2007-01-03 17:45:03

Der Papst an die deutsche Kirche - Teil 1


RealAudioMP3 "Ich würde nicht einfach sagen, dass der deutsche Katholizismus müde ist. Müdigkeiten gibt es überall…"

Er lächelt, dieser Papst. Er lächelt über die in seinen Augen und Ohren viel zu kritische Frage des Journalisten, kurz vor dem Abflug zur Bayernreise im September 2006.


"Ich habe in diesen Wochen der Vorbereitung gesehen, wie viel Dynamik da ist. Unglaublich, wer alles mit wie viel Energie sich eingesetzt hat. Ich weiß gar nicht, wie ich da danken soll. Es kann sich nicht auf meine Person beziehen, es kann sich nur darauf beziehen, dass wir gemeinsam Kirche sein wollen, dass wir gemeinsam eine Kraft des Friedens für die Nation und für die Welt sein möchten. Insofern fliege ich mit großen Hoffnungen nach Hause und bin dankbar für alles, was ich gesehen habe, was zeigt: So müde ist der deutsche Katholizismus nicht, wie manche meinen."

Den "Panzerkardinal" gibt es nicht mehr. Der gestrenge "Großinquisitor“ ist aus der deutschen Öffentlichkeit verschwunden. So vielfältig und hart die Kritik noch nach der Papstwahl, so unisono und nahezu liebevoll jetzt die Begeisterung.


"Wir sind in Deutschland gewöhnt, und ich als Professor auch ganz besonders, dass man vor allem Probleme sieht. Aber zunächst, glaube ich, sollten wir uns doch auch sagen, dieses ganze ist nur möglich geworden, weil es in Deutschland trotz aller Nöte der Kirche, trotz alles Fragwürdigen, was auch bestehen mag, doch wirklich eine lebendige Kirche gibt, eine Kirche, in der so viel Positives da ist, so viele Menschen, die bereit sind, sich für ihren Glauben einzusetzen, ihre Freizeit dafür herzugeben, auch Geld oder sonst etwas von ihren Dingen beizusteuern, einfach mit ihrer lebendigen Existenz beizutragen." (21. August 2005) Das waren Benedikts Worte nach dem Weltjugendtag von Köln.


Was hat der Papst seinen Landsleuten schon ins Stammbuch geschrieben? Gelegenheiten gab es viele. Doch eine ist beispielhaft: die erste Predigt während der Pastoralreise durch Bayern. Auf dem Gelände der Neuen Messe in München-Riem hat der Oberhirte der katholischen Kirche seinen Eintrag ins Gästebuch hinterlassen.


"Macht die Ohren auf für Gott!“ So kurz wie schwer ist diese Quintessenz der bis dahin prägnantesten Predigt seiner Amtszeit. "Die katholische Kirche in Deutschland ist großartig durch ihre sozialen Aktivitäten, durch ihre Bereitschaft zu helfen, wo immer es Not tut", so der Papst. Aber er warnte vor blindem Aktionismus: "Offenbar herrscht da doch bei manchen die Meinung, … die Dinge mit Gott oder gar mit dem katholischen Glauben, die seien doch eher partikulär und nicht gar so wichtig."
Benedikt berichtete von den Gesprächen und Erfahrungen der Bischöfe aus Afrika und Asien, die ihm auch den Dank für alle Hilfe der deutschen Kirche aufgetragen hätten. Jede Silbe, jedes Komma saß, in diesem Gästebucheintrag. Aber der erhobene Zeigefinger des Glaubenshüters, der in seinem Heimatland so kritisiert war, der fehlte. Es schien, als wolle er Gläubige wie Würdenträger beim Ohr packen und sagen, kommt mit, ich habe euch etwas zu sagen.
"Das Evangelium lädt uns ein, wieder zu erkennen, dass es bei uns ein Defizit in unserer
Wahrnehmungsfähigkeit gibt – einen Mangel, den wir zunächst gar nicht als solchen spüren, weil ja alles andere sich durch seine Dringlichkeit und Einsichtigkeit empfiehlt; weil ja scheinbar alles normal weitergeht, auch wenn wir keine Ohren und Augen mehr für Gott
haben und ohne ihn leben."
Doch da saß nicht der Professor am Katheder; da erzählte ein lebensweiser Mann auf dem Hintergrund seiner Erfahrungen:
"Das Soziale und das Evangelium sind nicht zu trennen. Wo wir den Menschen nur Kenntnisse bringen, Fertigkeiten, technisches Können und Gerät, bringen wir zu wenig. Dann treten die Techniken der Gewalt ganz schnell in den Vordergrund und die Fähigkeit zum Zerstören, zum Töten wird zur obersten Fähigkeit, um Macht zu erlangen, die dann irgendwann einmal das Recht bringen soll und es doch nicht bringen kann: Man geht so nur immer weiter fort von der Versöhnung, vom gemeinsamen Einsatz für Gerechtigkeit und Liebe. Die Maßstäbe, nach denen Technik in den Dienst des Rechts und der Liebe tritt, gehen verloren, aber auf diese Maßstäbe kommt alles an."
Diese Maßstäbe seien nicht nur Theorien, sondern brächten Verstand und Tun auf den rechten Weg, so der Papst, bevor er fortfuhr mit seinem Verweis auf andere Länder:
"Die Völker Afrikas und Asiens bewundern zwar unsere technischen Leistungen und unsere Wissenschaft, aber sie erschrecken zugleich vor einer Art von Vernünftigkeit, die Gott total aus dem Blickfeld des Menschen ausgrenzt und dies für die höchste Art von Vernunft ansieht, die man auch ihren Kulturen aufdrängen will. Nicht im christlichen Glauben sehen sie die eigentliche Bedrohung ihrer Identität, sondern in der Verachtung Gottes und in dem Zynismus, der die Verspottung des Heiligen als Freiheitsrecht ansieht und Nutzen für zukünftige Erfolge der Forschung zum letzten ethischen Maßstab erhebt. Liebe Freunde! Dieser Zynismus ist nicht die Art von Toleranz und kultureller Offenheit, auf die die Völker warten und die wir alle wünschen."
Zuallererst brauche es Ehrfurcht vor Gott. Doch in der westlichen Welt, das betonte Benedikt ausdrücklich, müsse dafür zunächst der Glaube wieder erwachen, müsse Gott in der Gesellschaft wieder präsent werden.
"Wir drängen diesen Glauben niemandem auf: Diese Art von Proselytismus ist dem
Christlichen zuwider. Der Glaube kann nur in Freiheit geschehen. Aber die Freiheit der
Menschen rufen wir an, sich für Gott aufzutun; ihn zu suchen; ihm Gehör zu schenken. Wir, die wir hier sind, bitten den Herrn von ganzem Herzen, dass er wieder sein Ephata zu uns sagt; dass er unsere Schwerhörigkeit für Gott, für sein Wirken und sein Wort heilt, uns sehend und hörend macht. Wir bitten ihn, dass er uns hilft, wieder das Wort des Gebetes zu finden, zu dem er uns in der Liturgie einlädt; dessen ABC er uns im Vaterunser geschenkt hat."
Es gab Applaus. Aber nicht jubelnd, nicht lang anhaltend, weder von Bischöfen noch von Gläubigen. Es war dieses bedächtige, überlegende, zustimmende Kopfnicken das über das Münchner Messegelände ging. Der Papst hat hier die Soll- und Habenseite seiner Deutschlandbilanz offengelegt. Die größten Titel wiederholt er von Zeit zu Zeit in Ansprachen und Gesprächen mit Verantwortlichen der deutschen Kirche.


Joseph Ratzinger persönlich ist die Heimat wichtig. Bundespräsident Horst Köhler hat ihm wohl aus der Seele gesprochen, als er ihn auf dem Münchner Flughafen begrüßte:
"Heimat: Das ist mehr als eine bestimmte Landschaft, Heimat, das sind Lebensweisen, Bräuche, das ist Musik und Literatur, das sind Überzeugungen, das ist eine ganz bestimmte Art, auf der Welt zu sein. Und Heimat, das sind menschliche Beziehungen, Freunde, Kameraden, Familienangehörige und ganz besonders natürlich die Geschwister und die Eltern. Wenn wir sagen, wir haben eine Heimat, dann sagen wir auch: Wir haben uns nicht allein aus uns selbst gemacht und gestaltet. Wir verdanken uns Anderem und Anderen. Wenn wir sagen, wir haben eine Heimat, dann bekennen wir uns auch zu unserer Begrenztheit und zu einer ganz bestimmten Form, die unser Leben geprägt hat." (9. September 2006)


Seine Seele sei voll Erinnernungen, sagte der Papst einmal. Und deshalb fühle er sich oft gar nicht weit weg von daheim, denn er könne "in den Landschaften der Erinnerung herumwandern".


Besuche aus der Heimat empfängt er dennoch gerne, so auch die Abordnung der bayerischen Gebirgsschützen: "Nach zwei Weltkriegen gibt es viele Menschen, die gleichsam "entwurzelt" sind, die nie erfahren haben, was Heimat bedeutet, wie sehr ein Beheimatet-Sein dem Menschen innere Sicherheit verleihen kann, weil es eben mehr ist als ein rein geographisches Faktum. Für uns beinhaltet es zugleich eine Verwurzelung im christlichen Glauben, der Bayern und ganz Europa zutiefst geprägt hat und der unserem Leben seinen eigentlichen Sinn verleiht. Dieser Glaube hat sich in unserem Land wie auch in anderen Regionen spezielle Ausdrucksformen geschaffen - von der barocken Pracht unserer Kirchen bis zum bescheidenen Wegkreuz zwischen den Feldern, von den feierlichen Fronleichnamsprozessionen bis zu kleinen Pilgergängen zu den zahlreichen Wallfahrtsorten, von der großen Kirchenmusik bis zum alpenländischen Volkslied." (13. Mai 2006)


Heimatverbundenheit bleibt für Joseph Ratzinger nicht sentimentale Gefühlsduselei. Für den Papst ist das auch Interesse an und Wissen um die Realitäten Land und Kirche. Davon konnten sich nicht zuletzt die deutschen Bischöfe bei ihren jüngsten Ad Limina-Besuchen überzeugen.
"Die Bundesrepublik Deutschland teilt mit der ganzen westlichen Welt die Situation einer von der Säkularisierung geprägten Kultur, in der Gott immer mehr aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwindet, die Einzigkeit der Gestalt Christi verblasst und die von der kirchlichen Tradition geformten Werte immer mehr an Wirkkraft verlieren. So wird auch für den einzelnen der Glaube schwieriger; die Beliebigkeit an Lebensentwürfen und Lebensgestaltungen nimmt zu. Dieser Situation sehen sich Hirten wie Gläubige der Kirche gegenübergestellt. Nicht wenige hat deshalb Mutlosigkeit und Resignation befallen, Haltungen, die das Zeugnis für das befreiende und rettende Evangelium Christi hindern. Ist das Christentum nicht am Ende doch auch nur eines von vielen anderen Angeboten zur Sinnstiftung? So fragt sich manch einer. Zugleich aber schauen angesichts der Brüchigkeit und Kurzlebigkeit der meisten dieser Angebote viele wieder fragend und hoffend auf die christliche Botschaft und erwarten von uns überzeugende Antworten." (10. November 2006)

"Die Kirche in Deutschland muss [diese] Situation als providentielle Herausforderung erkennen und sich ihr mutig stellen. Wir Christen brauchen keine Angst vor der geistigen Konfrontation mit einer Gesellschaft zu haben, hinter deren zur Schau gestellter intellektueller Überlegenheit sich doch Ratlosigkeit angesichts der letzten existentiellen Fragen verbirgt. Die Antworten, die die Kirche aus dem Evangelium des menschgewordenen Logos schöpft, haben sich fürwahr in den geistigen Auseinandersetzungen zweier Jahrtausende bewährt; sie sind von bleibender Gültigkeit. Von diesem Bewusstsein bestärkt können wir zuversichtlich all denen Rede und Antwort stehen, die uns nach dem Grund der Hoffnung fragen, die uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3, 15)." (10. November 2006)


Benedikt weiß auch um die Strukturprobleme, um die Finanzsorgen. Reformen sind notwendig. Doch: "Die Suche nach Reform kann leicht in einen äußerlichen Aktivismus abgleiten, wenn die Handelnden nicht ein echtes geistliches Leben führen und die Beweggründe für ihr Tun nicht beständig im Licht des Glaubens prüfen. Dies gilt für alle Glieder der Kirche: für Bischöfe, Priester, Diakone, Ordensleute und alle Gläubigen.“ (18. November 2006)

Was Benedikt kann: Kritik nicht als solche äußern. Er hat keine Erwartungen, keine Wunschzettel. Er lobt. Oder er formuliert scheinbare Selbstverständlichkeiten. Schönfärberei ist das nicht. Eher motivierende Mitarbeiterführung.


"Ich bin ganz sicher, dass Ihr, verehrte Mitbrüder, die Erstellung dieser Konzepte nicht kühlen Planern überlasst, sondern nur solchen Priestern und Mitarbeitern anvertraut, die nicht nur über die notwendige vom Glauben erleuchtete Einsicht und über eine entsprechende theologische, kanonistische, kirchenhistorische und praktische Bildung sowie über pastorale Erfahrung verfügen, sondern denen die Rettung des Menschen wahrhaft am Herzen liegt, die sich also, wie wir früher gesagt hätten, durch 'Seeleneifer' auszeichnen und für deren Denken und Handeln das ganzheitliche und damit das ewige Heil des Menschen die suprema lex ist. Vor allem werdet Ihr nur solchen strukturellen Reformen Eure Zustimmung geben, die voll und ganz mit der Lehre der Kirche über das Priestertum und den rechtlichen Normen im Einklang stehen und bei deren Umsetzung die Anziehungskraft des Priesterberufs nicht gemindert wird." (18. November 2006)

Ratzingers Vorgänger war der Papst der Weltjugendtage, ein Papst der Jugend. Benedikt XVI. - so schien es - könne das gar nicht werden. 1. sein Alter; 2. seine Vergangenheit als gestrenger Glaubenshüter. Er belehrte uns alle eines besseren.
"Die Kirche ist gar nicht alt und unbeweglich. Nein, sie ist jung." (25. April 2005) So sein Ausruf am Tag nach seiner Amtseinführung in einer Sonderaudienz für die deutschen Pilger.
"Und wenn wir auf diese Jugend schauen, die sich um den verstorbenen Papst und letztlich um Christus scharte, für den er eingestanden war, dann wurde etwas nicht minder Tröstliches sichtbar: Es ist gar nicht wahr, dass die Jugend vor allem an Konsum und an Genuss denkt. Es ist nicht wahr, dass sie materialistisch und egoistisch ist. Das Gegenteil ist wahr: Die Jugend will das Große. Sie will, dass dem Unrecht Einhalt geboten ist. Sie will, dass die Ungleichheit überwunden und allen ihr Anteil an den Gütern der Welt wird. Sie will, dass die Unterdrückten ihre Freiheit erhalten. Sie will das Große. Sie will das Gute." (25. April 2005)

Benedikt XVI. ist kein Mann der Parolen und keiner der Schlaglichter. Er wählt seine Worte entsprechend der Situation und entsprechend des Publikums. In jedes Stammbuch schreibt er eine andere Widmung. Was ihn auszeichnet - gerade im Umgang mit den deutschen: Klarheit. Offenheit. Zuneigung.
"Gehen wir miteinander, halten wir zusammen. Ich vertraue auf Eure Hilfe. Ich bitte Euch um Nachsicht, wenn ich Fehler mache wie jeder Mensch oder wenn manches unverständlich bleibt, was der Papst von seinem Gewissen und vom Gewissen der Kirche her sagen und tun muss. Ich bitte Euch um Euer Vertrauen. Halten wir zusammen, dann finden wir den rechten Weg." (25. April 2005)

Der Weg Benedikts mit der deutschen Kirche hat viele Stationen und Wegkreuze. Welche, das hören Sie in den nächsten Folgen dieser Radio-Akademie.


(rv/Birgit Pottler)







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