Der Mörder des Priesters Andrea Santoro in Trabzon, ein 16-jähriger Schüler, ist von
einem türkischen Gericht zu 18 Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Das
Gericht sprach den Jugendlichen wegen vorsätzlichen Mordes, illegalen Waffenbesitzes
und Gefährdung der öffentlichen Ordnung schuldig. Die Mordtat am 5. Februar war in
Ankara mit äußerster Besorgnis registriert worden: Das Verbrechen trübte das offizielle
Bild der EU-Kandidatin Türkei als "Insel der Toleranz", auf der Christen und Muslime
friedlich zusammenleben. Der Jugendliche hatte Santoro in der katholischen Marienkirche
der alten byzantinischen Kaiserstadt am Schwarzen Meer mit zwei Schüssen in den Rücken
getötet, während der Geistliche betete. Augenzeugen zufolge rief der Täter während
der Schüsse "Allahu Akbar" (Gott ist groß). Zwei Tage nach dem Mord wurde er festgenommen.
Derweil ist das Motiv der Tat immer noch rätselhaft. In den Verhören durch die Polizei
schwieg der 16-jährige größtenteils. Dass er den Priester ermordet hatte, bestreitet
der Jugendliche aber nicht. Seine Verteidigerin will das Urteil anfechten, weil sie
die Haftstrafe als zu hoch empfindet. Möglicherweise ist das Motiv in einer gefährlichen
Verbindung von religiösem und nationalistischem Extremismus zu suchen. Trabzon ist
ein Zentrum einer besonders militanten Spielart des türkischen Nationalismus, für
den ein guter Türke auch ein Muslim sein muss. Das mag damit zusammen hängen, dass
viele Einwohner von Trabzon sozusagen "Schein-Türken" sind, in deren Familien die
griechische, armenische oder georgische Herkunft durchaus präsent und bewusst ist.
Andrea Santoro wurde in Presseberichten unterstellt, er habe Muslime"bekehren" wollen.
In Wirklichkeit hatte sich Santoro vor allem um georgische und russische Arbeitsimmigranten
gekümmert. (kap 11.10.06 sk)