Der französische Kurienkardinal Roger Etchegaray, Sondergesandter des Heiligen Stuhles,
hat heute einen Friedensgottesdienst im Marienwallfahrtsort Harissa, oberhalb von
Beirut, gefeiert. Etchegaray hält sich seit gestern im Krisengebiet auf. Benedikt
XVI. hatte den 84-jährigen erprobten Krisendiplomaten zu einer religiösen Mission
in den Libanon geschickt. Der Vatikan machte keine offiziellen Angaben über politische
Gespräche, die der Kardinal im Rahmen seines Besuchs mit der Staats- und Regierungsführung
des Libanons führen soll. Hier die Kernsätze aus der Predigt des französischen Kardinals:
„Wir müssen klar sein: Der Konflikt zwischen Israel und Palästina ist eines
jener Dramen, die, wenn nicht rasch eine gerechte Lösung gefunden wird, keinen Staat
in seiner Zukunft unberührt lassen können. Wenn die Gerechtigkeit und die Wahrheit
nicht für beide Völker gleich sind, dann sind sie nicht Gerechtigkeit und Wahrheit,
und es wird keinen dauerhaften Frieden in der Welt geben…. Es sind nicht nur die
Christen, die von ihrem Meister gerufen werden: Die ganze große Familie der Nachfahren
Abrahams, ja die ganze Menschheit, die sich bunt gemischt in der Arche Noah einfand,
beginnt sich heute über ihre angeborene Einheit in der Vielfalt der Rassen, Kulturen
und Religionen klar zu werden…. Der Aderlass ist ganz besonders blutig in Ihrem
Volk, im Libanon, wo 30 Prozent der Opfer jünger als zwölf Jahre sind… Dies ist nicht
der Ort noch der Augenblick einer Bilanz. Doch vor Gott können wir die Reichweite
des Bösen und auch den Preis der erhofften Heilung bereits ermessen. Kein Mittel kann
uns heilen, wenn es nicht zur Wurzel des Bösen vordringt, und wenn nicht jeder in
Demut anerkennt, dass der Feind nicht nur der andere ist, sondern auch er selbst.
Jeder von uns ergreift jeden Tag Partei für oder gegen den Frieden, durch seine Art
zu denken oder mit den anderen zu leben. Natürlich kann die Förderung des Friedens
nicht künstlich bleiben und sich auf eine Bastelarbeit aus tausend kleinen Gesten
beschränken. Um dem Krieg Adieu zu sagen, genügt es nicht, den Frieden zu begrüßen.
Wir müssen trotz aller unserer Kritik und Ungeduld die nationalen und internationalen
Verantwortlichen der Gesellschaft würdigen, die mit allen Mitteln versuchen, den Weg
zu ebnen für einen Frieden für alle Völker dieser Region, in der die Probleme der
ganzen Welt sich immer mehr verflechten. Doch der wahre Weg ist eher spirituell
als politisch. Kein in Verträgen definierter Friede hält, wenn er nicht vom Frieden
in den Herzen begleitet wird… Keine Religion kann ihren Gott gegen einen anderen ins
Feld schicken, ohne ihn zu beleidigen… In einem Klima des Hasses kann nur die Vergebung
zur Versöhnung führen. Eine Vergebung, die weder Vergessen ist, noch Berechnung, noch
Schwäche, noch herablassendes Mitleid.“