Dritter Tag. Bilanz Ein großer, ein historischer Tag zweifellos. Zunächst
das orthodoxe Andreasfest unter Teilnahme des Papstes. Anstrengend war`s, das sah
man dem müden Gesicht Benedikts an, aber auch eine bewegende Erfahrung der Einheit.
An der Umarmung zwischen Benedikt und Patriarch Bartholomaios war nichts Gekünsteltes
– hier haben zwei Kirchenmänner zu einer direkten persönlichen Beziehung gefunden,
und das ist Gold wert im ökumenischen Gespräch. Erst recht, wenn es um den Orient
geht und den Osten, das Terrain der historischen Verwicklungen und der tragischen
Missverständnisse. Historisch auch die Gemeinsame Erklärung von Papst und Patriarch.
Da wird die Einheit feierlich als Ziel beider Kirchen proklamiert; da wird vom „christlichen
Erbe Kleinasiens“ und nicht nur Europas gesprochen; da wird Religionsfreiheit als
Meßlatte der Zugehörigkeit zu Europa definiert. Wenn nicht alles täuscht, dann knüpfen
Benedikt und Bartholomaios direkt an das gute Einvernehmen von Paul VI. und Athenagoras
I. an, das in den sechziger Jahren bahnbrechend wurde für eine Versöhnung beider Kirchen.
Johannes Paul II. war es 1979 anscheinend nicht gelungen, zum damaligen Patriarchen
Dimitrios, den er im Phanar besuchte, ein ähnlich gutes Verhältnis aufzubauen. Und
dann diese Bilder, wie Benedikt XVI. in Strümpfen durch die Blaue Moschee geht, freundlich
lächelnd, den etwas weitschweifigen Erläuterungen des Großmuftis von Istanbul lauschend.
Das Bild des Tages, kein Zweifel. Bis vor kurzem glaubten alle, das sei erst der zweite
Besuch eines Papstes in einer Moschee überhaupt. Großer Vorläufer: Johannes Paul II.
im Jahr 2001 in der Großen Moschee von Damaskus. Erst an diesem Donnerstag sickerte
aus dem Vatikan durch, Johannes Paul sei schon 1979 in ebendieser Blauen Moschee von
Istanbul herumspaziert – aber heimlich, als Tourist. Hätte man das damals schon gewusst
– die Nachricht wäre ein journalistischer Scoop gewesen. Fast muss man darüber lachen,
dass sowohl Mufti wie Papst auf die Darstellung von Friedenstauben als Geschenke verfallen
waren. Man merkt daran, wie nötig und wie beidseitig diese Friedensbeteuerung zwischen
den beiden Religionen… war. Oder ist. Wo bleiben bei all dem die (wenigen) Katholiken
der Türkei? Sie hatten zwar ihre Messe in Ephesus am Mittwoch, aber an diesen entlegenen
Ort konnten nur ein paar hundert Menschen hinkommen. Bisher dürften sie sich vom Papst
in der Türkei etwas vernachlässigt fühlen. Aber sie haben ja noch am Freitag früh
ihre Messfeier in der Kathedrale von Istanbul mit dem Papst. Mit seiner hartnäckigen
Freundlichkeit hat Benedikt XVI. es verstanden, die anfängliche Reserviertheit der
meisten Türken aufzubrechen. Die kleine Demonstration von Papstgegnern am Abend an
der Hagia Sophia mit angeblich nur fünfzig Teilnehmern kam gegen seine sanftpfötige
Charme-Offensive nicht an. „Ich liebe diesen Papst“, schrieb an diesem Donnerstag
der Leitartikler einer Zeitung. Wer hätte das vor kurzem gedacht… Man sollte sich
daran erinnern, wenn in Kürze wieder der Alltag einkehrt. In der Türkei. In der Ökumene.
In der kleinen christlichen Herde von Kleinasien. (rv 30.11.06 sk)
Der
Papst in der Hagia Sophia Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen hat Papst
Benedikt XVI. die Hagia Sophia in Istanbul besucht. Einst eine byzantinische Kirche,
danach Moschee, ist das fast 1500 Jahre alte Bauwerk heute ein Museum. Lange vor
dem Eintreffen Benedikts waren Plätze und Straßen in der Umgebung weiträumig abgesperrt
worden. Hubschrauber kreisten über der historischen Altstadt. Eine Gruppe türkischer
Nationalisten hatte noch Stunden zuvor in der Nähe gegen den Besuch des Papstes in
der Hagia Sophia demonstriert. Das Bauwerk sei türkisch und werde türkisch bleiben,
schrieben sie auf Bannern und forderten die Öffnung der Hagia Sophia für muslimische
Gebete. Das Gebäude wurde im 6. Jahrhundert als christliche Kirche errichtet und 1453
nach der türkischen Eroberung Konstantinopels als Moschee genutzt. Inzwischen ist
die Hagia Sophia ein Museum. Geführt wurde der Papst in der Hagia Sophia vom Istanbuler
Gouverneur, Muammer Güler, und dem Direktor des in dem Gebäude befindlichen Museums,
Haluk Ozozlu. Nach der Visite wollte das Oberhaupt der katholischen Kirche die Blaue
Moschee besichtigen. Damit ist Benedikt erst der zweite Papst nach Johannes Paul II.,
der ein muslimisches Gotteshaus betritt. In Istanbul protestierten einige Dutzend
Demonstranten gegen den Besuch des Papstes. Benedikt hatte den Besuch des muslimischen
Gotteshauses als Geste der Versöhnung gegenüber dem Islam kurzfristig in sein Programm
aufgenommen. Es ist sein erster Aufenthalt in einer Moschee seit seinem Amtsantritt
vor einem Jahr und der zweite eines Papstes überhaupt. Benedikts Vorgänger Johannes
Paul II. hatte 2001 im syrischen Damaskus eine Moschee besucht. (rv 30.11.06 mg)
Lombardi
hofft auf Verbesserung für Christen P. Federico Lombardi, Leiter des vatikanischen
Pressesaales, ist im Tross rund um Papst Benedikt. Unsere Kollegen von der italienischen
Abteilung haben P. Lombardi nach seinen Eindrücken über die interreligiöse Bedeutung
der Türkeireise des Papstes gefragt.
„Benedikt XVI. konnte grundlegende
Prinzipien des Dialogs mit den Moslems unterstreichen, etwa im Gespräch mit dem Leiter
der Religionsbehörde, Ali Bardakoglu. Bei diesem Treffen waren ja auch die beiden
Großmuftis von Istanbul und Ankara dabei, bedeutende Persönlichkeiten der muslimischen
Gemeinde. Benedikt hat nochmals die Prinzipien des Dialogs und des gegenseitigen Respekts
betont, von denen er schon in den vergangenen Monaten mehrmals gesprochen hat; und
er hat die Gemeinsamkeiten betont, den Glauben an einen einzigen Gott, die gemeinsame
Sorge für die spirituelle Dimension des Menschen in der heutigen säkularisierten Welt.
Damit kann der interreligiöse Dialog weiter arbeiten.“
Auch die Religionsfreiheit
hat Benedikt gegenüber seinen muslimischen Gesprächspartnern nicht ausgespart.
„Dieses
Thema muss in der Türkei vertieft werden, denn es ist in der türkischen Verfassung
präsent. Sie garantiert als laizistischer Staat ausdrücklich das Recht auf Religionsfreiheit.
Vielleicht zeigt sich das eher beim Kult oder beim spirituellen Leben der Individuen
und weniger im Leben der Religionsgemeinschaften. Es gab auch einen Moment – in einem
Gespräch des Papstes mit dem Vize-Premier – in dem konkrete Probleme angesprochen
wurden, vor denen katholische Gemeinden in der Türkei stehen. Da ging es um Privateigentum
und auch um den Wunsch nach einem Treffen zwischen Regierung und Religionsvertretern,
damit man diese Probleme angehen kann. Alles in allem ist das ein positiver Weg, der
auch zur Verbesserung des Glaubenslebens der katholischen Gemeinschaften beitragen
kann.“ (rv 30.11.06 gs)
Missio-Experte, „Papst kommt
türkischen Interessen gelegen“ Mit Argusaugen beobachtet Otmar Oehring die
Papstreise durch die Türkei. Oehring ist in Ankara aufgewachsen, leitet die Abteilung
Menschenrechte beim kirchlichen deutschen Hilfswerk Missio und besucht häufig die
Christen in der Türkei. Nach seinem Eindruck ist die Reise bisher sehr gut verlaufen;
in Ephesus etwa gefiel ihm, wie sich die türkische Polizei dort zurückgehalten hat.
Zum Besuch in Istanbul meint Oehring:
„Gestern Abend hat es hier wohl
im Patriarchat Schwierigkeiten gegeben, weil sehr viele Leute nicht hereingelassen
wurden und am Ende dann doch eine sehr kleine Gemeinde in der Kirche zu sehen war,
und so ging das dann auch über die Fernsehschirme. Einige Leute haben den Eindruck,
dass das mit Absicht so gemacht wurde, um den Leuten zu zeigen, wie unbedeutend das
Patriarchat doch ist.“
Heute früh allerdings erlebte Oehring am Ökumenischen
Patriarchat das genaue Gegenteil: Da reichte es, seinen Pass zu hinterlegen, um die
Kirche zu betreten - also sehr positiv.
„Es scheint allerdings im Vorfeld,
wie man aus dem Umfeld des Ökumenischen Patriarchats hört, das absolute Tohuwabohu
bei der Vorbereitung der Visite auf seiten der türkischen Behörden gegeben zu haben,
wohl weil die Behörden hier in Istanbul absolut keine Erfahrung mit der Vorbereitung
solcher Großereignisse haben, abgesehen vom Bush-Besuch vor zwei Jahren.“
Mit
Spannung war erwartet worden, wie die Begegnungen des Papstes mit Politikern in Ankara
verlaufen würden. Oehring rät dazu, sich nichts vorzumachen.
„Die türkischen
Behörden nutzen natürlich alles, was der Papst gesagt oder auch vermutlich nicht gesagt
hat, zu ihren Gunsten. Beispiel: dass Herr Erdogan gleich nach seinem kurzen Gespräch
mit dem Heiligen Vater erklärt hat, dieser unterstütze die Türkei auf ihrem Weg in
die EU. Das ist sicherlich Propaganda, die sein muss für das türkische Wahlvolk –
in den nächsten Jahren sind zwei Wahlen.“
Aber nicht nur türkische
Politiker instrumentalisieren den Papst – ein bisschen tut es auf seine Weise auch
Patriarch Bartholomaios.
„Das kann ein Hintergedanke sein bei der Einladung
des Patriarchen Bartholomaios in das Patriarchat. Natürlich ist der Besuch des Heiligen
Vaters ein Geschenk für den Ökumenischen Patriarchen. Interessant ist in dem Zusammenhang,
dass das türkische Fernsehen ausgeschlossen worden ist von der Übertragung der Göttlichen
Zeremonie aus dem Patriarchat und an seiner Stelle das griechische Fernsehen genommen
worden ist – da hat natürlich Bartholomaios die Situation genutzt und demonstriert,
dass er der Hausherr im Ökumenischen Patriarchat ist. Während die Türken im Gegenteil
davon ausgehen, dass das eine türkische Institution ist, in der zwangsläufig der türkische
Staat das Hausrecht hat und damit auch das türkische Fernsehen.“
Ähnlich
gelagert: der Streit um die von Bartholomaios ausgegebenen Presseausweise. Auf ihnen
prangt groß die Aufschrift „Ökumenisches Patriarchat“, weswegen die Polizei die Pressestelle
kurzzeitig schließen ließ.
„Beide Seiten spielen natürlich mit dieser
Frage, die in der Türkei hochpolitisch ist. Hier darf es nicht „Ökumenisches“ Patriarchat
heißen, obwohl es dafür keinen nachvollziehbaren Grund gibt, und auf der anderen Seite
hält der Patriarch natürlich zu Recht am Titel „Ökumenisch“ fest.“
An
diesem Donnerstag-Abend nun der Besuch des Papstes in der Blauen Moschee von Istanbul
– was denken türkische Moslems, die diese Szene am Fernsehschirm verfolgen? Menschenrechts-Experte
Oehring hat vor allem mit Taxifahrern darüber gesprochen.
„Wenn der
Papst nur die Hagia Sophia besucht hätte, dann hätte es tatsächlich passieren können,
dass der normale, wenig informierte Bürger hier in der Türkei gedacht hätte: Der Papst
versucht die Hagia Sophia wieder in den Griff zu bekommen. Es gibt ja Gerüchte, dass
Al-Quaida noch für den heutigen Tag ein Attentat auf ihn plane, weil er eben als Kreuzfahrer
in die Türkei gekommen sei und versuche, das türkische Volk zu bekehren. Das wird
ihm wahrscheinlich in seinen drei, vier Tagen hier in der Türkei nicht gelingen, davon
müssen wir wohl (vielleicht leider) ausgehen!“
Diese nüchterne Einsicht
scheint sich auch bei der Mehrheit der Bevölkerung breitgemacht zu haben.
„Man
muss eigentlich insgesamt sagen: Man kann nur erstaunt sein über die Ruhe, die hier
eigentlich in Istanbul herrscht angesichts der Verkehrsprobleme, von denen eigentlich
alle hier in der Stadt betroffen sind. Die Sperrungen in Istanbul sind gewaltig, heute
Morgen vor dem Patriarchat hat es durchaus kritische Stimmen gegeben, weil die Leute
nicht zu ihrer Arbeit gekommen sind, ihre Verkehrsmittel nicht erreichen konnten und
dann riesige Umwege in Kauf nehmen mussten. Aber ich denke, dass waren negative Äußerungen,
die sich wirklich auf das Faktum der Verkehrsprobleme bezogen und nicht auf den Papst.“ (rv
30.11.06 sk)
Brüderliche Begegnung, diplomatische Feinheiten Bei
den Begegnungen zwischen Papst Benedikt und Patriarch Bartholomaios seit gestern Abend
sah man nichts als freundliche Gesichter, große Herzlichkeit zwischen den beiden.
Stefan Kempis, hat sich etwas von der Freude dieser brüderlichen Begegnung auf das
muslimische Istanbul übertragen?
„Man hatte auch heute Morgen bei der
göttlichen Liturgie gesehen, die beiden haben sich sehr umarmt und richtig gedrückt
dabei. Aber die Moslems hier beobachten das eher, mit ein bisschen Misstrauen, auch
weil der Papst das Wort ökumenisches Patriarchat in den Mund genommen hat, was ihnen
nicht passt, dieser Anspruch. Und man muss sagen, hier in Istanbul ärgern sich die
Leute vor allen Dingen, weil sie zu Fuß gehen müssen. Es sind größte Teile des Stadtzentrums
vollständig abgesperrt, auch die Brücken. Und man kann nur noch stundenlange Fußmärsche
durch die Stadt auf sich nehmen. Freude kann bei so etwas eigentlich nicht überspringen.“
Für
Bartholomaios jedenfalls ist die Tatsache, dass der Papst zu ihm nach Istanbul kommt,
eine große Sache. Der Patriarch ist ja als Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, obwohl manche
das nicht gerne hören, praktisch die orthodoxe Entsprechung zum katholischen Papst.
Doch in Istanbul zählt die orthodoxe Gemeinde heute nur ein- bis zweitausend Köpfe.
Welchen kirchenpolitischen Gehalt birgt dieses brüderliche Gipfeltreffen, wie bedeutsam
ist es letztlich?
„Es ist ein wichtiges Startsignal für eine persönliche
Beziehung zwischen Benedikt und Bartholomais, und als solches kann man es gar nicht
unterschätzen. Denn es liegt oft an solchen kleinen Einzelheiten, am persönlichen
Kontakt wie die Ökumene weitergeht. Dass der theologische Dialog für ein paar Jahre
unterbrochen war, hat sicher mit den persönlichen und gar nicht nur mit theologischen
Fragen zu tun. Ansonsten kirchenpolitisch trumpft natürlich Bartholomais auch mit
seinem hohen Gast aus Rom auf und macht darauf aufmerksam, dass es in Istanbul ein
kleines, aber feines, weil doch ökumenisch bedeutendes Patriarchat gibt. Er versucht
also die Aufmerksamkeit dazu zu nutzen, gegenüber den türkischen Behörden etwas mehr
Spielraum zu gewinnen.“
Wie unbeliebt macht er sich damit?
„Er
ist schon sehr unbeliebt, das merkt man wenn man hier die Zeitung ließt. Die Fotos
zeigen ihn so ungünstig wie möglich. Der Papst wird ja noch einigermaßen akzeptiert
von den Türken, aber Bartholomaios ist in der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung
einfach unbeliebt und nicht sehr erwünscht. Er gilt als Störenfried, der trotzig,
hartnäckig auf uralten Ansprüchen besteht, über die die Zeit doch eigentlich hinweggegangen
sei.“
Kardinal Walter Kasper, der Ökumene-Chef des Papstes, hat, wie
es heißt, bis zur allerletzten Sekunde an der Gemeinsamen Erklärung gefeilt. Den großen
ökumenischen Durchbruch bringt das Dokument nicht, das hatte aber auch niemand erwartet.
Gibt es aus dennoch bahnbrechend Neues in dem Text?
„Bahnbrechend Neues
würde ich nicht sagen. Es hat etwas Feierlich, Starres, dieses Papier. Es stimmt,
dass Kardinal Kasper und auch andere Kardinäle sehr lange über den Text gebrütet haben.
Wir haben das in unserem Hotel gesehen, die saßen im Restaurant. Wir konnten nicht
rein, das ging bis nach Mitternacht, wurde da debattiert. Dann liest man so einen
Text natürlich noch sehr viel interessierter, wenn man das gesehen hat. Und dann findet
man doch Sachen, die eigentlich auch in jeder Papstrede vorkommen könnten. Ich glaube
der entscheidende Punkt war wohl, die EU soll dafür sorgen, dass die Türkei Minderheiten
respektiert. Das wurde ein bisschen durch die Blume in dieser Erklärung ausgesprochen.
Und das ist natürlich ein heikler Punkt. EU misch dich bitte in die türkischen Angelegenheiten
ein, damit wir als Christen in der Türkei überleben können. So etwas diplomatisch
zu formulieren, ist keine Kleinigkeit.“ (rv 30.11.06 gs)
Ordensfrau:
„Warum kommt er nicht zu uns?" Mitten im Galata-Viertel
betreiben Barmherzige Schwestern aus Österreich eines der letzten noch verbliebenen
Ordensspitäler in der Türkei. Rechtlich hängt diese Einrichtung, die im 19. Jahrhundert
während einer Lepra-Epidemie gegründet wurde und am Anfang nichts als eine Baracke
war, völlig in der Luft. Personal und die meisten Patienten sind Türken, darunter
fast alle Arme ohne jedwede Sozialversicherung. Im Moment werden hier auch viele Afrikaner
und Flüchtlinge aus dem Irak behandelt. Schwester Heliodora Strobl, die Oberin, macht
sich große Sorgen um den Fortbestand des St.-Georg-Krankenhauses. Zum Papstbesuch
sagt sie: „Am Anfang hatte ich irgendwie Sorge, aber jetzt ist das eigentlich locker
geworden; ich verfolge das auch viel im Fernsehen, und wie ich das so sehe und was
ich auch von unserem Personal so höre, ist das sehr positiv. Das Personal hat auch
gesagt: Am Anfang hat es kritisch ausgesehen, aber jetzt geht alles so schön gelassen
dahin. Das freut eigentlich alle… Viele haben auch gefragt, warum kommt der Papst
eigentlich nicht in das österreichische Krankenhaus? Das wäre für uns eine sehr große
Freude gewesen.“ Nicht nur Schwester Heli hätte sich über einen Papstbesuch gefreut.
Viele christliche Einrichtungen und viele Katholiken in der Türkei haben das Gefühl,
dass Benedikt sie bei dieser Visite zu sehr links liegen lässt. Im Gespräch beklagen
sie sich, dass im ursprünglichen Reiseprogramm des Papstes noch nicht mal die Messe
in Ephesus oder die Messe in Istanbul vorgesehen gewesen seien. Katholische Verantwortliche
vor Ort hätten sich vom Vatikan vergessen und vernachlässigt gefühlt. Umso dankbarer
seien sie, dass das Programm noch mal geändert worden sei, um auch Begegnungen mit
den katholischen Christen einzuschließen. (rv 30.11.06 sk)
Gemeinsame
Erklärung: Kernsätze Papst Benedikt XVI. und Patriarch Bartholomaios I. wollen
die ökumenische Zusammenarbeit in ihren Kirchen weiter stärken. Außerdem treten sie
- „bei aller Offenheit für andere Religionen“ - für die Stärkung christlicher Werte
in der EU ein und fordern den Schutz religiöser und kultureller Minderheiten. Das
sind die zentralen Aussagen ihrer mit Spannung erwarteten Gemeinsamen Erklärung, die
Benedikt und Bartholomaios im Anschluss an die „Göttliche Liturgie“ unterzeichneten.
Der große Durchbruch bei der Ökumene zwischen katholischer und orthodoxer Kirche ist
heute in Istanbul erwartungsgemäß ausgeblieben, doch enthält das Dokument wichtige
Punkte. Hier die Kernsätze.
Der Heilige Geist wird uns helfen, den großen
Tag der Wiederherstellung der vollen Einheit vorzubereiten, wann und wie Gott es will.
Was die Beziehungen zwischen der Kirche von Rom und der Kirche von Konstantinopel
betrifft, ist an den feierlichen Akt der Aufhebung der gegenseitigen Exkommunikation
zu erinnern, der über Jahrhunderte und bis heute die Beziehungen zwischen unseren
Kirchen negativ beeinflusst. Noch haben wir nicht alle positiven Folgen dieses Aufhebungs-Aktes
aufgeschöpft, die sich daraus für unseren Weg zur vollen Einheit ergeben.
Zur
Vollversammlung der gemischten Kommission für den theologischen Dialog, die vor kurzem
in Belgrad tagte, haben wir unsere große Freude über die Wiederaufnahme des theologischen
Dialogs zum Ausdruck gebracht. Beim Behandeln des Themas „Konziliarismus und Autorität
in der Kirche“ auf lokaler, regionaler und universeller Ebene ist die Kommission in
eine Untersuchungsphase über die ekklesiologischen und kirchenrechtlichen Folgen der
sakramentalen Natur der Kirche eingetreten. Dies wird es ermöglichen, einige der prinzipiellen,
noch strittigen Fragen zu erörtern.
Wir können nicht an der Zunahme der
Säkularisierung, des Relativismus, auch des Nihilismus vorbeisehen, vor allem in der
westlichen Welt. All das verlangt eine erneuerte und wirksame, an die Kulturen unserer
Zeit angepasste Verkündigung des Evangeliums. Unsere Traditionen stellen für uns ein
Erbe dar, das andauernd geteilt, angeboten und aktualisiert werden muss. Deshalb müssen
wir unsere Zusammenarbeit und unser Zeugnis vor allen Nationen verstärken.
Wir
haben den Weg zu einer Bildung der Europäischen Union positiv beurteilt. Die Akteure
dieses großen Unterfangens werden alles Aspekte in Betracht ziehen, die den Menschen
und seine unveräußerlichen Rechte berühren, vor allem die Religionsfreiheit, Zeuge
und Garant des Respekts für jede andere Form der Freiheit. In jeder Einigungsidee
müssen die Minderheiten mit ihren kulturellen Traditionen und ihren religiösen Eigenheiten
geschützt werden. In Europa müssen wir – bei gleichzeitiger Offenheit für die anderen
Religionen und ihren Beitrag zur Kultur - unsere Anstrengungen einen, um die christlichen
Wurzeln, Traditionen und Werte zu erhalten, mit dem Ziel, den Respekt vor der Geschichte
zu wahren und zur zukünftigen Kultur Europas sowie zur Qualität der menschlichen Beziehungen
auf allen Ebenen beizutragen. (rv 30.11.06 gs)
Der
Papst in der Hagia Sophia Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen hat Papst
Benedikt XVI. die Hagia Sophia in Istanbul besucht. Einst eine byzantinische Kirche,
danach Moschee, ist das fast 1500 Jahre alte Bauwerk heute ein Museum. Lange vor
dem Eintreffen Benedikts waren Plätze und Straßen in der Umgebung weiträumig abgesperrt
worden. Hubschrauber kreisten über der historischen Altstadt. Eine Gruppe türkischer
Nationalisten hatte noch Stunden zuvor in der Nähe gegen den Besuch des Papstes in
der Hagia Sophia demonstriert. Das Bauwerk sei türkisch und werde türkisch bleiben,
schrieben sie auf Bannern und forderten die Öffnung der Hagia Sophia für muslimische
Gebete. Das Gebäude wurde im 6. Jahrhundert als christliche Kirche errichtet und 1453
nach der türkischen Eroberung Konstantinopels als Moschee genutzt. Inzwischen ist
die Hagia Sophia ein Museum. Geführt wurde der Papst in der Hagia Sophia vom Istanbuler
Gouverneur, Muammer Güler, und dem Direktor des in dem Gebäude befindlichen Museums,
Haluk Ozozlu. Nach der Visite wollte das Oberhaupt der katholischen Kirche die Blaue
Moschee besichtigen. Damit ist Benedikt erst der zweite Papst nach Johannes Paul II.,
der ein muslimisches Gotteshaus betritt. In Istanbul protestierten einige Dutzend
Demonstranten gegen den Besuch des Papstes. Benedikt hatte den Besuch des muslimischen
Gotteshauses als Geste der Versöhnung gegenüber dem Islam kurzfristig in sein Programm
aufgenommen. Es ist sein erster Aufenthalt in einer Moschee seit seinem Amtsantritt
vor einem Jahr und der zweite eines Papstes überhaupt. Benedikts Vorgänger Johannes
Paul II. hatte 2001 im syrischen Damaskus eine Moschee besucht. (rv 30.11.06 mg)
Lombardi
hofft auf Verbesserung für Christen P. Federico Lombardi, Leiter des vatikanischen
Pressesaales, ist im Tross rund um Papst Benedikt. Unsere Kollegen von der italienischen
Abteilung haben P. Lombardi nach seinen Eindrücken über die interreligiöse Bedeutung
der Türkeireise des Papstes gefragt.
„Benedikt XVI. konnte grundlegende
Prinzipien des Dialogs mit den Moslems unterstreichen, etwa im Gespräch mit dem Leiter
der Religionsbehörde, Ali Bardakoglu. Bei diesem Treffen waren ja auch die beiden
Großmuftis von Istanbul und Ankara dabei, bedeutende Persönlichkeiten der muslimischen
Gemeinde. Benedikt hat nochmals die Prinzipien des Dialogs und des gegenseitigen Respekts
betont, von denen er schon in den vergangenen Monaten mehrmals gesprochen hat; und
er hat die Gemeinsamkeiten betont, den Glauben an einen einzigen Gott, die gemeinsame
Sorge für die spirituelle Dimension des Menschen in der heutigen säkularisierten Welt.
Damit kann der interreligiöse Dialog weiter arbeiten.“
Auch die Religionsfreiheit
hat Benedikt gegenüber seinen muslimischen Gesprächspartnern nicht ausgespart.
„Dieses
Thema muss in der Türkei vertieft werden, denn es ist in der türkischen Verfassung
präsent. Sie garantiert als laizistischer Staat ausdrücklich das Recht auf Religionsfreiheit.
Vielleicht zeigt sich das eher beim Kult oder beim spirituellen Leben der Individuen
und weniger im Leben der Religionsgemeinschaften. Es gab auch einen Moment – in einem
Gespräch des Papstes mit dem Vize-Premier – in dem konkrete Probleme angesprochen
wurden, vor denen katholische Gemeinden in der Türkei stehen. Da ging es um Privateigentum
und auch um den Wunsch nach einem Treffen zwischen Regierung und Religionsvertretern,
damit man diese Probleme angehen kann. Alles in allem ist das ein positiver Weg, der
auch zur Verbesserung des Glaubenslebens der katholischen Gemeinschaften beitragen
kann.“ (rv 30.11.06 gs)
Missio-Experte, „Papst kommt
türkischen Interessen gelegen“ Mit Argusaugen beobachtet Otmar Oehring die
Papstreise durch die Türkei. Oehring ist in Ankara aufgewachsen, leitet die Abteilung
Menschenrechte beim kirchlichen deutschen Hilfswerk Missio und besucht häufig die
Christen in der Türkei. Nach seinem Eindruck ist die Reise bisher sehr gut verlaufen;
in Ephesus etwa gefiel ihm, wie sich die türkische Polizei dort zurückgehalten hat.
Zum Besuch in Istanbul meint Oehring:
„Gestern Abend hat es hier wohl
im Patriarchat Schwierigkeiten gegeben, weil sehr viele Leute nicht hereingelassen
wurden und am Ende dann doch eine sehr kleine Gemeinde in der Kirche zu sehen war,
und so ging das dann auch über die Fernsehschirme. Einige Leute haben den Eindruck,
dass das mit Absicht so gemacht wurde, um den Leuten zu zeigen, wie unbedeutend das
Patriarchat doch ist.“
Heute früh allerdings erlebte Oehring am Ökumenischen
Patriarchat das genaue Gegenteil: Da reichte es, seinen Pass zu hinterlegen, um die
Kirche zu betreten - also sehr positiv.
„Es scheint allerdings im Vorfeld,
wie man aus dem Umfeld des Ökumenischen Patriarchats hört, das absolute Tohuwabohu
bei der Vorbereitung der Visite auf seiten der türkischen Behörden gegeben zu haben,
wohl weil die Behörden hier in Istanbul absolut keine Erfahrung mit der Vorbereitung
solcher Großereignisse haben, abgesehen vom Bush-Besuch vor zwei Jahren.“
Mit
Spannung war erwartet worden, wie die Begegnungen des Papstes mit Politikern in Ankara
verlaufen würden. Oehring rät dazu, sich nichts vorzumachen.
„Die türkischen
Behörden nutzen natürlich alles, was der Papst gesagt oder auch vermutlich nicht gesagt
hat, zu ihren Gunsten. Beispiel: dass Herr Erdogan gleich nach seinem kurzen Gespräch
mit dem Heiligen Vater erklärt hat, dieser unterstütze die Türkei auf ihrem Weg in
die EU. Das ist sicherlich Propaganda, die sein muss für das türkische Wahlvolk –
in den nächsten Jahren sind zwei Wahlen.“
Aber nicht nur türkische
Politiker instrumentalisieren den Papst – ein bisschen tut es auf seine Weise auch
Patriarch Bartholomaios.
„Das kann ein Hintergedanke sein bei der Einladung
des Patriarchen Bartholomaios in das Patriarchat. Natürlich ist der Besuch des Heiligen
Vaters ein Geschenk für den Ökumenischen Patriarchen. Interessant ist in dem Zusammenhang,
dass das türkische Fernsehen ausgeschlossen worden ist von der Übertragung der Göttlichen
Zeremonie aus dem Patriarchat und an seiner Stelle das griechische Fernsehen genommen
worden ist – da hat natürlich Bartholomaios die Situation genutzt und demonstriert,
dass er der Hausherr im Ökumenischen Patriarchat ist. Während die Türken im Gegenteil
davon ausgehen, dass das eine türkische Institution ist, in der zwangsläufig der türkische
Staat das Hausrecht hat und damit auch das türkische Fernsehen.“
Ähnlich
gelagert: der Streit um die von Bartholomaios ausgegebenen Presseausweise. Auf ihnen
prangt groß die Aufschrift „Ökumenisches Patriarchat“, weswegen die Polizei die Pressestelle
kurzzeitig schließen ließ.
„Beide Seiten spielen natürlich mit dieser
Frage, die in der Türkei hochpolitisch ist. Hier darf es nicht „Ökumenisches“ Patriarchat
heißen, obwohl es dafür keinen nachvollziehbaren Grund gibt, und auf der anderen Seite
hält der Patriarch natürlich zu Recht am Titel „Ökumenisch“ fest.“
An
diesem Donnerstag-Abend nun der Besuch des Papstes in der Blauen Moschee von Istanbul
– was denken türkische Moslems, die diese Szene am Fernsehschirm verfolgen? Menschenrechts-Experte
Oehring hat vor allem mit Taxifahrern darüber gesprochen.
„Wenn
der Papst nur die Hagia Sophia besucht hätte, dann hätte es tatsächlich passieren
können, dass der normale, wenig informierte Bürger hier in der Türkei gedacht hätte:
Der Papst versucht die Hagia Sophia wieder in den Griff zu bekommen. Es gibt ja Gerüchte,
dass Al-Quaida noch für den heutigen Tag ein Attentat auf ihn plane, weil er eben
als Kreuzfahrer in die Türkei gekommen sei und versuche, das türkische Volk zu bekehren.
Das wird ihm wahrscheinlich in seinen drei, vier Tagen hier in der Türkei nicht gelingen,
davon müssen wir wohl (vielleicht leider) ausgehen!“
Diese nüchterne
Einsicht scheint sich auch bei der Mehrheit der Bevölkerung breitgemacht zu haben.
„Man muss eigentlich insgesamt sagen: Man kann nur erstaunt sein über
die Ruhe, die hier eigentlich in Istanbul herrscht angesichts der Verkehrsprobleme,
von denen eigentlich alle hier in der Stadt betroffen sind. Die Sperrungen in Istanbul
sind gewaltig, heute Morgen vor dem Patriarchat hat es durchaus kritische Stimmen
gegeben, weil die Leute nicht zu ihrer Arbeit gekommen sind, ihre Verkehrsmittel nicht
erreichen konnten und dann riesige Umwege in Kauf nehmen mussten. Aber ich denke,
dass waren negative Äußerungen, die sich wirklich auf das Faktum der Verkehrsprobleme
bezogen und nicht auf den Papst.“ (rv 30.11.06 sk)
Brüderliche
Begegnung, diplomatische Feinheiten Bei den Begegnungen zwischen Papst Benedikt
und Patriarch Bartholomaios seit gestern Abend sah man nichts als freundliche Gesichter,
große Herzlichkeit zwischen den beiden. Stefan Kempis, hat sich etwas von der Freude
dieser brüderlichen Begegnung auf das muslimische Istanbul übertragen?
„Man
hatte auch heute Morgen bei der göttlichen Liturgie gesehen, die beiden haben sich
sehr umarmt und richtig gedrückt dabei. Aber die Moslems hier beobachten das eher,
mit ein bisschen Misstrauen, auch weil der Papst das Wort ökumenisches Patriarchat
in den Mund genommen hat, was ihnen nicht passt, dieser Anspruch. Und man muss sagen,
hier in Istanbul ärgern sich die Leute vor allen Dingen, weil sie zu Fuß gehen müssen.
Es sind größte Teile des Stadtzentrums vollständig abgesperrt, auch die Brücken. Und
man kann nur noch stundenlange Fußmärsche durch die Stadt auf sich nehmen. Freude
kann bei so etwas eigentlich nicht überspringen.“
Für Bartholomaios
jedenfalls ist die Tatsache, dass der Papst zu ihm nach Istanbul kommt, eine große
Sache. Der Patriarch ist ja als Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, obwohl manche das nicht
gerne hören, praktisch die orthodoxe Entsprechung zum katholischen Papst. Doch in
Istanbul zählt die orthodoxe Gemeinde heute nur ein- bis zweitausend Köpfe. Welchen
kirchenpolitischen Gehalt birgt dieses brüderliche Gipfeltreffen, wie bedeutsam ist
es letztlich?
„Es ist ein wichtiges Startsignal für eine persönliche
Beziehung zwischen Benedikt und Bartholomais, und als solches kann man es gar nicht
unterschätzen. Denn es liegt oft an solchen kleinen Einzelheiten, am persönlichen
Kontakt wie die Ökumene weitergeht. Dass der theologische Dialog für ein paar Jahre
unterbrochen war, hat sicher mit den persönlichen und gar nicht nur mit theologischen
Fragen zu tun. Ansonsten kirchenpolitisch trumpft natürlich Bartholomais auch mit
seinem hohen Gast aus Rom auf und macht darauf aufmerksam, dass es in Istanbul ein
kleines, aber feines, weil doch ökumenisch bedeutendes Patriarchat gibt. Er versucht
also die Aufmerksamkeit dazu zu nutzen, gegenüber den türkischen Behörden etwas mehr
Spielraum zu gewinnen.“
Wie unbeliebt macht er sich damit?
„Er
ist schon sehr unbeliebt, das merkt man wenn man hier die Zeitung ließt. Die Fotos
zeigen ihn so ungünstig wie möglich. Der Papst wird ja noch einigermaßen akzeptiert
von den Türken, aber Bartholomaios ist in der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung
einfach unbeliebt und nicht sehr erwünscht. Er gilt als Störenfried, der trotzig,
hartnäckig auf uralten Ansprüchen besteht, über die die Zeit doch eigentlich hinweggegangen
sei.“
Kardinal Walter Kasper, der Ökumene-Chef des Papstes, hat, wie
es heißt, bis zur allerletzten Sekunde an der Gemeinsamen Erklärung gefeilt. Den großen
ökumenischen Durchbruch bringt das Dokument nicht, das hatte aber auch niemand erwartet.
Gibt es aus dennoch bahnbrechend Neues in dem Text?
„Bahnbrechend Neues
würde ich nicht sagen. Es hat etwas Feierlich, Starres, dieses Papier. Es stimmt,
dass Kardinal Kasper und auch andere Kardinäle sehr lange über den Text gebrütet haben.
Wir haben das in unserem Hotel gesehen, die saßen im Restaurant. Wir konnten nicht
rein, das ging bis nach Mitternacht, wurde da debattiert. Dann liest man so einen
Text natürlich noch sehr viel interessierter, wenn man das gesehen hat. Und dann findet
man doch Sachen, die eigentlich auch in jeder Papstrede vorkommen könnten. Ich glaube
der entscheidende Punkt war wohl, die EU soll dafür sorgen, dass die Türkei Minderheiten
respektiert. Das wurde ein bisschen durch die Blume in dieser Erklärung ausgesprochen.
Und das ist natürlich ein heikler Punkt. EU misch dich bitte in die türkischen Angelegenheiten
ein, damit wir als Christen in der Türkei überleben können. So etwas diplomatisch
zu formulieren, ist keine Kleinigkeit.“ (rv 30.11.06 gs)
Ordensfrau:
„Warum kommt er nicht zu uns?“ Mitten im Galata-Viertel
betreiben Barmherzige Schwestern aus Österreich eines der letzten noch verbliebenen
Ordensspitäler in der Türkei. Rechtlich hängt diese Einrichtung, die im 19. Jahrhundert
während einer Lepra-Epidemie gegründet wurde und am Anfang nichts als eine Baracke
war, völlig in der Luft. Personal und die meisten Patienten sind Türken, darunter
fast alle Arme ohne jedwede Sozialversicherung. Im Moment werden hier auch viele Afrikaner
und Flüchtlinge aus dem Irak behandelt. Schwester Heliodora Strobl, die Oberin, macht
sich große Sorgen um den Fortbestand des St.-Georg-Krankenhauses. Zum Papstbesuch
sagt sie: „Am Anfang hatte ich irgendwie Sorge, aber jetzt ist das eigentlich
locker geworden; ich verfolge das auch viel im Fernsehen, und wie ich das so sehe
und was ich auch von unserem Personal so höre, ist das sehr positiv. Das Personal
hat auch gesagt: Am Anfang hat es kritisch ausgesehen, aber jetzt geht alles so schön
gelassen dahin. Das freut eigentlich alle… Viele haben auch gefragt, warum kommt der
Papst eigentlich nicht in das österreichische Krankenhaus? Das wäre für uns eine sehr
große Freude gewesen.“ Nicht nur Schwester Heli hätte sich über einen Papstbesuch
gefreut. Viele christliche Einrichtungen und viele Katholiken in der Türkei haben
das Gefühl, dass Benedikt sie bei dieser Visite zu sehr links liegen lässt. Im Gespräch
beklagen sie sich, dass im ursprünglichen Reiseprogramm des Papstes noch nicht mal
die Messe in Ephesus oder die Messe in Istanbul vorgesehen gewesen seien. Katholische
Verantwortliche vor Ort hätten sich vom Vatikan vergessen und vernachlässigt gefühlt.
Umso dankbarer seien sie, dass das Programm noch mal geändert worden sei, um auch
Begegnungen mit den katholischen Christen einzuschließen. (rv 30.11.06 sk)
Ersehnte
Einheit. Papst und Patriarch feiern Andreasfest Papst Benedikt XVI. hat heute
im Phanar in Istanbul – dem orthodoxen Vatikan – an einer „Göttlichen Liturgie“ mit
Patriarch Bartolomaios I. teilgenommen. Beide Kirchenoberhäupter unterstrichen ihren
Willen, die Einheit wieder herstellen zu wollen. Die Trennung sei ein "Skandal für
die Welt", so Benedikt. Hören Sie mehr von Pater Max Cappabianca OP:
Die
Feier in der Georgskathedrale ist aus Sicht des Papstes der Höhepunkt seiner ganzen
Türkeivisite: Als Nachfolger des Petrus das heutige Fest des Apostels Andreas gemeinsam
mit dessen Nachfolger Bartholomaios feiern zu können: Um dieses Datum herum war der
Türkeibesuch geplant worden. Der Papst ist ein Freund der orthodoxen Sicht von Liturgie,
und so kann man ihm ansehen, dass er beeindruckt ist von diesem Hinzutreten des Menschen
zur Liturgie der Engel, von der Vereinigung von himmlischer und irdischer Liturgie,
die ausstreckt ist hin auf die endzeitliche Wiederkunft.
Schmerzhaft weiterhin:
Eine wirklich gemeinsame Feier ist wegen des Schismas von 1054 immer noch nicht möglich,
an der Kommunion nimmt der Papst nicht teil. Aber immerhin: Das Vater Unser, es wird
gebetet durch den Papst in griechisch, der Sprache der Ostkirche.
Patriarch
Bartholomaios unterstreicht in seiner Predigt die Rolle der Liturgie als Vergegenwärtigung
Jesu für die Wiedererlangung der Einheit. Die Trennung sei schmerzlich, so der Patriarch:
„Darum
knien wir in Demut und Reue vor dem lebendigen Gott, unserm Herrn Jesus Christus,
nieder, dessen kostbaren Leib wir bilden und doch zugleich geteilt haben. Wir bekennen
in Trauer, dass wir nicht imstande sind, die Sakramente zu feiern. Und wir beten darum,
dass der Tag kommen möge, an dem die sakramentale Einheit vollkommen wiederhergestellt
sein wird.“
Der Papst sagt in einer in englisch gehaltenen Ansprache, seine
Präsenz am Andreasfest solle dazu beitragen, das Bemühen um Wiederherstellung der
vollen Gemeinschaft von Ost- und Westkirche zu erneuern.
„Ich kann ihnen
versichern, dass die katholische Kirche dazu bereit ist, alles zu tun, um die Hindernisse
zu überwinden und gemeinsam mit unseren orthodoxen Brüdern und Schwestern wirksame
Mittel in der pastoralen Zusammenarbeit zu finden, die diesem Ziel dienen können“
Mehrmals
betont der Papst, dass es sich um Schwesterkirchen handelte. Aufgabe beider Kirchen
sei es, das Evangelium zu verkünden. Das gelte mit neuer Dringlichkeit auch für die
europäischen Kulturen, die seit langem tief in der christlichen Tradition verwurzelt
seien, aber…
„Der Prozess der Säkularisierung hat die Ausdauer in der
Weitergabe dieser Tradition geschwächt; sie wird statt dessen in Frage gestellt und
sogar verworfen. Angesichts dieser Tatsache sind wir gemeinsam mit allen anderen christlichen
Gemeinschaften berufen, das Bewusstsein Europas um die eigenen Wurzeln, Traditionen
und christlichen Werten zu erneuern und ihnen neue Vitalität zu verleihen.“
Wie
schon sein Vorgänger Johannes Paul II. lädt Benedikt XVI. zu einem theologischen Dialog
über eine Neubestimmung des Papstamtes ein, einem Hauptproblem im ökumenischen Prozess.
Nachdrücklich fordert er die politischen Führer der Welt dazu auf, die Religionsfreiheit
als grundlegendes Menschenrecht zu respektieren. Sowohl in der West- als auch in der
Ostkirche gäbe es viele mutige Glaubenszeugen, die unter Verfolgung gelitten hätten.
Am Ende der Feier dann der Austausch von Geschenken, ein Evangeliar des
Patriarchen für den Papst, ein Meßkelch Benedikts für Bartholomaios. Benedikt
ist sichtlich bewegt von der gemeinsamen Feier, die vielleicht eine Art Vorgeschmack
für ihn war, wie die so sehr ersehnte Einheit im Glauben dereinst aussehen könnte.
Draußen
dann der gemeinsame Segen, zuerst durch den Papst, dann durch den Patriarchen und
– eine begeisterte Menschenmenge… (rv 30.11.06 mc)
Türkische
Presse weiter gewogen Durchweg beifällig rauscht es im türkischen Pressewald,
was den Papstbesuch angeht. So gut wie alle Blätter zeigen auf Seite eins den Papst
mit der türkischen Fahne in der Hand. „Ich liebe die Türken“, titelt das Massenblatt
„Hurriyet“ zu diesem Foto – und fügt an, Benedikt habe gestern bei der Messe in Ephesus
zweimal kurz auf Türkisch gesprochen. „Er war ein Theologe – jetzt ist er ein Diplomat“,
bemerkt das Blatt etwas sybillinisch. Das Treffen zwischen Papst und Patriarch wird
zur „Jahrtausend-Begegnung“ erklärt, breiten Raum nehmen aber auch die Ärgerlichkeiten
der Sicherheitsmaßnahmen und des zusammengebrochenen Verkehrs von Istanbul ein. Ein
Artikel der „Hurriyet“ gibt Hintergründe zum Besuch Benedikts XVI. im staatlichen
Büro für Religionsfragen. Da heißt es, Benedikt sei verärgert gewesen, dass der Islam-Vertreter
Bardakoglu von „Islamophopie“ gesprochen habe. Überhaupt habe Bardakoglu mit seiner
erneuerten Kritik an den Papstworten von Regensburg seinen Gast „in Schwierigkeiten
gebracht“. Der Vatikan habe den Text der Rede Bardakoglus vorher nicht gekannt. Die
Zeitung „Milliyet“ erwähnt ebenfalls die türkischen Worte des Papstes und die Probleme,
die die Sicherheitsmaßnahmen über die Istanbuler gebracht haben; „Milliyet“ bemüht
sich aber auch auf seine Art um interreligiösen Dialog. „Welcher Jesus?“, heißt ein
Meinungsartikel, der verkündet, zur Zeit Jesu habe es jede Menge Messiasse gegeben.
Jesus habe es womöglich nie gegeben, die Christen hätten ihn erfunden, um Geld zu
verdienen. Ansonsten zeigt das Blatt im Innern viele Fotos des Papstes, rügt, dass
er die Formulierung „Ökumenischer Patriarch“ benutzt habe, und kündigt an, beim heutigen
Treffen mit dem armenischen Patriarchen werde Benedikt doch sicher das Wort „Völkermord“
nicht in den Mund nehmen. Ein kleines Bild zeigt einen türkischen Mitarbeiter im vatikanischen
Staatssekretatiat und fragt: Warum eigentlich nicht mal ein türkischer Papst? Und
auf einer Karikatur werfen die Politiker Erdogan und Gül den Papst freudig in die
Luft, Sprechblase Erdogan, an den Papst gerichtet: „Ich bin stolz auf dich.“ Dahinter
steht das vermeintliche Ja zu einem türkischen EU-Beitritt, das Erdogan dem Papst
an den Lippen abgelesen haben will. Als Skandal sieht „Milliyet“, dass das türkische
Fernsehen fast nur Panzer und Soldaten zeige, aber kaum den Papst. Ein Reporter der
Zeitung, der sich im Patriarchat umschauen durfte, meldet, Bartholomaios sei tief
bewegt gewesen wie sonst nur am Tag seiner Wahl. Die Zeitung „Radikal“ schreibt
zum Foto Papst mit Fahne: „Er hat die türkische Fahne geschwenkt.“ Sowohl Ankara wie
der Vatikan seien sehr zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Visite. Etwas verwundert
notiert „Radikal“, Benedikt, der als Türken-Gegner gegolten habe, habe sich nun als
ihr Freund entpuppt. Ein langer Artikel zum Thema „Benedikt und der Dialog“ fragt
sich, wo denn jetzt all die früheren Gegner des Papstbesuches seien. Sie hätten sich
offenbar zu ebenso entschiedenen Befürwortern des interreligiösen Dialogs verwandelt:
„Das ist nicht zu verstehen.“ Eine große Anzeige der türkischen Ausgabe von CNN, die
auf ihre Live-Übertragungen verweist, zeigt ein großes Papstfoto und die Schrift:
„Der Islam, eine Religion des Friedens“. „Papaturka“ titelt die Zeitung „Star“
– eine Wortschöpfung, die belegt, dass der Papst jetzt ein Türke ist. „Papst in Istanbul,
die Einwohner müssen laufen“, betont dagegen „Vatan“ auf Seite eins. Auch diese Zeitung
bringt viele Fotos vom Besuch und viel Positives, schreibt aber auch: „Er hat auf
die Minderheiten angespielt.“ Benedikt habe zu verstehen gegeben, dass Minderheiten
in der Türkei diskriminiert würden. „Cumhuriyet“, die Oppositionszeitung, betont
schon auf Seite eins die Annäherung der Christen untereinander; „Bugun“, ein weiteres
Blatt, fordert die Leser im Leitartikel dazu auf, den ganzen Streit von Regensburg
jetzt endlich zu vergessen und nur noch auf das zu sehen, was der Papst in Ankara
gesagt habe. Im übrigen: Ein schöneres Geschenk als seine Worte zu Türkei und EU habe
der Papst seinem Besuchsland nicht machen können – erst recht jetzt, wo die EU die
Beitrittsverhandlungen einfriert. Direkt aufs Herz zielt ein Foto bewegter Ordensleute
mit der Unterschrift: „Er hat sie zum Weinen gebracht.“ Und die eher islamistischen
Zeitungen? „Aksam“ setzt die Polemik um die religiöse Kleidung des Papstes fort. Dahinter
steht der Gedanke: Wenn die laizistische Türkei sich darüber aufregt, wenn Abgeordnete
oder Politikerfrauen das islamische Kopftuch tragen, warum darf dann der Papst hier
in einer Kleidung voller religiöser Symbole herumlaufen? Das Blatt erwähnt aber auch,
dass der Papst in Izmir extra noch mal aus dem Auto gestiegen sei, um den Gouverneur
der Stadt zu begrüßen, den er zuvor übersehen hatte. Und das sehr fundamentalistische
„Vakit“ ist die wohl einzige Zeitung der Türkei, die heute nicht auf Seite eins den
Papst mit der türkischen Fahne zeigt, sondern nur ein kleines Benedikt-Foto von der
Kommunionausteilung in Ephesus. Titel: „Auf einmal ist er pro-türkisch.“ Ebenfalls
auf Seite eins, ein Foto des Präsidenten des staatlichen Religionsamtes Bardakoglu
mit der Unterzeile: „Ein Regen von Komplimenten an Bardakoglu für seine Rede“ an den
Papst. Allgemeiner Eindruck: Positive Berichte in den Zeitungen, viel Neugier und
Interesse, auch manches Missverständnis, das belegt, wie fremd auf viele Türken das
Christentum wirkt. (rv 30.11.06 sk)
Papst-Programm heute Am
heutigen Andreasfest wohnt Papst Benedikt XVI. in Istanbul der „Göttlichen Liturgie“
bei, die der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. in der Patriarchatskathedrale
Sankt Georg zelebriert. Diese orthodoxe Messfeier ist der Höhepunkt des Papstbesuches
in der Türkei. Der Heilige Andreas ist der Patron der Kirche von Konstantinopel; traditionell
reiste eine vatikanische Delegation an seinem Gedenktag nach Istanbul, um an dieser
Feier teilzunehmen. Benedikt XVI. hält während der Liturgie eine Ansprache. Nachdem
der Papst und Bartholomaios vom Balkon des Ökumenischen Patriarchates aus auf Latein
bzw. auf Griechisch die Gläubigen gesegnet haben, unterzeichnen sie eine gemeinsame
Erklärung.
Nach einem gemeinsamen Essen steht ein Besuch in der Hagia
Sophia sowie in der daneben gelegenen „Blauen Moschee“ auf dem Programm. Später kommt
es zu einem Gebetstreffen mit dem armenisch-apostolischen Patriarchen Mesrob II. in
der armenischen Patriarchatskathedrale in Kumkapi sowie zu Begegnungen mit dem syrisch-orthodoxen
Metropoliten Filuksinus Yusuf Cetin und Oberrabbiner Isak Haleva. Für den Abend sieht
das Programm ein Essen mit den Mitgliedern der Türkischen Bischofskonferenz vor. (rv
30.11.06 gs)