2006-06-05 13:35:52

Dossier: Ein Kardinal im Hintergrund. Roberto Tucci zum 85. Geburtstag


RealAudioMP3 Er bekam seine Vorliebe für die Ökumene in die Wiege gelegt: Der Jesuit Roberto Tucci, langjähriger Päpstlicher Reisemarschall, wurde am 19 April 1921 in Neapel geboren. Er ist Sohn einer Florentinerin englischer Herkunft und anglikanischer Religionszugehörigkeit. Seine englische Gelassenheit und seine neapolitanische Spontanität sind dem heutigen Kardinal in unerwarteten Situationen während der Papstreisen oft zugute gekommen. Als früherer Direktor von Radio Vatikan und langjähriger Schriftleiter der angesehenen italienischen Jesuitenzeitschrift ŒCiviltà Cattolica¹ hat Roberto Tucci ­ selbst leidenschaftlichezr Journalist ­ viel Verständnis für die Anliegen der Medienleute. Seine Sprachkenntnisse in Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch kamen ihm bei der Ausführung seiner hohen Ämter stets zugute.



* Eminenz, Sie wissen, dass das folgende Gespräch ein Geburtstagsgespräch ist. Wir dürfen deshalb an Sie, bitte, auch ein paar persönliche Fragen stellen: Wenn Sie Rückschau halten auf Ihr langes, erfolgreiches Leben, Herr Kardinal: welches Ereignis würden Sie als das absolut wichtigste in Ihrem Leben bezeichnen?





Das absolut wichtigste Ereignis in meinem Leben war meine katholische Taufe. Denn ich war vorher anglikanisch getauft worden. Und erst mit 15 Jahren wurde ich katholisch getauft. Ein weiteres wichtiges Ereignis war meine Priesterweihe im Jahre 1950 in Belgien.



* Welches Welt-Ereignis des vergangenen Jahrhunderts würden Sie als das bedeudentste bezeichnen? Und warum?



Für mich waren zwei Ereignisse die bedeutendsten: Der Fall des Faschismus und des Nazismus, den ich in Mailand miterlebt habe, wo ich an der Katholischen Universität studierte. Und natürlich der Fall der Berliner Mauer, denn das war der Beginn der Freiheit für alle Völker im Osten Europas die unter der sowjetischen Herrschaft praktisch versklavt waren.



*Und welches kirchliche Ereignis würden Sie als das wichtigste nennen? Und warum?

Œ

Das wichtigste kirchliche Ereignis war für mich das Zweite Vatikanische Konzil. Natürlich auch deshalb, weil ich an allen vier Sessionen von 1962-1965, also die gesamte Konzilszeit hindurch, teilgenommen hatte. Der französiche Schriftsteller Jean Guitton hatte genau diese Ihre Frage einmal De Gaulle gestellt: er glaubte, der General würde als Antwort seine eigenen Großtaten für Frankreich herausstellen. Doch die Antwort De Gaulles lautete: Das größte Ereignis des Jahrhunderts war das Zweite Vatikanische Konzil!



* Welchen Einfluss haben ihre Eltern auf Ihre Berufswahl ausgeübt? Haben sie überhaupt einen Einfluss ausgeübt? Haben Ihre Eltern und Geschwister Ihren Erfolg miterleben können?



Nein, denn meine Weihe zum Priester wurde vor allem von Seiten meiner Mutter beanstandet. Sie war Anglikanerin. Gegen meine katholische Taufe hatte sie nichts einzuwenden, doch umso mehr stellte sie sich gegen meinen Entschluss, Jesuit zu werden. Ich würde sagen, besonderen Einfluss auf meine Wahl übten Freunde der katholisschen Jugend aus und vor allem ein Pater, der auf uns alle eine bsondere Fasziniation ausübte: Pater Alberto Giampieri. Er stellte mir ganz brutal die Frage, ob ich nie daran gedacht hätte, Jesuit zu werden. Ich befand mich in einer wahren Krise. Wochen lang konnte ich an nichts anderes mehr denken. Doch dann reifte plötzlich der Entschluss in mir: meine Berufung würde das Priestertum im Jesuitenorden sein



*Welche Funktion hat der Jesuitenorden, heute?





Ganz einfach: die Jesuiten sollten heute mehr denn je dem Charisma des Gründers treu bleiben. Wir begehen in diesem Jahr die Gedenkfeiern an den Heiligen Ignatius von Loyola, dem Gründer des Ordens, an den Heiligen Franz Xaver, dem großem Missionsapostel und an den Seligen Faber, dem Mann der Vermittlung vor allem in Deutschland mit den Protestanten. Also: die Verteidigung und Verbreitung des Glaubens, die Missionstätigkeit, die Evangelisierung, vor allem dort, wo das Evangelium noch nicht angekommen ist, aber auch hier im Westen, wo dieses Licht verloren gegangen zu sein scheint, ist der Auftrag des Jesuitenordens.



*Über welchen anderen Beruf haben Sie in Ihrer Jugend nachgedacht?





Ich wollte einst Marine-Offizier werden und dachte schon daran, mich in die Schiffsakademie von Livorno zu inskribieren. Dann allerdings habe ich mich für eine andere Marine entschiedenŠŠ



* Sie haben den zweifachen Doktortitel erworben: In Neapel pomovierten Sie zum Doktor der Philosophie und in Rom zum Doktor der Theologie. Welches Studium ist Ihnen leichter gefallen und welches war für Ihre spätere Laufbahn wichtiger?





Es stimmt: Auch das Philosophie-Studium hat mir in der Tat sehr geholfen. Ich entschied mich für eine Dissertation über den russsichen Denker und orthodoxen Philosophen Verdiajev. Ein sehr interessanter Denker, der Philosophie und christlichen Glauben zu vereinen versuchte. Er hatte mir den Blick geöffnet für eine Welt, die mir bis dahin völlig fremd erschien: die russiche Gedankenwelt. Später aber erwies sich das Theologiestudium doch als nützlicher. Insofern als mich Papst Johannes XXIII. zum Konzilsberater ernannt hatte. Sicherlich hatte er mich als Theologen herangezogen, aber ich war gleichzeitig auch Direktor der ŒCiviltà Cattolica¹, einer Monatsschrift, die mit dem Heiligen Stuhl stets in besonderer Weise verbunden war.







* Als Journalist haben Sie es bis zur Leitung der wichtigsten katholischen Zeitschrift ŒCiviltà Cattolica¹, als Kirchenmann bis zum höchsten Grad in der Hierarchie, nämlich zum Kardinal, gebracht. Kann man sich als Geistlicher Ordensmann noch mehr wünschen?





Ich war ja auch Direktor von Radio Vatikan und bin somit im Bereich der Massenmedien geblieben. Es war für beide meiner Lebensabschnitte sehr wichtig, weil ich dadurch immer im direktem Dienst des Heiligen Stuhls stand. Ich hatte also im gewissen Sinne auch das vierte Gelübde der Jesuiten verwirklicht: nämlich das Gebot des besonderen Gehorchsams gegenüber dem Heiligen Vater.



*Was sind die größten Veränderungen, denen sich die katholische Kirche im neuen Jahrtausend unterziehen wird?





Das ist eine ziemlich schwerwiegende Frage. Ich glaube, das Wichtigste ist die Erneuerung und die Vertiefung des Glaubens. Selbst in Italien, wo es noch eine ziemlich verbreitete katholische Tradition gibt, herrscht ­ meiner Meinung nach ­ große religiöse Ignoranz. Als es um das Kompendium des Katechismus der katholischen Kirche ging, hatte ich mir erlaubt, dem damaligen Kardinal Ratzinger zu bitten, an einen noch kürzeren, noch synthetischeren, noch einfacheren Katechismus zu denken. Denn das religiöse Unwissen ist selbst in unserem Land sehr verbreitet.





* Können Sie sich vorstellen, dass im 21. Jahrhundert die Grenzen der Religionen aufgehoben werden?



ŒSehen Sie, ich glaube nicht, dass diese großen Unterschiede, diese Grenzen der Religionen verschwinden werden. Ich glaube aber, dass es sehr wichtig sein wird, durch respektvollen Dialog und gegenseitiger Kenntnis zwischen den Vertretern der großen Religionen gemeinsame Standpunkte zu erarbeiten, die alle den Frieden zu ihrem Ziel erklären. Sodass keine Religion mehr den Krieg schürt, wie es heute sicherlich durch die radikale Seite des Islam geschieht. Religionen müssen Förderer des Friedens und nicht des Kriegs sein. Hans Küng zum Beispiel verteidigt immer diese These, wenn er von diesen Dingen spricht: Religionen müssen zum Wohle der Menschheit sowohl auf der Entwicklungsebene als auch auf dem Gebiet der internationalen Gerechtigkeit ihren Beitrag leisten.





*ŒHabt keine Angst, öffnet die Tore zu Christus¹! Hatte diese religiöse Grundaussage von Papst Johannes Paul II. auch einen politischen Hintergrund?





Ja, daran hatte er sicherlich auch gedacht. Die Tore zu Christus öffnen, bedeutete Freiheit für die Menschen in Osteuropa. Er sah immer den großen Widerspruch in seinem Land zwischen Staat und Nation. Der Staat unterdrückte die Nation, eine Nation, die sich noch mit dem christlichen Glauben identifizierte.Deshalb glaube ich, dass er auch dieses politische Ziel verfolgte. Seinen Blick richtete er aber nicht nur auf sein eigenes Land und den Nachbarländern in der Sowietunion, ­ sondern auf die ganze Welt.





*Es gibt wenige Menschen, die Papst Johannes Paul II. so nahe miterlebt haben, wie Sie. Hatte Karol Wojtyla nie davon gesprochen, selbst manchmal Angst gehabt zu haben?



Œ

Wenn es etwas gab, was Johannes Paul II. nicht besaß, dann war es die Angst. Er war ein mutiger Mensch. Das kann ich als sein Reisemarschall aus eigener Erfahrung sagen. Bei schwierigen Reisen ­ wie etwa nach Nicaragua oder in Holland ­ hatte ich dem Papst empfohlen, die Visiten vielleicht auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, da der Erfolg der Reise nicht garantiert werden konnte. Da antwortete mir Johannes Paul II.: ŒDer Papst reist nicht wegen des Erfolgs, sondern er muss dort hingehen, wo die Kirche einen Ansporn braucht. Also muss die Reise jetzt durchgeführt werden und nicht erst dann, wenn alles in bester Ordnung ist.¹.





* Wie sehen Sie das junge Pontifikat von Benedikt XVI.?





Ich glaube die Wahl von Kardinal Joseph Ratzinger zum Papst ist ein großes Geschenk, dass uns der Herr durch die Kardinäle gemacht hat. Wir haben jetzt einen Papst, der nicht nur ein großer Theologe, sondern gleichzeitig auch ein Mensch von großer Spiritualität ist. Als Theologe hat er überdies eine Eigenschaft, die man nicht allen Theologen nachsagen kann: Er ist extrem tiefgründig, klar, einfach und verständlich. Immer ist seine Theolgie auch Nahrung für unsere Spiritualität.





* Das Christentum hat auf Europa einen enormen Einfluss ausgeübt. Dennoch fehlt in der Verfassung jeglicher Bezug auf die christlichen Wurzeln Europas. Wird dieser Kontinent immer Œgottloser¹?





Ich bin auf diesem Gebiet nicht so pessimistisch. Noch ist das Christentum in Europa, auch im westenliche Teil, sehr lebendig. Hier muss man vorsichtig sein: sicher, gewisse internationale politische und juridische Instanzen hinterlassen den Eindruck, Europa sei ohne Glauben. Ich glaube aber nicht, dass dem so ist. Es stimmt aber, leider, dass der Glaube nicht sichtbar genug gezeigt wird: hier müssen wir einen wichtigen Gedanken des Papstes aufgreifen, der gesagt hat: wenn wir eine Minderheit sind, so laßt uns eine kreative Minderheit sein. Auch was die Frage der christlichen Wurzeln in Europa angeht: mir ist nicht aufgefallen, dass vom Volk aus zur Verteidigung dieser christlichen Wurzeln viel getan worden sei. Die Menschen, auch die gläubigen Menschen, haben sich da eher zurückhaltend verhalten. Da hat es nie einen kulturellen Aufstand, nie einen Protest gegenüber dieser Politik gegeben. Auch wird in der Preambel nie offiziell von den kirchlichen Institutoionen gesprochen.



* Sie gelten als nüchterner Beobachter des Weltgeschehens: Seit es Menschen gibt, gibt es Kriege. Glauben Sie, dass die Menschheit diese Krankheit jemals überwinden wird?



Œ

Wissen Sie, Kain und Abel sind in uns leider immer gegenwärtig und es ist daher eher schwierig, dass das eintreffen wird. Es wäre wünschenswert, aber ich glaube, wird sind noch nicht an diesem Ziel angelangt. Es wird immer wieder Kriege geben, fürchte ich. Vielleicht nicht mehr auf internationaler Ebene oder Weltkriege, aber auch das ist nicht auszuschließen. Sehr große Sorgen bereitet mir die Ausbreitung der Atomwaffen. Das bedeutet neue Auseinandersetzungen, neue Gefahren. Je mehr Länder die Atombombe besitzen, umso mehr wächst die Gefahr, dass Terroristen in den Besitze dieser Waffe kommen. Wir leben heute gefährlicher, als vor einigen Jahren.



* Sie waren lange Zeit der verantwortliche Leiter von Radio Vatikan: in was besteht der spezifische Auftrag dieses Senders?





Radio Vatikan war für mich eine große Erfahrung. Ich habe durch diesen Sender ein noch ausgeprägteres Gespür für die Universalität der katholischen Kirche erhalten, ein Gespür, das ich bereits im 2. Vatikanischen Konzil und dann bei der Leitung der Zeitschrift ŒCiviltà Cattolica¹ mir aneignen konnte. Radio Vatikan ist ein besonders wertvolles Werkzeug zur Vermittlung und Weitergabe der päpstlichen Gedanken und gleichzeitig ein Instrument des gegenseitigen, besseren Kennenlernens unter den verschiedenen Völkern. Radio Vatikan ist der Schmelztiegel zwischen dem Papst und den Völkern auf der Erde. Durch die Information, die Radio Vatikan weitergibt, erhält aber auch die Kirche und der Heilige Stuhl selbst ein Bild über die Anliegen und Nöte der verschiedenen Völker und Menschen auf der Welt.



*Auch mit 85 Jahren kann man sich noch vieles wünschen. Dürfen wir nach Ihrem größten Anliegen fragen?





Der größte Wunsch besteht darin, auf christliche Weise zu sterben, um ­ wie der Heilige Ignatius von Loyola sagt ­ sowohl im Leben als auch im Sterben mit gutem Beispiel voranzugehen. Der schönste Tod ist der Tod in dem für uns gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Die größte Hoffnung oder besser das größte Vertrauen besteht darin, dass der Herr mir in jenem Augenblick nahe sein wird.Bis dahin hoffe ich noch den einen und andere Beitrag im Apostolat der Kirche leisten zu können. Manchmal nehme ich jetzt an verschiedenen Radiosendungen teil. Das scheint mir schon ein Beitrag zu sein und ich hoffe, dass ich da weitermachen kann. Dann helfe ich einmal im Monat eine Woche lang in der Toscana in einer Pfarrei aus: dessen Pfarrer hat gleich drei Pfarreien zu betreuen und kann sich nicht um alles kümmern. Ich helfe in der kleinsten Pfarrei, mitten in den Bergen aus, die es am meisten nötig hat. Zur großen Freude des Pfarrers, denn wenigstens eine Woche lang, kann auch dieses Dorf ein normales Leben führen.



Aldo Parmeggiani










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