Sandra Maischberger,
geboren in München, verbrachte fünf Jahre ihrer Kindheit in der Nähe von Rom (Grottaferrata).
Von 1987 bis 1989 ließ sie sich an der Deutschen Journalistenschule in München zur
Redakteurin ausbilden. Die Berufstätigkeit begann sie beim Bayerischen Fernsehen in
den Bereichen Redaktion, Moderation, Interview und Reportagen. Zuletzt war sie im
aktuellen Bereich Chefin vom Dienst.Sie galt bereits als eine der profiliertesten
Politjournalistinnen, als sie vom Privatsender VOX für die Konzeption und Moderation
der wöchentlchen Sendung ŒSpiegel-TV-Interview¹ verpflichtet wurde.Ihre unpathetische
Sprache und ihr präzises Nachfragen wurde vielfach gelobt.Heute gelten die Sendungen
von Sandra Maischberger sowohl im öffentlichen als auch privaten Fernsehen als etwas
vom Besten, was auf diesem Gebiet im Angebot steht. "Ich war immer schon sehr neugierig.
Ich muss ein Kind gewesen sein, das auch immer schon sehr viele Fragen gestellt hat.
Ich kann mir den Tag nicht ausmalen, in dem ich aufhöre Fragen zu stellen. Ich mache
gerade einen Film über Helmut Schmidt. Das erstaunliche an diesem 87-jährigen Mann
ist: wenn Sie mit ihm über die Autobahn fahren, hört er nicht auf zu fragen. Ist das
jetzt ein Baum dieser Sorte, in welcher Art der Landschaft bewegen wir uns jetzt,
ist die Autobahnausfahrt noch da, wo sie einmal warŠ..Er hört nicht auf zu fragen.
Ich glaube, das ist etwas, was einem Menschen wohl gegegben wird. Eine unersättliche
Neugierde, das jedenfalls spüre ich für mich. Seit jeher. Gelernt habe ich eine Art
Systematik, also eine Art Handwerk. Wie frage ich zielgerichteter, wie vermeide ich
Fehler. Das kann man lernen. Wie man es dann ausformt, das ist dann eine Frage der
Jahre".
* Sie sind in Frascati bei Rom aufgewachsen und wollten zunächst einmal
Tierärztin oder Detektivin werden. Nach Ihrem Studium haben Sie auf medialer Ebene
bald Maßstäbe gesetzt und einen eigenen Stil erfunden und gefunden.Wie würden Sie
selbst Ihr Können beschreiben? *Das ist sehr einfach. Es ist schlicht das Verfolgen
der persönlichen Neugierde. Ich habe im übrigen nicht studiert, sondern eine Berufsausbildung
in der Journalistenschule gemacht, damit ich möglichst schnell das machen konnte,
was ich machen wollte: nämlich Fragen stellen. Und wenn Sie es streng nehmen, tue
ich heute nichts anderes. *Inwieweit sind Ihre Interviews spontan, inwieweit vorbereitet?
Wie schaffen Sie es, immer die richtigen Fragen zu stellen? * Die richtige Frage
zu stellen, ist die einzige Kunst, die man tatsächlich beherrschen muss. Dazu gehört
übrigens schon die richtige Person am richtigen Tag einzuladen. Dann gehört dazu eine
sehr intensive Vorbereitung. Jemand hat einmal gesagt: Man muss über den Interviewpartner
mehr wissen, als er selbst über sich. Und dann muss man die Spontaneität und auch
den Mut besitzen, das was man vorbereitet hat und das ist nicht wenig in dem Moment
fallen zu lassen, wenn man merkt, da sitzt man ja jemanden ganz anderen gegenüber.
Diesen Menschen interessieren ganz andere Dinge als die, die man vorbereitet hat.Also
ich würde sagen: die Interviews sind 50% Vorbereitung, 50 % spontan.* Aber schwieriger
ist ja das Spontane. Denn da wissen Sie ja nicht was auf Sie zukommt? *Ja, aber
man wird sehr schnell mutiger, wenn man ohne doppelten Boden, ohne Netz läuft. Man
merkt auch sehr schnell an einem Gesicht, an der Mimik des Gegenübers, an der Gestik,
an den Pausen, an der Art, wie er Antworten gibt, wo man auf dem richtigern Weg ist
und wo auf dem falschen. * Welchen Stellenwert nehmen bei Ihren Gesprächen das
Einfühlungsvermögen, die Psychologie ein? *Ich könnte es Ihnen nicht wissenschaftlich
beantworten. Es ist klar, dass man einen Menschen nicht begreifen kann, wenn man nicht
versucht, die Welt aus seinen Augen zu sehen. Wie sieht die Welt meines Gegenüber
aus, wie denkt er? Im Gespräch selber gibt es unterschiedliche Typen: ich bin viel
einfühliger mit einem Menschen, der wenig Erfahrung hat mit den Medien, als beispielsweise
mit einem Politiker, mit dem ich über eine Sache zu streiten habe. Da ist Einfühlungsvermögen
häufig fehl am Platz. * Wann ist für Sie ein Gespräch erfolgreich? * Wenn
es entweder gelungen ist, ein Bild zu zeichnen einer Person, wenn jemand, der diese
Person nicht kannte, danach ein Bild davon hat von dieser Person oder sich danach
auch nur für sie interessiert. *Medienarbeit ist verantwortungsvoll. Es geht dabei
im Wesentlichen darum, Fakten möglichst tatsachengetreu zu vermitteln. Journalisten
sind nicht Alleswisser. Es bedarf mühevoller Recherche und Kleinarbeit. Wie gehen
Sie mit diesem Tatbestand um? * Zunächst muss man als Journalist wissen, was man
nicht leisten kann. Meine Maxime ist: ich muss so gut vorbereitet sein, dass ich gute
Fragen stelle, aber ich muss nicht so gut vorbereitet sein, dass ich auch gute Antworten
geben könnte. Ich muss nicht Experte der Sache werden, über die ich jemand anderen
interviewe. Die Vorbereitung also muss darauf gezielt sein, Man muss darauf achten,
dass die Quellen, die man benutzt, gute Quellen sind, dass man also nicht einer Fehlinformation
aufsitzt, all dieses gehört zu Vorbereitung. * Was verstehen Sie unter kritischen
Journalismus? * Kritischer Journalismus nimmt das, was er sieht, nicht gleich als
das wahre Bild an, sondern versucht immer zu sehen, ist dieses eine Bild uns nur vorgegaukelt
wird. Ein kritischer Journalist nimmt Fakten nie einfach als Fakten an, sondern er
versucht sie zu überprüfen. Er versucht, hinter die Kullissen zu sehen. * Muss
kritischer Journalismus nicht auch immer einwenig selbstkritisch sein? * Im besten
Falle natürlich. Im besten Falle muss kritischer Journalismus übrigens auch den eigenen
Standpunkt immer überprüfen. Der ideale Standpunkt eines Journalisten ist ja im Nachrichtengeschäft
ein objektiver. Wenn man sich bewußt ist, dass diese Objektivität nur relativ ist,
dann weiß man, wie tendeziös oft der eigene Bericht, die eigene Sendung werden kann.
Dies man man aber immer wieder für sich feststellen. Das ist eine Strategie gegen
die eigene Faulheit. * Wie gehen Sie mit vorgefassten Meinungen um? * Meiner
eigenen vorgefassten Meinung oder die der anderen? Es gibt nämlich beides. Das ist
genau die Objektivitätsüberprüfung, die man immer machen muss. Man muss die eigene
Meinung immer in Frage stellen. Wissen Sie was hilft? Das Wissen, das man nichts weiß.
Denn in dem Moment, wo man weiß, wie wenig man weiß, wird man sich nicht trauen, eine
zementierte Meinung über eine Sache zu fassen. * Welche sind Ihre menschlichen
Vorbilder: fangen wir bei den Frauen an. Vermutlich, als allererste meine Mutter.
Das ist sehr einfach, denn von ihr habe ich glernt, selbstständig zu sein, mich immer
fortzubilden und natürlich all das was Wärme ist: Mitgefühl, sich für die Umwelt zu
begeistern, mit teil zu haben, an dem was geschieht. Also meine Mutter ist ganz oben
bei den Vorbildern. Ich tue mich aber immer ein bisschen schwer mit dem Wort, weil
der Identifizierungsgrad mit einem Vorbild ja immer als sehr hoch angenommen wird.
Über den größeren Zusammenhang also ich will jetzt nicht auf Johanna von Orleans
oder ähnliche Personen der Geschichte kommen - ich weiß zu wenig über deren tatsächliches
Leben. Nur das was mir erzählt wird - und ich habe gelernt, dass Geschichte auch nur
eine Art Version ist, auf die sich Historiker geeinigt haben. * Sie nennen Johanna
von Orleans. Für manche eine Heldin, für die Kirche sogar eine Heilige. Das Thema
Kirche weckt immer besondere Emotionen. Welchen Stellenwert nimmt bei Ihnen die Religion
ein? * Als Journalistin einen großen Stellenwert. Das ist eines der großen Themen
unserer Zeit. Die Kirche hat in meinem Leben eine große Rolle gespielt in meiner Jugend.
Die evangelische Kirche in diesem Fall, weil sie der einzige Ort war, an dem Gemeinschaft
stattfand. Also auch für Jugendliche. Es wurde ungemein viel organisiert. Wir konnten
diskutieren, es waren Lehrgänge da, es gab Gottesdienste auch mit viel Musik, es war
überhaupt sehr viel Musik im Spiel. Also das hat eine große Rolle gespielt, als Gemeinschaft,
als Gemeinde, im wahrsten Sinne des Wortes. Und ich habe jetzt erst wieder eine gefunden
hier in Berlin - eine evangelische Gemeinde, die mir imponiert. Ich kann mir gut
vorstellen, dass diese kirchliche Gemeinschaft eine größere Rolle spielen wird. *
Ein Blick durch das Fenster der Transzendenz: Sie haben sich in der Öffentlichkeit
als Angostikerin bezeichnet. Aber ganz in Ihrem Innern tragen Sie, wie alle Menschen,
irgend etwas - über das Sie vielleicht so gerne gar nicht sprechen möchten. Oder?
Sie befragen viele Menschen nach ihren ethischen Werten und persönlichen Grundeinstellungen.
Dabei versuchen Sie in die Tiefe zu gehen:darf auch ich Sie heute nach Ihren Wertvorstellungen
fragen? So fern Sie welche finden, jeder Zeit.. * Moralische und ethische Vorstellungen
gibt es natürlich sehr viele. Das ist die Wahrhaftigkeit, das ist der Kategorische
Imperativ. Bei den transzendentalen Vorstellungen wie Sie es nennen gibt es in
der Tat etwas, das in diesem agnostischen Bekenntnis die Unbekannte ist. Obwohl es
ein Teil davon ist; denn das ist natürlich die Größe der Schöpfung, der Natur, die
mir sehr häufig begegnet und die für mich eine unbeantwortbare Frage stellt. Und die
Existenz der Liebe. Die nach allen Regeln meiner Haltung gegenüber den Dingen, die
man nicht sieht, existiert. * Die Liebe: Sie wissen, dass Papst Benedikt XVI. in
seiner ersten und bis jetzt einzigen Enzyklika gerade die Liebe zum Hauptthema gemacht
hat? Die Liebe zu Gott, die Nächstenliebe und die Liebe zwischen Mann und Frau. *
Das, was Papst Benedikt gesagt und geschrieben hat, das hat mich auch nachdenklich
gemacht. Er sagt wenn ich es richtig verstanden habe wenn man die Beziehung zwischen
Gott und den Menschen irgendwie fassen will sähe man das am besten in der Liebe.
Die Liebe, die Nächstenliebe ist dann eher eine Sache glaube ich der Vernunft.
Das ist dann ein ethisches Gebot. Hingegen die Liebe zwischen Mann und Frau, Mann
und Kind oder Frau und Kind, oder zwischen mir und meiner Mutter ist etwas, das man
gar nicht bremsen kann. Man kann es gar nicht unterdrücken. * Wie ordnen Sie die
Persönlichkeit Papst Benedikt XI. ein? * Ich interessiere mich sehr für die Persönlichkeit,
ich habe nur offensichtlich wenig Möglichkeit, herauszufinden, wer er wirklich ist.
Ich kann lesen, was er geschrieben hat, ich weiß, was über ihn geschrieben wird, ich
lese sehr viel davon, aber ich habe nicht die Möglichkeit, mich ihm so zu nähern,
wie wir uns jetzt gegenübersitzen. Ich kann nicht die Welt aus seinen Augen sehen,
das geht natürlich nicht. Das ist vermessen.Das heißt: mir fehlt etwas, um mir ein
abschießendes Bild zu machen. Ich sehe, dass er ein hochspiritueller, beseelter Mensch
ist, aber auch gleichzeitig ein hochintellektueller Mensch ist. Und das würde mich
zum Beispiel auch interessieren: dass es zwei Seiten sind, die in einer Art von Spannung
miteinander leben. Mich würde interessieren: welche ist dominanter zum Beispiel.Oder
wie erklärt die eine oder andere Seite die Sicht auf bestimmte Fragen oder das, was
passiert in der Welt. Also er ist ein hochspannender Mann. * Im Flugzeug gibt
es bei starken Turbolenzen keine Atheisten, lautet ein bekanntes Zitat. Beim Herrgott
klopft man also nur in höchster Gefahr an? Das ist interessant, dass Sie das Flugzeug
erwähnen. Denn ich leide unter Flugangst. Ich bin dennoch eine Agnostikerin. Denn
ich glaube tatsächlich, dass in dieser Situation keine Macht helfen kann. Das ist
eine furchtbare Überzeugung, wenn man Angst hat. Also versucht man es mit dem Intellekt
oder mit einer schicksalshaften Haltung. Die heißt: es ist dir bisher in deinem Leben
gut gegangen, sollte jetzt tatsächlich etwas passieren, dann war es ein gutes Leben.
Nimm es hin. Das ist das einzige, was mir hilft. Also nicht der Blick nach oben, sondern
eher der Blick in das eigene Leben. * Was sind aus Ihrer Sicht die drei größten
Fragen, zu denen es noch keine Antwort gibt? * Warum sind wir hier, ist glaube
ich die allergrößte Frage.Gibt es einen Gott, gehört sicherlich zu den größten Fragen,
auf die ich keine Antwort sehe. Man kann das eine wie das andere ja nicht beweisen,
aber auch nicht ausschließen. Bei der dritten bin ich mir nicht sicher: ich habe früher
immer gefragt: Gibt es die Liebe? Oder ist das nur eine Art der Einbildung des Menschen?
Die dritte große Frage wäre tatsächlich die: Ob die Menschheit auf Dauer überleben
kann mit den anderen Arten dieser Erde. Ich glaube, dass wir uns in einen Zielkonflikt
bewegen. Durch die Beeinflussung der Menschen auf den Kreis der Natur. Es wird sehr
vieles zerstört. Mich würde über lange Sicht also in den nächsten Millionen von
Jahren gerechnet interessieren, ob diese Menschheit der Parasit ist, der diese Welt
mit allen, was ist, irgendwann einmal zerstört. *Wollen wir dieses Gespräch optimistischer
ausklingen lassen, mit der Frage: Welche sind aus Ihrer Sicht die drei größten intellektuellen
Errungenschaften der Menschheit? * Wenn Sie eine bestimmte Staatsform als intellektuelle
Errungenschaft sehen, ich weiß nicht ob es das ist, worauf Ihre Frage zielt, dann
würde ich sehr wohl denke, dass die Demokratie eine solche Errungenschaft ist, denn
sie gestattet das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum. Ich weiß nicht,
ob der kantsche Imperativ eine intellektuelle Errungenschaft ist. Nur dann würde ich
meinen, Ja. Es gibt ja viele, die das auf der religiösen Seite beantworten würden,
dann wäre das eine intellektuelle, eine gottgegebene Errungenschaft. Die dritte große
Errungenschaft: das Erkennen des Ursprungs des Universums. * Es ist viel von Liebe
die Rede gewesen, heute. Was ist Liebe? * Ohne Liebe ist nichts. Das ist so einfach.
Ohne Liebe gibt es keine Existenz, ohne Liebe gibt es kein Miteinander, ohne Liebe
gibt es kein Erkennen der anderen in der Welt. Liebe ist das einzig wirklich erklärliche,
in der Frage, warum sind wir auf dieser Welt?
Das Gespräch von Aldo Parmeggiani
mit Sandra Maischberger wird von Radio Vatikan am 24. September um 20.20 Uhr ausgestrahlt.