Im Vergleich zum intensiven
Auftakt in Ankara war der zweite Besuchstag des Papstes in der Türkei sehr entspannt.
Aus der türkischen Hauptstadt flog der Papst in die Provinz, um mitten in einer menschenleeren
Landschaft an einem kleinen Häuschen, dem mutmaßlichen Haus Mariens, die Messe zu
feiern. Dabei waren ein paar Hundert Menschen, Journalisten inbegriffen. Selten kann
ein Papst an einem wichtigen Ort des Glaubens eine so intime Messe feiern; das letzte
Mal war wohl mit Johannes Paul II. am Berg Sinai. Wer es bis in die Felder von Ephesus
geschafft hatte, erlebte einen lachenden, ansprechbaren Papst Benedikt, der sogar
einen Moment auf türkisch redete. Die Privatheit von Ephesus, so schön sie ist, zeugt
aber auch vom Aussterben oder Abwandern der Christen aus dem Heiligen Land; das gibt
diesen idyllischen Bildern einen dunkleren Unterton. Dann der Weiterflug nach Istanbul:
Hier waren der Ökumenische Patriarch und alle wichtigen Vertreter der örtlichen Christen
dem Papst bis an den Flughafen entgegengekommen, eine Geste, die Benedikt sichtbar
freute und rührte. Wenn die Fernsehbilder aus dem Phanar, dem Sitz des Patriarchen,
nicht täuschen, dann haben Papst und Bartholomaios sich sofort verstanden. Es war
im Kreislauf der Ökumene ein besonderer, ein glücklicher Moment. Aber der Eiertanz
des Papstes fängt jetzt erst an: Die Gefahr ist groß, dass Bartholomaios seinen Gast
aus Rom im Dauerzank mit den türkischen Behörden für sich vereinnahmt. In diesem Fall
wäre die mühsame Entente, zu der Benedikt XVI. und türkische Politiker in Ankara gefunden
haben, schnell wieder dahin. Dass hier zwischen Papst und Patriarch (symbolisch gesehen
zwischen Petrus und Andreas) nicht nur brüderliche Idylle stattfindet, zeigt das Umfeld
dieser Begegnung: ein völlig abgeriegeltes, mit Panzern und Polizeitrupps vollgestopftes
Istanbul, Absperrungen, Nervosität, al-Quaida-Drohungen von einer Homepage herunter,
Blaulichter und Straßensperren. Der Mittwoch war für den Papst ein Dazwischen-Tag:
nicht mehr Ankara, noch nicht ganz Istanbul, zwischen beiden hängend. Ein surreal
friedliches Bild. (rv 29.11.06 sk)