Der Vatikan ist besorgt
über Meldungen, dass es am Rand der Fußball-WM in Deutschland zu Zwangsprostitution
kommt. In einem Interview mit Radio Vatikan fordert Erzbischof Agostino Marchetto, der
Sekretär des Päpstlichen Migrantenrates, die Opfer von Menschenhandel, die es unter
den Prostituierten gebe, zu schützen. "So müsste man den betroffenen Frauen die Möglichkeit
geben, sich durch eine befristete oder ständige Aufenthaltserlaubnis zu reintegrieren.
Außerdem müsste man ihnen Zugang zu Arbeit verschaffen und andere Anreize schaffen.
Solche Initiativen sind notwendig, um ihnen ihre Würde zurückzugeben. Das beinhaltet
auch, dass man das Gesetz anwendet und die Ausbeuter der Sexindustrie und die Menschenhändler
bestraft. Sie sollten rechtlich verfolgt und mit Bußgeldern bestraft werden." Der
Erzbischof lobt die Arbeit von Ordensleuten in Deutschland, zum Beispiel von Lea Ackermanns
"Solwodi", die den Opfern von Prostitution und Menschenhandel helfen. Es sei ein Skandal,
dass käufliche Frauen zu einer Ware degradiert würden, die sogar weniger koste als
das Ticket für ein Fußballspiel. "Um es in der Fußballsprache zu sagen: Ich glaube,
dass sowohl die Sexindustrie als auch deren Kunden und die Zivilbehörden des Gastlandes
die rote Karte verdienen würden."
Hier ist das ganze Interview im Wortlaut.
Exzellenz,
wie sehen Sie diese Sache?
Um es in der Fußballsprache zu sagen: Ich glaube,
dass sowohl die Sexindustrie als auch deren Kunden und die Zivilbehörden des Gastlandes
die rote Karte verdienen würden. Prostitution verletzt nämlich die Würde der menschlichen
Person, indem sie sie zum Objekt und Instrument sexueller Begierde degradiert. Frauen
werden zu einer käuflichen Ware, die sogar weniger kostet als das Ticket für ein Fußballspiel.
Wir wissen zwar, dass in Deutschland Prostitution in einigen Bezirken erlaubt ist,
doch das wirklich Schlimme an der ganzen Sache wird daran ersichtlich, dass während
der Weltmeisterschaft mehr als 40.000 Frauen zur Prostitution eingeführt werden sollen.
Viele von ihnen werden gegen ihren Willen zu dieser Tätigkeit gezwungen. Sie sind
Opfer dieses Handels. Gegen diese Verletzung der grundlegenden Menschenrechte haben
zahlreiche Organisationen ihre Stimme erhoben. Dazu gehören nicht nur die Internationale
Organisation für Migrationen und Amnesty International, sondern auch kirchliche Einrichtungen,
wie zum Beispiel die Europäischen Konferenzen der höheren Oberen. Auf politischer
Ebene haben zudem das Europäische Parlament und der Europarat ihre Sorge bekundet.
Es gibt hier also eine Verantwortung für die deutschen Autoritäten. Das „Spiel“ liegt
in ihren Händen.
Gibt es spezifische Maßnahmen, welche die Kirche fördern möchte? Vor
einem Jahr hat unser Dikasterium eine Konferenz zum Thema Prostitution und Menschenhandel
veranstaltet. In der Schlusserklärung wurde bekräftigt, dass sich die Kirche für den
Schutz der legitimen Rechte der betroffenen Frauen einsetzen muss, indem sie ihre
Befreiung fördert und ihnen auch finanziell bei der Umschulung und Ausbildung hilft.
Allein in Italien gibt es mehr als 200 Ordensschwestern, die in diesem Seelsorgebereich
arbeiten. Viele Ordensgemeinschaften sind bereits in der Betreuung dieser Frauen tätig
und suchen nach neuen Wegen, um ihre Würde zu fördern. In Deutschland operiert in
diesem Bereich die kirchliche Organisation Solowodi („Solidarität mit Frauen in Not“
– ein Netzwerk, in dem 20 Ordensgemeinschaften zusammenarbeiten). Sie bieten ein breit
gefächertes Hilfsangebot mit mobilen Einheiten, Übergangs- und Fluchtwohnungen sowie
Ausbildungs- und Erziehungsprogrammen an. Trotzdem muss mehr getan werden. Es wäre
notwendig, diese neue Herausforderung in pastorale Strategien zu integrieren. Sie
erfordert auch Erziehung und Bewusstseinsbildung, und zwar nicht nur für die Opfer,
sondern auch für die so genannten Kunden. Um die Sexindustrie zu “interpretieren”,
muss man vorab die „Kunden“ zu „interpretieren“ lernen, denn ohne sie gäbe es die
Prostitution nicht. Wir müssen lernen, ihre tieferen Motive zu verstehen, handle es
sich um Jugendliche, Ehemänner oder Familienväter. Insbesondere Jugendliche sollten
zu einer gesunden menschlichen Sexualität erzogen werden.
Exzellenz, steht
die Kirche alleine da? Das Problem betrifft die gesamte Gesellschaft und geht nicht
nur die Kirche an. Da es sich um Handel mit Menschen handelt, verlangt die Verteidigung
ihrer Rechte, dass man die Opfer schützt und ihre Bedürfnisse und ihr Wohl an die
erste Stelle setzt. So müsste man den betroffenen Frauen die Möglichkeit geben, sich
durch eine befristete oder ständige Aufenthaltserlaubnis zu reintegrieren. Außerdem
müsste man ihnen Zugang zu Arbeit verschaffen und andere Anreize schaffen. Solche
Initiativen sind notwendig, um ihnen ihre Würde zurückzugeben. Das beinhaltet auch,
dass man das Gesetz anwendet und die Ausbeuter der Sexindustrie und die Menschenhändler
bestraft. Sie sollten rechtlich verfolgt und mit Bußgeldern bestraft werden.
4)
Sie haben gerade an zwei kontinentalen Treffen in Lateinamerika in Bogotá teilgenommen.
Das erste war der Migrantenseelsorge, das zweite der Tourismusseelsorge gewidmet.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem, was Sie dort erlebt haben, und dem Gegenstand
dieses Interviews?
Gewiss. Auch in Bogotá in Kolumbien wurde unter anderem
darüber diskutiert, wie dem schrecklichen Drama des Menschenhandels, die weltweit
immer größere Ausmaße annimmt, vorgebeugt und entgegengewirkt werden kann, und wie
eine wirksame Pastoral zur Befreiung der Frauen und Kinder in Ansatz gebracht werden
kann, die in diesem Sumpf zum Verkauf ihres Körpers gezwungen werden. Auch in Lateinamerika
agieren sowohl im Bereich der Migration als auch im Bereich des Tourismus skrupellose
Betrüger und Sexhändler. Deswegen muss überall auf der Welt die öffentliche Meinung
und das Gewissen der Menschheit aufgerüttelt werden, um die immer höher werdende Hürde
anzugehen, welche der Handel mit Menschen zu Prostitutionszwecken - diese neue Form
der Sklaverei - darstellt. (rv 09.06.06 sk)