2006-06-23 19:32:00

Die Glocken der WM... fremdsprachige Gemeinden in Deutschland


RealAudioMP3 700.000 jubelnde, lachende Menschen zwischen Brandenburger Tor und Friedensengel, sie fallen sich in die Arme, schwenken Fahnen aus aller Herren Länder, tanzen Samba und Walzer, nennen sich Fan oder Tifoso. „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Das vielgeplagte Motto dieser WM scheint Wirklichkeit zu werden - das beobachten auch die Kirchen in Deutschland, die Gastfreundschaft ohnehin als christlichen Grundsatz bezeichneten und sich deshalb ganz aktiv ins Rahmenprogramm der Fußball-Weltmeisterschaft einmischten. Mit von der Partie natürlich auch die fremdsprachigen Kirchengemeinden in Deutschland. Ich habe mit dem Missionar der Missione Cattolica Italiana in Berlin gesprochen. Don Alfio Bordiga erzählt von Fanfesten der etwas anderen Art:


„Im Dom haben wir zusammen mit dem Missionar, der die Ghanesen hier betreut, also die Mannschaft, die zum ersten Mal gegen Italien gespielt hat, um die Mittagszeit Gottesdienst gefeiert, in deutsch, Englisch, Italienisch und ghanaisch. Mit dieser Feier wollten wir alle Fans in den Dom einladen, die da waren. Schon seit Monaten hatten wir Postkarten und Flyer verteilt unter dem Motto ‚Die Kirche ist Euch nahe, sie begrüßt Euch und heißt Euch herzlich Willkommen’. Die Kirche will die Fans die Berlin aus Anlass der Weltmeisterschaft jetzt besuchen, wirklich begleiten.

Gemeinden für Katholiken anderer Muttersprachen - so die offizielle Bezeichnung seitens der deutschen Bischofskonferenz - wollen Einwanderern und Migranten ein Stück Heimat in Deutschland bieten. Die Italiener gehören bis heute zu den zahlreichsten. Die Seelsorge für die Italiener in Deutschland begann mit der Ankunft der Gastarbeiter 1955. Seither gründeten die 27 deutschen Bistümer 130 italienisch-katholische Gemeinden. Sie funktionieren wie jede andere Pfarrgemeinde, mit Pfarrgemeinderat, Chor… Was fehlt ist das eigene Kirchengebäude, der Pfarreibesitz, die Kirchenstiftung also. Don Alfio:


„Wir sind eine italienische Missionsgemeinde und haben unseren Sitz in einer deutschen Pfarrei. St. Konrad von Parzham, Rubenstr. 48, Und wir erfüllen die Aufgaben, die Funktion einer Pfarrei für die Italiener. Wir versuchen einfach gut zusammenzuarbeiten. Nächsten Sonntag, den 25. Juni, feiern wir zusammen unser „Patronatsfest“, die italienische und die deutsche Gemeinde zusammen, wir feiern den Gottesdienst zweisprachig, dann gibt es Mittagessen, Spiele… eben einen schönen gemeinsamen Tag.“

Etwa 500 Seelsorger und Ordensschwestern mit unzähligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie ca. 300 Sozialarbeiter der Caritas betreuten auf deutschen Boden in einem halben Jahrhundert knapp vier Millionen Landsleute. Die Gemeinde in Berlin ist gar noch älter. In St. Konrad weht die grün-weiß-rote Bandiera zwar erst seit 2004, aber schon 1891 bekamen die Italiener, die im Zug des industriellen Aufschwungs nach Berlin gekommen waren, ihre erste Kapelle zugewiesen. Das Angebot zur Weltmeisterschaft ist aber bislang einzigartig:


„Die Italiener, die ich bis jetzt getroffen haben, sind positiv überrascht, erstaunt, manche auch ein wenig verstört, dass sie hier, in der absoluten Diaspora, in der die Katholiken in der Minderheit sind, die Dienste einer Gemeinde vorfinden, einen Priester, Messen in italienisch, Hilfsangebot… Im Grunde sind alle sehr zufrieden mit diesem Angebot, sehr ‚überrascht’, verwundert, aber sehr angetan…“

Don Alfio ist ein Wirbelwind. Der hagere Mann aus Breschia bedient zwei Telefone gleichzeitig, als ich ihn - wie verabredet - anrufe, ruft er nur „ROMA?“ in den Apparat und „einen Moment bitte“, am anderen Ohr verhandelt er gerade über die Belegzeiten der Kirche. Bei unserem Erstkontakt hatte die Sekretärin ihn aus dem Garten geholt. Am Abend - nach dem Gruppenspiel natürlich - ist Gemeindegottesdienst, anschließend Taufgespräch, dann Vorbereitungstreffen für den nächsten Fangottesdienst und am nächsten Morgen ans andere Ende der Stadt für eine Messe mit zwei Reisebussen. Doch Don Alfio blickt auch auf die Kehrseite der Medaille:


„Ich war gestern in der Justizvollzugsanstalt Moabit und habe die italienischen Häftlinge besucht. In Moabit haben sie eine Abteilung eigens für WM-Häftlinge reserviert, aber bis gestern saß dort noch niemand ein. Das ist doch wirklich ein gutes Zeichen. Die Hälfte der WM ist vorbei und es gab noch keine Straßenschlachten. Auf diese geschwisterliche Freude, die alle Fußballfans auf der Welt in diesen Tagen ein wenig vereint, ist bislang wirklich noch kein Schatten gefallen.“

Einen Wermutstropfen hat diese sonst so sonnige Weltmeisterschaft aber für den Tifoso Don Alfio. Die Squadra Azzura, die war noch nicht bei ihm im Gottesdienst:
„In Berlin hat Italien noch nicht gespielt, und wird das auch nicht…“
Na, na, na, so pessimistisch?
„Wir hoffen es natürlich, aber das heißt ja, dass sie ins Finale kommen müssen.“

Wie die englischsprachige, die kroatische oder die französische Gemeinde will St. Konrad eine Anlaufstelle sein für Fans und Touristen. Sie wollen integrieren und Heimat bieten, sei’s nun während der WM oder danach. Sie wollen von dem, was sie selbst hier gefunden haben, ein bisschen was weitergeben:


„Mein Herz schlägt so, wie mein Leben verlaufen ist. Ubi amor, ibi patria. Wo die Liebe hinfällt, ist Heimat. Ich fühle mich hier sehr wohl, wirklich zu Hause. Ob die Italiener oder die Deutschen gewinnen, ist für mich nicht so wichtig. Für mich zählt, dass der Sieg hilft, die Völker zu vereinen, dass sie gut miteinander leben, in brüderlicher Gemeinschaft und Freude. Unsere Welt muss einfach sehen, dass die Menschheit noch gut zusammenleben kann. Wir haben gesehen, dass die WM die Gewohnheiten durcheinander gebracht hat und zu verändern beginnt. Wer auch nur einen Blick auf das Brandenburger wirft – egal wer spielt, hier gibt es immer ein Fest, egal welche Personen, Rassen oder Nationen aufeinander treffen. Das ist wirklich wunderbar. Das ist das Paradies. Alle sind glücklich und zufrieden, feiern gemeinsam. Und – Dank sei Gott – ohne Probleme.

Abgesehen von den Sprachproblemen vielleicht. Mit der deutschen Sprache ist das nämlich so eine Sache für die Italiener, sie tun sich einfach schwer mit einem für Deutsche so alltäglichen und häufig gebrauchtem „CH“, einem „Ö“ oder „EI“. „Ich bin alt, 44“, sagt Don Alfio, und alles, was ich kann ist „Esel-Deutsch“, die Leute würden nur Lachen, wenn ich im Radio deutsch spreche. Und dann, in seiner ganzen Fußball-Begeisterung tut er es doch:


„Die Glocken hat immer fünf Minuten gespielt, wenn Italien oder Deutschland gewonnen haben. Und wenn Italien oder Deutschland Weltmeister wird, ich kann nicht nur fünf Minuten sondern gut zehn Minuten kann ich alle Glocken, meine Glocken spielen, für eine Weltfest…“

 
(rv 23.06.06 bp)







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