2006-10-31 15:14:40

Italien: Sepe, "Klima des Terrors" in Neapel


RealAudioMP3 In Neapel eskaliert die Gewalt. Neun Tote in neun Tagen. Vergangenen Freitag hatte ein Tabakhändler einen Mann erschossen, der ihn gerade überfallen wollte. Ebenfalls am Freitag gab es einen Rachemord. Eine Frau wurde erschossen. Ihre Söhne waren bereits vor Monaten umgebracht worden, ihr Mann vor mehreren Jahren. Dann gab einen Mord im Auftrag eines Camorra-Clans: Ein Bauunternehmer wurde vor den Augen seiner Frau erschossen. Gestern erstach ein 16-Jähriger aus Eifersucht einen anderen Jugendlichen.
"Es scheint fast, als würde man täglich einen Kriegsbericht lesen."
sagt der Erzbischof von Neapel, Kardinal Crescenzio Sepe. Die Anti-Mafia-Direktion in der Staatsanwaltschaft sagt dazu, ein Menschenleben sei in Neapel nichts mehr Wert. Sepe:
"Natürlich gibt es sehr große Probleme. Man muss sich ihnen stellen, sie aber an ihren Wurzeln anpacken. Die Bevölkerung lebt schon zu lange unter diesen massiven Schwierigkeiten. Das ist das Terrain, auf dem Kriminalität entsteht, ein Terrain der Gewalt, denn es gibt keinen anderen Ausweg für die Jugendlichen, die Arbeitslosen, man kann fast sagen auch nicht für Kranke, Gefangene, usw. Meiner Meinung nach müssten alle jetzt sich daran machen und versuchen, diese Ursachen von der Wurzel her anzugehen, über die dringenden Maßnahmen dieser Tage hinaus. Ich habe den Eindruck, dass es eben einer groß angelegten Strategie fehlt, die grundlegenden Probleme anzugehen, die es nun einmal gibt, und die man an der Wurzel lösen muss. Ohne so eine Planung gehen diese Akte der Grausamkeit, wie wir sie in diesen Tagen erleben, weiter, sie wiederholen sich auch in naher Zukunft."
Involviert sind auch Jugendliche, die scheinbar nichts mit den Clans von Mafia und Camorra zu tun haben. Armut, die als Boden für die Camorra gilt, ist der Grund für Kriminalität jeder Art:
Hier hat sich ein Klima, eine spezielle Kultur der Gewalt entwickelt. Diese Jugendlichen, auch diese so genannten „Baby-Gangs“, wissen nicht, wo sie hingehen sollen, wissen nicht, wie sie die Zeit totschlagen sollen, haben keine intakte Familie. Es ist klar, dass sie früher oder später auf der Straße landen. Und die Straße lehrt Gewalt.
Diese Situation macht – so sagt Sepe – „sehr besorgt und ratlos“.
"Die Kirche macht sehr viel. Wir haben mehr als 300 Zentren hier in Neapel, die versuchen, auf irgend eine Art fehlende Strukturen zu ersetzen. Klöster, Pfarreiinitiativen, katholische Aktionen. Sie tun alles, um diese Jugendlichen von der Straße zu holen. Das ist eine Form der kulturellen, sozialen und auch religiöser Zuwendung, die es braucht, um der Kriminalität den Boden zu entziehen."
Polizei und Carabinieri haben die Lage in den einschlägigen Vierteln rund um den Dom und in den Vororten nicht mehr Griff. Aus dem Innenministerium heißt es, diese Situation gebe es in ganz Europa nicht mehr. Mafiöse organisierte Großkriminalität auf der einen, Kriminalität an sich auf der anderen Seite. Von den Rufen, Militär an den Vesuv zu schicken, hält der dortige Erzbischof jedoch nichts.
"Ich glaube, dass so das Problem nicht gelöst werden kann. Für den Moment mag es etwas helfen, sozusagen schmerzlindernd, aber – ich wiederhole – wenn das Problem nicht grundsätzlich gelöst wird, können sich diese Vorfälle wiederholen. Was es braucht ist ein neues Bewusstsein, einen neuen Lebensstil, eine neue Mentalität, das Leben anzupacken."
Sepe warnt davor, den Süden Italiens abzustempeln und mit dem Mafia-Siegel zu belgen:
Die große Mehrheit der Neapolitaner sind gute Menschen, die nach humanen, sozialen und auch religiösen Werten leben. Sie haben einen lebendigen, dynamischen Glauben. Es sind Menschen, die mit diesen Idealen und diesen Werten leben. Diese Menschen muss man bestärken. Es ist eine absolute Minderheit, die aber organisiert und verbreitet ist, und es leider schafft, ein Klima des Terrors zu schaffen.
(rv/agenturen 31.10.06 bp)







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