Dossier: Der Papst in Auschwitz. Benedikt XVI. und die Juden
Es wird wohl der bedrückendste
Moment der ganzen Polenreise Benedikts XVI., wenn der aus Deutschland stammende Papst
am Sonntag das Gelände des früheren Vernichtungslagers Auschwitz betritt. Auf deutsch
will der Papst dort für den Frieden beten. Welches Verhältnis hat Benedikt XVI. zum
Judentum? In unserem Audio-Dossier, das Mitte Januar erstellt wurde, hören Sie eine
Ansprache von Papst Benedikt an den römischen Oberrabbiner, historische Töne vom Besuch
Johannes Pauls II. in der Synagoge von Rom 1986, Erinnerungen der jüdischen Theologin
Ruth Lapide an mehrere Päpste und historische Töne vom Besuch Papst Benedikts in der
Synagoge von Köln 2005.
Der Papst und das Judentum
1947: Zwei
Jahre nach dem Ende von Krieg und Holocaust nimmt der junge Joseph Ratzinger in München
das Theologiestudium auf. Es ist hier, in der Vorlesung von Professor Friedrich Stummer,
dass ihm das Thema Judentum naherückt. "So ist mir", schreibt er selbst in seiner
Autobiografie, "das Alte Testament kostbar geworden und nahe gekommen." Er sei damals
"zu der Einsicht gekommen, dass das Judentum und der im Neuen Testament umschriebene
christliche Glaube zwei Weisen der Aneignung der Schriften Israels sind, die beide
letzten Endes von der Stellungnahme zur Gestalt Jesu von Nazareth her bestimmt werden.
Die Schrift, die wir heute Altes Testament nennen, steht von sich aus auf beide Wege
hin offen." Es ist ein hochgradig theologischer Ansatz, von dem aus Ratzinger das
Judentum "entdeckt". Nicht wie Karol Wojtyla über Schulfreunde auf seinem Dorf, sondern
über die Beschäftigung mit der Bibel. Kernfrage des neuen Papstes: In welchem Verhältnis
stehen das Alte und das Neue Testament zueinander? Seine Antwort läßt an Deutlichkeit
nicht zu wünschen übrig: Ohne das Alte Testament gibt es „keinen Zugang zu Jesus“;
und das Wort Jesu, dass „das Heil von den Juden“ kommt, gilt darum noch heute. Allerdings
hat sich der neue Papst die berühmte Formel seines Vorgängers, die Juden seien „unsere
älteren Brüder“, nicht zu eigen gemacht. Als Theologe nämlich sieht er genauer hin
– und hält das heutige Judentum und das Christentum eher für Zwillinge, weil sie nämlich
zeitgleich aus der gemeinsamen Wurzel, dem Judentum des Alten Testaments, hervorgegangen
sind. Weitere klare Aussagen des neuen Papstes, der als Professor und Kardinal
viel über das Thema Judentum geschrieben hat: Eine „jüdische Kollektivschuld“ am Tod
Jesu gibt es nicht. „Juden und Christen sollten sich in einer tiefen inneren Versöhnung
gegenseitig annehmen“, ohne von ihrem Glauben abzusehen, „sondern aus der Tiefe des
Glaubens selbst heraus“. Das heißt für ihn auch: Christen dürfen ihren jüdischen Gesprächspartnern
Jesus als den schon gekommenen Messias „nicht aufnötigen“, sondern müssten in dieser
Hinsicht „an der Geduld Gottes teilhaben“. „Ganz offenkundig“ scheint es dem Papst
zu sein, dass die Entwicklung der Menschheit auf geheimnisvolle Weise mit der Entwicklung
des jüdischen Volkes zusammenhängt. Das Phänomen, dass Israel in Zerstreuung und Zerstörung
über zweitausend Jahre seine Religion und „sich selbst behält“, zeigt für ihn, wie
er wörtlich meint, „dass hier etwas anderes am Werk ist“. Die Heilsgeschichte Gottes
mit den Juden, sein Bund mit dem jüdischen Volk, ist also nicht überholt und nicht
an ein Ende gekommen. Ein gutes Verhältnis zum Judentum liegt dem deutschen Pontifex
besonders am Herzen. Seinen ersten Brief als Papst schrieb er an den römischen Oberrabbiner,
und bei seiner ersten Pastoralreise nach Deutschland besuchte er in Köln auch eine
Synagoge, um dort Johannes Paul II. zu zitieren - mit den Worten: „Wer Jesus Christus
begegnet, begegnet dem Judentum.“. Alles spricht dafür, dass sich die Beziehungen
zwischen katholischer Kirche und dem Judentum unter dem neuen Pontifikat eher noch
verbessern und vertiefen. Übrigens hat sich Benedikt XVI. auch immer - zuletzt in
seiner Neujahrsrede vor Diplomaten im Januar - eindeutig zum Existenzrecht Israels
bekannt. (rv 19.01.06 sk)
Literatur
Joseph Kard. Ratzinger, Die Vielfalt
der Religionen und der Eine Bund. Hagen 1998. Joseph Kard. Ratzinger: Gott und
die Welt. Ein Gespräch mit Peter Seewald. Stuttgart/München 2000. Ss. 125 ff.