"In dieser Heiligen Messe, der ich mit großer Freude zusammen mit vielen Bischöfen
und Priestern vorstehe, danke ich dem Herrn für die unzähligen geliebten Familien,
die sich hier versammelt haben und eine jubelnde Menge geworden sind. Ich danke auch
für unzählige Andere, die selbst in fernen Ländern diese Feier über Radio und Fernsehen
verfolgen. Ich grüße euch alle und spreche euch meine Zuneigung mit einem Friedensgruß
aus.
Die Zeugnisse von Esther und Paulus, die wir vorher in den Lesungen gehört
haben, zeigen, wie die Familie berufen ist, an der Weitergabe des Glaubens zu mitzuwirken.
Esther bekennt: „Mein Vater hat mir erzählt, dass Du, o Herr, Israel unter den Nationen
erwählt hast.“ Paulus folgt den Traditionen seiner jüdischen Vorfahren, indem er mit
reinem Gewissen auf Gott hört. Er lobt den aufrichtigen Glauben des Timoteus und erinnert
ihn an den „Glauben, der zuerst in deiner Großmutter Loide war, dann in deiner Mutter
Eunice und jetzt – dessen bin ich sicher – in Dir ist. In diesem biblischen Zeugnis
umfasst die Familie nicht nur Eltern und Kinder, sondern auch Großeltern und Vorfahren.
Die Familie zeigt sich so als Gemeinschaft von Generationen und als Garant eines Erbes
von Traditionen.
Kein Mensch hat sich das Leben selbst gegeben noch hat er
das grundlegende Wissen um das Leben selbst erworben. Wir alle haben von anderen das
Leben empfangen und die grundlegenden Wahrheiten des Lebens. Wir sind gerufen, die
Vollkommenheit in Beziehung und liebender Gemeinschaft mit anderen zu erreichen. Die
Familie ist gegründet auf der unauflöslichen Ehe zwischen einem Mann und einer Frau
und drückt diese Dimension der Beziehung, der Kindschaft und der Gemeinschaft aus.
Sie ist der Rahmen, in dem der Mensch mit Würde geboren, wachsen und sich in umfassender
Weise entwickeln kann.
Wenn ein Kind geboren wird, beginnt es durch die Beziehung
zu seinen Eltern Teil einer Familientradition zu werden, die noch tiefere Wurzeln
hat. Mit dem Geschenk des Lebens empfängt es auch ein ganzes Erbe an Erfahrungen.
In Beziehung zu diesem haben die Eltern ein Recht und eine unveräußerliche Pflicht,
dieses Erbe den Kindern weiterzugeben: sie zu erziehen in der Entdeckung ihrer Identität,
sie einzuführen in das soziale Leben, in die verantwortliche Wahrnehmung ihrer moralischen
Freiheit und ihrer Fähigkeit zu lieben aufgrund der Erfahrung, geliebt zu sein und
vor allem in der Begegnung mit Gott. Die Kinder wachsen und reifen in dem Maß in dem
sie vertrauensvoll das Erbe und diese Erziehung aufnehmen, die Erziehung, die sie
Schritt für Schritt annehmen. So können sie eine persönliche Synthese entwickeln zwischen
dem, was sie empfangen und dem, was sie gelernt haben. Diese Synthese muss jeder und
jede Generation verwirklichen.
Am Ursprung jedes Menschen und in jeder menschlichen
Vater- und Mutterschaft ist Gott der Schöpfer gegenwärtig. Deshalb müssen die Eltern
das Kind, das geboren wird, nicht nur als ihr Kind, sondern auch als Kind Gottes annehmen,
als Kind Gottes, der es als solches liebt und zur Gotteskindschaft beruft. Noch mehr:
Jeder Zeugungsakt, jede Vater- und Mutterschaft, jede Familie hat ihren Anfang in
Gott, der Vater, Sohn und Heiliger Geist ist.
Der Vater der Ester hat – im
Gedächtnis an seine Vorfahren und an sein Volk – hat ihr die Erinnerung an einen Gott
weitergegeben, von dem alle herkommen und dem alle antworten müssen. Es handelt sich
um die Erinnerung an den Gott und Vater, der sein Volk erwählt hat und der in der
Geschichte für unser Heil wirkt. Das Gedächtnis dieses Vaters erleuchtet die tiefere
Identität der Menschen: von wo wir kommen, wer wir sind und wie groß unsere Würde
ist. Sicherlich kommen wir von unseren Eltern und sind ihre Kinder. Wir kommen aber
auch von Gott, der uns nach seinem Bilde geschaffen und zu seinen Kindern berufen
hat. Daher gibt es am Anfang jedes Menschenwesens keine Zufall oder eine Fatalität,
sondern ein Projekt der göttlichen Liebe. Das hat uns Jesus Christus geoffenbart,
der der wahre Sohn Gotte und der vollkommene Mensch ist. Er wusste, woher er kam und
woher wir alle kommen: aus der Liebe seines Vater und unseres Vaters.
Der
Glaube ist also nicht ein rein kulturelles Erbe, sondern eine fortwährende Tat göttlicher
Liebe, der ruft, sowie auch der menschlichen Freiheit, die diesem Ruf entsprechen
oder auch nicht entsprechen kann. Auch wenn niemand für einen anderen antworten kann,
so sind doch die christlichen Eltern gerufen, ein glaubwürdiges Zeugnis ihres Glaubens
und ihrer christlichen Hoffnung zu geben. Sie müssen so handeln, dass der Ruf Gottes
und die Frohe Botschaft Christi bei ihren Kindern in völliger Klarheit und Echtheit
ankommt.
Im Lauf der Jahre muss dieses Geschenk Gottes, das die Eltern beigesteuert
haben, mit Weisheit und Liebe gepflegt werden und so die Fähigkeit der Unterscheidung
wachsen. Auf diese Weise und durch das fortwährende Zeugnis elterlicher Liebe, die
im Glauben gelebt und von ihm durchdrungen ist und mit der liebevollen Hilfe der christlichen
Gemeinschaft wird in den Kindern ein persönlicher Zugang zum Geschenk des Glaubens
selbst wachsen. So entdecken sie durch den Glauben den tiefen Sinn der eigenen Existenz
und fühlen sich so dankbar.
Die christliche Familie gibt den Glauben weiter,
wenn die Eltern den Kindern lehren zu beten und mit ihnen beten, wenn sie sie auf
die Sakramente vorbereiten und sie einführen in das Leben der Kirche, wenn alle sich
zusammensetzen um die Bibel zu lesen und so das Familienleben mit dem Licht des Glaubens
erleuchten und Gott den Vater preisen.
In der heutigen Kultur wird sehr häufig
die Freiheit des Einzelnen als autonomes Wesen hervorgehoben, wie wenn er sich selbst
machen würde und sich selbst genügte – ohne jede Beziehung zu den anderen und ohne
jede Verantwortung für die anderen. Man sucht das soziale Leben nur von den subjektiven
und veränderlichen Bedürfnissen her zu organisieren – ohne Beziehung zu einer vorhergehenden
und objektiven Wahrheit wie z.B. der Würde jedes menschlichen Wesens oder seine unveräußerlichen
Pflichten, denen jede soziale Gruppe dienen muss.
Die Kirche hört nicht auf,
daran zu erinnern, dass jede Freiheit des menschlichen Wesens daher kommt, dass er
nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ist. Daher ist christliche Erziehung
Erziehung zur Freiheit und für die Freiheit. „Wir tun das Gute nicht als Sklaven,
die gar nicht frei sind, etwas anderes zu tun. Sondern wir tun das Gute, weil wir
die Verantwortung für die Welt tragen, weil wir die Wahrheit lieben und das Gute,
weil wir Gott lieben und auch seine Kreaturen. Das ist die wahre Freiheit, zu der
der heilige Geist uns führen will.“
Jesus Christus ist der vollkommene Mensch,
Beispiel endgültiger Freiheit. Er lehrt uns, den Anderen seine Liebe zu weiterzugeben.
„Wie der Vater mich geliebt hat, so habe ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe.“
Dazu lehrt das 2. Vatikanum:, dass christliche Eheleute und Eltern müssen sich – auf
ihrem Weg gegenseitig stützen mit der Gnade der treuen Liebe und ihre Kinder in der
christlichen Lehre und den evnagelischen Tugenden unterrichten, die Kinder, die sie
von der Liebe Gottes empfangen haben. So bieten sie allen ein Beispiel einer unermüdlichen
und großmütigen Liebe, bauen eine Gemeinschaft der Liebe, sind Zeugen und Mitarbeiter
der Fruchtbarkeit der Mutter, der Kirche – als Zeichen und Teilhabe der Liebe, mit
der Christus seine Braut geliebt und sich für sie hingegeben hat.“
Die Liebe,
mit der uns die Eltern angenommen und unsere ersten Schritte in dieser Welt begleitet
haben ist ein Zeichen und eine sakramentale Verlängerung der gütigen Liebe Gottes,
von dem wir herkommen. Die Erfahrung aufgenommen und geliebt zu sein von Gott und
unseren Eltern, ist das solide Fundament, das das Wachstum und die echte Entwicklung
des Menschen begünstigt und das uns so hilft, zu reifen auf dem Weg zu Wahrheit und
Liebe, wie auch um aus uns herauszukommen, um in Gemeinschaft mit den anderen und
Gott einzutreten.
Um auf diesem Weg menschlicher Reife voranzuschreiten, lehrt
uns die Kirche, die wunderbare Wirklichkeit der unauflöslichen Ehe zwischen einem
Mann und einer Frau zu respektieren und zu fördern – die darüber hinaus auch der Anfang
der Familie ist. Daher ist es einer der größten und besten Dienste für das Gemeinwohl
und die echte Entwicklung der Menschen und der Gesellschaft, wenn wir Ehe und Familie
anerkennen und ihr helfen. Ehe und Familie sind die beste Garantie, um die Würde,
Gleichheit und wahre Freiheit der menschlichen Person zu garantieren.
In diesem
Zusammenhang möchte ich die Wichtigkeit und die positive Rolle unterstreichen, die
die verschiedenen kirchlichen Familienvereingungen zugunsten von Ehe und Familie leisten.
Ich lade alle Christen ein, mit allen Menschen guten Willens, die ihre Verantwortung
im Dienst der Familie wahrnehmen, freudig und mutig zusammen zu arbeiten. Wenn wir
die Kräfte mit einer legitimen Pluralität von Initiativen bündeln, dann fördern wir
das wahre Wohl der Familien in der heutigen Gesellschaft. Kehren wir für einen
Augenblick zur ersten Lesung der heutigen Messe zurück. Sie ist aus dem Buch Esther
genommen. Die betende Kirche hat in dieser demütigen Königin, die mit ihrem ganzen
Sein für ihr leidendes Volk eintritt, eine Vorausbildung Mariens gesehen, die als
Mutter ihren Sohn uns allen geschenkt hat. Eine Vorausbildung der Mutter, die mit
ihrer Liebe die pilgernde Familie Gottes in dieser Welt schützt. Maria ist das exemplarische
Bild aller Mütter, ihrer großen Mission als Hüterinnen des Lebens, ihrer Sendung,
die Kunst des Lebens und der Liebe zu lehren.
Die christliche Familie – Vater,
Mutter und Kinder – ist also gerufen, die oben angegebenen Ziele nicht als etwas von
außen auferlegtes zu verfolgen, sondern als Geschenk der sakramentalen Ehe-Gnade,
die in die Eheleute eingegossen ist. Wenn sie offen bleiben für den Geist und seine
Hilfe erbitten, dann wird er ihnen ununterbrochen die Liebe Gottes, des Vaters mitteilen,
die sich in Christus gezeigt hat und Fleisch wurde. Die Anwesenheit des Geistes wird
den Eheleuten helfen, die Quelle und Dimension ihrer Liebe und ihrer wechselseitigen
Hingabe aus den Augen zu verlieren. Er wird ihnen auch helfen, ihn in allen Dimensionen
ihres Lebens Fleisch werden zu lassen. Der Heilige Geist wird gleichzeitig in ihnen
die Sehnsucht nach der endgültigen Begegnung mit Christus im Haus seines und unseres
Vaters wecken. Das ist die Botschaft der Hoffnung, die ich von Valencia aus an alle
Familien in der Welt schicken möchte. Amen." (Übersetzung: Pater Eberhard. v. Gemmingen
SJ)