Die Situation in Nahost
eskaliert. In dieser Nacht verstärkte Israel die Luftangriffe im Libanon. Ziel war
der Süden der Hauptstadt Beirut, wo sich das Hauptquartier der Hisbollah befindet.
Gestern tagte der Weltsicherheitsrat in New York. 15 Mitglieder - darunter China,
Russland und Frankreich - stimmten für eine Resolution, die Israel dazu auffordern
soll, einen unverzüglichen Abzug aus dem Gazastreifen einzuleiten. Die USA stimmte
dagegen. "Wir befinden uns in einer Sackgasse“ urteilt Moshe Zimmermann, Professor
für Moderne Geschichte an der „Hebrew University“ in Jerusalem. Dass Israel früher
oder später zu den Waffen greifen würde, sei voraussehbar gewesen:
„Man
kann ja nicht zulassen, dass Städte im Süden Israels mit Raketen beschossen werden
und Israel darauf nicht reagiert. Die Reaktion bisher war nicht effektiv – man versuchte
jetzt effektiver zu werden. Dasselbe passiert jetzt im Norden Israels. Alle befinden
sich einer Sackgasse, und aus einer Sackgasse kann man nur heraus, wenn die UNO, Amerika
und Europa intervenieren und nicht nur so lahm wie bisher, wo man ein paar Worte sagt
und irgendeinen unwichtigen Politiker hinschickt, sondern wenn man etwas Energisches
tut, wenn man diese Vorschläge in die Tat umsetzt.“
Dem
Treffen des Weltsicherheitsrates steht er skeptisch gegenüber. Die dort getroffenen
Entscheidungen seien ein Signal, könnten jedoch nur wenig bewegen, glaubt Zimmermann.
Wirksamer sei womöglich ein Appell des Papstes. „Wenn der Papst
oder wenn vom Vatikan her ein Vermittlungsvorschlag angeboten wird, kann das selbstverständlich
eine große Wirkung haben. Beide Seiten versuchen ja, ihr Gesicht zu wahren, und wenn
dann ein Angebot von Seiten des Vatikans kommt, dann ist man geehrt und auf beiden
Seiten eher bereit, Kompromisse einzugehen.“
Und wie sieht es in den israelischen
Städten aus? Was denken die Menschen in Israel?
„Die israelische Gesellschaft
ist eine Wohlfahrtsgesellschaft, eine „Spaßgesellschaft“. Das ist keine Gesellschaft,
die Kriege führen will. Deshalb ist die Fortsetzung dieser Situation für all die Israelis
unerträglich. Die Leute mögen Ferien machen, die mögen ins Ausland reisen, die mögen
am Samstag Fußball sehen und keine Kriege führen.“
Zum Libanon kann der
Historiker nicht viel sagen. Wenn er seinen Blick auf die palästinensische Gesellschaft
richtet, dann stellt er fest:
„Im palästinensischen Lager ist die Verzweiflung
sehr groß. Obwohl die Palästinenser sehen, dass Israel viel stärker ist, dass Israel
jetzt eigentlich ohne Beschränkung seine Macht ausüben kann. Diese lange Zeit der
Unterdrückung ist Grund genug für diese Leute, doch eine radikale Politik zu unterstützen.
Man denkt dort sehr oft: Schlimmer kann es nicht werden, und deswegen brauchen wir
diese Art von Befreiungsschlag. Mindestens um unsere Ehre zu retten. Das ist selbstverständlich
eine Haltung, die nicht friedensfördernd wirkt.“
Der Historiker blickt
besorgt in die Zukunft. Schon seit langem hat er kommen sehen, was nun traurige Wirklichkeit
geworden ist:
„Israel versucht mit aller Macht Probleme zu lösen, die sich
aufgestaut haben. Die Entführung israelischer Soldaten hat man als Anlass genutzt,
um einen Feldzug zu veranstalten. Man hat eine Rechtfertigung, und diese Rechtfertigung
benutzt man, um ein Ziel zu erreichen, das man schon seit langem erreichen wollte,
aber nicht erreichen durfte weil man keinen Anlass hatte.“ (rv. 14.07.06 sis)