Seit Beginn dieses
Jahres hat Deutschland die Ratspräsidentschaft inne. Die Erwartungen sind hoch auf
allen Seiten. Wir haben darüber mit Bernhard Vogel gesprochen; der CDU-Politiker war
früher Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen und steht nun der Konrad-Adenauer-Stiftung
vor. Eine wichtige Herausforderung für die deutsche Ratspräsidentschaft ist EU-Verfassung.
Ist sie noch zu retten?
„Zunächst bin ich davon überzeugt, dass Europa einen
solchen Verfassungsvertrag braucht, damit es handlungsfähig bleibt und damit klar
ist, was dieses Europa und was seine Ziele sind. Die Lage ist schwierig, die Mehrheit
der europäischen Bevölkerung hat dem Entwurf zugestimmt. Aber zwei Länder haben nein
gesagt. Man muss, und das wird die Aufgabe der deutschen Ratspräsidentschaft sein,
klar machen, wie es weiter gehen soll.“
Was kann man dafür tun?
„Da
gibt es verschiedene Wege. Ich selber den ersten und zweiten Teil des Vertrags für
unverzichtbar. Während man meines Erachtens über den dritten Teil, der sehr umfangreich
ist, der sehr schlecht formuliert ist, möglicherweise für entbehrlich.“
Wie
sehen Sie die Chance für die Festschreibung des Gottesbezugs, der ja im Entwurf fehlt?
„Was
den Gottesbezug betrifft, so glaube ich: Wir Deutsche und natürlich erst recht wir
Christen und Katholiken sollten daran festhalten, dass es diesen Gottesbezug in der
Präambel geben sollte. Ich weiß allerdings auch, dass das in Frankreich auf sehr große
Schwierigkeiten stößt und deswegen ist mir letztendlich die Sache wesentlicher als
die Formulierung. Das heißt, es muss klar sein, dass dieses Europa auf einem festen
Fundament ruht, und zu dem gehört die Antike, gehört das Judentum, gehört das Christentum
und gehört die Aufklärung.“
Ist denn nicht inzwischen doch eine Mehrheit
der Europäer europamüde?
„Weil wir Europamüde sind, brauchen wir den Verfassungsvertrag,
weil wir den Verfassungsvertrag nicht haben, sind wir europamüde. Es muss ein neuer
Impuls ausgehen und der besteht meines Erachtens vor allem darin, dass wir uns einmal
klar werden, was das Ziel der europäischen Einigung ist, wo die Grenzen Europas sind
und wie wir mit den Nachbarn, die wir immer haben werden, gleich wer Mitglied ist,
umgehen an den Außengrenzen von Europa!“
Es wollen ja noch sehr viel mehr
Länder der EU beitreten…
„Wir sollten zunächst einmal die Aufnahmefähigkeit
Europas in den Vordergrund rücken und nicht die Aufnahmewünsche sehr viele Länder.
Wir hätten das besser schon vor Jahren getan, das war nicht hat möglich. Aber je mehr
Mitglieder, um so schwieriger wird diese Ortsbestimmung Europas. Darum werbe ich dafür,
dass man jetzt erste einmal selber die eigene Identität bestimmt und erst dann über
neue Aufnahmen wieder spricht, über die man natürlich reden muss. Denken Sie an den
Balkan, denken Sie an die begonnenen Verhandlungen mit der Türkei, denken Sie an die
Ukraine. Das ist alles richtig, aber es muss Vorrang haben die Funktionsfähigkeit
der Mitgliedsländer selber. Ich begrüße, dass Rumänien und Bulgarien aufgenommen worden
sind, denn sie gehören fraglos hinzu. Ich leugne aber nicht: Mit jedem weiteren Mitglied
wird die notwendige Ortsbestimmung noch schwieriger.“
Das heißt Europa
muss sich erst einmal auf sich selber besinnen?
„Es braucht auch einer vertieften
inhaltlichen Diskussion, uns es braucht auch neuer funktionsfähiger Regelungen, wie
Entscheidungen beigeführt werden, welche Zuständigkeiten bei Europa, welche Zuständigkeiten
bei den Nationalstaaten liegt. Europa ist eine großartige Idee, an der ich selbstverständlich
festhalte, aber es muss funktionsfähig bleiben. Ich würde die Erwartungen an die deutsche
Ratspräsidentschaft nicht zu hoch setzen, dann kann man hinterher nur noch mehr Enttäuschung
formulieren. Aber ich erwarte mir von dem erfolgreichsten und wirtschaftlich stärksten
Land in Europa neue Impulse, sowie das früher zu Zeiten Helmut Kohls auch von Deutschland
ausgegangen ist – immer mit dem Blick auf die bevölkerungskleinen Mitgliedsstaaten,
die nicht die Sorge haben dürfen, die Großen bestimmen, was die Kleinen machen dürfen,
die von vorneherein voll integriert sein müssen. Hier ist in den letzten Jahren manches
versäumt worden, was jetzt nachgeholt werden muss.“
Manche sehen in Europa
auch deswegen eine Gefahr, weil in anderen Ländern Fragen nach dem Lebensschutz oder
der Machbarkeit von Genforschung unterschiedlich gesehen wird…
„In dieser
Frage bin ich entscheiden der Meinung, dass man die Entscheidung nicht nach Mehrheiten
in Europa richten kann, sondern dass das zu den Grundfragen gehört, die jedes Land
nach seiner Verantwortung entscheiden muss. Bei Deutschland scheint mir die Sache
völlig klar: Es herrscht Freiheit von Forschung und Wissenschaft, aber auch Forschung
und Wissenschaft stehen unter dem Vorbehalt: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Dieser Grundsatz im Artikel 1 unseres Grundgesetzes ist allem anderen – auch der Wissenschaftsfreiheit!
– übergeordnet.“
Ausgelöst durch die Klimaprobleme und die unsichere Gasversorgung
aus Russland sind in letzter Zeit immer wieder Stimmen laut geworden, man müsse den
Ausstieg aus der Kernkraft überdenken. Wie stehen Sie hierzu?
„Also meine
Position ist da völlig klar, ich bin für eine weitere Nutzung der Atomenergie und
vor allem dafür, dass man in Deutschland nicht sichere Kernkraftwerke abschaltet und
den Strom aus unsicheren Kernkraftwerken aus der europäischen Nachbarschaft um uns
herum bezieht. Das scheint mir ein Widerspruch zu sein. Allerdings muss ich akzeptieren,
dass die gegenwärtige große Koalition, die ja ein Bündnis auf Zeit und nicht auf Ewigkeit
ist, dass die in dieser Sache nicht handlungsfähig ist, weil einer der beiden Koalitionspartner
über diese Frage nicht mit sich reden lässt. Zusammenfassend: Man muss über dieses
Thema weiter sprechen, auch wenn man akzeptieren muss, dass bis zum Ende dieser Legislaturperiode
die Bundesregierung hier keine neuen Beschlüsse wird fassen können.“ (rv
140107 mc)