Seit sieben Tagen wird in der ungarischen Hauptstadt demonstriert – ein Ende der Krise
ist bislang nicht abzusehen. Viele friedliche Protestanten, teilweise gewalttätige
Ausschreitungen – jüngst haben die katholischen Bischöfe zur Ruhe aufgerufen und die
„moralische Erneuerung“ des Landes im Geiste der „Wahrheit und Rechtschaffenheit“
gefordert. Nach der Veröffentlichung von Aussagen des amtierenden Ministerpräsidenten
Ferenc Gyurcsany, kam ans Licht, dass die sozialistisch-liberale Regierung das ungarische
Volk in den vergangenen Jahren belogen und betrogen hat. Die Menschen seien nicht
nur enttäuscht, erklärt der Vorsitzende des Pfarrgemeinderates der deutschen katholischen
Gemeinde in Budapest, Hans Friedrich von Sohlemacher. Hier ginge es um das „Überleben“.
Und das erfahre jede ungarische Familie am eigenen Leib:
„Man muss sich
vorstellen, dass eine Familie in Ungarn nur wie ein Wunder vor und nach der Wende
überleben kann, indem alle arbeiten und indem die meisten zwei oder mehrere Jobs haben.
Ein normaler Angestellter im öffentlichen Dienst, oder im Gesundheitswesen arbeitet
an zwei Stellen - ganz legal. An der einen Stelle ist er sozial versichert und zahlt
Steuern und an der zweiten Stelle geht es um ein Zusatzeinkommen in den Abendstunden
oder in der Freizeit. Nur so kann man den Lebensstandard halten. Das gilt für beide
Elternteile und das wird jetzt alles auch in die Pflicht genommen für Sozialabgaben,
für Steuerabgaben und das ist für die Bevölkerung fast nicht vorstellbar.“
Die
friedliche Wende 1989 als auch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union habe die
Menschen hoffen lassen, dass es ihnen wirtschaftlich bald besser gehe. Nun müssen
sie feststellen,
„das trifft nur für einen ganz kleinen Teil der Bevölkerung
zu. Und zunehmend erkennt der größere Bevölkerungsanteil, dass das hauptsächlich für
die zutrifft, die schon früher die besseren Verbindungen hatten. Und so wird die Kluft
zwischen den ganz Reichen, denen die gut dar stehen und denen, die wirklich am Existenzminimum
leben müssen, immer größer. Es gibt zehn Millionen Einwohner und nach einer Studie
sind mindestens drei Millionen unter dem Existenzminimum.“
Die katholische
Kirche müsse weiterhin auf die sozialen Missstände hinweisen, erklärte Hans Friedrich
von Sohlemacher von der deutschen Gemeinde. Schließlich seien die Bischöfe eine Stimme
in Ungarn, die gehört und im gesellschaftlichen Diskurs beachtet werde.