2006-09-16 10:28:40

Dokumentation: Ansprache Benedikts XVI bei der Begegnung mit Muslimen in Köln am 20.8.2005


RealAudioMP3 Liebe muslimische Freunde!
Es bereitet mir große Freude, Sie zu empfangen und herzlich zu begrüßen. Sie wissen, ich bin hier in Köln, um die Jugendlichen zu treffen, die aus allen Teilen Europas und der Welt gekommen sind. Die Jugendlichen sind die Zukunft der Menschheit und die Hoffnung der Nationen. Mein geliebter Vorgänger, Papst Johannes Paul II., sagte einmal zu den jungen Muslimen, die im Stadion von Casablanca in Marocco versammelt waren: »Die Jugendlichen können eine bessere Zukunft bauen, wenn sie sich vor allem im Glauben auf Gott ausrichten und sich dann bemühen, diese neue Welt nach dem Plan Gottes zu errichten, mit Weisheit und Vertrauen« (Insegnamenti, VIII/2, 1985, S. 500). Aus dieser Blickrichtung wende ich mich an Sie, verehrte und liebe muslimische Freunde, um mit Ihnen meine Hoffnungen zu teilen und Sie in diesen besonders schwierigen Zeiten unserer aktuellen Geschichte auch an meinen Sorgen teilhaben zu lassen.

Ich bin sicher, auch Ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen, wenn ich unter allen Sorgen diejenige hervorhebe, die aus dem sich immer weiter ausbreitenden Phänomen des Terrorismus entspringt. Ich weiß, daß sehr viele von Ihnen auch öffentlich besonders jede Verknüpfung Ihres Glaubens mit dem Terrorismus entschieden zurückgewiesen und ihn eindeutig verurteilt haben. Dafür danke ich Ihnen, denn das fördert das Klima des Vertrauens, das wir brauchen. In verschiedenen Teilen der Welt wiederholen sich fortlaufend terroristische Aktionen, die Menschen in Kummer und Verzweiflung stürzen. Die Ersinner und Planer dieser Attentate zeigen, daß sie unsere Beziehungen vergiften, das Vertrauen zerstören wollen. Sie bedienen sich aller Mittel, sogar der Religion, um jedem Bemühen um ein friedliches, entspanntes Zusammenleben entgegenzuwirken. Wir sind uns gottlob darüber einig, daß Terrorismus, welcher Herkunft er auch sei, eine perverse und grausame Entscheidung ist, die das unantastbare Recht auf Leben mit Füßen tritt und die Fundamente jedes geordneten Zusammenlebens untergräbt. Wenn es uns gemeinsam gelingt, das Haßgefühl aus den Herzen auszurotten, uns gegen jede Form von Intoleranz zu verwahren und uns jeder Manifestation von Gewalt zu widersetzen, dann werden wir gemeinsam die Welle des grausamen Fanatismus aufhalten, die das Leben so vieler Menschen aufs Spiel setzt und den Fortschritt des Friedens in der Welt behindert. Die Aufgabe ist schwer, aber nicht unmöglich. Der gläubige Mensch – und wir alle als Christen und als Muslime sind gläubige Menschen – weiß, daß er sich trotz der eigenen Schwäche auf die geistige Kraft des Gebetes verlassen kann.

Liebe Freunde, ich bin zutiefst davon überzeugt, daß wir, ohne dem negativen Druck der Umgebung zu weichen, die Werte der gegenseitigen Achtung, der Solidarität und des Friedens bekräftigen müssen. Das Leben jedes Menschen ist heilig, für die Christen wie für die Muslime. Wir haben ein großes Aktionsfeld, in dem wir uns im Dienst an den moralischen Grundwerten vereint fühlen dürfen. Die Würde der Person und die Verteidigung der Rechte, die sich aus dieser Würde ergeben, müssen Ziel und Zweck jedes sozialen Planes und jedes Bemühens zu dessen Durchsetzung sein. Das ist eine Botschaft, welche die leise, aber deutliche Stimme des Gewissens in unverwechselbarer Weise skandiert. Es ist eine Botschaft, die man hören und zu Gehör bringen muß: Würde ihr Widerhall in den Herzen verstummen, wäre die Welt der Finsternis einer neuen Barbarei ausgesetzt. Nur über die Anerkennung der Zentralität der Person kann man eine gemeinsame Verständigungs-Grundlage finden, eventuelle kulturelle Gegensätze überwinden und die explosive Kraft der Ideologien neutralisieren.

In der Begegnung, die ich im April mit den Delegierten der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften und mit den Vertretern verschiedener religiöser Traditionen hatte, habe ich gesagt: »Ich versichere Ihnen, daß die Kirche fortfahren will, Brücken der Freundschaft mit den Anhängern aller Religionen zu bauen, mit dem Ziel, das echte Wohl jedes Menschen und der Gesellschaft im Ganzen zu suchen« (vgl. L’Osservatore Romano, 25. April 2005, S. 4). Die Erfahrung der Vergangenheit lehrt uns, daß sich die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen leider nicht immer durch gegenseitige Achtung und durch Verständnis ausgezeichnet haben. Wie viele Seiten der Geschichte verzeichnen Schlachten und Kriege, die auf der einen wie auf der anderen Seite unter Anrufung des Namens Gottes begonnen wurden, als ob die Bekämpfung des Feindes und die Tötung des Gegners etwas sein könnte, das Gott gefällt! Die Erinnerung an diese traurigen Ereignisse müßte uns mit Scham erfüllen, denn wir wissen sehr wohl, was für Grausamkeiten im Namen der Religionen begangen worden sind. Die Lektionen der Vergangenheit müssen uns davor bewahren, die gleichen Fehler zu wiederholen. Wir wollen Wege der Versöhnung suchen und lernen, so zu leben, daß jeder die Identität des anderen respektiert. Die Verteidigung der Religionsfreiheit ist in diesem Sinne ein ständiger Imperativ, und die Achtung der Minderheiten ein unanfechtbares Zeichen wahrer Zivilisation.

In diesem Zusammenhang ist es immer angebracht, an das zu erinnern, was die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils in bezug auf die Beziehungen zu den Muslimen gesagt haben: »Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie bemühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft… Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslim kam, ermahnt die Heilige Synode [das Zweite Vatikanische Konzil] alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen« (Erklärung Nostra aetate, 3).

Diese Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils bleiben für uns die Magna Charta des Dialogs mit Ihnen, liebe muslimische Freunde, und ich freue mich, daß Sie aus dem gleichen Geist heraus zu uns gesprochen und diese Intentionen bestätigt haben. Sie, verehrte Freunde, vertreten einige muslimische Gemeinschaften, die in diesem Land existieren, in dem ich geboren bin, studiert und einen Gutteil meines Lebens verbracht habe. Gerade darum war es mein Wunsch, Sie zu treffen. Sie führen die Gläubigen des Islam und erziehen sie im muslimischen Glauben. Die Lehre ist das Mittel zur Weitergabe von Vorstellungen und Überzeugungen. Das Wort ist der Hauptweg in der Erziehung des Geistes. Sie tragen deshalb eine große Verantwortung in der Erziehung der nachwachsenden Generationen. Ich bin dankbar zu hören, in welchem Geist Sie diese Verantwortung wahren. Gemeinsam müssen wir – Christen und Muslime – uns den zahlreichen Herausforderungen stellen, die unsere Zeit uns aufgibt. Für Apathie und Untätigkeit ist kein Platz, und noch weniger für Parteilichkeit und Sektentum. Wir dürfen der Angst und dem Pessimismus keinen Raum geben. Wir müssen vielmehr Optimismus und Hoffnung pflegen. Der interreligiöse und interkulturelle Dialog zwischen Christen und Muslimen darf nicht auf eine Saisonentscheidung reduziert werden. Tatsächlich ist er eine vitale Notwendigkeit, von der zum großen Teil unsere Zukunft abhängt. Die Jugendlichen aus vielen Teilen der Erde sind hier in Köln als lebendige Zeugen für Solidarität, Brüderlichkeit und Liebe. Ich wünsche Ihnen, verehrte und liebe muslimische Freunde, von ganzem Herzen, daß der barmherzige und mitleidige Gott Sie beschütze, Sie segne und Sie immer erleuchte. Der Gott des Friedens erhebe unsere Herzen, nähre unsere Hoffnung und leite unsere Schritte auf den Straßen der Welt.

Ich danke Ihnen.








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