Dossier: Ein Kardinal im Hintergrund. Roberto Tucci zum 85. Geburtstag
Er bekam seine Vorliebe
für die Ökumene in die Wiege gelegt: Der Jesuit Roberto Tucci, langjähriger Päpstlicher
Reisemarschall, wurde am 19 April 1921 in Neapel geboren. Er ist Sohn einer Florentinerin
englischer Herkunft und anglikanischer Religionszugehörigkeit. Seine englische Gelassenheit
und seine neapolitanische Spontanität sind dem heutigen Kardinal in unerwarteten Situationen
während der Papstreisen oft zugute gekommen. Als früherer Direktor von Radio Vatikan
und langjähriger Schriftleiter der angesehenen italienischen Jesuitenzeitschrift ŒCiviltà
Cattolica¹ hat Roberto Tucci selbst leidenschaftlichezr Journalist viel Verständnis
für die Anliegen der Medienleute. Seine Sprachkenntnisse in Deutsch, Englisch, Französisch,
Spanisch und Russisch kamen ihm bei der Ausführung seiner hohen Ämter stets zugute.
*
Eminenz, Sie wissen, dass das folgende Gespräch ein Geburtstagsgespräch ist. Wir dürfen
deshalb an Sie, bitte, auch ein paar persönliche Fragen stellen: Wenn Sie Rückschau
halten auf Ihr langes, erfolgreiches Leben, Herr Kardinal: welches Ereignis würden
Sie als das absolut wichtigste in Ihrem Leben bezeichnen?
Das
absolut wichtigste Ereignis in meinem Leben war meine katholische Taufe. Denn ich
war vorher anglikanisch getauft worden. Und erst mit 15 Jahren wurde ich katholisch
getauft. Ein weiteres wichtiges Ereignis war meine Priesterweihe im Jahre 1950 in
Belgien.
* Welches Welt-Ereignis des vergangenen Jahrhunderts würden
Sie als das bedeudentste bezeichnen? Und warum?
Für mich waren zwei
Ereignisse die bedeutendsten: Der Fall des Faschismus und des Nazismus, den ich in
Mailand miterlebt habe, wo ich an der Katholischen Universität studierte. Und natürlich
der Fall der Berliner Mauer, denn das war der Beginn der Freiheit für alle Völker
im Osten Europas die unter der sowjetischen Herrschaft praktisch versklavt waren.
*Und welches kirchliche Ereignis würden Sie als das wichtigste nennen?
Und warum?
Œ
Das wichtigste kirchliche Ereignis war für mich das Zweite
Vatikanische Konzil. Natürlich auch deshalb, weil ich an allen vier Sessionen von
1962-1965, also die gesamte Konzilszeit hindurch, teilgenommen hatte. Der französiche
Schriftsteller Jean Guitton hatte genau diese Ihre Frage einmal De Gaulle gestellt:
er glaubte, der General würde als Antwort seine eigenen Großtaten für Frankreich herausstellen.
Doch die Antwort De Gaulles lautete: Das größte Ereignis des Jahrhunderts war das
Zweite Vatikanische Konzil!
* Welchen Einfluss haben ihre Eltern auf
Ihre Berufswahl ausgeübt? Haben sie überhaupt einen Einfluss ausgeübt? Haben Ihre
Eltern und Geschwister Ihren Erfolg miterleben können?
Nein, denn meine
Weihe zum Priester wurde vor allem von Seiten meiner Mutter beanstandet. Sie war Anglikanerin.
Gegen meine katholische Taufe hatte sie nichts einzuwenden, doch umso mehr stellte
sie sich gegen meinen Entschluss, Jesuit zu werden. Ich würde sagen, besonderen Einfluss
auf meine Wahl übten Freunde der katholisschen Jugend aus und vor allem ein Pater,
der auf uns alle eine bsondere Fasziniation ausübte: Pater Alberto Giampieri. Er stellte
mir ganz brutal die Frage, ob ich nie daran gedacht hätte, Jesuit zu werden. Ich befand
mich in einer wahren Krise. Wochen lang konnte ich an nichts anderes mehr denken.
Doch dann reifte plötzlich der Entschluss in mir: meine Berufung würde das Priestertum
im Jesuitenorden sein
*Welche Funktion hat der Jesuitenorden, heute?
Ganz
einfach: die Jesuiten sollten heute mehr denn je dem Charisma des Gründers treu bleiben.
Wir begehen in diesem Jahr die Gedenkfeiern an den Heiligen Ignatius von Loyola, dem
Gründer des Ordens, an den Heiligen Franz Xaver, dem großem Missionsapostel und an
den Seligen Faber, dem Mann der Vermittlung vor allem in Deutschland mit den Protestanten.
Also: die Verteidigung und Verbreitung des Glaubens, die Missionstätigkeit, die Evangelisierung,
vor allem dort, wo das Evangelium noch nicht angekommen ist, aber auch hier im Westen,
wo dieses Licht verloren gegangen zu sein scheint, ist der Auftrag des Jesuitenordens.
*Über welchen anderen Beruf haben Sie in Ihrer Jugend nachgedacht?
Ich
wollte einst Marine-Offizier werden und dachte schon daran, mich in die Schiffsakademie
von Livorno zu inskribieren. Dann allerdings habe ich mich für eine andere Marine
entschiedenŠŠ
* Sie haben den zweifachen Doktortitel erworben: In Neapel
pomovierten Sie zum Doktor der Philosophie und in Rom zum Doktor der Theologie. Welches
Studium ist Ihnen leichter gefallen und welches war für Ihre spätere Laufbahn wichtiger?
Es
stimmt: Auch das Philosophie-Studium hat mir in der Tat sehr geholfen. Ich entschied
mich für eine Dissertation über den russsichen Denker und orthodoxen Philosophen Verdiajev.
Ein sehr interessanter Denker, der Philosophie und christlichen Glauben zu vereinen
versuchte. Er hatte mir den Blick geöffnet für eine Welt, die mir bis dahin völlig
fremd erschien: die russiche Gedankenwelt. Später aber erwies sich das Theologiestudium
doch als nützlicher. Insofern als mich Papst Johannes XXIII. zum Konzilsberater ernannt
hatte. Sicherlich hatte er mich als Theologen herangezogen, aber ich war gleichzeitig
auch Direktor der ŒCiviltà Cattolica¹, einer Monatsschrift, die mit dem Heiligen Stuhl
stets in besonderer Weise verbunden war.
* Als Journalist
haben Sie es bis zur Leitung der wichtigsten katholischen Zeitschrift ŒCiviltà Cattolica¹,
als Kirchenmann bis zum höchsten Grad in der Hierarchie, nämlich zum Kardinal, gebracht.
Kann man sich als Geistlicher Ordensmann noch mehr wünschen?
Ich
war ja auch Direktor von Radio Vatikan und bin somit im Bereich der Massenmedien geblieben.
Es war für beide meiner Lebensabschnitte sehr wichtig, weil ich dadurch immer im direktem
Dienst des Heiligen Stuhls stand. Ich hatte also im gewissen Sinne auch das vierte
Gelübde der Jesuiten verwirklicht: nämlich das Gebot des besonderen Gehorchsams gegenüber
dem Heiligen Vater.
*Was sind die größten Veränderungen, denen sich
die katholische Kirche im neuen Jahrtausend unterziehen wird?
Das
ist eine ziemlich schwerwiegende Frage. Ich glaube, das Wichtigste ist die Erneuerung
und die Vertiefung des Glaubens. Selbst in Italien, wo es noch eine ziemlich verbreitete
katholische Tradition gibt, herrscht meiner Meinung nach große religiöse Ignoranz.
Als es um das Kompendium des Katechismus der katholischen Kirche ging, hatte ich mir
erlaubt, dem damaligen Kardinal Ratzinger zu bitten, an einen noch kürzeren, noch
synthetischeren, noch einfacheren Katechismus zu denken. Denn das religiöse Unwissen
ist selbst in unserem Land sehr verbreitet.
* Können Sie sich
vorstellen, dass im 21. Jahrhundert die Grenzen der Religionen aufgehoben werden?
ŒSehen
Sie, ich glaube nicht, dass diese großen Unterschiede, diese Grenzen der Religionen
verschwinden werden. Ich glaube aber, dass es sehr wichtig sein wird, durch respektvollen
Dialog und gegenseitiger Kenntnis zwischen den Vertretern der großen Religionen gemeinsame
Standpunkte zu erarbeiten, die alle den Frieden zu ihrem Ziel erklären. Sodass keine
Religion mehr den Krieg schürt, wie es heute sicherlich durch die radikale Seite des
Islam geschieht. Religionen müssen Förderer des Friedens und nicht des Kriegs sein.
Hans Küng zum Beispiel verteidigt immer diese These, wenn er von diesen Dingen spricht:
Religionen müssen zum Wohle der Menschheit sowohl auf der Entwicklungsebene als auch
auf dem Gebiet der internationalen Gerechtigkeit ihren Beitrag leisten.
*ŒHabt
keine Angst, öffnet die Tore zu Christus¹! Hatte diese religiöse Grundaussage von
Papst Johannes Paul II. auch einen politischen Hintergrund?
Ja,
daran hatte er sicherlich auch gedacht. Die Tore zu Christus öffnen, bedeutete Freiheit
für die Menschen in Osteuropa. Er sah immer den großen Widerspruch in seinem Land
zwischen Staat und Nation. Der Staat unterdrückte die Nation, eine Nation, die sich
noch mit dem christlichen Glauben identifizierte.Deshalb glaube ich, dass er auch
dieses politische Ziel verfolgte. Seinen Blick richtete er aber nicht nur auf sein
eigenes Land und den Nachbarländern in der Sowietunion, sondern auf die ganze Welt.
*Es
gibt wenige Menschen, die Papst Johannes Paul II. so nahe miterlebt haben, wie Sie.
Hatte Karol Wojtyla nie davon gesprochen, selbst manchmal Angst gehabt zu haben?
Œ
Wenn
es etwas gab, was Johannes Paul II. nicht besaß, dann war es die Angst. Er war ein
mutiger Mensch. Das kann ich als sein Reisemarschall aus eigener Erfahrung sagen.
Bei schwierigen Reisen wie etwa nach Nicaragua oder in Holland hatte ich dem Papst
empfohlen, die Visiten vielleicht auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, da
der Erfolg der Reise nicht garantiert werden konnte. Da antwortete mir Johannes Paul
II.: ŒDer Papst reist nicht wegen des Erfolgs, sondern er muss dort hingehen, wo die
Kirche einen Ansporn braucht. Also muss die Reise jetzt durchgeführt werden und nicht
erst dann, wenn alles in bester Ordnung ist.¹.
* Wie sehen
Sie das junge Pontifikat von Benedikt XVI.?
Ich glaube die
Wahl von Kardinal Joseph Ratzinger zum Papst ist ein großes Geschenk, dass uns der
Herr durch die Kardinäle gemacht hat. Wir haben jetzt einen Papst, der nicht nur ein
großer Theologe, sondern gleichzeitig auch ein Mensch von großer Spiritualität ist.
Als Theologe hat er überdies eine Eigenschaft, die man nicht allen Theologen nachsagen
kann: Er ist extrem tiefgründig, klar, einfach und verständlich. Immer ist seine Theolgie
auch Nahrung für unsere Spiritualität.
* Das Christentum hat
auf Europa einen enormen Einfluss ausgeübt. Dennoch fehlt in der Verfassung jeglicher
Bezug auf die christlichen Wurzeln Europas. Wird dieser Kontinent immer Œgottloser¹?
Ich bin auf diesem Gebiet nicht so pessimistisch. Noch ist
das Christentum in Europa, auch im westenliche Teil, sehr lebendig. Hier muss man
vorsichtig sein: sicher, gewisse internationale politische und juridische Instanzen
hinterlassen den Eindruck, Europa sei ohne Glauben. Ich glaube aber nicht, dass dem
so ist. Es stimmt aber, leider, dass der Glaube nicht sichtbar genug gezeigt wird:
hier müssen wir einen wichtigen Gedanken des Papstes aufgreifen, der gesagt hat: wenn
wir eine Minderheit sind, so laßt uns eine kreative Minderheit sein. Auch was die
Frage der christlichen Wurzeln in Europa angeht: mir ist nicht aufgefallen, dass vom
Volk aus zur Verteidigung dieser christlichen Wurzeln viel getan worden sei. Die Menschen,
auch die gläubigen Menschen, haben sich da eher zurückhaltend verhalten. Da hat es
nie einen kulturellen Aufstand, nie einen Protest gegenüber dieser Politik gegeben.
Auch wird in der Preambel nie offiziell von den kirchlichen Institutoionen gesprochen.
* Sie gelten als nüchterner Beobachter des Weltgeschehens: Seit es
Menschen gibt, gibt es Kriege. Glauben Sie, dass die Menschheit diese Krankheit jemals
überwinden wird?
Œ
Wissen Sie, Kain und Abel sind in uns leider
immer gegenwärtig und es ist daher eher schwierig, dass das eintreffen wird. Es wäre
wünschenswert, aber ich glaube, wird sind noch nicht an diesem Ziel angelangt. Es
wird immer wieder Kriege geben, fürchte ich. Vielleicht nicht mehr auf internationaler
Ebene oder Weltkriege, aber auch das ist nicht auszuschließen. Sehr große Sorgen bereitet
mir die Ausbreitung der Atomwaffen. Das bedeutet neue Auseinandersetzungen, neue Gefahren.
Je mehr Länder die Atombombe besitzen, umso mehr wächst die Gefahr, dass Terroristen
in den Besitze dieser Waffe kommen. Wir leben heute gefährlicher, als vor einigen
Jahren.
* Sie waren lange Zeit der verantwortliche Leiter von Radio
Vatikan: in was besteht der spezifische Auftrag dieses Senders?
Radio
Vatikan war für mich eine große Erfahrung. Ich habe durch diesen Sender ein noch ausgeprägteres
Gespür für die Universalität der katholischen Kirche erhalten, ein Gespür, das ich
bereits im 2. Vatikanischen Konzil und dann bei der Leitung der Zeitschrift ŒCiviltà
Cattolica¹ mir aneignen konnte. Radio Vatikan ist ein besonders wertvolles Werkzeug
zur Vermittlung und Weitergabe der päpstlichen Gedanken und gleichzeitig ein Instrument
des gegenseitigen, besseren Kennenlernens unter den verschiedenen Völkern. Radio Vatikan
ist der Schmelztiegel zwischen dem Papst und den Völkern auf der Erde. Durch die Information,
die Radio Vatikan weitergibt, erhält aber auch die Kirche und der Heilige Stuhl selbst
ein Bild über die Anliegen und Nöte der verschiedenen Völker und Menschen auf der
Welt.
*Auch mit 85 Jahren kann man sich noch vieles wünschen. Dürfen
wir nach Ihrem größten Anliegen fragen?
Der größte Wunsch besteht
darin, auf christliche Weise zu sterben, um wie der Heilige Ignatius von Loyola
sagt sowohl im Leben als auch im Sterben mit gutem Beispiel voranzugehen. Der schönste
Tod ist der Tod in dem für uns gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Die größte Hoffnung
oder besser das größte Vertrauen besteht darin, dass der Herr mir in jenem Augenblick
nahe sein wird.Bis dahin hoffe ich noch den einen und andere Beitrag im Apostolat
der Kirche leisten zu können. Manchmal nehme ich jetzt an verschiedenen Radiosendungen
teil. Das scheint mir schon ein Beitrag zu sein und ich hoffe, dass ich da weitermachen
kann. Dann helfe ich einmal im Monat eine Woche lang in der Toscana in einer Pfarrei
aus: dessen Pfarrer hat gleich drei Pfarreien zu betreuen und kann sich nicht um alles
kümmern. Ich helfe in der kleinsten Pfarrei, mitten in den Bergen aus, die es am meisten
nötig hat. Zur großen Freude des Pfarrers, denn wenigstens eine Woche lang, kann auch
dieses Dorf ein normales Leben führen.