Hat Papst Benedikt
einen Fehler gemacht, als er in seiner Rede an der Universität Regensburg ein Zitat
des oströmischen Kaisers Manuel II. gebrauchte? Frage an den deutschen Islam-Experten
und Jesuitenpater Christian Troll. "Das Zitat war in dem Zusammenhang sicher nicht
notwendig; es war natürlich schwer vorauszusehen, dass das so aus dem Zusammenhang
gerissen wird - aber ich glaube schon, dass er im Licht dieser jetzigen Ereignisse
das Zitat nicht hineingesetzt hätte."
Bleiben wir noch dabei - hat der Papst
was falsch gemacht? Jesuitenpater Samir Khalil Samir, ein Jesuit und Islamkenner,
der in Beirut unterrichtet: "Inhaltlich hat er nichts falsch gemacht. Ein Professor
zitiert und kommentiert."
Also kein Fehler bei Benedetto? "Er hat einen politischen
Fehler gemacht, weil er nicht eine solche Reaktion erwartet hat. Als Vortrag hat dieser
Text überhaupt keinen Fehler. Wenn ich einen Text zitiere, muß ich ihn wirklich zitieren,
und er hat vor und nach dem Zitat einige Worte hinzugefügt, die zeigen, dass er sich
von diesem Text distanziert."
Zwei Versionen zur Entstehung des Textes
Nun
kursieren im Vatikan im Moment zwei Versionen. Die eine: Der Papst hat überhaupt nur
auf Drängen seiner alten Uni einen richtigen Vortrag geschrieben, eigentlich wollte
er nur ein paar Erinnerungen erzählen. Und dieser Vortrag sei dann sehr spät fertiggeworden,
so dass bestimmte Leute im Vatikan ihn nicht mehr gegengelesen haben - die hätten
dann natürlich vor dem Zitat gewarnt. Da gibt`s aber noch die zweite Version: Da sagt
ein dem Papst nahestehender Kurienmann, Benedikt weiß genau, was er sagt...
Was
wird den Papst denn an diesem Zitat, auch wenn es entlegen war, gereizt haben? Pater
Samir aus Beirut glaubt, dieses Zitat sei schon eine gute Einleitung ins Papst-Thema
Vernunft und Glaube. "In einem Satz hat er beide Ideen gefunden - einmal die Sache
mit der Gewalt: Gewalt entspricht nicht Gottes Natur und nicht Menschennatur. Zweitens:
Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider. Dieser Satz kommt 5-mal
in seiner Rede. Das heißt: Das ist sein Thema. Er hat diesen Satz bei König Manuel
gefunden; dann muß er natürlich, wie bei jedem Vortrag, den Kontext erklären. Und
deshalb zitiert er die Sache mit der Gewalt. Das ist es."
Glaube und Vernunft
gehören zusammen, so fasst Pater Samir die Papstgedanken zusammen. Und im Westen habe
man mit der Zeit die Dimension des Glaubens aus der der Vernunft hinauskomplimentiert.
"Und deshalb können solche Leute im Westen nicht mehr einen Dialog mit den Muslimen,
mit den Afrikanern und Asiaten, mit allen Völkern führen, die in ihrer Kultur tief
von Gott geprägt sind."
Hier - im Westen - also die übermäßige Betonung der
Vernunft, dort - im Orient - die übermäßige Betonung des Glaubens. "Das ist unser
Problem nicht nur bei Muslimen, sondern man kann sagen, auch bei orientalischen Christen:
Im Orient zählt nur das, was geistlich ist. Im Westen ist es nur die Vernunft, die
zählt. Und er meint: Wir müssen einen Mittelweg finden - wie das früher war, als die
Christen das griechische Denken assimiliert haben und es verbesserten. Und so ist
die Vernunft im Zentrum, aber die Vernunft, die von Gott kommt. ... Und das hat
er in diesem Satz so schön gefunden. Und was bedeutet das, wenn man sich nur an den
Glauben hält und nicht an die Vernunft? Das kann leicht Gewalt bringen, denn Gewalt
ist - wie der Kaiser sagt - unvernünftig, und das heißt: nicht mit Gott verbunden."
Der Fehler des Papstes bringt den Dialog voran
Wenn ich Pater
Samir zuhöre, wie er dieses umstrittene Zitat im Gesamtzusammenhang der Papstrede
sieht, dann beschleicht mich persönlich das Gefühl: So ganz fehl am Platz oder ganz
so marginal ist das Zitat des Kaisers für diese Rede eigentlich nicht. Jetzt, wo dieses
Zitat nun mal in der Welt ist - kann man es positiv nutzen für den künftigen Dialog
mit dem Islam? Pater Samir: "Ich glaube, kein Mensch und kein Moslem kann sagen: Wir
haben kein Problem im Islam mit der Gewalt. Es gibt ein Problem! Und hier merke ich
eine wichtige Tendenz unseres Papstes: Er will einen Dialog in Wahrheit führen. Wahrheit
bedeutet: Manche Sachen müssen gesagt werden. Es gibt ein Problem mit Gewalt."
Da
kann man fast dankbar sein, dass der Papst mal mit fast brutaler Offenheit gesprochen
hat. Pater Christian Troll: "Der Papst ist der letzte, der jetzt primitiv da eine
Islamophobie vorantreiben will. Nein, er möchte den echten Dialog der Kulturen. Und
er sagt: es reicht nicht, wenn wir uns immer bemühen, freundlich zu sein und uns gegenseitig
anzulächeln. Der Dialog kann nur vorangetrieben werden, wenn wir wirklich auch die
Grundfragen auf den Tisch legen - so schmerzhaft diese Diagnose dann für beide Parteien
auch sein mag. Und dass man dem ausweichen will, das finde ich das eigentlich Betrübliche.
Denn ich glaube, dass der Papst dem Dialog einen großen Dienst erwiesen hat mit seiner
Klarsichtigkeit und dem Mut, diese Dinge auf den Tisch zu legen."
Das Thema
Gewalt liegt also jetzt auf dem Tisch im Gespräch der Religionen - und das heißt für
Troll: "Ich glaube, dass die Flitterwochen des Dialogs in den letzten Jahrzehnten
seit dem Konzil - die ja auch etwas Gutes hatten - vorbei sind."
Pater Samir
aus Beirut ergänzt: "Er hat sehr deutlich darüber gesprochen. Das hatte Papst Johannes
Paul II. nicht so deutlich gesagt. Ich glaube, er geht weiter in der Richtung Johannes
Pauls für einen Dialog - nicht nur religiös, sondern als Dialog der Kulturen. Deshalb
hat er auch das Sekretariat für interreligiöse Beziehungen mit dem Kulturrat zusammengelegt.
... Man kann nicht vom Islam sprechen, ohne von Kultur und Mentalität usw. zu sprechen
- das sehen wir heute. Unser Konflikt ist nicht zwischen Islam und Christentum, sondern
zwischen zwei Weltanschauungen. Das ist für uns Christen in der islamischen Welt sehr
deutlich."
Unser Zwischenergebnis also: Ein Fehler des Papstes, ja schon. Aber
einer, der den Dialog weitergebracht hat oder weiterbringen wird. Pater Samir: "Diplomatische
oder politische Fehler, die kann man verbessern. Aber die Linie ist doch die einzige
Linie: Wir sind doch keine Kinder! Mit Kindern kann ich sagen: Nein, nein, das sagen
wir besser nicht. Er denkt, dass die Muslime erwachsene Gläubige sind! Leider nicht
alle - so wie bei Christen nicht alle!"
"Flitterwochen sind vorbei"
Und
was machen wir mit dem ganzen Geschrei, mit den Protesten und Drohungen, die die Papstrede
in manchen Teilen der islamischen Welt hervorgerufen hat? Da sieht der Islamexperte
Pater Samir zwei Gründe: Zum einen hätten die Journalisten gegen ihre Verantwortung
verstoßen, als sie aus einer langen Rede an Deutsche und den Westen einfach zwei,
drei Sätze zum Islam aus dem Zusammenhang genommen und verbreitet haben. "Ich erwarte
von einem Journalisten, dass er mich informiert. Informieren bedeutet: Wenn ich eine
Stunde lang spreche, dass ich ungefähr die Stunde in fünf oder drei Minuten habe.
Nicht, dass ich nur zwei Minuten davon nehme, und 58 Minuten fallen weg!"
Die
zweiten Verantwortlichen seien die tonangebenden Führer und Politiker in der islamischen
Welt. "Die suchen irgendwas, um den Westen zu kritisieren. Ich lebe in unserer islamischen
Welt, und ich lese täglich, wie sie schreiben... Es ist deutlich: Sie haben keine
Ahnung von seiner Rede! Niemand hat das gelesen. Sie versuchen einfach, polemisch
zu sein. Sie wollen sagen, der Westen ist immer dasselbe. Er versucht uns kleinzumachen
usw.".
Wenn es die Chance gäbe, dass Moslems in Ruhe die ganze Papstrede lesen,
dann würden sie sehen, dass Benedikt in wichtigen Punkten hinter ihnen steht, glaubt
Pater Christian Troll: "Vielleicht hätte der Papst etwas klarer sagen können, dass,
auch wenn die islamistische Form des Islam heute die lautstärkste ist und die schlimmsten
Schäden anrichtet, doch nicht unbedingt und überall die Mehrheit der muslimischen
Menschen dieser angehören. Viele der Muslime leiden ja auch unter diesen Fehlinterpretationen
und falschen Darstellungen des Islam. Gleichzeitig meine ich, dass die Muslime eben
leider nicht sehen - dabei müsste man das von intelligenten Moslems erwarten -, dass
sie die Rede lesen und dass sie sehen, dass der Papst genuin religiöse und eigentlich
auch islamische Anliegen vertritt in seiner Kritik an einer säkularisierten Form des
Westens, seines Denkens und seiner Mentalität."
Krise in der islamischen
Welt
Der Aufschrei in der islamischen Welt war deshalb so groß, weil es
dort eine tiefe Krise gibt. Pater Samir: "Jeder Moslem will ein guter Moslem sein
und ein Mensch seiner Zeit - ohne weiteres. Nur: Die Modernität kommt vom Westen.
Der Westen ist meist sehr säkularisiert. Und das ist eine unerträgliche Situation
für Menschen, die im Wesen religiös sind. Und hier glaube ich: Der Papst hat das gespürt
und sagt: Ja, unsere westliche Zivilisation ist zu weit gegangen! Er sagt aber auch:
Es geht nicht zurück vor die Aufklärung. Wir sind dankbar für die Aufklärungsbewegung...
er spricht sehr, sehr deutlich darüber."
Pater Troll: "Wenn sie in der globalisierten
Welt als Religionen bestehen wollen, dann ist es eine ganz wichtige Herausforderung
an den Islam, dass man auch dazu kommen muß, mit einer Stimme zu sprechen. Der Konsens,
der so schmerzlich fehlt... etwa in der Beurteilung von Selbstmordattentaten, von
bioethischen Fragen usw.".
"Auch Selbstkritik nötig"
Unser Resümee:
Ja, der Papst hat mit der Wahl des Zitats einen Fehler gemacht, aber dieser Fehler
hat den Dialog mit dem Islam vorangebracht. Weil jetzt die wirklichen Fragen, z.B.
das Verhältnis zur Gewalt, auf dem Tisch liegen. Wie sagt Pater Troll: Die Flitterwochen
im Dialog sind vorbei.
Hier zum Schluß noch ein weiterer Aspekt. Dialogexperte
Troll würde sich wünschen, dass sich unser Blick vom christlich-islamischen Dialog
jetzt weitet, auf andere Religionen und auf andere Themen hin. "Was auf unserer Seite
etwas mehr betont werden müßte, das sage ich jetzt auch selbstkritisch: Dass man nicht
nur Vernunft, Gottesbild, Gewalt kritisch sieht bei uns selbst und beim Islam, sondern
auch in anderen Religionen incl. der jüdischen Religion. Zweitens, dass wir die Frage
der Gerechtigkeit immer noch ernster nehmen, ganz konkret die Frage der internationalen
Handelsbeziehungen. Was sich zur Zeit in Westafrika abspielt, dass den Leuten der
Fisch, ihre Lebensgrundlage, weggenommen wird und sie dann hungernd nach Europa kommen,
und keiner tut was - das trägt alles dazu bei, dass diese Bevölkerungen wirklich disparat
werden und dann eben auch religiös so reagieren."