Wochenkommentar zu den Bootsflüchtlingen vor Lampedusa
Lampedusa, ein wohlkingender Namen. Den Intellektuellen bekannt durch den Schriftsteller
Giuseppe Tomasi di Lampedusa und seinen von Luchino Visconti verfilmten und berühmt
gewordenen Roman "Der Leopard". - Ein geheimer Tip auch für auserlesene Sommerurlauber
auf dieser geografisch zu Afrika, politisch zu Italien gehörenden Mittelmeerinsel.
Seit Tagen und Wochen aber vor allem berüchtigt durch eine sich immer wiederholende
Tragödie vom Ausmaß altgriechischer Dramen. Untaugliche Boote, alte Schaluppen, verrostete
Kutter aus afrikanischen Ländern kentern haufenweise vor der süditalienischen Küste,
hunderte von armen, mittellosen, oft alten und kranken Menschen, Neugeborenen, Halbwüchsigen
sterben kraftlos, verdursten, verhungern, erfrieren oder ertrinken jämmerlich kurz
vor den Küsten eines vermeintlichen Paradieses. Sie nehmen tage- und nächtelange Strapazen
auf sich für ein" besseres Leben" , doch am Ende steht für viele von ihnen der Tod.
Gibt es etwas absurderes, als derartige Schicksale heute - am Rande der Europäischen
Union? Einige Schlepper wurden zwar festgenommen. Immer wieder erklingt ein politischer
Ruf nach einem verstärkten Kampf gegen Schlepperbanden. Aber im Grunde passiert
nichts. Zugegeben, es ist auch schwierig, sehr schwierig sogar, hier eine Lösung zu
finden: Italien hat, wie auch das in letzter Zeit häufig als Ziel ausgesuchte Spanien,
mehrmals an die EU appelliert, Hand zu einer koordinierten Politik gegen die illegale
Einwanderung und den damit verbundenen Menschenhandel zu bieten. Auch der Ruf nach
einer europäisch-afrikanischen Vereinbarung wird nicht zum ersten Mal erhoben.Aber
im Grunde bleibt es eben bei diesen Rufen. Es ist ja nicht so, dass dieses Drama erstmals
über die Bühne geht: vor einem, vor zwei, vor drei und vier Jahren ereigneten sich
ähnliche Tragödien auf demselben und gleichen Schauplatz. Und noch etwas: selbst für
diejenigen, die die abenteurliche Bootsfahrt überleben, hört die Tragödie nicht auf:
Unzählige Afrikaner streifen - völlig auf sich selbst gestellt - auf der Suche nach
Obdach, Essen und Arbeit durch unbekannte, fremde italienische und spanische Dörfer,
Siedlungen, Städte. Immer besser als zu Hause zu Grunde gehen, heisst die Parole.
Es gibt haarsträubende Berichte über diese Menschen in Tunesien, Libyen, oder aus
Somalia. Es ist bestürzend, dass in diesen Ländern sogar auf Flüchtlinge geschossen
wurde. Marokko soll Flüchtlinge in der Wüste - sogar in verminten Gelände - ausgesetzt
haben. Natürlich wählen diese Armen der Ärmsten den einzig noch zu wählenden Ausweg:
die Flucht nach Europa. Die Grenzen der Europäischen Union sind nicht die Grenzen
der Menschenrechte. Das muss nicht nur immer wieder beteuert, sondern auch faktisch
eingehalten und bewiesen werden. (rv 260806 mc