Ein Papst auf den
Spuren der Vergangenheit. Und zwar seiner eigenen. Ein Hörstück drei Wochen vor Benedikts
Reise in die Heimat von Birgit Pottler...
„Der Grund des Besuchs war eigentlich
eben doch wirklich der, dass ich noch einmal die Orte, die Menschen sehen wollte,
wo ich groß geworden bin, die mich geprägt und mein Leben geformt haben, und diesen
Menschen danken wollte.“
Und diesen Wunsch des Papstes muss ganz Deutschland
respektieren, sagt der deutsche Oberhirte Kardinal Karl Lehmann. Auch wenn vor allem
die neuen Bundesländer 15 Jahre nach der Wiedervereinigung auf einen Besuch des Papstes
in Erfurt oder Dresden warteten - diesmal müssten sich alle Nicht-Bayern in Zurückhaltung
üben, so Lehmann:
„Es ist menschlich, dass der Papst zunächst einmal nach
seiner Wahl, er konnte ja nicht mehr in seine Heimat gehen, nach Hause kommt und einen
persönlichen Besuch macht. Hier liegen die Wurzeln seines Tuns. Es ist ein Zeichen,
der Verbundenheit des Papstes mit seiner Heimat…“
Und dennoch: "Der
Besuch in seiner Heimat wird keine bayrische Volksbelustigung werden, sondern es wird
um die großen Existenzfragen gehen, die auch die Kirche in unserem Land bewegen. Ich
denke auch, es werden dabei Impulse in unser Land gehen, die wir dringend brauchen."
Das
sagt der Kölner Kardinal Joachim Meisner. Einer der’s wissen muss, schließlich war
Benedikt vor genau einem Jahr zum Weltjugendtag zu Gast in Köln. Bereits die dritte
Auslandsreise führt Papst Benedikt XVI. vom 9. bis zum 14. September erneut nach Deutschland.
Die Reiseroute verläuft auf den Städten seines persönlichen Wirkens.
Ankunft:
Freitag, 9. September, in München.
Den Bär des Bistumsheiligen Korbinian
trägt er in seinem Papstwappen, ebenso den Freisinger Mohren. In seinen Autobiographischen
Erinnerungen schreibt Joseph Ratzinger, es sei ihm schwer gefallen, nach München zu
kommen und schwer, wieder zu gehen. Wann immer sich die Gelegenheit ergab, kehrte
Kardinal Josef Ratzinger nach München zurück. Hier war er Kaplan, Aushilfspfarrer
und nach dem Tod Kardinal Julius Döpfners dann eben bis zu seinem Umzug nach Rom 1982
Erzbischof. Ans Herz gewachsen ist ihm vor allem die Statue der Schutzfrau Bayerns,
der Patrona Bavariae auf dem Marienplatz. Vom Flughafen will er sich im Papamobil
direkt auf den Weg zur Marienstatue machen, und wie schon Johannes Paul II. hier öffentlich
beten.
Zum Fest der Patrona Bavariae empfing Benedikt XVI. in diesem Jahr
eine Abordnung der Bayerischen Gebirgsschützen in Rom. Ihnen sagte er, Heimat ist
mehr als ein Punkt auf der Landkarte.
„Für uns beinhaltet es zugleich
eine Verwurzelung im christlichen Glauben, der Bayern und ganz Europa zutiefst geprägt
hat und der unserem Leben seinen eigentlichen Sinn verleiht. Dieser Glaube hat sich
in unserem Land wie auch in anderen Regionen spezielle Ausdrucksformen geschaffen
- von der barocken Pracht unserer Kirchen bis zum bescheidenen Wegkreuz zwischen den
Feldern, von den feierlichen Fronleichnamsprozessionen bis zu kleinen Pilgergängen
zu den zahlreichen Wallfahrtsorten, von der großen Kirchenmusik bis zum alpenländischen
Volkslied…Die bayerische Volkskultur macht in ihren mannigfaltigen Ausdruckformen
die tiefe, unzerstörbare Freude sichtbar, die Jesus Christus uns schenken wollte,
als er sagte: "Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben, und es in Fülle haben"
(Joh 10, 10).“
Am Sonntag, den 10. September, feiert der Papst Gottesdienst
auf der Messe in Riem, die Theresienwiese ist bereits mit den Zelten und Fahrgeschäften
fürs Oktoberfest belegt.
Am Montag, den 11. September, geht es dann weiter
nach Altötting; dem größten deutschen Wallfahrtsort und dem so genannten „Herz
Bayerns“. Am Gnadenbild der Schwarzen Madonna wird Papst Benedikt beten und dann auf
dem Kapellplatz Gottesdienst feiern. Rechtzeitig vor dem Besuch hat die Stadt Altötting
den Papst zum Ehrenbürger ernannt. Der Papst dankte der nach Rom gereisten Delegation
mit warmen Worten und betonte,
„dass Altötting in meine frühesten Kindheitserinnerungen
hinein verwoben ist, und dass es einfach zum ganzen Gefüge meiner Lebenserinnerungen
gehört. … Vielleicht erwähne ich gerade auch, dass unser Vater, der immerhin schon
68 Jahre alt war, als mein Bruder und ich vom Krieg heil heimgekommen waren, zu Fuß
den weiten Weg von Traunstein nach Altötting gegangen ist um der Gottesmutter zu danken,
dass seine beiden Buben wieder heim gekommen waren, zu deren Schutz er sie ihr anvertraut
hatte.“
Joseph Ratzinger selbst ist mehrfach nach Altötting gepilgert.
„Durch
diese Ehrenbürgerschaft gehöre ich nun ja auf eine ganz besondere Weise zu Altötting.
Die bayerischen Kurfürsten haben nach ihrem Tod ihr Herz dort hinterlegen lassen.
Ich weiß, dass auf diese Weise mein Herz noch deutlicher bei der Mutter Gottes ist,
und dass sie auf mich herunter schauen und mir auf meinem Pilgerweg helfen
wird.“
Mittagpause macht er auf eigenen Wunsch im Kapuzinerkloster St.
Magdalena, wo sich die Mönche schon jetzt die Speisenfolge überlegt haben. „Leichte
Suppe“, soll es geben, „dann Braten mit Salaten und Knödeln".
Verschiedene
Besuche stehen auf dem Programm, bevor sich am Abend ein vermeintlicher Herzenswunsch
des Papstes erfüllt: ein Abstecher nach Marktl am Inn. Hier wurde Joseph Ratzinger
am 16. April 1927 geboren und getauft. Der Taufstein fiel 1965 fast den Renovierungsarbeiten
der Kirche zum Opfer und landete – wie in vielen anderen Pfarreien Süddeutschlands
– im Pfarrgarten. 1990 wanderte er ins Heimatmuseum und erst nach der Papstwahl fand
er wieder einen Platz in der Pfarrkirche. Bürgermeister Hubert Gschwendtner ist stolz:
„Viele
Leute wünschen natürlich, dass ihre Kinder in dem Taufstein getauft werden, wo der
Papst getauft wurde. Wir haben am Ostersonntag die erste Taufe gehabt, am 79. Geburtstag
von Benedikt XVI. und ziemlich genau an dem Tag, nur 79 Jahre später, an dem er getauft
wurde. Er wurde ja auch in der Osternacht getauft.“
Zwar wohnte die Familie
Ratzinger nur zwei Jahre in Marktl, persönliche Erinnerungen hat der deutsche Papst
gar keine, doch schon beim letzten Deutschlandbesuch galt dem Ort ein besonderer Gruß
- hoch oben aus der Luft:
„Lufthansa 3856 Marktl. Marktl liegt ja nah
bei Altötting, deswegen möchte ich jetzt mit Euch ein Ave Maria beten und Euch meinen
Segen geben…“ Unweit des inzwischen wohl berühmtesten Dorfes Deutschlands
liegt Traunstein. Auch hier wurde Geschichte geschrieben und zwar die des Hitlerjungen
Ratzinger. Die Bilder gingen nach der Papstwahl um die Welt, und zwischen den Besuchen
in Polen und Deutschland tauchen sie hartnäckig vor allem in Großbritannien und den
USA wieder auf. Das Erzbistum München-Freising sah sich nun geradezu veranlasst, eigene
Untersuchungen in Auftrag zu geben über das Studienseminar St. Michael in Traunstein
und damit auch über die Schul- und Seminarzeit von Joseph Ratzinger. Wie vor ihm sein
älterer Bruder Georg war er 1939 in St. Michael eingetreten:
„Das hatte
auf das Haus folgende Auswirkungen, die Hitlerzeit, dass nämlich die Repressalien
groß wurden, gerade gegen Kinder in diesen Häusern, die natürlich für das Regime und
die Nazis immer verdächtig waren. Das war ein Hort, wo man Jugendliche heraus nahm
und die in einer ganz eigenen Welt leben konnten. Sie waren nicht Mitglieder der freiwilligen
Hitlerjugend, mussten dann aber aufgrund einer Verfügung ab 1941 beitreten.“
Das
erzählt Thomas Frauenlob, seit 1997 Direktor des von Kardinal Faulhaber gegründeten
Hauses. Vor kurzem wurde er von Papst Benedikt XVI. in die Bildungskongregation nach
Rom abberufen. Aus langjährigen Studien weiß Frauenlob,
„dass sich die
Anführer dieser Hitlerjugend davor hüteten, einen Wettkampf mit der Kirche zu suchen,
mit diesen verpflichteten Hitlerjungen, sie haben also kaum Termine parallel zu den
Gottesdiensten gelegt am Sonntag, sie versuchten sie immer gewinnen für den Nationalsozialismus,
was aber wenig gelungen ist, zumindest bei denen, die einen Rückhalt im Glauben hatten.“
Keine
Rede also vom Überläufer Joseph. Der Vater hatte sich vom Polizeidienst pensionieren
lassen, da er für dieses Regime nicht arbeiten wollte, der Familie fehlte es schlicht
am nötigen Kleingeld. Der damalige Direktor des Traunsteiner Seminars hatte solang
als möglich versucht, seine Schüler vor der Hitlerjugend zu bewahren. Frauenlob weiter:
„Schwierig war es natürlich auch weil es in der Schule Repressalien gab. Es
gab Schulgeld. Ich habe einen Jahresbericht aus den 40-er Jahren, demnach haben fast
alle Schüler aufgrund der finanziellen Verhältnisse ihrer Eltern, eine Schulgeldermäßigung
zu bekommen. Die war oft genug verbunden mit einer gewissen Konformität zum Staat.“
Der
enge Zeitplan der Bayernreise lässt jedoch keine Lücke für eine Stippvisite Benedikts
nach Traunstein. Und so geht es am Abend des 11. September von Marktl weiter nach
Regensburg.
Auch die Stadt an der Donau ernannte ihn dieses Jahr
zum Ehrenbürger. Joseph Ratzinger war von 1969 bis 1977 Professor für Dogmatik und
Dogmengeschichte an der Universität Regensburg. Sein Bruder Georg wohnt in der Regensburger
Innenstadt und er selbst besitzt ein Haus im Vorort Pentling. Hier sind seine Eltern
und die Schwester begraben. Mit der Stadt ist er also seit langem eng verbunden. Er
war bewegt, als er die Urkunde im Vatikan entgegennahm:
"Nun
gehöre ich auch zu ihren Bürgern, ehrenhalber, und bin dadurch, wie Sie sagen, auf
Lebenszeit und über das Leben hinaus dieser besonderen Stadt zugehörig; eine alte
und doch eine ganz junge Stadt voll junger Menschen und voll junger Dynamik und Lebenskraft.“
2000
Jahre Stadtgeschichte, der älteste Knabenchor der Welt, den sein Bruder drei Jahrzehnte
lang leitete, und ein ökumenisches Miteinander prägten die Stadt, so Benedikt. Die
Regensburger wollen „ihren Papst“ am Abend mit Fackeln begrüßen; die Kirchen der Innenstadt
werden zum Gebet geöffnet sein, Jugendliche wollen die Nacht bereits auf dem Islinger
Feld verbringen. Hier wird der Papst dann am 12. September die größte Messe seines
Deutschlandaufenthalts feiern. Am Nachmittag geht es an die alte Wirkungsstätte in
der Universität, am Abend in den Dom. Eigens für ihn wird das Westportal geöffnet,
seit 50 Jahren ist es wegen Bauarbeiten geschlossen. Der Dom - nicht nur für Benedikt
ist er das Wahrzeichen der oberpfälzischen Metropole: Wer den Dom
in seiner ganzen Größe sieht, den lächelnden Engel, die Mutter Gottes, die Gestalten
in ihr, wer all die anderen großen Kirchen und Bauten dieser Stadt sieht, der sieht,
dass - wie immer - auch in den vergangenen Zeiten Dunkles und Großes miteinander verbunden
waren, dass die Geschichte auch heute uns zu belehren hat, dass wir Geschichte nicht
verlieren dürfen, sie verlieren würden, wenn wir sie vergessen, sie verlieren würden,
wenn wir stagnieren wollten.“
Auch seiner Liebe zur Musik kann Joseph
Ratzinger in Regensburg gerecht werden. Am Mittwoch, den 13. September, steht morgens
eine Orgelweihe auf dem Programm.
Danach wird es privat. Unter Ausschluss
der Öffentlichkeit trifft sich Benedikt mit seinem Bruder Georg und fährt nach Pentling
in sein Haus mit Garten.
Mehr als ein Nachmittag in privatissime bleibt nicht.
Am nächsten Morgen, Donnerstag, 14. September, geht es nach Freising auf den Domberg
und von dort zurück zum Flughafen. Das war sie dann, die Reise des Papstes nach Bayern.
In
Bayern ist die Welt scheinbar noch in Ordnung. Zumindest aus gesamtdeutscher Perspektive
betrachtet. Kardinal Karl Lehmann:
„Bayern ist mit Abstand das am meisten
katholisch geprägte Land in der Bundesrepublik. Es ist kein Zweifel, dass in Bayern,
gerade auch auf dem Land noch sehr viel bodenständige Kultur, die vom Glauben geprägt
ist, lebt, auch haben wir Bistümer die trotz des Schwundes der Beteiligung am Leben
der Kirche, der überall zu spüren ist, doch noch einen höheren Kirchenbesuch als anderswo,
also zum Beispiel in Passau und in Regensburg, man spürt, dass hier eine sehr sehr
starke Tradition zwar geschwächt ist, aber trotzdem noch viele viele Kräfte hat, das
gilt auch für die Stärke der Laienarbeit.
Egal wo, in seiner Heimat wird
er sehnsüchtig erwartet, erzählen bayerische Rompilger:
„Ich freue mich,
wenn ich ihn wieder sehen darf, in München, in Regensburg, und wo ich gerade die Eintrittskarte
noch bekommen und in der Nähe sein kann…“
Vor allem die Jugendlichen freuen
sich auf ihn, die Altöttinger Kapellsingknaben und vor allem die Regensburger Domspatzen.
Die bayerischen Schulferien wurden offiziell um einen Tag verlängert, damit möglichst
viele zum Papst pilgern können:
„Er nimmt uns wichtig. Er nimmt uns als
volle Personen, und das ist ganz entscheidend. Mit dem Vertrauen, das der oberste
Bischof in uns Jugendliche setzt, sind wir uns unserer besonderen Verantwortung bewusst,
und ich bin bereit, diese Verantwortung wahrzunehmen.“
Benedikt XVI. selbst
nutzte jede Audienz für Pilger aus der Heimat und auch das Radio- und Fernsehinterview
für ein persönliches Dankeschön vorab:
„Ich bin ja ganz beschämt über all
das, was an Vorbereitungen für meinen Besuch geschehen ist, was Menschen da alles
tun, nicht wahr. Mein Haus ist angestrichen worden, eine Berufsschule hat den Zaun
gemacht. Der evangelische Religionslehrer hat mitgewirkt an meinem Zaun. Und das ist
ja jetzt nur eine Kleinigkeit, aber ein Zeichen für ganz Vieles, was getan wird. Das
finde ich so großartig, und ich beziehe es nicht auf mich, sondern es ist einfach
ein Wille, dieser Gemeinschaft im Glauben zuzugehören…“
Und das ist ganz
im Sinn seines Nachfolgers auf dem Stuhl des Heiligen Korbinian, Kardinal Friedrich
Wetter:
„Dieser Besuch soll ein Fest des Glaubens werden. Die Menschen
sollen spüren, was Kirche ist: Gemeinschaft mit dem Papst, aber hinter dieser Gemeinschaft
mit dem Papst steht die Gemeinschaft mit Christus.“
Das Motto: „Wer glaubt
ist nie allein.“ Das sollen die Pilger am eigenen Leib erleben, eine halbe Millionen
Menschen werden erwartet. Also:
„So kann ich nur sagen: Auf ein frohes
Wiedersehen im September.“