Interview mit Papst Benedikt XVI. am 5. August 2006
Audio:
Frage: Heiliger
Vater, im September besuchen Sie Deutschland, genauer gesagt, natürlich Bayern. „Der
Papst hat Sehnsucht nach seiner Heimat“, haben ihre Mitarbeiter während der Vorbereitung
berichtet. Welche Themen wollen Sie besonders ansprechen, und gehört der Begriff „Heimat“
auch zu den Werten, die sie den Menschen besonders nahe bringen wollen?
Benedikt
XVI: Ja, das auf jeden Fall. Der Grund des Besuchs war eigentlich eben doch wirklich
der, dass ich noch einmal die Orte, die Menschen sehen wollte, wo ich groß geworden
bin, die mich geprägt und mein Leben geformt haben, und diesen Menschen danken wollte.
Und dann natürlich auch eine Botschaft ausrichten, die über das eigene Land hinausgeht,
wie es meinem Auftrag entspricht. Die Themen habe ich mir ganz schlicht von den liturgischen
Daten vorgeben lassen. Das Grundthema ist eigentlich, dass wir Gott wieder entdecken
müssen und nicht irgendeinen Gott, sondern den Gott mit einem menschlichen Antlitz,
denn wenn wir Jesus Christus sehen, sehen wir Gott. Dass wir von daher dann die Wege
zueinander finden müssen in der Familie, zwischen den Generationen; und dann zwischen
den Kulturen, den Völkern, und die Wege der Versöhnung und des friedlichen Miteinanders
in dieser Welt. Die Wege, die nach vorn führen, finden wir nicht, wenn wir nicht sozusagen
Licht von oben haben. Ich habe also keine ganz spezifischen Themen ausgewählt, sondern
die Liturgie leitet mich, die Grundbotschaft des Glaubens zu sagen, die natürlich
in der Aktualität von heute verortet ist, in der wir vor allen Dingen nach der Zusammenarbeit
der Völker, nach den Möglichkeiten der Versöhnung und des Friedens fragen.
Frage: Als
Papst sind Sie ja zuständig für die gesamte Kirche in der ganzen Welt. Aber ihr Besuch
in Deutschland lenkt natürlich auch den Blick auf die Situation der Katholiken in
Deutschland. Alle Beobachter sind sich einig: die Stimmung ist gut, nicht zuletzt
durch ihre Wahl. Aber die alten Probleme, die sind natürlich geblieben, zum Beispiel
nur einige Schlagworte: Immer weniger Kirchgänger, immer weniger Taufen, überhaupt
immer weniger Einfluss auf das gesellschaftliche Leben. Wie sieht ihre Beschreibung
der aktuellen Lage der katholischen Kirche in Deutschland aus?
Benedikt XVI:
Nun, ich würde zunächst sagen, Deutschland gehört zum Westen, wenn auch mit seiner
ganz spezifischen Färbung und Tönung. Und in der Welt des Westens erleben wir ja heute
eine neue Welle einer drastischen Aufklärung oder Laizität, wie immer Sie das nennen
wollen. Glaube ist schwierig geworden, weil die Welt, die wir antreffen, ganz von
uns selber gemacht ist und sozusagen Gott in ihr nicht mehr direkt vorkommt. Ihr trinkt
nicht aus der Quelle, sondern aus dem, was uns schon abgefüllt entgegen kommt. Die
Menschen haben die Welt sich selber rekonstruiert, und ihn dahinter noch zu finden,
ist schwierig geworden. Das ist also nicht spezifisch für Deutschland, sondern etwas,
was sich in der ganzen Welt, vor allen Dingen in der westlichen Welt zeigt. Andererseits
wird der Westen jetzt stark berührt von anderen Kulturen, in denen das originär Religiöse
sehr stark ist, die auch erschrecken über die Kälte Gott gegenüber, die sie im Westen
vorfinden. Und diese Präsenz des Heiligen in anderen Kulturen, wenn auch in vielfältigen
Verschattungen, rührt dann auch wieder an die westliche Welt, rührt uns an, die wir
im Kreuzungspunkt so vieler Kulturen stehen. Und auch aus dem Eigenen des Menschen
im Westen und in Deutschland steigt immer wieder die Frage nach etwas Größerem auf.
Wir sehen das in der Jugend, bei der doch ein Suchen nach Mehr da ist, dass irgendwo
das Phänomen Religion, wie man sagt, wiederkehrt, auch wenn die Suchbewegung oft eher
unbestimmt sind. Aber die Kirche ist damit wieder da, der Glaube bietet sich als Antwort
an. Und ich denke, dass eben gerade dieser Besuch, wie schon vorher Köln, eine Gelegenheit
ist, dass man sieht, dass es schön ist zu glauben; dass die Freude einer großen, universalen
Gemeinschaft etwas Tragendes hat, dass dahinter etwas steht und dass so mit neuen
Suchbewegungen auch neue Aufbrüche zum Glauben da sind, die uns zueinander führen
und die dann auch der Gesellschaft im ganzen dienen.
Frage: Heiliger Vater,
vor einem Jahr genau waren Sie in Köln bei der Jugend; und da haben Sie, glaube ich,
auch mitbekommen, dass die Jugend wahnsinnig aufnahmebereit ist, dass Sie persönlich
sehr gut angekommen sind. Haben Sie bei dieser Reise vielleicht auch eine spezielle
Botschaft an die jungen Leute?
Benedikt XVI.: Ich würde zunächst einmal
sagen: Die Botschaft ist: Ich freu’ mich, dass es junge Menschen gibt, die beieinander
sein wollen, die im Glauben beieinander sein wollen, und die eben etwas Gutes tun
wollen. Denn die Bereitschaft zum Guten ist in der Jugend sehr stark. Die vielen Volontariate…!
Die Suche, in den Nöten dieser Welt selbst auch etwas auszurichten, ist etwas Großes.
Darin zu ermutigen, wäre ein erster Impuls: Macht weiter! Sucht nach Gelegenheiten,
Gutes zu tun! Die Welt braucht solchen Willen, braucht solchen Einsatz. Und dann würde
ich sagen, ein spezielles Wort wäre vielleicht: Der Mut zu endgültigen Entscheidungen!
Es ist viel Großmut in der Jugend da, aber das Risiko, sich ein Leben lang zu binden,
sei’s in der Ehe, sei’s im Priestertum, das wird gescheut. Die Welt ist in dramatischer
Bewegung. Ständig. Kann ich jetzt schon über das ganze Leben mit seinen unabsehbaren
künftigen Ereignissen verfügen? Binde ich da nicht meine Freiheit selber und nehme
etwas von meiner Beweglichkeit weg? Den Mut zu wecken, endgültige Entscheidungen zu
wagen, die in Wirklichkeit erst Wachstum und Vorwärtsbewegung, das Große im Leben
ermöglichen, die nicht die Freiheit zerstören, sondern ihr erst die richtige Richtung
im Raum geben: das zu riskieren – diesen Sprung sozusagen ins Endgültige – und damit
das Leben erst richtig ganz anzunehmen, das würde ich schon gern weitergeben.
Frage: Heiliger
Vater, eine Frage zur außenpolitischen Situation. Die Hoffnung auf Frieden im Nahen
Osten ist in den vergangenen Wochen wieder erheblich geringer geworden. Welche Möglichkeiten
sehen Sie für den Heiligen Stuhl hier in Anbetracht der aktuellen Situation? Wie können
Sie die Situation, die Entwicklung im Nahen Osten positiv beeinflussen?
Benedikt
XVI.: Wir haben natürlich keine politischen Möglichkeiten, und wir wollen auch
keine politische Macht. Aber wir wollen an die Christen und an alle, die sich dem
Wort des Heiligen Stuhls irgendwie verbunden oder von ihm angesprochen wissen, appellieren,
dass dort überall die Kräfte mobilisiert werden, die erkennen: Krieg ist für alle
die schlechteste Lösung. Er bringt für niemanden etwas, auch für die scheinbaren Sieger
nichts – wir wissen es in Europa von den beiden Weltkriegen her sehr genau –, sondern
das, was alle brauchen, ist der Friede. Und es gibt ja eine starke christliche Gemeinschaft
im Libanon, es gibt unter den Arabern Christen, es gibt in Israel Christen, und Christen
der ganzen Welt sorgen sich um diese uns allen teuren Länder. Die moralischen Kräfte,
die da bereit sind, um einsichtig zu machen, dass die einzige Lösung ist: „Wir müssen
miteinander leben“, die wollen wir mobilisieren. Die Politiker müssen dann die Wege
finden, wie das möglichst schnell und vor allen Dingen dauerhaft geschehen kann.
Frage: Als
Bischof von Rom sind Sie Nachfolger des Heiligen Petrus. Wie könnte denn das Petrusamt
heute zeitgemäß aussehen. Und sehen Sie einen Spannungsbogen auch zwischen einerseits
dem Primat des Papstes und andererseits der Vorstellung von der Kollegialität der
Bischöfe?
Benedikt XVI.: Ein Spannungsbogen ist es natürlich, und soll es
auch sein. Vielheit und Einheit müssen immer wieder zueinander finden, und dieses
Zueinander muss in den wechselnden Weltsituationen auch immer neu eingespielt werden.
Ja, heute haben wir eine neue Polyphonie der Kulturen, in der nicht mehr Europa allein
determiniert, sondern die Christengemeinden der verschiedenen Kontinente ihr eigenes
Gewicht, ihre eigene Farbe annehmen. Dieses Zusammenspiel müssen wir immer wieder
neu lernen. Wir haben dafür verschiedene Instrumente entwickelt. Die so genannten
Ad-Limina-Besuche, die es immer gab, werden jetzt viel mehr genutzt, um wirklich mit
allen Instanzen des Heiligen Stuhls und eben auch mit mir zu reden. Ich spreche mit
jedem einzelnen Bischof persönlich. Ich habe inzwischen mit fast allen Bischöfen Afrikas
und vielen aus Asien sprechen können. Jetzt wird Mitteleuropa, Deutschland, Schweiz
dran sein, und in solchen Begegnungen, wo dann eben wirklich Zentrum und Peripherie
einander treffen und freimütig austauschen, wächst dann das richtige Ineinander in
diesem Spannungsbogen. Dann haben wir weitere Instrumente: die Synode, das Konsistorium,
das ich jetzt regelmäßig halten werde und entwickeln möchte, wo man ohne große Tagesordnung
anstehende Probleme miteinander bespricht und nach Lösungen sucht. Wir wissen einerseits,
dass der Papst kein absoluter Monarch ist, sondern sozusagen das Ganze verkörpern
muss in dem gemeinsamen Hinhören auf Christus. Aber das Bewusstsein dafür, dass es
sozusagen eine vereinigende Instanz braucht, die auch Unabhängigkeit von den politischen
Kräften verschafft und die dafür sorgt, dass sich Christianismen nicht zu sehr mit
Nationalitäten identifizieren: diese Einsicht, dass es eine solche übergreifende Instanz
braucht, die im Zusammenspiel des Ganzen Einheit schafft und andererseits die Vielheit
aufnimmt, annimmt und fördert, die ist sehr stark. Insofern gibt es in dem Sinn, glaube
ich, wirklich auch eine innere Zustimmung zum Petrusamt in dem Willen, es so weiter
zu entwickeln, dass es dem Willen des Herrn und den Anforderungen der Zeit entspricht.
Frage: Deutschland
als Land der Reformation ist natürlich in besonderer Weise vom Miteinander der Konfessionen
geprägt. Das ökumenische Miteinander ist natürlich ein sensibles Gebilde, das immer
mal wieder in Schwierigkeiten geraten kann. Welche Möglichkeiten sehen Sie, gerade
das Verhältnis zur evangelischen Kirche zu verbessern, oder welche Schwierigkeiten
sehen Sie auch auf diesem Weg?
Benedikt XVI.: Vielleicht ist es wichtig,
zunächst einmal zu sagen, dass die evangelische Kirche ja sehr vielgestaltig ist.
In Deutschland haben wir, wenn ich recht weiß, drei größere Gemeinschaften: Lutheraner,
Reformierte, Preußische Union. Dazu bilden sich im Großmaß jetzt auch Freikirchen
und innerhalb der klassischen Kirchen Bewegungen wie die „Bekennende Kirche“ und so
weiter. Es ist also auch ein vielstimmiges Gefüge, mit dem wir in Respekt vor den
vielen Stimmen und in der Suche nach der Einheit in Dialog treten und in Zusammenarbeit
kommen müssen. Das erste ist, dass wir alle miteinander in dieser Gesellschaft uns
darum mühen sollten, die großen ethischen Richtlinien deutlich zu machen – selber
zu finden und zu verwirklichen – und so der Gesellschaft den ethischen Zusammenhalt
zu geben, ohne den sie eben nicht die Absicht der Politik – Gerechtigkeit für alle,
ein gutes Miteinanderleben, den Frieden – verwirklichen kann. Und da geschieht ja
schon sehr viel, dass wir in dieser Weise angesichts der großen moralischen Herausforderungen
wirklich miteinander verbunden sind aus dem gemeinsamen christlichen Grund heraus.
Und dass wir dann natürlich als nächstes Gott bezeugen in einer Welt, die sich schwer
tut, ihn zu finden, wie wir gesagt haben, dass wir den Gott mit dem menschlichen Antlitz
Jesu Christi sichtbar machen und den Menschen so den Zugang zu den Quellen geben,
ohne die die Moral verkümmert und ihre Maßstäbe verliert, und auch die Freude geben,
dass wir nicht isoliert sind in der Welt. So erst entsteht die Freude an der Größe
des Menschen, dass er nicht ein missglücktes Evolutionsprodukt, sondern Bild Gottes
ist. In diesen beiden Ebenen die großen ethischen Maßstäbe – und von innen her und
auf sie hin die Gegenwart Gottes, eines konkreten Gottes – zu zeigen. Und wenn wir
das tun, und danach vor allem auch alle einzelnen Gruppierungen den Glauben nicht
partikularistisch, sondern immer aus seinen tiefsten Gründen her zu leben versuchen,
dann werden wir vielleicht trotzdem nicht so schnell zu äußeren Einheiten kommen,
aber dann werden wir zu einer inneren Einheit reifen, die, so Gott will, eines Tages
dann auch äußere Formen von Einheit bringt. Frage: Thema Familie: Vor etwa
einem Monat waren Sie in Valencia beim Familienkongress. Und wer gut hingehört hat
– wir von Radio Vatikan versuchen, das zu tun –, hat gemerkt, dass Sie nie das Wort
Homo-Ehe angesprochen haben, nie von Abtreibung, nie von Verhütung gesprochen haben.
Aufmerksame Beobachter sagen sich: Interessant! Offenbar ist seine Intention, den
Glauben zu verkünden und nicht als Moralapostel durch die Welt zu reisen. Können Sie
das kommentieren?
Benedikt XVI.: Ja natürlich. Zuerst muss man sagen: Ich
hatte ganze zwei mal zwanzig Minuten Zeit. Und wenn man nur so viel Zeit zur Verfügung
hat, kann man nicht gleich mit dem Neinsagen daher kommen. Man muss ja erst wissen,
was wir überhaupt wollen, nicht wahr. Und das Christentum, der Katholizismus ist nicht
eine Ansammlung von Verboten, sondern eine positive Option. Und die wieder sehen ist
ganz wichtig, weil die fast ganz aus dem Blickfeld verschwunden ist. Man hat so viel
gehört, was man nicht darf, dass man jetzt hingegen sagen muss: Wir haben aber eine
positive Idee, dass Mann und Frau zueinander geschaffen sind, dass sozusagen es die
Skala Sexualität, Eros, Agape, die Dimensionen der Liebe gibt und dass auf die Weise
dann zunächst Ehe als beglücktes Ineinander von Mann und Frau und dann als Familie
wächst. Dass Kontinuität der Generationen geschieht, in der die Versöhnung der Generationen
erfolgt und in der dann auch die Kulturen sich begegnen können. Zunächst einmal also
herausstellen, was wir wollen, ist einfach wichtig. Dann kann man auch sehen, warum
wir irgendetwas nicht wollen. Und ich glaube, man muss ja sehen, dass es nicht eine
katholische Erfindung ist, dass Mann und Frau zueinander geschaffen sind, damit die
Menschheit weiterlebt – das wissen eigentlich alle Kulturen. Was die Abtreibung angeht,
gehört sie nicht ins sechste, sondern ins fünfte Gebot „Du sollst nicht töten!“ Und
das sollten wir eigentlich als selbstverständlich voraussetzen und müssen immer wieder
betonen: Der Mensch fängt im Mutterschoß an und bleibt Mensch bis zu seinem letzen
Atemzug. Daher muss er immer als Mensch respektiert werden. Aber das wird einsichtig,
wenn zuvor das Positive gesagt ist.
Frage: Heiliger Vater, meine Frage
schließt in gewisser Weise an die von Pater von Gemmingen an. Weltweit erhoffen sich
Gläubige Antworten auf die global drängenden Probleme von der katholischen Kirche.
Stichwort hier AIDS und Überbevölkerung: Warum stellt die katholische Kirche die Moral
so heraus und über die Lösungsansätze für dieses Schicksalsproblem der Menschen, beispielsweise
im afrikanischen Kontinent.
Benedikt XVI.: Ja nun, das ist die Frage: Stellen
wir wirklich die Moral so heraus? Ich würde sagen – so hat es sich mir auch im Gespräch
mit den afrikanischen Bischöfen immer mehr kristallisiert: Das grundlegende Stichwort,
wenn wir in diesen Sachen vorankommen wollen, heißt Erziehung, Edukation, Bildung.
Fortschritt kann nur Fortschritt sein, wenn er dem Menschen dient und wenn der Mensch
selber wächst: wenn in ihm nicht nur das technische Können wächst, sondern auch seine
moralische Potenz. Und ich denke, das eigentliche Problem unserer historischen Situation
ist das Ungleichgewicht zwischen dem ungeheuren rapiden Anwachsen dessen, was wir
technisch können, und unserm moralischen Vermögen, das nicht mitgewachsen ist. Und
deswegen ist die Bildung des Menschen das eigentliche Rezept, der Schlüssel von allem,
und das ist auch unser Weg. Und zwar hat diese Bildung, kurz gesagt, zwei Dimensionen:
Zunächst einmal müssen wir natürlich etwas lernen: Wissen, Können erwerben, Know-How,
wie man so schön sagt. Und dafür hat Europa, Amerika, in den letzten Jahrzehnten viel
getan, und das ist etwas Wichtiges. Aber wenn man nur Know-How weitergibt, nur beibringt,
wie man Maschinen macht und mit ihnen umgeht, und wie man Verhütungsmittel anwendet,
dann braucht man sich nicht zu wundern, dass am Schluss Krieg herauskommt und AIDS-Epidemien.
Sondern wir brauchen zwei Dimensionen, es muss die Bildung des Herzens, wenn ich’s
so sagen darf, mit dazukommen, durch die der Mensch Maßstäbe gewinnt und dann auch
seine Technik richtig gebrauchen lernt. Und das ist es, was wir zu tun versuchen.
Wir haben in ganz Afrika und auch in vielen Ländern Asiens ein großes Netz von Schulen
aller Stufen, wo zunächst Lernen möglich ist, wo wirklich Kenntnis erworben werden
kann, berufliche Befähigung erworben wird und dadurch Unabhängigkeit und Freiheit
möglich wird. Aber wir versuchen in diesen Schulen eben nicht nur Know-How weiter
zu geben, sondern auch die Menschen zu formen, so dass sie den Willen zur Versöhnung
haben und dass sie wissen: Wir müssen aufbauen und nicht zerstören; dass sie Maßstäbe
haben, wie sie miteinander leben können. In Afrika ist zum großen Teil das Miteinander
von Moslems und Christen ganz vorbildlich. Bischöfe haben gemeinsame Komitees mit
den Moslems, wie in Konflikten Frieden gestiftet werden kann. Und dieses doppelte
Netz der Schulen, des Lernens und des menschlichen Bildens ist wichtig. Es wird dann
ergänzt durch ein Netz von Krankenhäusern und von Pflegestationen, die bis in die
letzten Dörfer hineinreichen. Und vielerorts ist ja nach all den Zerstörungen der
Kriege die Kirche die letzte intakte Macht geblieben – nicht Macht: Realität, wo geheilt
wird, wo auch AIDS geheilt wird, und andererseits Erziehung vermittelt wird, die hilft,
richtig miteinander umzugehen. Insofern, glaube ich, sollte das Bild korrigiert werden,
dass wir nur mit lauter „Nein“ um uns herumwerfen. Es geschieht gerade in Afrika sehr
viel, damit die verschiedenen Dimensionen der Bildung sich ergänzen können und damit
die Überwindung der Gewalt und die Überwindung auch dieser Epidemien – es kommt ja
auch Malaria und Tuberkulose dazu – möglich wird.
Frage: Heiliger Vater,
von Europa aus hat sich das Christentum in alle Welt verbreitet. Nun sagen viele,
die sich mit der Sache beschäftigen, die Zukunft der Kirche liegt auf anderen Kontinenten.
Trifft das zu? Und anders gefragt: Welche Zukunft hat es in Europa, in dem Christentum
eher zur Privatsache einer Minderheit verkümmert?
Benedikt XVI.: Ich würde
es zunächst ein bisschen nuancieren. Entstanden ist das Christentum ja im vorderen
Orient, wie wir wissen. Und lange Zeit hat es dort auch seinen Schwerpunkt gehabt
und sich viel weiter nach Asien ausgedehnt, als uns heute nach der Veränderung durch
den Islam bewusst ist. Allerdings hat es dann eben dadurch seine Achse erheblich nach
dem Westen und nach Europa verschoben, und Europa – darauf sind wir auch stolz und
freuen uns – hat das Christentum in seiner großen auch intellektuellen und kulturellen
Gestalt weiter ausgebildet. Aber ich glaube, es ist schon wichtig, an die Christen
im Orient zu erinnern, denn im Moment besteht die Gefahr, dass die Christen, die dort
immer noch eine wichtige Minderheit sind, auswandern. Und dass gerade diese Ursprungsorte
des Christentums leer werden von Christen, was eine große Gefahr ist. Wir müssen denen
sehr helfen, dort bleiben zu können. Aber nun zu ihrer Frage: Europa war dann ohne
Zweifel Zentrum des Christentums und der missionarischen Bewegung. Heute treten die
andern Kontinente, die anderen Kulturen mit gleichem Gewicht in das Konzert der Weltgeschichte
ein. Und insofern wird die Kirche vielstimmiger, und das ist auch gut so, dass die
eigenen Temperamente, die eigenen Begabungen Afrikas, Asiens und Amerikas, besonders
auch Lateinamerikas erscheinen können. Alle natürlich immer auch betroffen nicht nur
von dem Wort des Christentums, sondern von der säkularen Botschaft dieser Welt, die
die Zerreißprobe, die wir in uns selber hatten, auch in diese Kontinente hineinträgt.
Alle Bischöfe aus den andern Erdteilen sagen, wir brauchen weiterhin Europa, auch
wenn Europa nun einem größeren Ganzen zugehört. Wir haben weiter eine Verantwortung
dafür. Unsere Erfahrungen, die theologische Wissenschaft, die hier gebildet wurde,
alles, was wir an liturgischer Erfahrung, an Brauchtum, auch an ökumenischer Erfahrung
gesammelt haben: all das ist auch für die anderen Kontinente wichtig. Insofern ist
bedeutsam, dass wir jetzt nicht kapitulieren und sagen: „Naja, wir sind nur noch eine
Minderheit, schauen wir mal, dass wir wenigstens in der Zahl beieinander bleiben“,
sondern weiterhin dynamisch bleiben und in Austausch treten. Dann werden Kräfte von
dort auch zu uns kommen. Es gibt ja heute indische und afrikanische Priester in Europa,
ebenso in Kanada, wo viele afrikanische Priester arbeiten, interessanterweise. Es
gibt dieses gegenseitige Geben und Nehmen. Aber wenn wir auch in Zukunft mehr Empfangende
werden, sollten wir immer auch Gebende bleiben und dazu den Mut und die Dynamik entwickeln.
Frage: Es ist teilweise schon angesprochen worden, Heiliger Vater. Moderne
Gesellschaften orientieren sich in wichtigen Entscheidungen zu Politik und Wissenschaft
nicht an den christlichen Werten, und wenn die Kirche bemerkt wird – das wissen wir
aus Umfragen –, dann oft als warnende Stimme oder gar als bremsende Stimme. Müsste
die Kirche nicht aus dieser defensiven Rolle heraus und positiver in die Zukunft blicken
und auch positiver gestalten?
Benedikt XVI.: Ja, ich würde sagen, das ist
auf jeden Fall ein Auftrag an uns, dass wir deutlicher machen, was wir denn positiv
wollen. Dass wir es vor allen Dingen im Miteinander der Kulturen und der Religionen
zur Geltung bringen. Denn der afrikanische Kontinent, die afrikanische Seele, auch
die asiatische Seele ist erschreckt, bei uns eine kalte Rationalität zu sehen. Wichtig
ist zu zeigen, dass es nicht nur dieses gibt. Und umgekehrt, für unsere laizistische
Welt ist es wichtig zu sehen, dass für den Dialog mit den anderen Welten gerade auch
der christliche Glaube nicht ein Hindernis, sondern eine Brücke ist. Man darf nicht
meinen, die rein rationale Kultur, die hätte es aufgrund ihrer Toleranz leichter,
mit den anderen Religionen zu Rande zu kommen. Ihr fehlt weitgehend das religiöse
Organ und gerade damit eigentlich der Bezugspunkt, auf den hin die anderen ansprechen
und angesprochen werden wollen. Insofern müssen wir zeigen, können wir zeigen, dass
gerade für die neue Interkulturalität, in der wir leben, die pure, von Gott losgelöste
Rationalität nicht genügt, sondern eine weite Rationalität nötig ist, die Gott in
der Einheit mit der Vernunft sieht, und dass unser christlicher Glaube, der sich in
Europa entwickelt hat, auch ein Mittel ist, um Vernunft und Kultur zueinander zu bringen
und in einer verständnisvollen Einheit auch des Handelns miteinander zu halten. In
dem Sinn haben wir, glaube ich, einen großen Auftrag, dass wir zeigen: Dieses Wort,
das wir haben, gehört nicht in die Mottenkiste der Geschichte, sondern es ist jetzt
gerade notwendig.
Frage: Heiliger Vater, Stichwort Papstreisen. Sie sind
ja im Vatikan, vielleicht zu ihrem eigenen Leidwesen, ein bisschen weit weg von den
Menschen und von der Welt abgeschlossen, auch hier wunderbar in Castel Gandolfo. Aber
Sie werden auf der anderen Seite bald achtzig Jahre alt. Meinen Sie, Sie können mit
Gottes Hilfe noch viele Reisen machen? Haben Sie eine Ahnung, welche möchten Sie machen?
Ins Heilige Land? Brasilien? Wissen Sie schon?
Benedikt XVI.: Nun, ganz
so einsam bin ich nicht. Natürlich gibt es sozusagen die Burg, die den Zutritt schwierig
macht, aber es gibt eine päpstliche Familie, jeden Tag viele Besuche, vor allen Dingen,
wenn ich in Rom bin. Die Bischöfe kommen, andere Menschen kommen, Staatsbesuche, die
aber auch persönlich und nicht nur politisch mit mir reden wollen. Insofern ist es
doch eine Vielfalt von Begegnungen, die mir Gott sei Dank immer geschenkt wird. Und
das ist ja auch wichtig, nicht wahr, dass der Sitz des Petrusnachfolgers ein Ort der
Begegnungen ist. Seit Johannes XXIII. hat sich eingependelt, dass nun auch die Gegenbewegung
da ist, dass Päpste Besuche machen. Ich muss sagen, ich fühle mich nicht sehr stark,
um noch viele große Reisen anzuzetteln, aber wo sie eine Botschaft ausrichten können,
wo sie wirklich einem Wunsch entsprechen, da möchte ich in den Dosierungen, die mir
möglich sind, hingehen. Es ist vorgesehen: Nächstes Jahr trifft sich in Brasilien
die CELAM, die Vereinigung der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen; und dort
dabei zu sein ist, glaube ich, ein wichtiger Vorgang in dem ganzen Drama, das Südamerika
einerseits erlebt, und in der ganzen Kraft der Hoffnung, die dort auch wirksam ist.
Dann möchte ich ins Heilige Land gehen und hoffentlich es in Frieden betreten können.
Und im Übrigen wird man sehen, was die Vorsehung an mich heranträgt. Frage: Darf
ich noch mal nachhaken. Die Österreicher sprechen ja auch deutsch und erwarten Sie
in Mariazell…
Benedikt XVI.: Ja, das ist vereinbart. Das habe ich einfach
so ein bisschen leichtsinnig versprochen. Es hat mir so gut gefallen dort, dass ich
gesagt habe, ja: Zur Magna Mater Austriae komme ich wieder. Und das war natürlich
sofort eine Zusage, die ich auch einhalten werde und gern einhalte.
Frage: Und
darf ich noch nachhaken: Ich bewundere Sie jeden Mittwoch, wenn Sie die Generalaudienz
halten. 50.000 Leute kommen da. Das ist ja mühsam, wahnsinnig mühsam. Hält man das
durch?
Benedikt XVI.: Ja, der liebe Gott wird mir schon die Kraft geben
dann. Und wenn man sieht, dass Zustimmung kommt, ermutigt das natürlich auch.
Frage: Heiliger
Vater, Sie haben gerade gesagt: Leichtsinnigerweise haben Sie das zugesagt. Heißt
das, Sie lassen sich trotz dieses Amtes, trotz dieser vielen protokollarischen Dinge,
ihre Spontaneität auch nicht nehmen?
Benedikt XVI. Ich versuche es jedenfalls.
Denn soviel auch fixiert ist, ein bisschen möchte ich doch auch das Eigene behalten,
zu verwirklichen versuchen.
Frage: Heiliger Vater, die Frauen in der katholischen
Kirche sind sehr aktiv in vielen Funktionen. Müssten sie nicht deutlich sichtbarer
tätig sein, also auch in höheren Positionen in der Kirche?
Benedikt XVI. Ja,
darüber wird natürlich sehr nachgedacht. Sie wissen, dass wir uns durch den Glauben,
durch die Konstitution des Apostelkollegiums bestimmt und nicht dazu ermächtigt fühlen,
Frauen die Priesterweihe zu erteilen. Aber man sollte auch nicht meinen, in der Kirche
ist nur jemand etwas, der ein Priester ist. Es gibt eben ganz viele Aufträge und Funktionen
in der Kirchengeschichte. Von den Schwestern der Kirchenväter angefangen bis ins Mittelalter,
wo große Frauen eine sehr bestimmende Rolle ausgeübt haben. Und in die Neuzeit herein:
Denken wir an Hildegard von Bingen, die kraftvoll protestiert hat gegen Bischöfe und
Papst. Und Katharina von Siena und Birgitta von Schweden. So in die Neuzeit herein
müssen die Frauen und müssen wir ja auch immer wieder mit ihnen zusammen den richtigen
Platz für sie suchen. Es ist jetzt so, dass sie in den Kongregationen sehr gegenwärtig
sind. Und es gibt ein juristisches Problem: Jurisdiktion, also die Möglichkeit rechtlich
bindender Entscheidungen, ist nach dem Kirchenrecht an Weihe gebunden. Insofern gibt
es dann da auch wieder Grenzen. Aber ich glaube, die Frauen selber werden mit ihrem
Schwung und ihrer Kraft, mit ihrem Übergewicht sozusagen, mit ihrer „geistlichen Potenz“
sich ihren Platz zu verschaffen wissen. Und wir sollten versuchen, auf Gott zu hören,
dass wir den auch nicht behindern, sondern uns freuen, dass das Weibliche in der Kirche,
wie es sich gehört – von der Muttergottes und von Maria Magdalena an – seine kraftvolle
Stelle erhält.
Frage: Heiliger Vater, man spricht in letzter Zeit von einer
neuen Faszination des Katholischen. Wie steht es denn um die Lebenskraft und um die
Zukunftsfähigkeit dieser doch eigentlich uralten Institution?
Benedikt XVI.
Ja, ich würde sagen: Es hat schon der ganze Pontifikat von Johannes Paul II. die
Menschen aufhorchen lassen und sie versammelt. Was bei seinem Tod vor sich gegangen
ist, bleibt geschichtlich also etwas ganz Einzigartiges, wie da Hunderttausende diszipliniert
sich auf dem Petersplatz drängen, stundenlang dastehen und eigentlich umfallen müssten
in dieser Situation und doch durchhalten und von innen her bewegt sind. Und wir haben
es wieder erlebt bei meiner Amtsübernahme und in Köln. Das ist schon etwas sehr Schönes,
dass das Gemeinschaftserlebnis dann zugleich ein Glaubenserlebnis wird; dass man Gemeinschaft
nicht nur irgendwo erfährt, sondern dass sie gerade dort, wo Orte des Glaubens sind,
lebendig wird und auch dem Katholischen seine Leuchtkraft gibt. Natürlich muss es
dann im Alltag durchgehalten werden. Die beiden Dinge müssen miteinander gehen. Einerseits
die großen Augenblicke, wo man sieht, es ist schön, dabei zu sein, Gott ist da, und
wir sind eine große versöhnte Gemeinschaft über die Grenzen hinweg. Wir haben der
Menschheit etwas zu geben, und uns wird von Gott, von der Kirche etwas gegeben. Und
dann muss man daraus natürlich den Schwung schöpfen, die eben auch mühsamen Wanderungen
durch den Alltag zu bestehen und von solchen Lichtpunkten her auf sie hin zu leben
und damit auch andere in die Weggemeinschaft einzuladen. Aber ich möchte die Gelegenheit
doch benützen, um zu sagen: Ich bin ja ganz beschämt über all das, was an Vorbereitungen
für meinen Besuch geschehen ist, was Menschen da alles tun, nicht wahr. Mein Haus
ist angestrichen worden, eine Berufsschule hat den Zaun gemacht. Der evangelische
Religionslehrer hat mitgewirkt an meinem Zaun. Und das ist ja jetzt nur eine Kleinigkeit,
aber ein Zeichen für ganz Vieles, was getan wird. Das finde ich so großartig, und
ich beziehe es nicht auf mich, sondern es ist einfach ein Wille, dieser Gemeinschaft
im Glauben zuzugehören und alle miteinander zu dienen. Diese Solidarität zu zeigen
und dabei uns vom Herrn her inspirieren zu lassen: das ist für mich etwas Bewegendes,
und dafür möchte ich auch ganz herzlich danken.
Frage: Heiliger Vater,
Sie sprachen gerade das Gemeinschaftserlebnis an. Sie kommen nun zum zweiten Mal nach
ihrer Wahl zu einem Besuch nach Deutschland. Die Stimmung bei dem Weltjugendtag –
oder ganz anders gelagert bei der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland – ist irgendwie
ausgewechselt. Man hat den Eindruck, die Deutschen sind weltoffener geworden, toleranter
geworden, freudiger geworden. Was wünschen Sie sich von uns Deutschen noch?
Benedikt
XVI. Nun, ich würde sagen: An sich ist natürlich schon seit dem Ende des Zweiten
Weltkriegs eine innere Umgestaltung der deutschen Gesellschaft, auch der deutschen
Mentalität da, die durch die Wiedervereinigung noch verstärkt worden ist. Wir sind
einfach viel stärker in die Weltgesellschaft hineingewachsen und natürlich auch von
ihrer Mentalität mit berührt. Und es kommen eben auch Seiten des deutschen Charakters
zum Vorschein, die man ihm früher nicht zugetraut hat. Und vielleicht sind wir auch
ein bisschen zu sehr als immer ganz diszipliniert und zurückhaltend hingestellt worden.
Das war schon in uns da – . Ich finde es sehr schön, wenn jetzt mehr zum Vorschein
kommt, wenn alle sehen: Die Deutschen sind nicht bloß reserviert und pünktlich und
diszipliniert, sie sind auch spontan, fröhlich, gastfreundlich. Das ist etwas sehr
Schönes. Und was soll ich wünschen: Dass diese Tugenden weiter entwickelt werden,
und dass sie vom christlichen Glauben her noch weiter Schwung und Tragfähigkeit bekommen.
Frage: Heiliger Vater, ihr Vorgänger hat eine wahnsinnige Menge an Christen
selig und heilig gesprochen. Manche Leute sagen, es ist sogar ein bisschen zuviel.
Frage: Selig- und Heiligsprechungen bringen ja der Kirche eigentlich nur etwas, wenn
diese Leute auch wirklich als Vorbilder wahrgenommen werden. Kann man da was tun –
und Deutschland produziert ja relativ wenig Selige und Heilige im Vergleich zu anderen
Ländern –, damit dieser pastorale Ansatz: „Wir brauchen Selig- und Heiligsprechungen“
wirklich auch was bringt? Kann man da was machen?
Benedikt XVI. Also ich
hatte ja anfangs auch ein bisschen die Meinung, dass uns die große Menge der Seligsprechungen
fast erdrückt und dass man vielleicht mehr auswählen sollte – Gestalten, die dann
deutlich ins Bewusstsein treten. Inzwischen hab’ ich ja die Seligsprechungen dezentralisiert,
um jeweils am Ort – denn sie gehören zu bestimmten Orten – diese Gestalten sichtbar
zu machen. Vielleicht interessiert ein Heiliger aus Guatemala uns in Deutschland nicht
so und umgekehrt einer aus Altötting interessiert vielleicht nicht so in Los Angeles.
Also insofern, glaube ich, ist auch diese Dezentralität, der ja die Kollegialität
der Bischöfe – ihre kollegialen Strukturen – entspricht, etwas, was gerade an diesem
Punkt angebracht ist. Dass die Länder ihre Gestalten haben und dass sie dort zu ihrer
Wirkung kommen. Ich habe auch gesehen, dass diese Seligsprechungen dort ungeheuer
viele Menschen ansprechen und die Leute sehen: „Ja, das ist ja einer von uns!“ und
dann auf ihn zugehen und von ihm her inspiriert werden. Er gehört zu denen, und wir
freuen uns, dass es dort so viele gibt. Und wenn wir allmählich durch die Weltgesellschaft
auch mit denen bekannter werden, ist das schön. Aber zunächst mal ist es wichtig,
dass es eben auch da die Vielfalt gibt. Und in dem Sinn ist es dann wichtig, dass
wir in Deutschland auch unsere eigenen Gestalten sehen lernen und uns daran freuen
dürfen. Daneben stehen dann die Heiligsprechungen mit großen Gestalten, die alle der
ganzen Kirche zugedacht sind. Ich würde sagen, die einzelnen Bischofskonferenzen sollten
auswählen, sollen sehen, wer passt zu uns, wer sagt uns etwas, und sollten dann diese
nicht so vielen Gestalten wirklich einprägsam sichtbar machen über die Katechese,
die Predigt; vielleicht kann man auch Filme über solche Gestalten lancieren – ich
könnte mir schöne Filme vorstellen. Ich kenne natürlich nur die Kirchenväter. Einen
Film über Augustinus, über Gregor von Nazianz und seine ganz eigenartige Gestalt (weil
er immer wieder davongelaufen ist, weil es ihm zuviel wurde und so) zu bringen und
zu zeigen: Es gibt ja nicht nur unsere verflixten Situationen, die uns jetzt im Film
beschäftigen, es gibt wunderbare Gestalten der Geschichte, die nicht langweilig sind,
sondern Gegenwart haben. Also jedenfalls versuchen, die Leute nicht mit allzu viel
zu überschütten, aber für viele solche Gestalten sichtbar zu machen, die gegenwärtig
sind und die uns inspirieren.
Frage: Geschichten, in denen womöglich auch
Humor enthalten ist? 1989 wurde Ihnen in München der Karl Valentin-Orden überreicht.
Welche Rolle spielen eigentlich Humor und die Leichtigkeit des Seins im Leben eines
Papstes?
Benedikt XVI. (Papst lacht) Ich bin nicht ein Mensch, dem dauernd
viele Witze einfallen. Aber sozusagen das Lustige im Leben zu sehen, und die fröhliche
Seite daran und alles nicht ganz so tragisch zu nehmen, das ist mir schon sehr wichtig,
und ich würde sagen: für mein Amt auch notwendig. Irgendein Schriftsteller hatte gesagt,
die Engel können fliegen, weil sie sich leicht nehmen. Und wir könnten auch ein bisschen
mehr fliegen, sozusagen, wenn wir uns nicht ganz so schwergewichtig nehmen würden.
Frage:
Wenn man ein solches Amt hat wie Sie, Heiliger Vater, wird man natürlich viel
von außen beobachtet. Dritte sprechen über Sie. Und mir ist aufgefallen bei der Lektüre,
dass viele Beobachter sagen, der Papst Benedikt ist im Vergleich zu Kardinal Ratzinger
eine andere Persönlichkeit. Wie ist denn Ihre eigene Sicht auf Sie, wenn ich mir diese
Frage erlauben darf?
Benedikt XVI. Ich bin ja schon mehrmals zerteilt worden
in den frühen Professor und den mittleren Professor – in den frühen Kardinal und in
den späten. Jetzt kommt noch eine Teilung dazu. Natürlich prägen die Umstände und
die Situation und auch die Menschen, weil man hier verschiedene Verantwortungen hat.
Aber sagen wir: Mein Grundnaturell und auch meine Grundvision ist gewachsen, aber
in allen wesentlichen Dingen doch identisch geblieben. Ich freue mich, wenn jetzt
auch Seiten wahrgenommen werden, die vorher nicht so wahrgenommen worden sind.
Frage:
Und darf man so sagen, Sie genießen Ihr Amt, es ist keine Last?
Benedikt
XVI. Das wäre ein bisschen zuviel, weil es doch mühsam ist. Aber ich versuche jedenfalls,
die Freude daran zu finden.
Frage: Auch im Namen meiner Kollegen darf ich
mich für dieses Gespräch, für diese Weltpremiere, sehr herzlich bedanken. Wir freuen
uns auf Ihren Besuch in Deutschland, in Bayern. Auf Wiedersehen!
Benedikt
XVI. Danke Ihnen meinerseits ganz herzlich.