250.000 Gläubige haben sich auf dem Münchner Messegelände versammelt, um mit Papst
Benedikt XVI. unter freiem Himmel und bei strahlendem Sonnenschein die Messe zu feiern. Hier
die Kernsätze des Papstes aus seiner Predigt:
"Die Nächstenliebe, die zuallererst
Sorge um die Gerechtigkeit ist, ist der Prüfstein des Glaubens und der Gottesliebe.
Jakobus nennt sie das „königliche Gesetz“. Er läßt darin das Lieblingswort Jesu durchblicken:
das Königtum Gottes, die Herrschaft Gottes. Damit ist nicht irgendein Reich gemeint,
das irgendwann einmal kommt, sondern daß Gott bestimmend werden muß für unser Leben
und Handeln. Darum bitten wir, wenn wir sagen: Dein Reich komme; wir beten nicht um
irgend etwas Entferntes, das wir selber gar nicht zu erleben wünschen. Wir beten vielmehr
darum, daß jetzt Gottes Wille unseren Willen bestimme und so Gott in der Welt herrsche;
darum also, daß Recht und Liebe entscheidend werden in der Ordnung der Welt.
Es gibt nicht nur die physische Gehörlosigkeit, die den Menschen weitgehend vom
sozialen Leben abschneidet. Es gibt eine Schwerhörigkeit Gott gegenüber, an der wir
gerade in dieser Zeit leiden. Wir können ihn einfach nicht mehr hören – zu viele andere
Frequenzen haben wir im Ohr. Was über ihn gesagt wird, erscheint vorwissenschaftlich,
nicht mehr in unsere Zeit passend. Mit der Schwerhörigkeit oder gar Taubheit Gott
gegenüber verliert sich natürlich auch unsere Fähigkeit, mit ihm und zu ihm zu sprechen.
So aber fehlt uns eine entscheidende Wahrnehmung. Unsere inneren Sinne drohen abzusterben.
Mit diesem Verlust an Wahrnehmung wird aber der Radius unserer Beziehung zur Wirklichkeit
drastisch und gefährlich eingeschränkt. Der Raum unseres Lebens wird in bedrohlicher
Weise reduziert.
Immer wieder erzählen mir die Bischöfe, zuletzt
aus Afrika, bei ihren Ad-Limina-Besuchen dankbar von der Gmmroßherzigkeit der deutschen
Katholiken und beauftragen mich, diesen Dank weiterzugeben. (...) Dann und wann sagt
aber ein afrikanischer Bischof: „Wenn ich in Deutschland soziale Projekte vorlege,
finde ich sofort offene Türen. Aber wenn ich mit einem Evangelisierungsprojekt komme,
stoße ich eher auf Zurückhaltung.“ Offenbar herrscht da doch bei manchen die Meinung,
die sozialen Projekte müsse man mit höchster Dringlichkeit voranbringen; die Dinge
mit Gott oder gar mit dem katholischen Glauben, die seien doch eher partikulär und
nicht gar so wichtig. Und doch ist es gerade die Erfahrung dieser Bischöfe, daß die
Evangelisierung vorausgehen muß; daß der Gott Jesu Christi bekannt, geglaubt, geliebt
werden, die Herzen umkehren muß, damit auch die sozialen Dinge vorangehen; damit Versöhnung
werde; damit zum Beispiel Aids wirklich von den tiefen Ursachen her bekämpft und die
Kranken mit der nötigen Zuwendung und Liebe gepflegt werden können. Das Soziale und
das Evangelium sind nicht zu trennen.
Die Völker Afrikas und Asiens
bewundern zwar unsere technischen Leistungen und unsere Wissenschaft, aber sie erschrecken
zugleich vor einer Art von Vernünftigkeit, die Gott total aus dem Blickfeld des Menschen
ausgrenzt und dies für die höchste Art von Vernunft ansieht, die man auch ihren Kulturen
aufdrängen will. Nicht im christlichen Glauben sehen sie die eigentliche Bedrohung
ihrer Identität, sondern in der Verachtung Gottes und in dem Zynismus, der die Verspottung
des Heiligen als Freiheitsrecht ansieht und Nutzen für zukünftige Erfolge der Forschung
zum letzten ethischen Maßstab erhebt. Liebe Freunde! Dieser Zynismus ist nicht die
Art von Toleranz und kultureller Offenheit, auf die die Völker warten und die wir
alle wünschen. Die Toleranz, die wir dringend brauchen, schließt die Ehrfurcht vor
Gott ein – die Ehrfurcht vor dem, was anderen heilig ist. Diese Ehrfurcht vor dem
Heiligen der anderen setzt voraus, daß wir selbst die Ehrfurcht vor Gott wieder lernen.
Diese Ehrfurcht kann in der westlichen Welt nur dann regeneriert werden, wenn der
Glaube an Gott wieder wächst, wenn Gott für uns und in uns wieder gegenwärtig wird.
Wir
drängen diesen Glauben niemandem auf: Diese Art von Proselytismus ist dem Christlichen
zuwider. Der Glaube kann nur in Freiheit geschehen. Aber die Freiheit der Menschen
rufen wir an, sich für Gott aufzutun; ihn zu suchen; ihm Gehör zu schenken. Wir, die
wir hier sind, bitten den Herrn von ganzem Herzen, daß er wieder sein Ephata zu uns
sagt; daß er unsere Schwerhörigkeit für Gott, für sein Wirken und sein Wort heilt,
uns sehend und hörend macht. Wir bitten ihn, daß er uns hilft, wieder das Wort des
Gebetes zu finden, zu dem er uns in der Liturgie einlädt; dessen ABC er uns im Vaterunser
geschenkt hat. Die Welt braucht Gott. Wir brauchen Gott. Welchen Gott?
In der ersten Lesung sagt der Prophet zu einem unterdrückten Volk: Die Rache Gottes
wird kommen. Wir können uns gut ausdenken, wie die Menschen sich das vorgestellt haben.
Aber der Prophet selber sagt dann, worin diese Rache besteht: in der heilenden Güte
Gottes. Die endgültige Auslegung des Prophetenwortes finden wir in dem, der am Kreuz
gestorben ist – in Jesus, dem menschgewordenen Sohn Gottes. Seine „Rache“ ist das
Kreuz: das Nein zur Gewalt, die „Liebe bis ans Ende“. Diesen Gott brauchen wir. Wir
verletzen nicht den Respekt vor anderen Religionen und Kulturen, die Ehrfurcht vor
ihrem Glauben, wenn wir uns laut und eindeutig zu dem Gott bekennen, der der Gewalt
sein Leiden entgegenstellt; der dem Bösen und seiner Macht gegenüber als Grenze und
Überwindung sein Erbarmen aufrichtet. Ihn bitten wir, daß er unter uns sei und daß
er uns helfe, ihm glaubwürdige Zeugen zu sein. Amen. (rv 10.09.06 sis)