Die Glocken der WM... fremdsprachige Gemeinden in Deutschland
700.000 jubelnde,
lachende Menschen zwischen Brandenburger Tor und Friedensengel, sie fallen sich in
die Arme, schwenken Fahnen aus aller Herren Länder, tanzen Samba und Walzer, nennen
sich Fan oder Tifoso. „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Das vielgeplagte Motto dieser
WM scheint Wirklichkeit zu werden - das beobachten auch die Kirchen in Deutschland,
die Gastfreundschaft ohnehin als christlichen Grundsatz bezeichneten und sich deshalb
ganz aktiv ins Rahmenprogramm der Fußball-Weltmeisterschaft einmischten. Mit von der
Partie natürlich auch die fremdsprachigen Kirchengemeinden in Deutschland. Ich habe
mit dem Missionar der Missione Cattolica Italiana in Berlin gesprochen. Don Alfio
Bordiga erzählt von Fanfesten der etwas anderen Art:
„Im Dom haben wir
zusammen mit dem Missionar, der die Ghanesen hier betreut, also die Mannschaft, die
zum ersten Mal gegen Italien gespielt hat, um die Mittagszeit Gottesdienst gefeiert,
in deutsch, Englisch, Italienisch und ghanaisch. Mit dieser Feier wollten wir alle
Fans in den Dom einladen, die da waren. Schon seit Monaten hatten wir Postkarten und
Flyer verteilt unter dem Motto ‚Die Kirche ist Euch nahe, sie begrüßt Euch und heißt
Euch herzlich Willkommen’. Die Kirche will die Fans die Berlin aus Anlass der Weltmeisterschaft
jetzt besuchen, wirklich begleiten.
Gemeinden für Katholiken anderer Muttersprachen
- so die offizielle Bezeichnung seitens der deutschen Bischofskonferenz - wollen Einwanderern
und Migranten ein Stück Heimat in Deutschland bieten. Die Italiener gehören bis heute
zu den zahlreichsten. Die Seelsorge für die Italiener in Deutschland begann mit der
Ankunft der Gastarbeiter 1955. Seither gründeten die 27 deutschen Bistümer 130 italienisch-katholische
Gemeinden. Sie funktionieren wie jede andere Pfarrgemeinde, mit Pfarrgemeinderat,
Chor… Was fehlt ist das eigene Kirchengebäude, der Pfarreibesitz, die Kirchenstiftung
also. Don Alfio:
„Wir sind eine italienische Missionsgemeinde und haben
unseren Sitz in einer deutschen Pfarrei. St. Konrad von Parzham, Rubenstr. 48, Und
wir erfüllen die Aufgaben, die Funktion einer Pfarrei für die Italiener. Wir versuchen
einfach gut zusammenzuarbeiten. Nächsten Sonntag, den 25. Juni, feiern wir zusammen
unser „Patronatsfest“, die italienische und die deutsche Gemeinde zusammen, wir feiern
den Gottesdienst zweisprachig, dann gibt es Mittagessen, Spiele… eben einen schönen
gemeinsamen Tag.“
Etwa 500 Seelsorger und Ordensschwestern mit unzähligen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie ca. 300 Sozialarbeiter der Caritas betreuten
auf deutschen Boden in einem halben Jahrhundert knapp vier Millionen Landsleute. Die
Gemeinde in Berlin ist gar noch älter. In St. Konrad weht die grün-weiß-rote Bandiera
zwar erst seit 2004, aber schon 1891 bekamen die Italiener, die im Zug des industriellen
Aufschwungs nach Berlin gekommen waren, ihre erste Kapelle zugewiesen. Das Angebot
zur Weltmeisterschaft ist aber bislang einzigartig:
„Die Italiener,
die ich bis jetzt getroffen haben, sind positiv überrascht, erstaunt, manche auch
ein wenig verstört, dass sie hier, in der absoluten Diaspora, in der die Katholiken
in der Minderheit sind, die Dienste einer Gemeinde vorfinden, einen Priester, Messen
in italienisch, Hilfsangebot… Im Grunde sind alle sehr zufrieden mit diesem Angebot,
sehr ‚überrascht’, verwundert, aber sehr angetan…“
Don Alfio ist ein Wirbelwind.
Der hagere Mann aus Breschia bedient zwei Telefone gleichzeitig, als ich ihn - wie
verabredet - anrufe, ruft er nur „ROMA?“ in den Apparat und „einen Moment bitte“,
am anderen Ohr verhandelt er gerade über die Belegzeiten der Kirche. Bei unserem Erstkontakt
hatte die Sekretärin ihn aus dem Garten geholt. Am Abend - nach dem Gruppenspiel natürlich
- ist Gemeindegottesdienst, anschließend Taufgespräch, dann Vorbereitungstreffen für
den nächsten Fangottesdienst und am nächsten Morgen ans andere Ende der Stadt für
eine Messe mit zwei Reisebussen. Doch Don Alfio blickt auch auf die Kehrseite der
Medaille:
„Ich war gestern in der Justizvollzugsanstalt Moabit und habe
die italienischen Häftlinge besucht. In Moabit haben sie eine Abteilung eigens für
WM-Häftlinge reserviert, aber bis gestern saß dort noch niemand ein. Das ist doch
wirklich ein gutes Zeichen. Die Hälfte der WM ist vorbei und es gab noch keine Straßenschlachten.
Auf diese geschwisterliche Freude, die alle Fußballfans auf der Welt in diesen Tagen
ein wenig vereint, ist bislang wirklich noch kein Schatten gefallen.“
Einen
Wermutstropfen hat diese sonst so sonnige Weltmeisterschaft aber für den Tifoso Don
Alfio. Die Squadra Azzura, die war noch nicht bei ihm im Gottesdienst: „In Berlin
hat Italien noch nicht gespielt, und wird das auch nicht…“ Na, na, na, so pessimistisch? „Wir
hoffen es natürlich, aber das heißt ja, dass sie ins Finale kommen müssen.“
Wie
die englischsprachige, die kroatische oder die französische Gemeinde will St. Konrad
eine Anlaufstelle sein für Fans und Touristen. Sie wollen integrieren und Heimat bieten,
sei’s nun während der WM oder danach. Sie wollen von dem, was sie selbst hier gefunden
haben, ein bisschen was weitergeben:
„Mein Herz schlägt so, wie mein
Leben verlaufen ist. Ubi amor, ibi patria. Wo die Liebe hinfällt, ist Heimat. Ich
fühle mich hier sehr wohl, wirklich zu Hause. Ob die Italiener oder die Deutschen
gewinnen, ist für mich nicht so wichtig. Für mich zählt, dass der Sieg hilft, die
Völker zu vereinen, dass sie gut miteinander leben, in brüderlicher Gemeinschaft und
Freude. Unsere Welt muss einfach sehen, dass die Menschheit noch gut zusammenleben
kann. Wir haben gesehen, dass die WM die Gewohnheiten durcheinander gebracht hat und
zu verändern beginnt. Wer auch nur einen Blick auf das Brandenburger wirft – egal
wer spielt, hier gibt es immer ein Fest, egal welche Personen, Rassen oder Nationen
aufeinander treffen. Das ist wirklich wunderbar. Das ist das Paradies. Alle sind glücklich
und zufrieden, feiern gemeinsam. Und – Dank sei Gott – ohne Probleme.
Abgesehen
von den Sprachproblemen vielleicht. Mit der deutschen Sprache ist das nämlich so eine
Sache für die Italiener, sie tun sich einfach schwer mit einem für Deutsche so alltäglichen
und häufig gebrauchtem „CH“, einem „Ö“ oder „EI“. „Ich bin alt, 44“, sagt Don Alfio,
und alles, was ich kann ist „Esel-Deutsch“, die Leute würden nur Lachen, wenn ich
im Radio deutsch spreche. Und dann, in seiner ganzen Fußball-Begeisterung tut er es
doch:
„Die Glocken hat immer fünf Minuten gespielt, wenn Italien oder
Deutschland gewonnen haben. Und wenn Italien oder Deutschland Weltmeister wird, ich
kann nicht nur fünf Minuten sondern gut zehn Minuten kann ich alle Glocken, meine
Glocken spielen, für eine Weltfest…“