Liebe Brüder und Schwestern
in Christus! Wir sind versammelt – Orthodoxe, Katholiken und evangelische Christen
, um gemeinsam das Abendlob Gottes zu singen, dessen Herzstück die Psalmen sind, in
denen sich Alter und Neuer Bund vereinigen, unser Gebet sich mit dem glaubenden und
hoffenden Israel verbindet. Dies ist eine Stunde der Dankbarkeit dafür, daß wir so
miteinander beten dürfen und aus der Zuwendung zum Herrn zugleich miteinander eins
werden.
Ganz herzlich möchte ich zunächst die Teilnehmer an dieser Vesper begrüßen,
die aus der orthodoxen Kirche kommen. Ich betrachte es immer als ein großes Geschenk
der Vorsehung, daß ich als Professor in Bonn in zwei jungen Archimandriten, den späteren
Metropoliten Stylianos Harkianakis und Damaskinos Papandreou, die orthodoxe Kirche
sozusagen persönlich, in Personen kennen- und so liebenlernen durfte. In Regensburg
kamen dank der Initiativen von Bischof Graber neue Begegnungen hinzu: bei den Symposien
auf dem Spindlhof und durch die Stipendiaten, die hier studiert haben. Ich freue mich,
manch vertraute Gesichter wiedersehen zu dürfen und alte Freundschaften neu belebt
zu finden. Ich wenigen Tagen wird in Belgrad der theologische Dialog wieder aufgenommen
werden über das Grundthema der Koinonia – in den zwei Dimensionen, die uns der erste
Johannes-Brief gleich zu Beginn im ersten Kapitel benennt: Unsere Koinonia ist zunächst
Gemeinschaft mit dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus im Heiligen Geist; sie ist
die vom Herrn durch seine Menschwerdung und die Geistsendung ermöglichte Gemeinschaft
mit dem dreifaltigen Gott selbst. Diese Gottesgemeinschaft schafft dann auch die Koinonia
untereinander, als Teilhabe am Glauben der Apostel und so als Gemeinschaft im Glauben,
die sich in der Eucharistie verleiblicht und über alle Grenzen hin die eine Kirche
baut (vgl. 1 Joh 1, 3). Ich hoffe und bete, daß diese Gespräche fruchtbar sind und
daß die uns verbindende Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott, die Gemeinschaft in
dem von den Aposteln überlieferten Glauben sich vertieft und zu jener vollen Einheit
reift, an der die Welt erkennen kann, daß Jesus Christus wahrhaft der Gesandte Gottes,
Gottes Sohn ist, der Heiland der Welt (vgl. Joh 17, 21). „Damit die Welt glaube“,
müssen wir eins sein: Der Ernst dieses Auftrags muß unseren Dialog beseelen.
Ganz
herzlich begrüße ich auch die Freunde aus den verschiedenen Traditionen der Reformation.
Auch da werden in mir viele Erinnerungen wach - Erinnerungen an Freunde aus dem Jäger-Stählin-Kreis,
die heimgegangen sind; mit diesen Erinnerungen verbindet sich die Dankbarkeit für
die Begegnungen dieser Stunde. Ich denke natürlich ganz besonders an das Ringen um
den Rechtfertigungskonsens mit all seinen Phasen bis hin zu der denkwürdigen Begegnung
mit dem heimgegangenen Bischof Hanselmann hier in Regensburg, die wesentlich dazu
beitragen durfte, zur gemeinsamen Antwort zu finden. Ich freue mich, daß inzwischen
auch der „Weltrat der methodistischen Kirchen“ sich diesem Konsens angeschlossen hat.
Der Rechtfertigungskonsens bleibt eine große und noch nicht recht eingelöste Verpflichtung
für uns: Rechtfertigung ist ein wesentliches Thema in der Theologie, aber im Leben
der Gläubigen heute kaum anwesend, wie mir scheint. Auch wenn durch die dramatischen
Ereignisse der Gegenwart das Thema der Vergebung untereinander wieder seine volle
Dringlichkeit zeigt – daß wir zuallererst die Vergebung von Gott her, die Gerechtmachung
durch ihn brauchen, das steht kaum im Bewußtsein. Daß wir Gott gegenüber ernstlich
in Schulden sind, daß Sünde eine Realität ist, die nur von Gott her überwunden werden
kann: Das ist dem modernen Bewußtsein weithin fremd geworden. Im letzten steht eine
Abschwächung unseres Gottesverhältnisses hinter diesem Verblassen des Themas der Rechtfertigung
und der Vergebung der Sünden. So wird es wohl unsere allererste Aufgabe sein, den
lebendigen Gott wieder in unserem Leben neu zu entdecken.
Hören wir mit
dieser Absicht nun dem zu, was der heilige Johannes uns eben in der Lesung sagen wollte.
Ich möchte drei Aussagen dieses vielschichtigen und reichen Textes besonders unterstreichen.
Das Zentralthema des ganzen Briefes erscheint im Vers 15: „Wer bekennt, daß Jesus
der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott, und er bleibt in Gott.“ Johannes stellt hier
noch einmal, wie zuvor schon in den Versen 2 und 3 des vierten Kapitels, das Bekenntnis,
die Confessio heraus, die uns überhaupt als Christen unterscheidet: den Glauben daran,
daß Jesus der im Fleisch gekommene Sohn Gottes ist. „Niemand hat Gott je gesehen.
Der einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“, heißt
es am Ende des Prologs zum vierten Evangelium (Joh 1, 18). Wer Gott ist, wissen wir
durch Jesus Christus: den einzigen, der Gott ist. In die Berührung mit Gott kommen
wir durch ihn. In der Zeit der multireligiösen Begegnungen sind wir leicht versucht,
dieses zentrale Bekenntnis etwas abzuschwächen oder gar zu verstecken. Aber damit
dienen wir der Begegnung nicht und nicht dem Dialog. Damit machen wir Gott nur unzugänglicher,
für die anderen und für uns selbst. Es ist wichtig, daß wir unser Gottesbild ganz
und nicht nur fragmentiert zur Sprache bringen. Damit wir es können, muß unsere eigene
Gemeinschaft mit Christus, unsere Liebe zu ihm wachsen und tiefer werden. In diesem
gemeinsamen Bekenntnis und in dieser gemeinsamen Aufgabe gibt es keine Trennung zwischen
uns. Daß dieser gemeinsame Grund immer stärker werde, darum wollen wir beten.
Damit
sind wir schon mitten in dem zweiten Punkt, den ich ansprechen wollte. Er kommt im
Vers 14 zur Sprache, wo es heißt: „Wir haben gesehen und bezeugen, daß der Vater den
Sohn gesandt hat als den Retter der Welt.“ Das Zentralwort dieses Satzes heißt: μαρτυρουˆ
μν - wir bezeugen, wir sind Zeugen. Das Bekenntnis muß Zeugnis werden. In dem zugrundeliegenden
Wort μάρτυς klingt auf, daß der Zeuge Jesu Christi mit seiner ganzen Existenz, mit
Leben und Sterben für sein Zeugnis eintritt. Der Verfasser des Briefes sagt von sich:
„Wir haben gesehen.“ Weil er gesehen hat, kann er Zeuge sein. Er setzt aber voraus,
daß auch wir – die nachfolgenden Generationen - sehend zu werden vermögen und daß
auch wir als Sehende Zeugnis ablegen können. Bitten wir den Herrn, daß er uns sehend
macht. Helfen wir uns gegenseitig zum Sehen, damit wir auch die Menschen unserer Zeit
sehend machen können und daß sie durch die ganze selbstgemachte Welt hindurch Gott
wieder erkennen können; durch alle historischen Barrieren hindurch Jesus wieder wahrnehmen
dürfen, den von Gott gesandten Sohn, in dem wir den Vater sehen. Im Vers 9 heißt es,
daß Gott den Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir leben. Können wir nicht heute
sehen, daß erst durch die Begegnung mit Jesus Christus das Leben wirklich Leben wird?
Zeuge für Jesus Christus sein bedeutet vor allem auch: Zeuge für eine Weise des Lebens
sein. In einer Welt voller Verwirrung müssen wir wieder Zeugnis geben von den Maßstäben,
die Leben zu Leben machen. Dieser großen gemeinsamen Aufgabe aller Glaubenden müssen
wir uns mit großer Entschiedenheit stellen: Es ist die Verantwortung der Christen
in dieser Stunde, jene Maßstäbe rechten Lebens sichtbar zu machen, die uns in Jesus
Christus aufgegangen sind, der alle Worte der Schrift in seinem Weg vereinigt hat:
„Auf ihn sollt ihr hören“ (Mk 9, 7).
Damit sind wir bei dem dritten Stichwort
angekommen, das ich aus dieser Lesung hervorheben wollte: Agape – Liebe. Dies ist
Leitwort des ganzen Briefes und besonders des Abschnitts, den wir eben gehört haben.
Agape ist nichts Sentimentales und nichts Verstiegenes; sie ist ganz nüchtern und
realistisch. Ein wenig darüber habe ich in meiner Enzyklika „Deus caritas est“ zu
sagen versucht. Die Agape (Liebe) ist wirklich die Summe von Gesetz und Propheten.
Alles ist in ihr „eingefaltet“, muß aber im Alltag immer neu entfaltet werden. Im
Vers 16 unseres Textes findet sich das wundervolle Wort: „Wir haben der Liebe geglaubt.“
Ja, der Liebe kann der Mensch glauben. Bezeugen wir unseren Glauben so, daß er als
Kraft der Liebe erscheint, „damit die Welt glaube“ (Joh 17, 21). Amen.