Dokument: Kardinal Lehmann zum Streit um Papst-Zitat
Wir dokumentieren hier den Volltext des Redemanuskripts von Kardinal Lehmann. Hinweis:
Es gilt das gesprochene Wort.
Vortrag von Karl Kardinal Lehmann, Vorsitzender
der Deutschen Bischofskonferenz, beim St. Michael-Jahresempfang des Kommissariates
der deutschen Bischöfe am 19. September 2006 in der Katholischen Akademie in Berlin:
„Chancen und Grenzen des Dialogs zwischen den ‚abrahamitischen Religionen’“ I. Die
so genannte Säkularisierungsthese, wonach die Religion im Zuge der wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Modernisierung einem zunehmenden und unaufhaltsamen Bedeutungsverlust
im Raum der Öffentlichkeit ausgesetzt ist, gehörte über Jahrzehnte zum scheinbar gesicherten
Repertoire der Sozialwissenschaften. Inzwischen haben sich die Zeiten gründlich geändert.
Die Säkularisierungsthese wird allenfalls noch mit erheblichen Einschränkungen und
Differenzierungen vertreten. Zu offenkundig und mit Macht ist die Religion auf die
globale Bühne zurückgekehrt, sofern sie diese denn überhaupt je wirklich verlassen
hatte. Mit gewissen Einschränkungen gilt dies auch für die westliche Welt. Erwartungen
und Befürchtungen richten sich deshalb heute nicht mehr auf das Verschwinden einer
öffentlich wirksamen Religion, sondern, wie z. B. bei Samuel Huntington, auf einen
„Kampf der Kulturen“, wobei diese als wesentlich religiös bestimmt oder jedenfalls
mitbestimmt wahrgenommen werden. Die Reaktionen der letzten Tage auf die Regensburger
Vorlesung von Papst Benedikt XVI. zeigen einmal mehr, wie sehr die Religionen den
öffentlichen Diskurs zu mobilisieren vermögen. Es ist vor diesem Hintergrund alles
andere als verwunderlich, dass – vor allem seit dem 11. September 2001, dessen Bilder
der Zerstörung tief in das Bewusstsein der heutigen Menschheit eingelassen sind –
weitgesteckte Erwartungen mit einem Dialog der Religionen verbunden werden. Er soll
die Spannungen entschärfen, die in der internationalen Staatengemeinschaft, in der
Weltgesellschaft und in einzelnen Ländern herrschen, und zum gemeinsamen Zeugnis der
Religionen für den Frieden führen. Hier klingen die Imperative an, die Hans Küng seinem
„Projekt Weltethos“ zugrunde gelegt hat: „Kein Zusammenleben auf unserem Globus ohne
ein globales Ethos! – Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen!
– Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog der Religionen!“ II. Während
sich das „Projekt Weltethos“ prinzipiell an alle Religionen wendet, richtet sich das
weltweite öffentliche Interesse derzeit vor allem auf das christlich-muslimische Gespräch
oder aber auf den Dialog der so genannten abrahamitischen Religionen, also auf Judentum,
Christentum und Islam, die sich allesamt auf den in der Bibel und im Koran bezeugten
Urvater Abraham rückbeziehen. Dies hat – wie unschwer zu erkennen ist – mit den Konfliktlagen
zu tun, die in unseren Tagen den Nahen Osten und das Verhältnis zwischen Orient und
Okzident bestimmen. So führen die islamistischen Kämpfer, die sich dem heiligen Krieg
gegen die Ungläubigen verschworen haben und letztlich die Errichtung eines totalitären
Gottesstaates anstreben, ihren Krieg gegen „Zionisten“ und „Kreuzfahrer“ – d. h. gegen
den jüdischen Staat Israel und den Westen, der aller Entkirchlichung und multireligiösen
Durchmischung zum Trotz als „christlich“ interpretiert wird. Die konfliktbehaftete
Nähe zwischen den drei Religionen wird zudem besonders anschaulich im Streit um den
Status von Jerusalem, das Juden, Christen und Muslimen heilig ist. Auch die Integrationsprobleme
mit muslimischen Migranten in Westeuropa, von denen sich manche Jüngere aus der 2.
und 3. Einwanderergeneration islamistischem Gedankengut verschreiben und einige wenige
sogar auf den Weg der Gewalt abdriften, berühren nicht nur die christliche Mehrheitsbevölkerung,
sondern auch die hier lebenden Juden. Dem Antisemitismus in den Randzonen der traditionell
ansässigen Bevölkerung hat sich längst eine antizionistisch motivierte Judenfeindlichkeit
zugesellt, die an manchen Stellen ideologisch mit dem klassischen Rechtsextremismus
verschmilzt. All dies macht den Ruf nach einem Dialog zwischen Islam, Christentum
und Judentum – den „abrahamitischen Religionen“ – gut verständlich. Indes ist es wichtig,
die Möglichkeiten eines solchen Dialogs sorgfältig auszuloten und dabei auch der Grenzen
einsichtig zu werden. Falsche Erwartungen können den Dialog belasten, stören und
sogar unfruchtbar machen. Enttäuschungen und Frustrationen werden damit geradezu
programmiert. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass bislang weder von einem „Kampf
der Kulturen“ noch gar von einem Kampf der Religionen die Rede sein kann. Der westliche
„Kulturkreis“ (um hier einmal die Terminologie von Huntington aufzugreifen) wird von
islamistischen Terroristen angegriffen, nicht von den muslimischen Staaten und auch
nicht vom Islam als Religion. Vielmehr sind auch die muslimisch geprägten Länder
Opfer der Gewalt, weil sie sich der Ideologie und den Machtansprüchen der Dschihadisten
widersetzen. Die augenblickliche Krisensituation beruht also wesentlich auch auf einem
innerislamischen Konflikt, der nicht einfach auf dem Wege eines interreligiösen Dialogs
gelöst werden kann. – Und ebenso wenig vermag das Gespräch der Religionen die fundamental
politische Auseinandersetzung über Gebietsansprüche und die staatliche Existenz der
Völker im Heiligen Land zu überwinden. Der Kern des Konflikts im Nahen Osten ist nicht
religiöser Natur. Das heißt nun aber nicht, dass die Religionen im Ringen um die
heute bedrängenden Friedensfragen einfach abseits stehen müssten oder auch nur dürften.
Richtig ist vielmehr: Gerade indem die Grenzen des interreligiösen Gesprächs für die
Klärung dieser Probleme sorgfältig bestimmt werden, treten die den Religionen gestellten
Aufgaben umso deutlicher und präziser hervor. Es zeigt sich dann: Zwar kann die
Überwindung der dschihadistisch-islamistischen Ideologie letztlich nur innerhalb des
Islam selbst erfolgen. Im Gespräch zwischen den Religionen können aber die Fehlwahrnehmungen
der jeweils anderen Religion korrigiert werden. Damit wird verhindert, dass es kleinen
extremistischen Gruppen schließlich doch gelingt, die Mehrheiten in den Religionsgemeinschaften
gegeneinander aufzuhetzen. Im Dialog können darüber hinaus wechselseitig kritische
Fragen gestellt werden, die die Selbstreflexion innerhalb der Religionen voranbringen.
Damit verbunden müssen die Religionen vor allem auch daran arbeiten, die Verzweckung
der Religionen für politische Ziele und zur Legitimation politischer Gewalt aufzudecken
und ihr gemeinsam entgegenzutreten. Indem sie sich freimachen von politischer Instrumentalisierung,
bewahren die Religionen ihr eigenes Wesen davor, von sekundären Interessen verdunkelt
zu werden. Gerade so dienen sie auch dem Frieden. III. Grundsätzlich muss vor
der etwas naiven, jedoch weit verbreiteten Vorstellung gewarnt werden, der interreligiöse
Dialog sei eine Art Hilfsaggregat der Politik, das sich jederzeit zur Beruhigung
internationaler und innergesellschaftlicher Konflikte anwerfen lasse. Die Begegnung
zwischen den Religionen wird vielmehr nur dann auf lange Frist fruchtbar und damit
auch friedensförderlich sein, wenn sie die Mitte der Religionen und die der Religion
insgesamt eigenen Grundfragen berührt. Die vom Zweiten Vatikanischen Konzil am 28.
Oktober 1965 verabschiedete „Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen
Religionen“ – nach ihren Anfangsworten meist „Nostra aetate“ genannt – sieht das
Verbindende der Religionen gerade darin, dass diese sich den gleichen Fragen nach
den „ungelösten Rätseln“ des Lebens stellen: „Was ist der Mensch? Was ist Sinn und
Ziel unseres Lebens? Was ist das Gute, was die Sünde? Woher kommt das Leid, und welchen
Sinn hat es? Was ist der Weg zum wahren Glück? Was ist der Tod, das Gericht und die
Vergeltung nach dem Tode? Und schließlich: Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis
unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?“ (Art. 1) Diese Fragen sind
den Menschen zu allen Zeiten aufgegeben. Hier wird nicht nach diesem und jenem gefragt.
Das Geheimnis menschlicher Existenz selbst spricht sich darin aus. Der Mensch ist
sich selbst als Frage aufgegeben, ohne sich doch selbst Antwort geben zu können. Diese
jedem Menschen aufleuchtenden Grundfragen können durchaus als philosophisch bezeichnet
werden. In ihnen kommt die menschliche Vernunft in ihrer eigentlichen Tiefe und Weite
zum Ausdruck. Wenn aber die Vernünftigkeit des menschlichen Fragens nach sich selbst
und nach dem Grund und Ziel aller Wirklichkeit anerkannt wird, dann stellt sich damit
auch das Problem der Vernünftigkeit der Antworten, die die Religionen geben. Nach
christlichem Glauben ist diese darin gegründet und verbürgt, dass der Logos – das
schöpferische Wort, die Vernunft Gottes – die Schöpfung trägt und durchwaltet. Darauf
hat Papst Benedikt XVI. in seiner viel beachteten Vorlesung, die er am 12. September
an seiner alten Wirkungsstätte in Regensburg gehalten hat, so nachdrücklich hingewiesen.
Keineswegs ging es ihm darum, wie manche meinten, der Vernünftigkeit des christlichen
Glaubens die fehlende Vernünftigkeit anderer Religionen – namentlich des Islam –
entgegenzusetzen. Vielmehr ist hier darauf angesprochen, dass es auf Seiten aller
Religionen der Reflexion auf die universale Verbindlichkeit der Vernunft bedarf, die
somit auch die Religionen verbindet. Die Antworten auf die Frage nach der Vernunft
und nach der Vernunft der Religion werden gewiss nicht einfach gleichlautend ausfallen
können. Auch die Vernunft ist kein Abstraktum, sondern weist ihre spezifischen geschichtlichen
Prägungen auf. Gerade so aber ist ein den Religionen gemeinsamer Spannungsraum gegeben,
der Gemeinsames und Trennendes umfasst und die Möglichkeit eröffnet, sowohl die theologischen
Fragen (vor allem die nach dem Gottesbild) als auch die ethischen Herausforderungen,
denen sich die Religionen in unserer Zeit stellen müssen, im Dialog aufzugreifen.
– Zum Verständnis der Vorlesung von Papst Benedikt XVI. vgl. den Exkurs am Ende des
Textes. IV. Diese Überlegungen gelten letztlich für alle Religionen. Dennoch
steht das Christentum zu den verschiedenen Religionen der Welt in unterschiedlicher
Nähe, was für den Dialog nicht ohne Auswirkungen bleiben kann. Judentum, Christentum
und Islam sind dabei in besonderer Weise aufeinander bezogen. Regional und historisch
entstammen sie einem gemeinsamen Zusammenhang. Teilweise rekurrieren sie auf die gleichen
religiösen Erfahrungen und Erzähltraditionen. Abraham wird von allen als Urvater
des Glaubens verehrt. Das Christentum hat die jüdische Überlieferung als erstes Buch
seiner Bibel übernommen. Der Islam greift auf die Tradition der Patriarchen und Propheten
zurück und erkennt auch Jesus als Propheten an. Alle drei Religionen bekennen sich
zum Glauben an Einen Gott, der die Welt erschaffen hat und den Menschen als sich erbarmender
Retter, aber auch als Richter gegenübertritt. Trotz dieser Gemeinsamkeiten der
drei Religionen ist und bleibt das Christentum dem Judentum jedoch in einer grundlegend
anderen Weise verbunden als dem Islam. Schon Paulus wusste, dass Christen, wenn sie
die Treue Gottes zu seinem auserwählten Volk Israel bestreiten, die Grundlage ihres
eigenen Glaubens zerstören (vgl. Röm 11). Die Kirche ist durch ein untrennbares Band
mit dem Judentum verbunden. Sie wurzelt konstitutiv im Judentum. Die Herkunft Jesu
aus dem Judentum ist nicht zufällig, sondern bestimmt seine – und damit auf bestimmte
Weise auch der Christen – Identität. Jesu Gott ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs
– der Gott des auserwählten Volkes. Kein anderer ist der Gott der Christen. Die Katholische
Kirche ist heute überzeugt, dass der Bund Gottes mit dem Volk Israel durch den in
Christus begründeten „neuen Bund“ nicht aufgehoben ist. Dies hat auch Auswirkungen
auf die Frage der so genannten „Judenmission“. So überrascht es auch nicht, dass Papst
Johannes Paul II., der unendlich viel für ein neues Verhältnis der Kirche zum Judentum
getan hat und dabei mit großer Eindringlichkeit auch von den Verbrechen gesprochen
hat, deren sich Christen im Laufe der Zeiten an Juden schuldig gemacht haben, diese
als die „älteren Brüder“ der Christen bezeichnen konnte. Ein solches Verwandtschaftsverhältnis
besteht zwischen Christentum und Islam nicht. Zwar gibt es eine Nähe zwischen beiden
Religionen, die schon daraus resultiert, dass Mohammed seine Lehre in Auseinandersetzung
mit der Kirche formulierte und dabei den Anspruch erhob, die Verkündigung Jesu von
Verfälschungen der Christen zu reinigen. Die Beziehung zum Islam kann aber für die
Kirche niemals eine konstitutive, theologisch im eigentlichen Sinne grundlegende Bedeutung
erlangen. Das ist der entscheidende Unterschied. V. Allen drei Religionen gemeinsam
ist die Verehrung des Abraham (in der muslimischen Tradition Ibrahim genannt). Religionsgeschichtlich
markiert er die Entstehung des Monotheismus, des Glaubens an den Einen und einzigen
Gott. Sowohl die Bibel als auch der Koran berichten, wie sich Abraham mit den „Götzen“,
den vielen Göttern, die in seiner Familie und Umgebung verehrt wurden, auseinandersetzte.
Für die Überlieferung wesentlich wurde die unbedingte Bereitschaft Abrahams, sich
dem Wort des ihn ansprechenden Einen Gottes bedingungslos anzuvertrauen und zu unterwerfen.
Einen besonders dramatischen Ausdruck findet dies darin, dass er dem Auftrag Gottes
folgend sogar seinen Sohn Isaak (in der muslimischen Tradition möglicherweise Ismael,
den Stammvater der Araber) zu opfern bereit ist – eine vielschichtige Erzählung, die
auch vom Ende des Menschenopfers in den monotheistischen Religionen handelt. Gerade
als „Vater des Glaubens“, an dem ansichtig wird, was Glauben bedeutet, gehört Abraham
so zum Gemeinsamen der jüdisch-christlichen und der muslimischen Tradition. Papst
Johannes Paul II. hat dies 1985 in einer Rede vor jungen Muslimen in Casablanca in
die Worte gefasst: „Abraham ist für uns ein Modell des Glaubens an Gott, der Hingabe
an seinen Willen und des Vertrauens in seine Güte.“ Für das Gespräch von Juden,
Christen und Muslimen ist Abraham aber nicht nur von Belang, weil die Religionen an
ihm ihre Gemeinsamkeit entdecken. An der theologischen Deutung des Abraham werden
vielmehr auch Unterschiede der Religionen deutlich, die im Dialog aufgegriffen werden
sollten, um ein gemeinsames Verstehen und Lernen zu ermöglichen. In der jüdischen
Deutung des Abraham tritt der Gedanke der Wanderung und der Verheißung in den Vordergrund.
So heißt es im Buch Genesis (12,1-5): „Der Herr sprach zu Abraham: ‚Zieh weg aus deinem
Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir
zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen
groß machen. Ein Segen sollst du sein. … Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde
Segen erlangen’“. Die Religion, das Gottesverhältnis der Menschen, ist damit auf sich
verändernde Räume und Zeiten, auf eine Geschichte hin geöffnet. Abraham ist zur Wanderschaft,
zur Bewegung gerufen. Auf seinem Weg in eine ihm eröffnete und offene Zukunft will
Gott ihm nahe sein. Anders im Islam. Dort ist die wahre Religion schon Adam, dem
ersten Menschen, von Gott vollständig geoffenbart. Etwas inhaltlich Neues, eine neue
Gestalt oder gar eine neue Qualität der Begegnung Gottes mit den Menschen ist damit
von vorneherein ausgeschlossen. Geschichte bedeutet von daher nicht das Beschreiten
neuer Horizonte im Vertrauen auf Gott, der diese Wege begleitet. Sie ist vielmehr
charakterisiert durch immer wiederkehrenden Abfall vom monotheistischen Glauben und
den wiederholten Ruf Gottes, zum Urpakt zurückzukehren. In eben diesem Sinne werden
Gestalt und Funktion des Abraham im Koran gedeutet. Auch zwischen Juden und Christen
gibt es Unterschiede in der theologischen Interpretation und heilsgeschichtlichen
Einordnung der Gestalt Abrahams. Entscheidend ist, dass aus der Sicht des Neuen Testaments
das auf Abraham genealogisch zurückgehende Volk Israel mit dem Christusereignis aufgehört
hat, der exklusive Träger der göttlichen Offenbarung zu sein. Das ist gemeint, wenn
Johannes der Täufer im Matthäus-Evangelium (3,9) die Phärisäer mahnt: „Meint nicht,
ihr könnt sagen, wir haben ja Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus
diesen Steinen Kinder Abrahams machen.“ Die Segensverheißung an die Völkerwelt, die
mit dem Namen Abrahams verknüpft ist, geht mit der Ablehnung Jesu durch die Mehrzahl
der Juden auf die Kirche aus allen Völkern und Sprachen über, wenngleich der Bund
mit Israel nicht aufgehoben wird. In der Frage des Geschichtsverständnisses sind
sich Juden und Christen hingegen nahe, während Christen und Muslime hier über strukturell
unterschiedliche Grundmodelle verfügen. Dies ist alles andere als ein akademisches
Thema. Man darf nämlich mindestens vermuten, dass die muslimische Deutung von Geschichte
eine produktive Auseinandersetzung des Islam mit der modernen Welt und die Herausbildung
einer tragfähigen Synthese zwischen der Moderne und den traditionellen Orientierungen
in den islamisch bestimmten Ländern jedenfalls erschwert. In diesen Zusammenhang
gehören auch das Verständnis des Korans als geschichtlicher Deutung unzugänglichem
Wort Gottes und die Vorstellung von der unabänderlich wörtlichen Geltung des muslimischen
Gesetzes, der Scharia. Ein Dialog zwischen Christen, Juden und Muslimen muss solche
grundsätzlichen Fragen aufgreifen. Noch einmal zeigt sich hier, dass gerade der offizielle,
amtliche Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften sein eigentliches Thema und Ziel
verfehlen würde, wenn er sich von bloßer Aktualität leiten ließe. Der interreligiöse
Dialog muss seine eigene Agenda und seinen eigenen Rhythmus entwickeln. Er muss als
ernsthaftes und in die Tiefe gehendes Gespräch von Glaubenden entwickelt werden –
und eben nicht als routinierte Begegnung von Glaubensmanagern, die dem Interessenkalkül
der eigenen Gemeinschaft entsprechen und vor dem Forum der Öffentlichkeit punkten
wollen. Ein solches bloßes Schauspiel des Dialogs bliebe leer und fruchtlos. Es diente
schließlich niemandem. VI. Nur ein interreligiöses Gespräch, das sich offen
den Grundfragen der Religion stellt, wird auch in der Lage sein, die besonders schwierigen
und prekären Probleme aufzugreifen. Hier ist zunächst die Frage nach der Gewalt
zu nennen. Damit kommen wir auch wieder auf die schwierige Aussage von Kaiser Manuel
II. in der siebten Gesprächsrunde mit dem Perser, wo es um die Ausbreitung des Glaubens
durch das Schwert geht. Alle großen Religionen kennen die Versuchung, Gewalt im Namen
des Glaubens zu üben oder zu rechtfertigen. Alle sind in der Geschichte dieser Versuchung
auch erlegen. Nicht nur im Gespräch mit Muslimen, sondern auch in der kritischen Selbstbefragung,
die ein konstitutiver Bestandteil jedes religiösen Lebens ist, werden Kirche und
Christen deshalb immer auch die Gewalttendenzen in der eigenen Geschichte offenlegen
und anerkennen. Das Schuldbekenntnis der Katholischen Kirche, das Papst Johannes
Paul II. im Jahr 2000 abgegeben hat, spricht hier eine klare und unmissverständliche
Sprache. Dies vorausgesetzt und ohne falsche Anklagen, Besserwisserei und Dünkel müssen
wir unsere muslimischen Gesprächspartner dann aber auch damit konfrontieren, dass
in der heutigen Weltsituation vorgeblich religiös motivierte und religiös legitimierte
Gewalt ein Phänomen darstellt, das sich vorwiegend – wenngleich nicht ausschließlich
– am Islam festmacht. Natürlich lassen sich viele Gründe für die Unruhe benennen,
die die Länder des so genannten „Größeren Mittleren Ostens“ (vom Magreb bis nach Pakistan
und Indonesien) ergriffen hat – eine Unruhe, die manche Gewalteruption begünstigt.
Aber diese Gewaltträchtigkeit der Verhältnisse erklärt aus sich heraus ja nicht, warum
Gewaltanwendung vielfach religiös begründet wird und dies auch Widerhall in Teilen
der muslimischen Gesellschaften findet. Dies festzustellen, bedeutet nicht, mehr
als eine Milliarde Muslime unter den Generalverdacht zu stellen, mit den Dschihadisten
zu sympathisieren und Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung mit den „Ungläubigen“
und zur Ausbreitung des Islam zu akzeptieren. Niemand, der in der Kirche Verantwortung
trägt, macht sich eine solche Unterstellung zueigen. Aber es muss gleichwohl gefragt
werden, inwieweit in der heutigen Gewaltproblematik der muslimischen Religion die
theologische Tradition des kämpfenden und herrschenden Islam, die mit einer gewissen
Ungebrochenheit die Zeiten überdauert zu haben scheint, eine Rolle spielt. Und inwieweit
erschwert – auch dies muss man fragen – die Grundgeschichte des Islam, die den Propheten
Mohammed nicht nur als Religionsstifter, sondern auch als Feldherrn und Herrscher
zeigt, bis heute eine Entfaltung gewaltkritischer Tendenzen des Islam? VII. Der
zweite schwierige Themenkomplex, der dem interreligiösen Dialog aufgegeben ist, betrifft
die Religionsfreiheit und die Verfasstheit des modernen Staates. Beides gehört eng,
ja unauflöslich zusammen. Die Freiheit der Religion – und zwar als positive und als
negative Religionsfreiheit: als Freiheit zu glauben und als Freiheit, nicht zu glauben
– nämlich begründet nicht nur einen autonomen, von Vorgaben des Staates freien Raum
des Individuums und der Religionsgemeinschaften, sondern damit zugleich auch ein Verständnis
des Staates, das nicht von einer bestimmten Religion definiert ist. Natürlich sind
die hier angesprochenen Zusammenhänge weitaus komplizierter. Religionen prägen Kulturen,
und Kulturen bestimmen die konkrete Gestalt von Gesellschaften und Staaten. Auch ist
die Autonomie von Religionen und Staat nicht notwendigerweise eine wechselseitig gleichgültige
oder gar feindselige. Es gibt eine Vielzahl kooperativer Formen, in denen das Verhältnis
von Staat und Religionen auf ein gedeihliches Zusammenwirken im Interesse der Menschen
ausgerichtet ist. Deutschland bietet dafür ein gutes Beispiel. Die Autonomie der Religion
gegenüber dem Staat – und dies bedeutet auch: die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse
– wie des Staates gegenüber der Religion bleiben jedoch, all dessen ungeachtet, die
Grundachse jeder modernen Gesellschaft. Es bedarf keiner ins Detail gehenden Analyse,
um festzustellen, dass sich die islamische Welt insgesamt mit diesem Begriff der Freiheit
und damit auch mit dem gesamten Konzept der Menschenrechte außerordentlich schwer
tut, wenngleich sich die Verhältnisse in den einzelnen muslimisch geprägten Staaten
durchaus sehr unterschiedlich darstellen. Auch dies muss Thema des interreligiösen
Dialogs sein. Wiederum geht es dabei nicht darum, christliche (oder gar westliche)
Überlegenheit vorzuführen. Stattdessen sollte die schwierige Geschichte, die das
europäische Christentum mit der neuzeitlichen Idee der Freiheit verbindet, offen auch
im Gespräch mit den Muslimen dargestellt werden. Manches Argument, das heutige Muslime
gegen die modernen Freiheitsrechte ins Feld führen, ist uns auch aus der Geschichte
des Christentums (und zumal auch aus der Katholischen Kirche) bis weit ins 19. Jahrhundert
hinein geläufig: die Sorge vor um sich greifender Dekadenz, einem rein individualistischen
Gebrauch der Freiheit oder auch vor einem massenhaften Abfall vom Glauben. Dennoch
muss man auch hier tiefer bohren. Die Antwort auf die Frage, ob der heutige Islam
im Sinne der Moderne freiheitsfähig ist, hängt auch davon ab, wie sich Muslime zum
traditionellen Konzept der Einheit von Religion und Gemeinwesen und zum Gedanken
der Herrschaft des Islam (mit entsprechend minderen Rechten der Angehörigen aller
anderen Religionen) verhalten. Die Vielzahl unterschiedlicher Herrschaftsformen,
die die islamische Welt über die Jahrhunderte hinweg hervorgebracht hat, die auch
in der Geschichte des Islam hervorgetretenen herrschaftskritischen Tendenzen und
die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Bemühungen mancher Gelehrter um eine
muslimische Aufklärung geben Anlass zu der Hoffnung, dass in diesen Fragen Bewegung
möglich ist, auch wenn heute manches in eine andere Richtung zu deuten scheint. VIII. In
einem kurzen Vortrag wie diesem muss vieles ungesagt bleiben. So konnten auch die
vielen guten Beispiele eines gelingenden alltäglichen Zusammenlebens und auch gemeinsamen
Handelns von Christen, Muslimen und Juden hier nicht angemessen gewürdigt werden.
Indes: Wir alle brauchen diese Hoffnungszeichen für eine bessere Zukunft. Auch für
theologische und offizielle Begegnungen der religiösen Repräsentanten sind sie eine
wichtige, ja unverzichtbare Grundlage. Beispielhaft möchte ich deshalb auf ein Projekt
hinweisen, das die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, der Zentralrat der Juden,
der Zentralrat der Muslime und die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion
(DITIB) gemeinsam in Deutschland durchführen. Es trägt den Titel „Weißt Du, wer ich
bin?“ und unterstützt auf der Basisebene die Begegnung von Gruppen und Menschen aus
den verschiedenen Religionsgemeinschaften. Das Motto dieses Projektes darf auch als
Zielperspektive für das Zusammenleben und den Dialog der Religionen hierzulande und
weltweit verstanden werden: „Verbindendes entdecken, Unterschiede respektieren, füreinander
einstehen, gemeinsam handeln“. Nicht zufällig spielt auch im Zweiten Vatikanischen
Konzil die Abrahamgestalt eine wichtige Rolle, nicht nur in „Nostra aetate“ (Art.
3), sondern auch in anderen wichtigen Dokumenten, z. B. in „Dei verbum“ (Art. 3),
„Presbyterorum ordinis“ (Art. 22) und in der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“.
Dort heißt es in Art. 16: „Der Heilswille (Gottes) umfasst aber auch die, welche den
Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslim, die sich zum Glauben Abrahams
bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am
jüngsten Tag richten wird.“ Schließlich darf auch noch Papst Johannes Paul II. angeführt
werden, der in seinem „Römischen Triptychon“, veröffentlicht mit einer Einführung
von Joseph Kardinal Ratzinger, den dritten Teil überschreibt „Der Berg im Lande Morija“.
Dort heißt es: „Wenn wir heute zu jenen Orten pilgern, von denen Abraham einst
auszog, wo er die Stimme vernahm, wo sich die Verheißung erfüllte, so deshalb, um
an der Schwelle zu stehen – und zum Ursprung des Bundes zu gelangen.“[1]
EXKURS
Zum Zitat des Kaisers Manuel II. Palaeologos im Disput mit dem persischen
Gelehrten Mudarris in der Regensburger Vorlesung von Papst Benedikt XVI. am 12.9.2006
Das
Thema von Papst Benedikt XVI. war nicht dem Islam gewidmet, sondern einem Problem,
das den Theologen Joseph Ratzinger seit dem Beginn seiner akademischen Lehrtätigkeit
an den Universitäten im Jahr 1959 beschäftigte, nämlich das Verhältnis von Glaube
und Vernunft.[2] Aber nun ergab sich ein Zusammenhang mit der Klärung des Verhältnisses
zwischen dem Christentum und den nichtchristlichen Religionen. Die Anführung eines
Satzes aus einem Dialog zwischen dem byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaeologos
(1391-1425) und einem persischen, also muslimischen Gelehrten Mudarris war zur Durchführung
des genannten Themas gewiss nicht zwingend notwendig, aber einige Formulierungen
aus diesem Dialog des 14. Jahrhunderts (wohl 1391, ausformuliert zwischen 1394 und
1402) haben den Papst im Zusammenhang seiner Aufgabe, wie er sagte, so „fasziniert“,
dass er sie zum „Ausgangspunkt“ für seine Überlegungen machte.[3] Ausdrücklich sagt
er auch, dass die erwähnte Aussage „im Aufbau des Dialogs eher marginal“ sei. Der
Text stammt aus einem theologischen Streit, vor allem der Byzantiner mit dem Islam,
den wir heute kaum mehr kennen.[4] Der gesamte Dialog erstreckt sich in 26 Gesprächsrunden
über den ganzen Bereich des von Bibel und Koran umschriebenen Glaubensgefüges und
bezieht sich vor allem auf das Gottes- und Menschenbild des Islam und des Christentums,
besonders aber auch auf das Verhältnis „Altes Testament / Neues Testament / Koran“.
Die groß angelegte Apologie ist in der ersten Hälfte gegenüber dem Islam eher kritisch-offensiv,
in der zweiten Hälfte geht es mehr um eine positive Begründung des christlichen Glaubens.
Aufschlussreich ist auch die literarische Form eines gewiss kämpferischen Dialogs,
die aber zeigt, dass man auch von muslimischer Seite durchaus der wechselseitigen
Argumentation mächtig war. In der schon genannten Edition von A. Th. Khoury geht es
nur um die siebte Gesprächsrunde bzw. Kontroverse. Was uns heute überraschend vorkommt,
ist die Tatsache, dass der byzantinische Kaiser Manuel II. zu den gebildetsten Herrschern
– und den interessantesten Theologengestalten aus Byzanz – gehört. Er gilt aber auch
als „einer der ritterlichsten Erscheinungen auf dem byzantinischen Kaiserthron“[5].
Dem Kaiser ging es um die innere Überlegenheit des Christentums. Der Dialog hat eine
große Bedeutung in der Geschichte der griechischen Texte bezüglich des Islam. Er gehört
zu den umfangreichsten Schriften dieser Art überhaupt. Nun muss man auch den „Sitz
im Leben“ dieses Dialogs verstehen. Kaiser Manuel II. stand damals unter allergrößtem
Druck. Er verspürte die ganze Wut und Wucht des Sultans und seiner Macht und musste
schwere Verluste hinnehmen. Die Schärfe der Äußerung ist also zweifellos auch durch
die damalige militärische Lage von Byzanz bedingt, das im Kampf gegen die muslimischen
Türken stand und ja auch nur wenige Jahrzehnte später unterging (1453). Mehrfach suchte
der Kaiser westliche Hilfe – umsonst. Der Papst weist nur ganz knapp auf diesen wichtigen
„Sitz im Leben“ hin, indem er im Blick auf die Ausführungen des Kaisers von einer
„erstaunlich schroffen Form“ spricht.[6] Dabei geht es im Dialog zunächst vor allem
um die moralische Ordnung und den Lebensstil. Der Islam sieht dieses „Gesetz“ in dreifacher
Stufung: Gleichsam unten ist das Gesetz des Mose mit vielen Unvollkommenheiten, dann
das Gesetz Jesu Christi und endlich als Höhepunkt das Gesetz Mohammeds. Zwar hat das
Christentum manches gemeinsam mit dem Islam, wie z. B. das Gebet, das Fasten und manche
anderen religiösen Vollzüge, aber die Lebensordnung des Propheten ist prinzipiell
überlegen, nicht zuletzt weil sie die menschliche Schwäche ernster nimmt und damit
auch praktischer ist. Das Christentum vertritt unrealistische Exzesse: wie z. B. die
Familie zu hassen, die Feindesliebe, Armut in Verbindung mit Seligkeit, aber auch
Jungfräulichkeit. Im Übrigen tadelt der Muslim die Juden, weil sie Jesus zurückgewiesen
hätten (vgl. 7,3.5.61). Aber auf keinen Fall darf man Jesus einen „Sohn Gottes“ nennen.
Das Niveau ist also keineswegs primitiv, wie die Kontroverse dieser Tage nahe
zu legen scheint. Der persische Gelehrte ist durchaus zur Diskussion fähig. Dem Kaiser
bescheinigt die Forschung Lauterkeit, Kenntnis in theologischen Fragen und ein abgeklärtes
Urteil.[7] Ja, es ist trotz der Verbindung mit heftigeren Vorgängern von „neuen Tönen“[8]
beim Kaiser die Rede. „Er geht auf seinen Gegner ein und hört ihm zu; er lässt ihn
wirklich zu Wort kommen und seine Position in extenso darlegen und Manuel macht den
Versuch, ihm gerecht zu werden, er lässt sich Zeit für die Antwort und die Antwort
hält Sache und Person auseinander.“[9] H.-G. Beck spricht bei Manuel II. von einem
„ungeheuren Fortschritt gegenüber früheren Jahrhunderten“[10]. So kommt ein anderes
Standardwerk zu Byzanz zu dem Urteil, Manuels Auseinandersetzung „stellte die gründlichste
Widerlegung der Lehre des Islams, die in byzantinischer Zeit geschrieben wurde, zusammen“.[11]
Auch wenn uns die noch genauer zu nennenden Aussagen etwas schockieren, so dürfen
wir das intellektuelle Niveau dieser Auseinandersetzung keineswegs unterschätzen.
Worum geht es? Der Kaiser kommt auf das Thema des Heiligen Krieges zu sprechen,
bis heute eines der großen heißen Eisen im Verständnis des Islam.[12] Er kennt natürlich
die Sure 2,256 „Kein Zwang in Glaubenssachen“, aber er kennt auch die später entstandenen
Bestimmungen über den Heiligen Krieg (vgl. Sure 9,29.36.73.111). In diesem Zusammenhang
geht er angesichts des überlegenen Pathos seines Gesprächspartners sehr direkt auf
die zentrale Frage nach dem Verhältnis von Religion und Gewalt ein und sagt: „Zeig
mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes
finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das
Schwert zu verbreiten.“ (7,2,c, Edition Khoury 142/143)[13] Der Kaiser begründet
dann eingehend, dass eine Verbreitung des Glaubens durch Gewalt im Widerspruch zum
Wesen Gottes und zum Wesen der Seele steht. „Gott hat kein Gefallen am Blut, und nicht
vernunftgemäß (syn logo) zu handeln ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Glaube ist
Frucht der Seele, nicht des Körpers. Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht
die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung.“
(7,3 b+c, Khoury 144/145) Ich verfolge jetzt nicht weiter, wie es dem Papst in
seiner Vorlesung ganz auf die vernunftgemäße Struktur des Glaubens – dies ist ja
sein Thema – in strikter Übereinstimmung mit dem Wesen Gottes ankommt. Für ihn ist
wichtig, dass der Christ bei aller Unverwechselbarkeit des Glaubens vernunftgemäß
handelt in Entsprechung zum Wesen Gottes. Hier tut sich für den Papst, wenn man so
etwas wie die völlige Willkür Gottes vertritt, „ein Scheideweg im Verständnis Gottes
und so in der konkreten Formverwirklichung von Religion auf, der uns heute ganz unmittelbar
herausfordert“. Nach meinem Empfinden besteht die einzige Schwierigkeit darin,
dass Papst Benedikt XVI. die Voraussetzungen und den Hintergrund dieser Aussagen nur
kurz streift. Dadurch konnten Missverständnisse entstehen. Aber bei manchen Reaktionen
muss man nicht nur mangelnde Information voraussetzen, sondern auch eine absichtliche
Fehldeutung unterstellen. Natürlich hat der Islam in der Theologie des Koran auch
eine eigene Rationalität, sodass einige Differenzierungen notwendig sind. Denn
hier handelt es sich nicht um ein simples Missverständnis. Auch der Papst hat im Lauf
des letzten Jahres, als die katholische Kirche des Entstehens der Erklärung über das
Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen „Nostra aetate“ vor 40
Jahren gedachte[14], immer wieder die Kernaussagen in Artikel 3 zum Verhältnis gegenüber
dem Islam angeführt: „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslim, die den
alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen,
den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich,
auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie
Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft...
Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen
Christen und Muslim kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das Vergangene beiseite
zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten
für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht
zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen.“ Man braucht aber auch nur
die Ansprache des Papstes bei der Begegnung mit Vertretern einiger muslimischer Gemeinschaften
im Erzbischöflichen Haus am 20. August 2005 (Weltjugendtag) nachzulesen, um zu sehen,
wie viele Stellungnahmen zu seiner angeblichen Mentalität nicht nur schlechthin haltlos
sind, sondern das Denken des Papstes total in das Gegenteil verkehren.[15] – In der
Tat besteht kein Zweifel, dass die Frage nach der Gewalt, vor allem bezüglich des
Menschen- und Gottesbildes, im Dialog der Religionen eine große Rolle spielt, nicht
zuletzt im Blick auf das Gespräch mit dem Islam.[16]
[1] Freiburg i. Br.
2003, 47 (italienische Ausgabe, Vaticano 2003, 41). 2 Vgl. Joseph Kardinal Ratzinger,
Vom Wiederfinden der Mitte, Freiburg i. Br. 1997, 40-59. 3 Vgl. die Edition Manuel
II. Paleologue, Entretiens avec un Musulman. 7e Controverse, Introduction, Texte Critique,
Traduction et Notes par Théodore Khoury = Sources Chretiènnes 115, Paris 1966; fast
zu gleicher Zeit erschien die kritische Edition mit ausführlicher Einleitung: Manuel
II Palaiologos. Dialoge mit einem Perser, hrsg. von E. Trapp, Wiener byzantinistische
Studien 2 = Österreichische Akademie der Wissenschaften. Kommission für Byzantinistik,
Bd. II, Wien 1966. Zum Dialog VII vgl. die Einleitung 72*-75*, den Text in einer kritischen
Edition: 78-94; vgl. auch: Dialoge mit einem Muslim/Manuel II. Palaiologos. Kommentierte
griechisch-deutsche Textausgabe von Karl Förstel = Corpus Islamo-Christianum: Series
Graeca 4, 2 Bände, Würzburg 1993 und 1995, vgl. die Einleitung von XII = XXXIII (Abweichungen
von der Trappschen Ausgabe, der griechisch-deutsche Text von Dialog VII findet sich
auf S. 238 bis 291. Ich verdanke die rasche Kenntnis mancher Texte dem Mainzer Byzantinisten
Prof. Dr. Günter Prinzing. 4 Dazu grundsätzlich A. Th. Khoury, Der theologische
Streit der Byzantiner mit dem Islam, Paderborn 1969 (erschien auch gleichzeitig in
französischer Sprache). 5 H.-G. Beck, Kirche und theologische Literatur im byzantinischen
Reich = Byzantinisches Handbuch II/1, München 1959, 2. Aufl. 1977, 747, vgl. auch
36 f., 338, 740 ff. 6 Ich zitiere die Vorlesung des Papstes nach dem Abdruck in
der FAZ: Glaube, Vernunft und Universität, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.09.2006,
Nr. 213, S. 8 („Die Gegenwart“). Der Text wird auch – zusammen mit den übrigen Ansprachen
während des Besuches von Papst Benedikt XVI. in Bayern und Deutschland in der Reihe
„Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls“, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz,
publiziert werden; Bonn 2006 - im Druck. – Weitere Abdrucke sind in Vorbereitung. 7
H. G. Beck, Kirche und theologische Literatur, 187. 8 H.-G. Beck, Das byzantinische
Jahrtausend, München 1978, 2. erg. Aufl. 1954, 205. 9 Ebd. 10 Ebd., 209. 11
A. A. Vasiliev, in: N. H. Baynes und H. St. L. B. Moss, Byzanz, Geschichte und Kultur
des Oströmischen Reiches, München 1964 (Oxford 1948), 393. 12 Dazu A. Th. Khoury,
Heiliger Krieg, in: A. Th. Khoury/L. Hagemann/P. Heine (Hg.), Islam-Lexikon, Bd. 2,
Freiburg i. Br. 1991, 349-359; B. Tibi, Kreuzzug und Djihad. Der Islam und die christliche
Welt, Gütersloh 1999; P. L. Bergen, Heiliger Krieg Inc. Aktualisierte Neuausgabe,
Berlin 2003; B. Lewis, Die politische Sprache des Islam, Berlin 1991; H. Zirker, Islam,
Düsseldorf 1993, 221-240, 291 f. 13 Zur Auslegung dieses Satzes vgl. besonders
den Kommentar von R. Paret, Der Koran. Kommentar und Konkordanz, 2. Aufl. Stuttgart
1977, 54 f.: „Der Passus soll demnach nicht besagen, dass man niemand zum Glauben
zwingen darf (wie nach der üblichen Deutung), sondern dass man niemand dazu zwingen
kann; m.a.W. er predigt nicht Toleranz, sondern weist darauf hin, dass der Bekehrungseifer
des Propheten infolge der menschlichen Verstocktheit weitgehend zur Erfolglosigkeit
verurteilt ist.“ Ders., Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündigung des arabischen
Propheten, 7. Aufl. Stuttgart 1991, 108 ff. 14 Vgl. nur H. H. Henrix (Hg.), Nostra
aetate – Ein zukunftsweisender Konzilstext, Aachen 2006, 11 ff., 59 ff., 83 ff. (Chr.
Troll). 15 Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 169: Predigten, Ansprachen
und Grußworte im Rahmen der Apostolischen Reise von Papst Benedikt XVI. nach Köln
anlässlich des XX. Weltjugendtages, Bonn 2005, 73-78. Man muss aber auch auf das gesamte
theologische Werk des Papstes verweisen. Ich nenne hier zunächst den programmatischen
Artikel des Theologen Joseph Ratzinger aus dem Jahr 1964 „Der christliche Glaube und
die Weltreligionen“, in: Vom Wiederfinden der Mitte, 60-82 (ursprünglich in der Festschrift
für Karl Rahner „Gott in Welt“). Dies gilt aber ohne Abstriche auch für die spätere
Zeit, vgl. dazu J. Kardinal Ratzinger, Die Vielfalt der Religionen und der Eine Bund
= Urfelder Reihe 1, Bad Tölz 2005 (4. Aufl.). 16 Dazu Chr. Bultmann/B. Kranemann/J.
Rüpke (Hg.), Religion / Gewalt / Gewaltlosigkeit. Probleme – Positionen – Perspektiven,
Münster 2004; G. Baudler, Gewalt in den Weltreligionen, Darmstadt 2005; B. Lermen/G.
Rüther (Hg.), In Gottes Namen? Zur kulturellen und politischen Debatte um Religion
und Gewalt, Sankt Augustin 2004 (Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.); B. Lewis, Der Atem
Allahs. Die islamische Welt und der Westen – Kampf der Kulturen?, München 1998, 3.
Aufl. 2001 (Oxford 1994); Ders., Der Untergang des Morgenlandes. Warum die islamische
Welt ihre Vormacht verlor?, Bergisch Gladbach 2002; Ders., Die Wut der arabischen
Welt. Warum der jahrhundertelange Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen weiter
eskaliert?, Frankfurt/Main 2003, 2. Aufl. 2004 (Amerikanische Originalausgabe 2003);
A. Al-Azmeh, Die Islamisierung des Islam. Imaginäre Welten einer politischen Theologie
= Edition Pandora 32, Frankfurt/Main 1996 (London 1993); A. Th. Khoury, Mit Muslimen
in Frieden leben. Friedenspotentiale des Islam, Würzburg 2002, U. Spuler-Stegemann,
Feindbild Christentum im Islam. Eine Bestandsaufnahme, Freiburg i. Br. 2004. Zum Ganzen
vgl. immer noch R. Leuze, Christentum und Islam, Tübingen 1994. Kaiserstraße 16153113
Bonn PostanschriftPostfach 29 6253019 Bonn Ruf: 0228-103-0Direkt: 0228-103 -214Fax:
0228-103 -254E-Mail: pressestelle@dbk.deHome: http://www.dbk.de HerausgeberP. Dr.
Hans Langendörfer SJSekretär der Deutschen Bischofskonferenz RedaktionDr. Martina
Höhns - verantwortlich Stefanie Uphues
[1] Freiburg i. Br. 2003, 47 (italienische
Ausgabe, Vaticano 2003, 41). [2] Vgl. Joseph Kardinal Ratzinger, Vom Wiederfinden
der Mitte, Freiburg i. Br. 1997, 40-59. [3] Vgl. die Edition Manuel II. Paleologue,
Entretiens avec un Musulman. 7e Controverse, Introduction, Texte Critique, Traduction
et Notes par Théodore Khoury = Sources Chretiènnes 115, Paris 1966; fast zu gleicher
Zeit erschien die kritische Edition mit ausführlicher Einleitung: Manuel II Palaiologos.
Dialoge mit einem Perser, hrsg. von E. Trapp, Wiener byzantinistische Studien 2 =
Österreichische Akademie der Wissenschaften. Kommission für Byzantinistik, Bd. II,
Wien 1966. Zum Dialog VII vgl. die Einleitung 72*-75*, den Text in einer kritischen
Edition: 78-94; vgl. auch: Dialoge mit einem Muslim/Manuel II. Palaiologos. Kommentierte
griechisch-deutsche Textausgabe von Karl Förstel = Corpus Islamo-Christianum: Series
Graeca 4, 2 Bände, Würzburg 1993 und 1995, vgl. die Einleitung von XII = XXXIII (Abweichungen
von der Trappschen Ausgabe, der griechisch-deutsche Text von Dialog VII findet sich
auf S. 238 bis 291. Ich verdanke die rasche Kenntnis mancher Texte dem Mainzer Byzantinisten
Prof. Dr. Günter Prinzing. [4] Dazu grundsätzlich A. Th. Khoury, Der theologische
Streit der Byzantiner mit dem Islam, Paderborn 1969 (erschien auch gleichzeitig in
französischer Sprache). [5] H.-G. Beck, Kirche und theologische Literatur im byzantinischen
Reich = Byzantinisches Handbuch II/1, München 1959, 2. Aufl. 1977, 747, vgl. auch
36 f., 338, 740 ff. [6] Ich zitiere die Vorlesung des Papstes nach dem Abdruck
in der FAZ: Glaube, Vernunft und Universität, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung,
13.09.2006, Nr. 213, S. 8 („Die Gegenwart“). Der Text wird auch – zusammen mit den
übrigen Ansprachen während des Besuches von Papst Benedikt XVI. in Bayern und Deutschland
in der Reihe „Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls“, hrsg. vom Sekretariat der
Deutschen Bischofskonferenz, publiziert werden; Bonn 2006 - im Druck. – Weitere Abdrucke
sind in Vorbereitung. [7] H. G. Beck, Kirche und theologische Literatur, 187. [8]
H.-G. Beck, Das byzantinische Jahrtausend, München 1978, 2. erg. Aufl. 1954, 205. [9]
Ebd. [10] Ebd., 209. [11] A. A. Vasiliev, in: N. H. Baynes und H. St. L. B.
Moss, Byzanz, Geschichte und Kultur des Oströmischen Reiches, München 1964 (Oxford
1948), 393. [12] Dazu A. Th. Khoury, Heiliger Krieg, in: A. Th. Khoury/L. Hagemann/P.
Heine (Hg.), Islam-Lexikon, Bd. 2, Freiburg i. Br. 1991, 349-359; B. Tibi, Kreuzzug
und Djihad. Der Islam und die christliche Welt, Gütersloh 1999; P. L. Bergen, Heiliger
Krieg Inc. Aktualisierte Neuausgabe, Berlin 2003; B. Lewis, Die politische Sprache
des Islam, Berlin 1991; H. Zirker, Islam, Düsseldorf 1993, 221-240, 291 f. [13]
Zur Auslegung dieses Satzes vgl. besonders den Kommentar von R. Paret, Der Koran.
Kommentar und Konkordanz, 2. Aufl. Stuttgart 1977, 54 f.: „Der Passus soll demnach
nicht besagen, dass man niemand zum Glauben zwingen darf (wie nach der üblichen Deutung),
sondern dass man niemand dazu zwingen kann; m.a.W. er predigt nicht Toleranz, sondern
weist darauf hin, dass der Bekehrungseifer des Propheten infolge der menschlichen
Verstocktheit weitgehend zur Erfolglosigkeit verurteilt ist.“ Ders., Mohammed und
der Koran. Geschichte und Verkündigung des arabischen Propheten, 7. Aufl. Stuttgart
1991, 108 ff. [14] Vgl. nur H. H. Henrix (Hg.), Nostra aetate – Ein zukunftsweisender
Konzilstext, Aachen 2006, 11 ff., 59 ff., 83 ff. (Chr. Troll). [15] Verlautbarungen
des Apostolischen Stuhls 169: Predigten, Ansprachen und Grußworte im Rahmen der Apostolischen
Reise von Papst Benedikt XVI. nach Köln anlässlich des XX. Weltjugendtages, Bonn 2005,
73-78. Man muss aber auch auf das gesamte theologische Werk des Papstes verweisen.
Ich nenne hier zunächst den programmatischen Artikel des Theologen Joseph Ratzinger
aus dem Jahr 1964 „Der christliche Glaube und die Weltreligionen“, in: Vom Wiederfinden
der Mitte, 60-82 (ursprünglich in der Festschrift für Karl Rahner „Gott in Welt“).
Dies gilt aber ohne Abstriche auch für die spätere Zeit, vgl. dazu J. Kardinal Ratzinger,
Die Vielfalt der Religionen und der Eine Bund = Urfelder Reihe 1, Bad Tölz 2005 (4.
Aufl.). [16] Dazu Chr. Bultmann/B. Kranemann/J. Rüpke (Hg.), Religion / Gewalt
/ Gewaltlosigkeit. Probleme – Positionen – Perspektiven, Münster 2004; G. Baudler,
Gewalt in den Weltreligionen, Darmstadt 2005; B. Lermen/G. Rüther (Hg.), In Gottes
Namen? Zur kulturellen und politischen Debatte um Religion und Gewalt, Sankt Augustin
2004 (Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.); B. Lewis, Der Atem Allahs. Die islamische Welt
und der Westen – Kampf der Kulturen?, München 1998, 3. Aufl. 2001 (Oxford 1994); Ders.,
Der Untergang des Morgenlandes. Warum die islamische Welt ihre Vormacht verlor?, Bergisch
Gladbach 2002; Ders., Die Wut der arabischen Welt. Warum der jahrhundertelange Konflikt
zwischen dem Islam und dem Westen weiter eskaliert?, Frankfurt/Main 2003, 2. Aufl.
2004 (Amerikanische Originalausgabe 2003); A. Al-Azmeh, Die Islamisierung des Islam.
Imaginäre Welten einer politischen Theologie = Edition Pandora 32, Frankfurt/Main
1996 (London 1993); A. Th. Khoury, Mit Muslimen in Frieden leben. Friedenspotentiale
des Islam, Würzburg 2002, U. Spuler-Stegemann, Feindbild Christentum im Islam. Eine
Bestandsaufnahme, Freiburg i. Br. 2004. Zum Ganzen vgl. immer noch R. Leuze, Christentum
und Islam, Tübingen 1994.