Dokument: Predigt des Papstes bei der Vesper in der Münchener Liebfrauenkirche
Liebe Kommunionkinder! Liebe
Eltern und Erzieher!
Die Lesung, die wir eben gehört haben, ist dem letzten
Buch der neutestamentlichen Schriften, der sogenannten Offenbarung des Johannes entnommen.
Dem Seher wird ein Blick nach oben, in den Himmel, und nach vorn, in die Zukunft,
geschenkt. Aber gerade so redet er auch über die Erde und über die Gegenwart, über
unser Leben. Wir sind ja im Leben alle unterwegs und gehen auf die Zukunft zu. Und
wir wollen den richtigen Weg finden – das wahre Leben entdecken, nicht auf einem Holzweg,
nicht in der Wüste enden. Wir möchten nicht am Ende sagen müssen: Ich bin den verkehrten
Weg gegangen, mein Leben ist verpfuscht und schief gelaufen. Wir wollen des Lebens
froh werden; wir wollen, wie Jesus einmal sagt, „Leben in Fülle haben“.
Aber
hören wir nun dem Seher der Offenbarung zu. Was sagt er? Er spricht von einer versöhnten
Welt. Von einer Welt, in der Menschen „aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und
Sprachen“ in Freude miteinander vereint sind. Wie geht das zu? Was ist der Weg dahin?
Das erste und Wichtigste ist: Diese Menschen leben mit Gott zusammen; er hat „sein
Zelt über ihnen aufgeschlagen“, heißt es in unserer Lesung. Was ist das, das „Zelt
Gottes“? Wo ist es? Wie kommen wir dahin? Der Seher spielt da wohl auf das erste Kapitel
des Johannes-Evangeliums an, wo es heißt: Das Wort ist Fleisch geworden und hat sein
Zelt unter uns aufgeschlagen (Joh 1,14). Gott ist nicht weit weg von uns, irgendwo
im fernen Weltraum, wo niemand hinkommen kann. Er hat sein Zelt aufgeschlagen bei
uns: In Jesus ist er einer von uns geworden, mit Leib und Blut wie wir. Das ist sein
Zelt. Und er ist bei der Himmelfahrt nicht irgendwohin weit weggegangen. Sein Zelt,
er selbst mit seinem Leib als einer von uns bleibt bei uns. Wir können du zu ihm sagen,
mit ihm reden. Er hört auf uns, und wenn wir aufmerksam sind, hören wir auch, daß
er Antwort gibt.
Noch einmal: In Jesus zeltet Gott unter uns. Aber noch
einmal auch: Wo ist das nun? Unsere Lesung gibt zwei Antworten darauf. Sie sagt von
den versöhnten Menschen, daß sie „ihre Kleider im Blut des Lammes gewaschen haben“
und daß so ihre Gewänder weiß geworden sind. Das klingt für uns sehr seltsam. In der
verschlüsselten Sprache des Sehers ist das ein Hinweis auf die Taufe. Das Wort vom
„Blut des Lammes“ deutet hin auf die Liebe Jesu, die er bis in den Tod hinein durchgehalten
hat. Diese zugleich göttliche und menschliche Liebe ist das Bad, in das er uns in
der Taufe eintaucht – das Bad, mit dem er uns so wäscht, sauber macht, daß wir zu
Gott passen, mit ihm zusammenleben können. Der Akt der Taufe ist aber nur ein Anfang.
Im Mitgehen mit Jesus, im Glauben und im Leben mit ihm rührt seine Liebe uns an, die
uns reinigt und uns hell machen will. Weiß war nach der Vorstellung der alten Welt
die Farbe des Lichts. Die weißen Gewänder bedeuten, daß wir im Glauben Licht werden,
das Dunkel, die Lüge, die Verstellung, das Böse überhaupt ablegen und helle, gottgemäße
Menschen werden. Das Taufkleid wie das weiße Kleid bei der Erstkommunion möchte uns
daran erinnern und sagen: Werde durch das Mitleben mit Jesus und mit der Gemeinschaft
der Glaubenden, der Kirche, selbst ein heller Mensch, ein Mensch der Wahrheit und
der Güte – ein Mensch, aus dem das Gute, die Güte Gottes selbst herausleuchtet.
Die
zweite Antwort auf die Frage, wo wir Jesus finden, gibt uns der Seher wieder in seiner
verschlüsselten Sprache. Er sagt, daß das Lamm die vielen Menschen aus allen Kulturen
und Völkern zu den Quellen des Lebenswassers führt. Ohne Wasser gibt es kein Leben.
Das wußten die Menschen, deren Heimat an die Wüste grenzt, sehr genau. So ist für
sie das Quellwasser zum Symbol des Lebens überhaupt geworden. Das Lamm, das heißt
Jesus, führt die Menschen zu den Quellen des Lebens. Zu diesen Quellen des Lebens
gehört die Heilige Schrift, in der Gott selber zu uns spricht und uns lehrt, wie man
richtig lebt. Die eigentliche Quelle ist Jesus selbst, in dem Gott sich uns schenkt.
Und das tut er am meisten in der heiligen Kommunion, in der wir sozusagen direkt am
Quell des Lebens trinken können: Er kommt zu uns und vereinigt sich mit einem jeden
von uns. Wir können es sehen: Durch die Eucharistie, das Sakrament der Kommunion,
bildet sich eine Gemeinschaft über alle Grenzen und Sprachen hin – die weltweite Kirche,
in der Gott mit uns redet und lebt. So sollen wir die heilige Kommunion empfangen:
als Begegnung mit Jesus, mit Gott selber, der uns zu den Quellen des wirklichen Lebens
führt.
Liebe Eltern! Ich möchte Euch herzlich einladen, Euren Kindern
glauben zu helfen und sie auf ihrem Weg zur Kommunion, auf ihrem Weg zu Jesus und
mit Jesus zu begleiten. Bitte, geht mit Euren Kindern in die Kirche zur sonntäglichen
Eucharistiefeier. Ihr werdet sehen: Das ist keine verlorene Zeit, das hält die Familie
richtig zusammen und gibt ihr ihren Mittelpunkt. Der Sonntag wird schöner, die ganze
Woche wird schöner, wenn Ihr gemeinsam den Gottesdienst besucht. Und bitte, betet
auch zu Hause miteinander: beim Essen, vor dem Schlafengehen. Das Beten führt uns
nicht nur zu Gott, sondern auch zueinander. Es ist eine Kraft des Friedens und der
Freude. Das Leben in der Familie wird festlicher und größer, wenn Gott dabei ist und
seine Nähe im Gebet erlebt wird.
Liebe Religionslehrer und Erzieher! Euch bitte
ich von Herzen, die Frage nach Gott, nach dem Gott, der sich uns in Jesus Christus
gezeigt hat, in der Schule gegenwärtig zu halten. Ich weiß, daß es schwer ist, in
unserer pluralistischen Welt den Glauben in der Schule zur Sprache zu bringen. Aber
es reicht eben nicht, wenn die Kinder und jungen Menschen in der Schule nur Kenntnisse
und technisches Können, aber keine Maßstäbe erlernen, die der Kenntnis und dem Können
Richtung und Sinn geben. Regt die Schüler an, nicht nur nach diesem und jenem zu fragen,
sondern nach dem Woher und Wohin unseres Lebens. Helft ihnen zu erkennen, daß alle
Antworten, die nicht bis zu Gott hinkommen, zu kurz sind.
Liebe Seelsorger
und alle, die in der Pfarrgemeinde helfend tätig sind! Euch bitte ich, alles zu tun,
damit die Pfarrei eine innere Heimat für die Menschen wird – eine große Familie, in
der wir zugleich die noch größere Familie der weltweiten Kirche erleben – durch den
Gottesdienst, die Katechese und alle Weisen des pfarrlichen Lebens miteinander den
Weg des wahren Lebens zu gehen lernen.
Alle drei Lernorte – Familie, Schule,
Pfarrgemeinde – gehören zusammen und helfen uns, zu den Quellgründen des Lebens zu
finden – zum „Leben in Fülle“. Amen.