2006-06-12 08:25:10

Deutschland: Schläge im Namen des Herrn?


RealAudioMP3 „Schläge im Namen des Herrn“ – so lautet der provokante Titel eines Buchs des Spiegelredakteurs Peter Wenierwski. Es geht um kirchliche Kinderheime in den 50ern und 60er Jahren – zahlreiche Kinder sollen dort mißhandelt, gequält und ausgebeutet worden sein. Wir gehen davon aus, dass die allermeisten Heime gut gearbeitet und daher große Verdienste haben dass es aber leider eben auch Mißstände gab, die wir nicht verschwiegen wollen.

Auch in katholischen Heimen für Kinder und Jugendliche hat es das gegeben: Demütigung, Misshandlung, drakonische Strafen. Offenbar haben selbst Menschen, die als Ordensleute ihr Leben unter einen ganz besonderen Anspruch von Christentum gestellt haben, versagt und Dinge getan, die jeder Pädagogik Hohn sprechen. Eher zufällig ist Peter Wesnierswki auf das Thema gestoßen: Beim Kinostarts des irischen Films „Die unbarmherzigen Schwestern“ habe eine Frau sich bei ihm gemeldet. Was in dem Film gezeigt wird, das habe die Frau selber erlebt, als sie in den fünfziger Jahren in einem von Schwestern geführten Kinderheim war. Wesnierwski: „Sie erzählte, wie sie bügeln musste 40 Stunden die Woche für die halbe Stadt Dortmund. Dabei durfte nicht gesprochen werden, sondern es mussten Marienlieder gesungen werden. Sie war als 14jährige einfach in das Heim gesteckt worden und sie wusste nicht warum; sie wusste bis heute noch nicht wirklich warum: Sie war die Tochter einer alleinerziehenden Mutter, hatte einen Vormund, eine Fürsorgerin, die war schon seit Jahren gekommen, hatte nach dem rechten gesehen, ihre Mutter war berufstätig. Ihre Akte ist immer dicker geworden: das war letztlich der Anlass, weswegen sie ins Heim gekommen ist und dort blieb sie für mehrere Jahre und war wirklich hinter verschlossenen Mauern eingesperrt und die besten Jahre ihrer Jugend waren ihr geraubt worden.

Peter Wesnierwski hat weiter recherchiert und ist auf zahlreiche Fälle gestoßen, bei denen Kindern in kirchlichen Heimen ausgebeutet und mißhandelt wurden. Noch heute leiden viele der Opfer seelisch an den Folgen dieser Zeit. Theo Breul ist Diakon, Mitarbeiter der Caritas Paderborn und zuständig für die kirchlichen Kinderheime in seinem Bistum. Zu den Vorwürfen sagt er: Mit dem Buch und den darin enthaltenden Aussagen hat Peter Wesnierwski leider recht und das, was er beschreibt, hat es leider auch in katholischen Häusern und Einrichtungen gegeben. Ich selbst habe etwa mit 30 Menschen gesprochen, die von sich sagen, als ehemaliges Heimkind Misshandlungen und Demütigungen ausgesetzt gewesen zu sein. Da fehlte es am Korrektiv und da haben die Menschen versagt.

P. Alfons Minas ist Provinzial der deutschen Salvatorianer. Er war in den 70er Jahren Leiter eines ordenseigenen Kinderheims. Auch in der Einrichtung, die der Salvatorianerpater leitete, war es zu Übergriffen gekommen. Zu den Ursachen der Misshandlungen sagt Pater Minas:
Es kam aber auch dazu dass die Einrichtungen finanziell ganz schlecht ausgestattet waren, von einig Personal anstellen konnten. Und es war so, dass die Gruppen sehr groß waren. Zum Beispiel dreißig oder vierzig Menschen von einer pädagogischen Fachkraft betreut, die war oft überfordert von der Arbeitszeit überlastet, nervlich überlastet und dann passierte es eben, dass ihnen die Nerven durchgingen und dann Dinge passierten, die nicht in Ordnung waren.“

 
Aber auch andere Gründe hätten eine Rolle gespielt: So war die Prügelpädagogik damals auch in Schulen weit verbreitet. Auch wurden schwierige oder uneheliche Kinder von den Sozialämtern einfach in Heime abgeschoben. Für Pater Minas rechtfertigen diese Gründe allerdings niemals die geschehenen Misshandlungen. Sein Orden hat beschlossen, offensiv die Vergangenheit aufzuarbeiten. Das Gespräch mit den Opfern wird gesucht: „Wir stellen uns auch solchen Gesprächen und versuchen dann auch bei solchen Gesprächen, das was an Leid passiert ist, so weit es irgendwie geht zu mildern, sich zu entschuldigen und auch, wenn es irgendwie geht, die Sache in Ordnung zu bringen, soweit man sie in Ordnung bringen kann.“

Theo Breul von der Caritas hält solche Gespräche für sehr wichtig: „Alle Menschen sagen, es tut gut, dass sich mal ein Vertreter der Kirche das einmal anhört und dass ich auf diese Weise ernst genommen bin. In dem einen oder anderen Fall haben wir auch materielle Unterstützung geleistet, wir haben auch schon mal Therapien vermittelt. Das wesentliche aber ist das Gespräch, also einen Ort zu haben, diesen Menschen zuzuhören und auch ihr leid zu Teilen und das Leid ist teilweise wirklich schlimm“

Mittlerweile wird auch auf Fachtagungen nach den Hintergründen des Phänomens geforscht. Den Opfern sei – seiner Meinung nach – am besten geholfen, wenn der Einzelne den Blick genommen werde. Die Caritas hilft dabei, aber man kann sich auch direkt an Theo Breul bei der Caritas in Paderborn wenden. Er unterstützt dann die Opfer bei ihrer Suche nach den richtigen Ansprechpartnern. „Was wir allerdings nicht machen wollen, und bei dieser Grundlinien wollen wir bleiben, ist den Skandal aufleben lassen, sondern den Skandal bearbeiten und das, was damals durch diese skandalösen Umstände entstanden ist, heute im Sinne von Gespräch von Therapie von Heilung, auch von Wiedergutmachung, aufgreifen!“

Theo Breul befürchtet, dass der Eindruck entstehen könnte, als seien alle Erzieherinnen und Erzieher aus jener Zeit prügelnde Kinderschrecken gewesen und die Quälerei der Kinder hätte System gehabt. Wenn dann sogar behauptet wird, Heimerziehung erlebt zu haben sei prinzipiell gleichbedeutend mit Missbrauchserfahrung, dann spätestens werde es unseriös, so Breul. Dann würde neues Unrecht geschaffen und allen denen ihre eigenen Erfahrungen strittig gemacht, die von ihren Zeiten im Heim nur Gutes berichten. Theo Breul sieht heute aber eine neue Gefahr aufziehen: „Wir haben drauf zu achten, dass sich derartige Dinge nicht wiederholen, nicht nur nicht in der Heimerziehung wiederholen, sondern dass sie sich zum Beispiel bei der Pflege von kranken Menschen oder von behinderten Menschen nicht auch noch wiederholt. Es wird an allen möglichen Ecken und Enden gespart. Es wird versucht, mit einer Minimalausstattung von Personal auszukommen. wir müssen mächtig darauf achten, dass wir durch eine neue Sparwelle die alten Zustände, über die wir sagen die seien in den 50 er 60er Jahren gewesen nicht in das beginnende 21. Jahrhundert hinübertragen.
(rv 080606 mc)







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