Mit einem Appell zum
Abbau der Ost-West-Gegensätze haben am Dienstag in Kiel die zentralen Feiern zum Tag
der deutschen Einheit begonnen. Die „tiefen Gräben zwischen Ost und West würden oft
übersehen oder beschönigt“, sagte Hamburgs Erzbischof Werner Thissen beim ökumenischen
Gottesdienst in der Kieler Nikolaikirche zum Auftakt der Staatsfeierlichkeiten.
„Wer die Einheit in Deutschland fördern will, der braucht ein waches Geschichtsbewusstsein.
Wer die Einheit fördern will, braucht einen sensiblen Umgang mit Redegewohnheiten
in Ost und West. Wer die Einheit fördern will, hält sich am Besten zurück mit zu schnellen
guten Ratschlägen.“
Das Erzbistum Hamburg sei „ein Kind der deutschen Einheit“,
neben Berlin „das einzige kirchliche Gebilde, das aus weiten Teilen in Ost und West
zusammengesetzt ist. An den Erfahrungen in dieser 1995 neu gegründeten Konstruktion
machte Thissen seine Appelle an die Gäste aus Politik und Gesellschaft fest. Zum Beispiel:
„Wir
planen ein seelsorgliches Projekt. Originalton West: Wir müssen das Projekt so planen,
dass anschließend auch eine Erfolgskontrolle möglich ist. Originalton Ost: Erfolgskontrolle?
Um Himmels willen, das ist ja wie in der DDR. Darauf der Westler: Ich lasse mich nicht
mit Diktatoren vergleichen.“
Auch an den ehrlichen wie schmerzlichen Fragen
nach den gegenseitigen Vorurteilen kämen Zusammenarbeit und Einheitsprozess nicht
vorbei, so Thissen. „Es wird Generationen dauern, bis die Gräben
zwischen Ost und West nicht mehr trennen, sondern nur noch verbinden. … Die Einheit
in Deutschland ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem. Sie greift tief hinein
in Denken und Empfinden vieler Menschen, die eine ganz unterschiedliche Geschichte
haben, Unterschiedliches erleben und erleiden. Je mehr wir das berücksichtigen, desto
mehr sind wir auf dem Weg der Einheit.“
Die evangelische Bischöfin Bärbel
Wartenberg-Potter erinnerte daran, dass die Einheit „klein und gewaltlos“ in den Kirchen
begonnen habe. Unter den Teilnehmern des Gottesdienstes waren Bundespräsident Horst
Köhler, Bundeskanzlerin Angela Merkel und zahlreiche Kabinettsmitglieder.