2006-11-29 13:43:17

Türkische Presseschau vom 29.11.06


Der Besuch Benedikts XVI. stößt weltweit auf Interesse. "Pastoral-politisch" titelt die FAZ, die "New York Times" betont, wie wichtig die Debatte über Minderheiten und religiöse Rechte ist und die italienische "La Reppublica" schriebt: "Der Papst reicht dem Islam die Hand". Die türkische Presse lobt wider Erwarten die "kreuzlose Fahrt" des Kirchenoberhaupts. Stefan Kempis berichtet aus dem türkischen Blätterwald:

Alle Zeitungen reden auf Seite eins vom Papst in der Türkei. Alle? Nein. „Vakit“, ein Blatt islamischer Fundamentalisten, hat für die Titelseite wichtigere Themen gefunden. Tenor aller Zeitungen ansonsten: Papst sagt ein vorsichtiges Ja zu einem EU-Beitritt der Türkei.
„Es hat gut angefangen“, schreibt die „Hurriyet“ auf Seite eins und zeigt den Papst in einträchtigem Plausch mit dem Islamvertreter Bardakoglu. Untertitel: „Er hat sich beinahe entschuldigt.“ Eine andere Überschrift urteilt, beim Staatspräsidenten habe es für Benedikt nur einen drittklassigen Empfang gegeben, sogar ohne Hymne des Vatikans. Der Leitartikler nennt den Besuch „kritisch“; Erdogan habe, um Benedikt zu empfangen, über seinen Schatten springen müssen.
„Dieser Besuch hat der Welt das Herz gewärmt“ – so macht „Milliyet“ auf. Die Artikel kreisen um Äußerungen des Papstes, dass der Islam eine Religion des Friedens sei, und wundern sich, dass der Mann aus Rom erst gegen den EU-Beitritt der Türkei war und jetzt angeblich auf einmal dafür. Es sei eine große Geste des Ministerpräsidenten Erdogan gewesen, dem Papst bis auf das Rollfeld von Ankara entgegenzukommen. Leichte Verwunderung wird deutlich, wenn die Zeitung den Papst auf einer Seite voller Fotos in lauter verschiedenen Gewändern zeigt: in Weiß, mit Mantel, mit Käppchen und ohne, mit rotem Überhang usw. Untertitel: „Er gibt uns seine Botschaft in verschiedenen Verkleidungen“ – eine Einschätzung nicht ohne Doppelsinn. Wie auch andere Zeitungen findet „Milliyet“, Bardakoglu habe dem Gast aus Rom harte Wahrheiten gesagt.
„Aksam“ ist ein Blatt, das viele dem eher islamistischen Umfeld zurechnen – aber es bringt ein Foto des Papstes, zusammen mit Erdogan, auf seiner Titelseite. Überschrift: „Der Papst setzt sich über zwei Krisen hinweg und kommt in die Türkei.“ Mit den zwei Krisen sind einmal die umstrittenen Papst-Worte von Regensburg gemeint, auf der anderen Seite die Blockade des türkischen Beitrittsprozesses zur EU. Ebenfalls aus islamistischen Kreisen kommend, angeblich den Grauen Wölfen nahe ist „Turkiye“, das das gleiche Foto wie „Aksam“ auf dem Titel zeigt, Benedikt und der Ministerpräsident. Tenor: „Erdogan hat eine große Geste getan.“ Und „150 Fernsehsender haben dieses Treffen live übertragen.“ Sowas beeindruckt offenbar auch Islamisten. Die ebenfalls als fundamentalistisch geltende Zeitung „Vakit“ analysiert das Papstgewand und findet „von oben bis unten religiöse Symbole“ – so was gehe eigentlich nicht in der laizistischen Türkei, meint „Vakit“ nicht ohne Ironie. Ihr Eindruck vom Besuch: „Der Papst kommt nicht mit guten Absichten“; eine Karikatur zeigt einen hässlichen, böse blickenden Benedikt, der über einen roten Teppich läuft.
„Kaum angekommen, unterstützt er schon die türkische Kandidatur“ zur EU, titelt „Yeni Safak“. Die Zeitung schreibt vertiefend, Kardinal Ratzinger sei gegen die Türkei in der EU gewesen und jetzt, als Papst, plötzlich dafür. Das wird von der Zeitung nicht kommentiert, auch Zweifel werden nicht geäußert. Überraschend eine andere Überschrift des gleichen Blattes: „Seine erste Geste war es, das Kreuz zu verstecken.“ Da hat ein Journalist wohl die ganz normale Geste, mit der der Papst manchmal die Hand aufs Brustkreuz legt, fatal missdeutet – auch jemand bei der „Hurriyet“, übrigens. Die letztgenannte Zeitung hält es außerdem für wichtig, dass auf den Papstgeschenken an Politiker und Bardakoglu kein Kreuz zu sehen gewesen sei.
Interessant auch, was „Milli Gazete“ auf Seite eins schreibt. Der Papst habe von 95 Prozent Moslems in der Türkei gesprochen, Erdogan habe ihn sofort korrigiert: Nein, es seien 99 Prozent. Benedikt sei ein „schlimmerer Fundamentalist als Bush und Blair“; Zitat: „Er macht uns das Leben zur Hölle.“ Das ultra-nationalistische Blatt teilt auch kräftig gegen das Ökumenische Patriarchat aus; es habe rote Linien überschritten und wolle offenbar ganz Asien christianisieren.
Die Zeitung „Radikal“ zeigt eine nicht sehr nette Karikatur des Papstes und bemerkt dazu, zunächst habe die große Politik in Ankara den Papst eingeladen, damit sie im Mittelpunkt stehe und nicht das Ökumenische Patriarchat. Jetzt aber seien die großen Einlader getürmt.
Eine Zeitung meint, Benedikt habe mit seinem vorsichtigen Ja zur EU-Türkei sein Image aufbessern wollen. Die links-oppositionelle „Cumhuriyet“ glaubt das auch. Sie stellt außerdem dar, wie die Türkei sich aus der Sicht Italiens darbiete: Lauter bärtige Männer, finster blickend, verschleierte Frauen – also ungefähr so was wie Afghanistan.
(rv 29.11.06 sk)







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