2006-08-18 15:03:32

Bolivien: Kirche muss neutralen Staat akzeptieren


RealAudioMP3 In der Hauptstadt Sucre läuft seit gut einer Woche die erste Verfassungsgebende Versammlung. Innerhalb eines Jahres soll sie ein neues Grundgesetz erarbeiten. Die Bevölkerung muss anschließend darüber abstimmen. Zur Eröffnungszeremonie kamen rund 30.000 Menschen. Die Versammlung hat 225 Abgeordnete, und die Mehrheit ist indianischer Abstammung. Wie der Präsident Evo Morales. Der hat eine eine "Neugründung" des Landes und eine Abkehr von "neoliberalen Gesetzen" angekündigt. Darüber haben wir mit dem Jesuiten René Cardozo gesprochen, Politologe und Soziologe in Cochabamba:
"In Bolivien registriert man gerade ein neues, interessantes Phänomen, das alles verändert: die politischen, die wirtschaftlichen und die sozialen Verhältnisse. Dabei muss man sofort feststellen, dass eine Haupteigenschaft der neuen Regierung ihre ethnisch-kulturelle Ausrichtung ist, sie ist sozusagen "indigenisch". Damit identifiziert sich vor allem der Präsident. Die Regierung war schon während des Wahlkampfes um Ausgleich bemüht, wollte dieser stark ethnische Ausrichtung eine eher intellektuelle, universitäre Komponente der Mittelschicht hinzufügen."
Diese Linie verkörpert die linksgerichtete Vizepräsidentin Garcia Linera. Doch der Jesuit warnt vor Schubladendenken. Linera die Denkerin, Morales der Bauer. So einfach sei es nicht:
"Diese Spaltung entspricht nicht der Realität, sie ist rein schematisch. Meiner Meinung nach hat Garcia Linera ein markantes intellektuelles und akademisches Profil, aber genauso hat auch Morales seine politischen wie sozialen Pläne, die er zu koordinieren weiß.“
Bolivien müsse seinen Weg finden zwischen neoliberalen Tendenzen auf der einen und kommunistischen Ideen auf der anderen Seite. Von den Spannungen und Wortgefechten zwischen Präsident und Kirche der vergangenen Monate hält Pater Cardozo nichts:
„Derzeit liegen keinerlei Fakten auf dem Tisch, die die Hypothese eines Ausschlusses der Kirche rechtfertigen würden; noch viel weniger die eines zukünftig atheistischen Staates oder eines politischen Systems, das das Heilige an den Rand drängen oder unterdrücken will. Man muss jetzt Beziehungen aufbauen, in denen die katholische Kirche akzeptiert, dass sie nicht mehr die alleinige Heilsbringerin ist, dass sie ihre Mission in Mitten anderer Gruppen und Kirchen verfolgen muss, zwischen neuen Gruppierungen, die ähnliche Eigenschaften haben. Die Kirche muss akzeptieren, dass sie einen Staat gegenüber hat, der nicht mehr ausschließlich als katholisch bezeichnet werden kann, der vielmehr eine Neutralität annehmen muss, die typisch für moderne Staaten ist.“

(rv 18.08.06 bp)







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