinnerung: "Die katholische
Kirche in Deutschland ist großartig durch ihre sozialen Aktivitäten, durch die Bereitschaft
zu helfen, wo immer es Not tut. Immer wieder erzählen mir die Bischöfe, zuletzt aus
Afrika, bei ihren Ad Limina-Besuchen dankbar von der Großherzigkeit der deutschen
Katholiken und beauftragen mich, diesen Dank weiterzugeben, was ich hiermit einmal
öffentlich tun möchte. Auch die Bischöfe aus den baltischen Ländern, die vor den Ferien
da waren, haben mir berichtet, wie großartig ihnen deutsche Katholiken beim Wiederaufbau
ihrer durch Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft schlimm zerstörten Kirchen halfen.
Dann und wann aber sagt ein afrikanischer Bischof zu mir: „Wenn ich in Deutschland
soziale Projekte vorlege, finde ich sofort offene Türen. Aber wenn ich mit einem Evangelisierungsprojekt
komme, stoße ich eher auf Zurückhaltung. … Und doch ist es gerade die Erfahrung dieser
Bischöfe, dass die Evangelisierung vorausgehen muss; dass der Gott Jesu Christi bekannt,
geglaubt, geliebt werden, die Herzen umkehren muss, damit auch die sozialen Dinge
vorangehen; damit Versöhnung werde; damit zum Beispiel Aids wirklich von den tiefen
Ursachen her bekämpft und die Kranken mit der nötigen Zuwendung und Liebe gepflegt
werden können.“ (10. September 2006)
Solidarität, Hilfsprogramme, Bistumspartnerschaften
hält der Papst in hohen Ehren, doch er warnt auch hier - wie schon bei den innerkirchlichen
Reformplänen - vor blindem Aktionismus. Soziales und das Evangelium sind nicht zu
trennen. Auf den Glauben, auf Gott kommt es an. Und der ist, so sagt es die erste
Enzyklika des Papstes - die Liebe: "Nun ist es wichtig, darauf zu achten, dass
die Hilfswerke in ihren Programmen und Aktionen wirklich diesem inneren Impuls der
vom Glauben gedrängten Liebe entsprechen.“ (18. November 2006)
Der Dank
und das Lob des Papstes sind also zugleich Ermutigung. Wieder erwächst aus dem Indikativ
ein Imperativ. Der Papst belässt es außerdem nicht bei Hinweisen für die Arbeit im
Allgemeinen sondern weist auf die Situation in den oft politisch zerrissenen Krisengebieten
hin. "Es ist wichtig, darauf zu achten, dass sie nicht in politische Abhängigkeiten
kommen, sondern einzig ihrer Aufgabe der Gerechtigkeit und der Liebe dienen. Dazu
wiederum ist eine enge Zusammenarbeit mit den jeweiligen Bischöfen und Bischofskonferenzen
notwendig, die wirklich die Lage vor Ort kennen und dafür zu sorgen vermögen, dass
die Gabe der Gläubigen aus dem Gewirr politischer und anderer Interessen herausgehalten
und zum Besten der Menschen verwendet wird.“ (18. November 2006)
Die Kirche
könne all das jedoch nicht leisten, ohne die Spendenbereitschaft der deutschen Bevölkerung.
Auch das hat Benedikt im Stammbuch dankbar festgehalten: "Die Kirche in Deutschland
und die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik können sich gottlob einer verbreiteten
und gefestigten Tradition der Weltoffenheit rühmen, wie unter anderem die vielen Initiativen
der Solidarität, besonders zugunsten der Entwicklungsländer, beweisen.“ (18. August
2005)
Zur Information: Die deutschen Katholiken spenden jährlich rund eine
halbe Milliarde Euro für weltkirchliche Aufgaben; zusätzlich zur Kirchensteuer. Denn,
so der Papst: "Deutschland ist ein weltzugewandtes Land.“ (28. September 2006) Dem
deutschen Botschafter bestätigte der Papst auch auf diesem Gebiet ein gutes Verhältnis.
Ohne die Unterstützung des Staates, könnten Hilfswerke wie Adveniat, Misereor, Renovabis,
Kindermissionswerk (und viele andere) nicht arbeiten. Die Idee für die katholischen
Spendenorganisationen entstand übrigens nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach 1945 erfuhren
die Deutschen, wie sehr sie die Hilfe anderer Völker benötigten und trotz historischer
Schuld erhielten. Daraus entwickelten die deutschen Bischöfe in den fünfziger Jahren
den Gedanken, den armen Ländern der südlichen Erdhälfte die partnerschaftliche Zusammenarbeit
anzubieten, um existentielle Nöte der Menschen und soziale Ungerechtigkeiten zu mildern
oder zu beseitigen. Seelsorge und Evangelisierung hatte lange Tradition in den Missionsländern.
Jetzt kam auch kirchliche Entwicklungsarbeit hinzu: in Asien, Afrika, Lateinamerika
und Ozeanien. "Unser Heimatland hat heute seinen festen und anerkannten Platz
in der europäischen Staaten- und Völkergemeinschaft. Und über die Fragen nationalen
Interesses hinaus vergisst Deutschland nicht die Probleme vieler armer Länder in anderen
Teilen der Welt. … In vielen internationalen, humanitären und Menschenrechtsfragen
kann der Apostolische Stuhl mit der vertrauensvollen Zusammenarbeit der Deutschen
Bundesregierung rechnen. Für all dies bin ich und ist die Kirche aufrichtig dankbar.“
(28. September 2006)
Ein anderes Anliegen des Papstes: der Religionsunterricht.
Auch den legte er dem Botschafter ans Herz. "Deutschland kann zu Recht stolz
sein auf seine große Bildungstradition. Die Vermittlung von Bildung an die kommenden
Generationen gehört zu den zentralen Aufgaben, denen sich der Staat zu stellen hat.
Wissen muss zusammen mit Werten vermittelt werden, damit Formung stattfinden kann.
In den meisten deutschen Bundesländern teilt der Staat diese große Herausforderung
mit der Kirche, die durch den Religionsunterricht, der als „ordentliches Lehrfach“
erteilt wird, in den Schulen präsent ist. Vielerorts wird den Schülern und Schülerinnen,
die keiner Kirche oder Religionsgemeinschaft angehören, „religionsneutraler“ Ethikunterricht
erteilt. Dieser Ethikunterricht kann und darf aber keinesfalls „werteneutral“ sein.
Er sollte den Schülern ermöglichen, auch mit der großen Tradition des abendländischen
Geistes vertraut zu werden, der die Geschichte und Kultur Europas geprägt hat und
diese weiterhin inspiriert. Hierbei erscheint es der Kirche wichtig, dass der Ethikunterricht
neben dem konfessionellen Religionsunterricht erteilt wird, ohne diesen in irgendeiner
Form zu verdrängen.“ (28. September 2006)
Dem Botschafter gab der Papst
mit, was staatlicherseits zu Regeln ist. Wie der Religionsunterricht ausschauen soll,
gab er den Bischöfen mit auf den Weg. Eine Stärke des Papstes: Alles zu seiner Zeit.
Er spricht dann, wenn es nötig ist, und vermischt die Sachverhalte nicht. Jeder Schuster
soll bei seinen Leisten bleiben. Im Stammbuch der deutschen Bischöfe steht für den
Religionsunterricht also: "In der Vergangenheit wurde nicht selten der Inhalt
der Katechese gegenüber den didaktischen Methoden in den Hintergrund gedrängt. Die
ganzheitliche und verständliche Vergegenwärtigung der Glaubensinhalte ist ein entscheidender
Gesichtspunkt bei der Genehmigung von Lehrbüchern für den Religionsunterricht. Nicht
minder wichtig ist auch die Treue der Lehrenden zum Glauben der Kirche und ihre Teilnahme
am liturgischen und pastoralen Leben der Pfarreien oder kirchlichen Gemeinschaften,
in deren Gebiet sie ihren Beruf ausüben. In den katholischen Schulen kommt es darüber
hinaus darauf an, dass Einführung in katholische Weltsicht und Glaubenspraxis sowie
ganzheitliche religiöse Persönlichkeitsbildung nicht nur im Religionsunterricht sondern
im gesamten Schulalltag – nicht zuletzt durch das persönliche Zeugnis der Lehrer –
überzeugend vermittelt werden.“ (10. November 2006)
Auch die Religionslehrer
selbst sollen bei ihren Leisten bleiben. Man könnte den Papst auch so verstehen, dass
sie ihre Werkstatt mal wieder abstauben sollen, so, dass wieder alles blinkt und blankt,
dass der gute Duft wieder nach draußen dringt… "Liebe Religionslehrer und Erzieher!
Euch bitte ich von Herzen, die Frage nach Gott, nach dem Gott, der sich uns in Jesus
Christus gezeigt hat, in der Schule gegenwärtig zu halten. Ich weiß, dass es schwer
ist, in unserer pluralistischen Welt den Glauben in der Schule zur Sprache zu bringen.
Aber es reicht eben nicht, wenn die Kinder und jungen Menschen in der Schule nur Kenntnisse
und technisches Können, aber keine Maßstäbe erlernen, die der Kenntnis und dem Können
Richtung und Sinn geben. Regt die Schüler an, nicht nur nach diesem und jenem zu fragen,
sondern nach dem Woher und Wohin unseres Lebens. Helft ihnen zu erkennen, dass alle
Antworten, die nicht bis zu Gott hinkommen, zu kurz sind.“ (10. September 2006)
Bei
der Vesper im Münchner Liebfrauendom hinterließ Papst Benedikt den Religionslehren
und Katecheten diese Widmung. Was er engagierten Laien, allen Christen und damit auch
den anderen christlichen Konfessionen in den ersten Amtsjahren mitgegeben hat, hören
Sie in der nächsten Folge dieser Radioakademie. Alle will der Papst anregen, "nicht
nur nach diesem und jenem zu fragen, sondern nach dem Woher und Wohin unseres Lebens.“