2006-09-21 16:36:07

Dossier: Der Papst, der Islam... und das Zitat


RealAudioMP3 Hat Papst Benedikt einen Fehler gemacht, als er in seiner Rede an der Universität Regensburg ein Zitat des oströmischen Kaisers Manuel II. gebrauchte? Frage an den deutschen Islam-Experten und Jesuitenpater Christian Troll. "Das Zitat war in dem Zusammenhang sicher nicht notwendig; es war natürlich schwer vorauszusehen, dass das so aus dem Zusammenhang gerissen wird - aber ich glaube schon, dass er im Licht dieser jetzigen Ereignisse das Zitat nicht hineingesetzt hätte."

Bleiben wir noch dabei - hat der Papst was falsch gemacht? Jesuitenpater Samir Khalil Samir, ein Jesuit und Islamkenner, der in Beirut unterrichtet: "Inhaltlich hat er nichts falsch gemacht. Ein Professor zitiert und kommentiert."

Also kein Fehler bei Benedetto? "Er hat einen politischen Fehler gemacht, weil er nicht eine solche Reaktion erwartet hat. Als Vortrag hat dieser Text überhaupt keinen Fehler. Wenn ich einen Text zitiere, muß ich ihn wirklich zitieren, und er hat vor und nach dem Zitat einige Worte hinzugefügt, die zeigen, dass er sich von diesem Text distanziert."

Zwei Versionen zur Entstehung des Textes

Nun kursieren im Vatikan im Moment zwei Versionen. Die eine: Der Papst hat überhaupt nur auf Drängen seiner alten Uni einen richtigen Vortrag geschrieben, eigentlich wollte er nur ein paar Erinnerungen erzählen. Und dieser Vortrag sei dann sehr spät fertiggeworden, so dass bestimmte Leute im Vatikan ihn nicht mehr gegengelesen haben - die hätten dann natürlich vor dem Zitat gewarnt. Da gibt`s aber noch die zweite Version: Da sagt ein dem Papst nahestehender Kurienmann, Benedikt weiß genau, was er sagt...

Was wird den Papst denn an diesem Zitat, auch wenn es entlegen war, gereizt haben? Pater Samir aus Beirut glaubt, dieses Zitat sei schon eine gute Einleitung ins Papst-Thema Vernunft und Glaube. "In einem Satz hat er beide Ideen gefunden - einmal die Sache mit der Gewalt: Gewalt entspricht nicht Gottes Natur und nicht Menschennatur. Zweitens: Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider. Dieser Satz kommt 5-mal in seiner Rede. Das heißt: Das ist sein Thema. Er hat diesen Satz bei König Manuel gefunden; dann muß er natürlich, wie bei jedem Vortrag, den Kontext erklären. Und deshalb zitiert er die Sache mit der Gewalt. Das ist es."

Glaube und Vernunft gehören zusammen, so fasst Pater Samir die Papstgedanken zusammen. Und im Westen habe man mit der Zeit die Dimension des Glaubens aus der der Vernunft hinauskomplimentiert. "Und deshalb können solche Leute im Westen nicht mehr einen Dialog mit den Muslimen, mit den Afrikanern und Asiaten, mit allen Völkern führen, die in ihrer Kultur tief von Gott geprägt sind."

Hier - im Westen - also die übermäßige Betonung der Vernunft, dort - im Orient - die übermäßige Betonung des Glaubens. "Das ist unser Problem nicht nur bei Muslimen, sondern man kann sagen, auch bei orientalischen Christen: Im Orient zählt nur das, was geistlich ist. Im Westen ist es nur die Vernunft, die zählt. Und er meint: Wir müssen einen Mittelweg finden - wie das früher war, als die Christen das griechische Denken assimiliert haben und es verbesserten. Und so ist die Vernunft im Zentrum, aber die Vernunft, die von Gott kommt.
... Und das hat er in diesem Satz so schön gefunden. Und was bedeutet das, wenn man sich nur an den Glauben hält und nicht an die Vernunft? Das kann leicht Gewalt bringen, denn Gewalt ist - wie der Kaiser sagt - unvernünftig, und das heißt: nicht mit Gott verbunden."

Der Fehler des Papstes bringt den Dialog voran

Wenn ich Pater Samir zuhöre, wie er dieses umstrittene Zitat im Gesamtzusammenhang der Papstrede sieht, dann beschleicht mich persönlich das Gefühl: So ganz fehl am Platz oder ganz so marginal ist das Zitat des Kaisers für diese Rede eigentlich nicht. Jetzt, wo dieses Zitat nun mal in der Welt ist - kann man es positiv nutzen für den künftigen Dialog mit dem Islam? Pater Samir: "Ich glaube, kein Mensch und kein Moslem kann sagen: Wir haben kein Problem im Islam mit der Gewalt. Es gibt ein Problem! Und hier merke ich eine wichtige Tendenz unseres Papstes: Er will einen Dialog in Wahrheit führen. Wahrheit bedeutet: Manche Sachen müssen gesagt werden. Es gibt ein Problem mit Gewalt."

Da kann man fast dankbar sein, dass der Papst mal mit fast brutaler Offenheit gesprochen hat. Pater Christian Troll: "Der Papst ist der letzte, der jetzt primitiv da eine Islamophobie vorantreiben will. Nein, er möchte den echten Dialog der Kulturen. Und er sagt: es reicht nicht, wenn wir uns immer bemühen, freundlich zu sein und uns gegenseitig anzulächeln. Der Dialog kann nur vorangetrieben werden, wenn wir wirklich auch die Grundfragen auf den Tisch legen - so schmerzhaft diese Diagnose dann für beide Parteien auch sein mag. Und dass man dem ausweichen will, das finde ich das eigentlich Betrübliche. Denn ich glaube, dass der Papst dem Dialog einen großen Dienst erwiesen hat mit seiner Klarsichtigkeit und dem Mut, diese Dinge auf den Tisch zu legen."

Das Thema Gewalt liegt also jetzt auf dem Tisch im Gespräch der Religionen - und das heißt für Troll: "Ich glaube, dass die Flitterwochen des Dialogs in den letzten Jahrzehnten seit dem Konzil - die ja auch etwas Gutes hatten - vorbei sind."

Pater Samir aus Beirut ergänzt: "Er hat sehr deutlich darüber gesprochen. Das hatte Papst Johannes Paul II. nicht so deutlich gesagt. Ich glaube, er geht weiter in der Richtung Johannes Pauls für einen Dialog - nicht nur religiös, sondern als Dialog der Kulturen. Deshalb hat er auch das Sekretariat für interreligiöse Beziehungen mit dem Kulturrat zusammengelegt. ... Man kann nicht vom Islam sprechen, ohne von Kultur und Mentalität usw. zu sprechen - das sehen wir heute. Unser Konflikt ist nicht zwischen Islam und Christentum, sondern zwischen zwei Weltanschauungen. Das ist für uns Christen in der islamischen Welt sehr deutlich."

Unser Zwischenergebnis also: Ein Fehler des Papstes, ja schon. Aber einer, der den Dialog weitergebracht hat oder weiterbringen wird. Pater Samir: "Diplomatische oder politische Fehler, die kann man verbessern. Aber die Linie ist doch die einzige Linie: Wir sind doch keine Kinder! Mit Kindern kann ich sagen: Nein, nein, das sagen wir besser nicht. Er denkt, dass die Muslime erwachsene Gläubige sind! Leider nicht alle - so wie bei Christen nicht alle!"

"Flitterwochen sind vorbei"

Und was machen wir mit dem ganzen Geschrei, mit den Protesten und Drohungen, die die Papstrede in manchen Teilen der islamischen Welt hervorgerufen hat? Da sieht der Islamexperte Pater Samir zwei Gründe: Zum einen hätten die Journalisten gegen ihre Verantwortung verstoßen, als sie aus einer langen Rede an Deutsche und den Westen einfach zwei, drei Sätze zum Islam aus dem Zusammenhang genommen und verbreitet haben. "Ich erwarte von einem Journalisten, dass er mich informiert. Informieren bedeutet: Wenn ich eine Stunde lang spreche, dass ich ungefähr die Stunde in fünf oder drei Minuten habe. Nicht, dass ich nur zwei Minuten davon nehme, und 58 Minuten fallen weg!"

Die zweiten Verantwortlichen seien die tonangebenden Führer und Politiker in der islamischen Welt. "Die suchen irgendwas, um den Westen zu kritisieren. Ich lebe in unserer islamischen Welt, und ich lese täglich, wie sie schreiben... Es ist deutlich: Sie haben keine Ahnung von seiner Rede! Niemand hat das gelesen. Sie versuchen einfach, polemisch zu sein. Sie wollen sagen, der Westen ist immer dasselbe. Er versucht uns kleinzumachen usw.".

Wenn es die Chance gäbe, dass Moslems in Ruhe die ganze Papstrede lesen, dann würden sie sehen, dass Benedikt in wichtigen Punkten hinter ihnen steht, glaubt Pater Christian Troll: "Vielleicht hätte der Papst etwas klarer sagen können, dass, auch wenn die islamistische Form des Islam heute die lautstärkste ist und die schlimmsten Schäden anrichtet, doch nicht unbedingt und überall die Mehrheit der muslimischen Menschen dieser angehören. Viele der Muslime leiden ja auch unter diesen Fehlinterpretationen und falschen Darstellungen des Islam. Gleichzeitig meine ich, dass die Muslime eben leider nicht sehen - dabei müsste man das von intelligenten Moslems erwarten -, dass sie die Rede lesen und dass sie sehen, dass der Papst genuin religiöse und eigentlich auch islamische Anliegen vertritt in seiner Kritik an einer säkularisierten Form des Westens, seines Denkens und seiner Mentalität."

Krise in der islamischen Welt

Der Aufschrei in der islamischen Welt war deshalb so groß, weil es dort eine tiefe Krise gibt. Pater Samir: "Jeder Moslem will ein guter Moslem sein und ein Mensch seiner Zeit - ohne weiteres. Nur: Die Modernität kommt vom Westen. Der Westen ist meist sehr säkularisiert. Und das ist eine unerträgliche Situation für Menschen, die im Wesen religiös sind. Und hier glaube ich: Der Papst hat das gespürt und sagt: Ja, unsere westliche Zivilisation ist zu weit gegangen! Er sagt aber auch: Es geht nicht zurück vor die Aufklärung. Wir sind dankbar für die Aufklärungsbewegung... er spricht sehr, sehr deutlich darüber."

Pater Troll: "Wenn sie in der globalisierten Welt als Religionen bestehen wollen, dann ist es eine ganz wichtige Herausforderung an den Islam, dass man auch dazu kommen muß, mit einer Stimme zu sprechen. Der Konsens, der so schmerzlich fehlt... etwa in der Beurteilung von Selbstmordattentaten, von bioethischen Fragen usw.".

"Auch Selbstkritik nötig"

Unser Resümee: Ja, der Papst hat mit der Wahl des Zitats einen Fehler gemacht, aber dieser Fehler hat den Dialog mit dem Islam vorangebracht. Weil jetzt die wirklichen Fragen, z.B. das Verhältnis zur Gewalt, auf dem Tisch liegen. Wie sagt Pater Troll: Die Flitterwochen im Dialog sind vorbei.

Hier zum Schluß noch ein weiterer Aspekt. Dialogexperte Troll würde sich wünschen, dass sich unser Blick vom christlich-islamischen Dialog jetzt weitet, auf andere Religionen und auf andere Themen hin. "Was auf unserer Seite etwas mehr betont werden müßte, das sage ich jetzt auch selbstkritisch: Dass man nicht nur Vernunft, Gottesbild, Gewalt kritisch sieht bei uns selbst und beim Islam, sondern auch in anderen Religionen incl. der jüdischen Religion. Zweitens, dass wir die Frage der Gerechtigkeit immer noch ernster nehmen, ganz konkret die Frage der internationalen Handelsbeziehungen. Was sich zur Zeit in Westafrika abspielt, dass den Leuten der Fisch, ihre Lebensgrundlage, weggenommen wird und sie dann hungernd nach Europa kommen, und keiner tut was - das trägt alles dazu bei, dass diese Bevölkerungen wirklich disparat werden und dann eben auch religiös so reagieren."

(Eine Sendung von Stefan Kempis. Rom, 21.9.06)







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