Der iranische Präsident
Ahmedinejad sorgt für Schlagzeilen: Er macht keine Kompromisse im Rahmen der Atompolitik,
er leugnet den Holocaust und spricht über die Auslöschung Israels. Jetzt haben internationale
Menschenrechtsorganisationen Alarm geschlagen: Die Lage der religiösen Minderheiten
im Iran habe sich unter der Regierung Ahmedinejads merklich verschlechtert. Was heißt
eigentlich „Christ sein“ im Iran? Silke Schmitt hat unter anderem mit dem evangelischen
Pfarrer Winfried Kahla gesprochen, der lange Zeit im Iran tätig war: „Der
neue Präsident hat im letzten Jahr und anfang des Jahres vor Generalgouverneuren und
anderen gesagt, ich sehe eine weiße Taube über dem Iran, aber ich möchte Iran reinigen
von Christen und Juden. Das zeigt ja nun an, wessen Geisteskind er ist"
Die
christliche Minderheit im Iran – das sind weniger als 0,3 Prozent. 99 Prozent der
Bevölkerung sind Muslime. Dass der Präsident öffentlich gegen religiöse Minderheiten
polemisiert, verstößt gegen die Verfassung, denn: Religiöse Minderheiten werden offiziell
vom iranischen Staat anerkannt. Pastor Kahla weist darauf hin, dass unbedingt zwischen
den „neuen“ also den zum Christentum konvertierten Gläubigen und den „alten“ oder
„geborenen“ Christen unterschieden werden müsste. Die Situation der „alten“ Christen
beschreibt Pastor Kahla wie folgt:
„Sie haben eine bestimmte Bedrückung
hinzunehmen. Das heißt ein armenischer Christ oder ein katholischer Christ der seit
Generationen christlich ist, also zu einer christlichen Familie gehört, dem wird ohne
Weiteres nichts passieren. Er darf zu seinen Gottesdiensten gehen – das einzige ist,
wenn er mit Lebensmitteln zu hat, dann muss an seinem Geschäft ein kleines Schildchen
angebracht werden auf dem steht: Hier werden sie von Christen bedient. Und er kann
in keinerlei staatlichen Dienst eintreten. Schon als Putzfrau wäre es nicht möglich
Christ zu sein“… „Christ zu sein“ ist also weniger ein Problem.
Auf einem Schild in Schiras musste der Pastor lesen:
„Christ werden heißt
sterben. Das stellt man ja nicht nur so pro forma auf, sondern da steht ja eine
Warnung hinter“
Konversionen werden in der muslimischen Öffentlichkeit
als Ausdruck einer regimekritischen Haltung verstanden. Insbesondere die Apostaten,
also zum Christentum konvertierte Muslime, hätten deshalb im Iran zu leiden: Als Muslim
Christ zu werden, so der Pastor,
„Darauf steht nach der Scharia die Todesstrafe
bei Männern - auf jeden Fall harte Bestrafungen. Das iranische Strafgesetz sieht keinerlei
Strafe für einen Apostaten vor – da kommt dieses Wort Apostat überhaupt nicht drin
vor. Aber man geht dann rüber und sagt: ein Apostat begeht Hochverrat und kann ihn
deswegen, wegen Hochverrats anzeigen. Es sind so Spitzfindigkeiten, hinter die muss
man erst einmal kommen. Sonst sieht alles ganz normal aus, aber im Untergrund wühlt
es doch.“
Dass mit dieser Härte gegen Christen vorgegangen wird, hat letztlich
damit zu tun, so Pastor Kahla, dass viele Iraner dem Islam den Rücken kehren und Christen
werden wollen. Warum entscheidet sich ein Muslim im Iran, Christ zu werden? Dazu sagte
Pastor Kahla: „dass man einfach los will, vom Islam. Dass man sagt
mit diesem Islam, wie ich ihn in meinem Heimatland hier kennen lerne kann ich nichts
mehr anfangen. Der ist mir zu brutal, zu blutrünstig, wir werden belogen – auch von
unseren Mullahs belogen. Das kann ich nicht mehr ertragen. Dieser Islam ist keine
Religion. Er ist mehr Politik. Das ist das eine, aber das ist kein Grund zum Taufen.
Aus Opposition zu irgendjemanden jemanden zu taufen – das geht nicht. Das zweite ist,
dass ein ganz großes religiöses Verlangen da ist, nur man kann seine Religiosität
nicht mehr im Islam festmachen und sucht nun nach etwas anderem. Dann kommt es, dass
Iraner sehr häufig mit Träumen argumentieren. Sie haben besondere Botschaften, sie
sehen in Träumen Jesus Christus der ihnen winkt, der sie anspricht. Das sind so Dinge,
die für uns zwischen Himmel und Erde sind – ein Norddeutscher kann vielleicht schlecht
damit umgehen, aber diese Dinge sind einfach da und die muss man ernst nehmen. Und
nun, wenn sie solche Erlebnisse hatten, beginnt das Suchen. Das sie sagen, kann ich
bitte ein Evangelium haben, ich möchte mich überzeugen was im Evangelium drin steht.
Und das treibt sie dann ganz bewusst, Christ zu werden. Ja, sie fangen schon an zu
glauben bevor sie irgendeinen Christen gefunden haben, der sie in eine Kirche weisen
kann. Werden dafür oft schon im Voraus verprügelt, haben sogar vom Gericht manchmal
Peitschenhiebe bekommen weil sie nun einmal die Bibel gelesen habe oder so was“
Seit
dem Amtsantritt Ahmedinejads hat sich der Druck auf die „neuen“ Christen im Iran
zunehmend verstärkt. Dennoch – so der Präsident der internationalen Gesellschaft für
bedrohte Völker, Tilman Zülch, darf nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass die
iranische Gesellschaft differenzierter betrachtet werden müsste:
„Große
Teile der Bevölkerung – man nimmt an bis zu 70, 80, 90% der Menschen unter 35 Jahren
– eigentlich gegen das Regime sind uns der stark westlich orientiert sind. Also das,
was hier gegen diese anderen Religionsgemeinschaften ausgeht, das geht nicht von diesen
großen Teilen der Bevölkerung aus, die oppositionell sind. Sondern das geht von der
Minderheit aus“ (rv 12.06.06 sis)