Dokument: Die Predigt des Papstes in Krakau. Volltext.
„Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“ (Apg 1,11) Schwestern
und Brüder, heute erklingt im Blonie-Park von Krakau erneut diese Frage, die uns die
Apostelgeschichte überliefert. Dieses Mal richtet sie sich an uns alle: „Was steht
ihr da und schaut zum Himmel empor?“ In der Antwort auf diese Frage ist die grundlegende
Wahrheit über das Leben und die Bestimmung des Menschen enthalten.
Die angesprochene
Frage bezieht sich auf die zwei Haltungen, die mit den beiden Wirklichkeiten verbunden
sind, in die das menschliche Leben eingeschrieben ist: die irdische und die himmlische.
Zunächst die irdische Wirklichkeit: „Was steht ihr da?“ – Warum steht ihr auf der
Erde? Wir antworten: Wir stehen auf der Erde, weil uns der Schöpfer zur Krönung des
Schöpfungswerkes hierher gesetzt hat. Der allmächtige Gott hat im Einklang mit seinem
unaussprechlichen Plan der Liebe den Kosmos erschaffen, ihn aus dem nichts entstehen
lassen. Und nachdem er dieses Werk vollbracht hat, rief er den Menschen ins Sein,
den er nach dem eigenen Abbild geschaffen hat (vgl. Gen 1,26-27). Er gab ihm die Würde
der Gottessohnschaft und der Unsterblichkeit. Wir wissen aber, dass sich der Mensch
verirrte, das Geschenk der Freiheit missbrauchte und „nein“ zu Gott sagte und sich
selbst zu einer Existenz verurteilte, in die das Böse, die Sünde, das Leiden und der
Tod Einzug hielten. Aber wir wissen auch, dass Gott vor einer solchen Situation nicht
aufgab, und direkt in die Geschichte des Menschen eintrat und dass diese eine Heilsgeschichte
wurde. „Wir stehen auf der Erde“, wir sind in ihr verwurzelt, aus ihr wachsen wir.
Hier wirken wir das Gute auf den ausgedehnten Feldern des täglichen Lebens, im Bereich
des Materiellen und auch im Bereich des Spirituellen: in gegenseitigen Beziehungen,
im Aufbau der menschlichen Gemeinschaft, in der Kultur. Hier erfahren wir die Mühe
der Wanderer, die sich entlang verschlungener Pfade auf dem Weg zum Ziel befinden,
zwischen Zaudern, Spannungen, Unsicherheiten, aber auch in dem tiefen Bewusstsein,
dass dieser Weg früher oder später an sein Ziel gelangen wird. Und da kommt der Gedanke
auf: Ist das alles? Ist die Erde, „auf der wir uns befinden“ unser endgültiges Schicksal?
In
diesem Kontext, müssen wir beim zweiten Teil der in der Apostelgeschichte wiedergegebenen
Frage innehalten: „Was schaut ihr zum Himmel empor“? Wir lesen, der Auferstandene
wurde „vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren
Blicken“, als die Apostel versuchten, seine Aufmerksamkeit auf die Frage der Wiederherstellung
des irdischen Reiches Israels zu lenken. Und sie schauten „unverwandt ihm nach zum
Himmel“ empor (Apg 1,9-10). Sie schauten also in den Himmel, weil sie Jesus Christus,
den Gekreuzigten und Auferstandenen, mit Blicken begleiteten, der in den Himmel gezogen
wurde. Wir wissen nicht, ob sie sich des Umstands bewusst waren, dass sich in jenem
Augenblick genau vor ihnen ein wundervoller, unendlicher Horizont eröffnete, das endgültige
Ziel der irdischen Pilgerschaft des Menschen. Vielleicht haben sie es erst am Pfingsttag
verstanden, erleuchtet vom Heiligen Geist. Für uns aber ist jenes Ereignis von vor
zweitausend Jahren gut verstehbar. Wir sind gerufen den Himmel im Blick zu haben,
während wir auf der Erde bleiben, unsere Aufmerksamkeit, unsere Gedanken und unser
Herz auf das unaussprechliche Geheimnis Gottes zu richten. Wir sind gerufen in die
Richtung der göttlichen Wirklichkeit zu sehen, auf die der Mensch seit seiner Erschaffung
ausgerichtet ist. Dort ist der endgültige Sinn unseres Lebens enthalten.
Liebe
Schwestern und Brüder, tief bewegt feiere ich heute die Eucharistie im Blonie-Park
von Krakau, ein Ort, an dem der Heilige Vater Johannes Paul II mehrere Male während
seiner unvergesslichen apostolischen Reisen in seinem Heimatland zelebrierte. Im Rahmen
der Liturgie begegnete er dem Volk Gottes in allen Winkeln der Erde, aber es besteht
kein Zweifel, dass die Feier der Heiligen Messe im Blonie-Park von Krakau für ihn
jedes Mal ein außerordentliches Ereignis war. Hier kehrte er mit den Gedanken und
dem Herzen zu den Wurzeln, zu den Quellen seines Glaubens und seines Dienstes in der
Kirche zurück. Von hier sah er Krakau und ganz Polen. Während seiner ersten Pilgerreise
nach Polen sagte er am 10. Juni 1979 mit Nostalgie, als er seine Predigt auf diesem
Platz beendete: „So möchte ich – bevor ich von hier fortgehe – noch einmal einen Blick
auf Krakau werfen, auf dieses Krakau, in dem mir jeder Stein und jeder Ziegel teuer
ist – und ich schaue noch einmal auf Polen... (Nr. 5)“ Während der letzten hier gefeierten
Heiligen Messe am 18. August 2002, sagte er während der Predigt: „Dankbar bin ich
auch für die Einladung, mein Krakau zu besuchen, und für die Gastfreundschaft, die
mir hier entgegengebracht wird“ (Nr. 2). Ich möchte diese Worte aufnehmen, sie zu
meinen machen und sie heute wiederholen: ich danke euch mit ganzem Herzen „für die
Einladung, mein Krakau zu besuchen, und für die Gastfreundschaft, die mir hier entgegengebracht
wird“. Krakau, die Stadt Karol Wojtylas und Johannes Pauls II ist auch mein Krakau!
Es ist auch ein Krakau, das den Herzen unzähliger Heerscharen von Christen in aller
Welt lieb ist, die wissen, dass Johannes Paul II von dieser Stadt her zum vatikanischen
Hügel gelangte, vom Hügel Wawel, „aus einem fernen Land“, das Dank dieses Ereignisses
allen lieb geworden ist.
Zu Beginn des zweiten Jahres meines Pontifikates bin
ich aus einem Herzensanliegen nach Polen und nach Krakau gekommen, als Pilger auf
den Spuren meines Vorgängers. Ich wollte die Luft seines Heimatlandes atmen. Ich wollte
das Land sehen, in dem er geboren wurde und in dem er aufwuchs, um den unermüdlichen
Dienst an Christus und der Weltkirche aufzunehmen. Ich wollte vor allem die lebenden
Menschen treffen, seine Landsleute, euren Glauben erleben, aus dem er den Lebensatem
zog, und mich versichern, dass ihr in ihm standhaft seid. Hier will ich Gott auch
bitten, in euch das Erbe des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu bewahren, das
Johannes Paul II der Welt und in besonderer Weise euch hinterlassen hat.
Ich
grüße herzlich alle im Blonie-Park versammelten Personen, bis wohin mein Blick reicht
und noch darüber hinaus. Einem jeden von euch würde ich gerne die Hand geben und ihm
in die Augen blicken. Ich umarme von Herzen alle, die an unserem Gottesdienst durch
Fernsehen oder Radio teilnehmen. Ich grüße ganz Polen. Ich grüße die Kinder und die
Jugend, die Familien und die Menschen, die alleine sind, die Kranken und jene, die
an Geist oder Körper leiden, die ohne Lebensfreude sind. Ich grüße all jene, die mit
ihrer täglichen Arbeit die Güter dieses Landes vermehren. Ich grüße jene Polen, die
außerhalb der Grenzen des Heimatlandes leben, in der ganzen Welt. Ich danke dem Kardinal
Stanislaus Dziwisz, Metropolitanerzbischof von Krakau, für die herzlichen Begrüßungsworte.
Ich grüße Herrn Kardinal Franziskus Macharski und alle Herren Kardinäle, die Bischöfe,
die Priester, die Personen des geweihten Lebens und unsere gemeinsamen Gäste aus zahlreichen
Ländern, insbesondere aus den angrenzenden. Ich grüße den Staatspräsidenten, den Premierminister,
die Vertreter der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften.
Liebe Schwestern
und Brüder, das Motto meiner Pilgerreise auf polnischem Boden, auf den Spuren Johannes
Pauls II, besteht in den Worten: „Steht fest im Glauben!“ Die in diesen Worten enthaltene
Ermahnung ist an uns alle gerichtet, die wir die Gemeinschaft der Jünger Christi bilden,
sie ist an einen jeden von uns gerichtet. Der Glaube ist ein sehr persönlicher menschlicher
Akt, der sich in zwei Dimensionen verwirklicht. Glauben heißt zu aller erst, als Wahrheit
anzunehmen, was unser Geist nicht bis ins Tiefste versteht. Man muss das annehmen,
was Gott selbst offenbart, über sich, über uns und über die Wirklichkeit, die uns
umgibt, auch die unsichtbare, unaussprechliche, unvorstellbare. Dieser Akt der Annahme
der geoffenbarten Wirklichkeit erweitert den Horizont unseres Wissens und erlaubt
uns zum Geheimnis zu gelangen, in das unsere Existenz getaucht ist. Die Zustimmung
zu dieser Begrenzung der Vernunft gibt man nicht leicht. Und es ist gerade hier, dass
sich der Glaube in seiner zweiten Dimension zeigt: diejenige, sich einer anderen Person
anzuvertrauen – nicht einer normalen, sondern Christus. Es ist wichtig, woran wir
glauben, aber noch wichtiger ist, wem wir glauben.
Der Heilige Paulus spricht
zu uns darüber in dem heute vorgelesenen Abschnitt des Epheserbriefes. Gott hat uns
einen Geist der Weisheit gegeben und „die Augen unseres Herzens, damit wir verstehen,
zu welcher Hoffnung wir durch ihn berufen sind, welchen Reichtum die Herrlichkeit
seines Erbes den Heiligen schenkt und wie überragend groß seine Macht sich an uns,
den Gläubigen, erweist durch das Wirken seiner Kraft und Stärke, die er Christus erwiesen
hat“ (vgl. Ef 1,17-20). Glauben bedeutet, sich Gott zu überlassen, unser Los ihm anzuvertrauen.
Glauben bedeutet, eine höchstpersönliche Bindung mit unserem Schöpfer und Erlöser
im Heiligen Geist aufzubauen und dafür zu sorgen, dass diese Bindung das Fundament
des ganzen Lebens ist.
Heute haben wir Jesu Worte gehört: „Aber ihr werdet
die Kraft des heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet
meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen
der Erde.“ (Apg 1,8) Vor Jahrhunderten gelangten diese Worte auch auf polnischem Boden.
Sie stellten und stellen beständig eine Herausforderung für all jene dar, die es annehmen
zu Christus zu gehören, für die seine Sache die wichtigste ist. Wir müssen Zeugen
Jesu sein, der in der Kirche und den Herzen der Menschen lebt. Er ist es, der uns
eine Sendung zuweist. Am Tag seiner Himmelfahrt sagte er zu den Aposteln: „Geht hinaus
in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen... Sie aber zogen
aus und predigten überall. Der Herr stand ihnen bei und bekräftigte die Verkündigung
durch die Zeichen, die er geschehen ließ“ (Mk 16,15.20). Liebe Schwestern und Brüder!
Mit der Wahl Karol Wojtylas auf den Stuhl Petri zum Dienst an der ganzen Kirche, ist
euer Land zum Ort eines besonderen Zeugnisses des Glaubens an Jesus Christus geworden.
Ihr seid gerufen worden, dieses Zeugnis vor der ganzen Welt zu geben. Diese eure Berufung
ist immer aktuell und vielleicht noch mehr seit dem Augenblick des seligen Todes des
Dieners Gottes. Möge der Welt euer Zeugnis nicht fehlen!
Bevor ich nach Rom
zurück kehre um meinen Dienst fortzuführen, ermahne ich euch alle, indem ich an jene
Worte anknüpfe, die Johannes Paul II hier 1979 sagte: „Ihr müsst stark sein, liebe
Brüder und Schwestern! Stark sein durch die Kraft, die aus dem Glauben kommt! Ihr
müsst stark sein durch eure Glaubenskraft! Ihr müsst treu sein! Mehr als in jeder
anderen Epoche bedürft ihr gerade heute dieser Kraft. Ihr müsst stark sein durch die
Kraft der Hoffnung, die die vollkommene Freude bringt und nicht zulässt, dass ihr
den Heiligen Geist beleidigt! Ihr müsst stark sein durch die Liebe, die stärker ist
als der Tod... Ihr müsst stark sein durch die Kraft des Glaubens, der Hoffnung und
der Liebe, die bewusst, reif und verantwortungsvoll ist und die uns hilft, mit dem
Menschen und mit der Welt zu diesem Zeitpunkt unserer Geschichte den großen Dialog
zu führen: den Dialog mit dem Menschen und mit der Welt, der im Dialog mit Gott selbst
begründet ist, im Dialog mit dem Vater durch den Sohn im Heiligen Geist; den Dialog
des Heils“ (10. Juni 1979, Homelie, Nr. 4).
Auch ich, Benedikt XVI, Nachfolger
von Papst Johannes Paul II, bitte euch, von der Erde in den Himmel zu schauen – jenen
nicht aus dem Blick zu lassen, dem – seit zweitausend Jahren – die Generationen gefolgt
sind die auf dieser unserer Erde leben und aufeinander folgen, indem sie in ihm den
endgültigen Sinn des Daseins finden. Bemüht euch, durch den Glauben an Gott bestärkt,
mit Eifer sein Reich auf Erden zu festigen: das Reich des Guten, der Gerechtigkeit,
der Solidarität und der Barmherzigkeit. Ich bitte euch das Evangelium mit Mut vor
der Welt von heute zu bezeugen, indem ihr die Hoffnung zu den Armen, den Leidenden,
den Verlassenen, den Verzweifelten bringt, zu jenen, die nach Freiheit, Wahrheit und
Frieden dürsten. Indem ihr dem Nächsten Gutes tut und zeigt, euch um das Gemeinwohl
zu sorgen, bezeugt ihr dass Gott die Liebe ist,
Ich bitte euch schließlich,
den Schatz des Glaubens mit den anderen Völkern Europas und der Welt zu teilen, auch
unter Beachtung des Andenkens eures Landsmannes, der dies als Nachfolger Petri mit
außerordentlicher Kraft und Wirksamkeit getan hat. Denkt in euren Gebeten und Opfern
auch an mich, wie ihr an meinen großen Vorgänger gedacht habt, auf dass ich die mir
von Christus anvertraute Sendung erfüllen kann. Ich bitte euch, steht fest im Glauben!
Steht fest in der Hoffnung! Steht fest in der Liebe! Amen!" (rv 28.05.06 sk)