Leitet der Vatikan
in Sachen Kondome eine Kehrwende ein? Muss die katholische Morallehre jetzt umgeschrieben
werden? Nein, das ist nicht der Fall - auch wenn manche Medienberichte sich so anhören.
Der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff äußert sich im Radio-Vatikan-Interview
zu den Meldungen, dass der Vatikan in einer Studie über den Gebrauch von Kondomen
zum Schutz gegen Aids nachdenken will. Die Fragen stellte Pater Eberhard v. Gemmingen
SJ.
* Die katholische Moraltheologie scheint bisher in Sachen Schutz gegen
Aids nur die Enthaltsamkeit zu kennen. Kondome werden offenbar immer wieder abgelehnt.
Muss man nicht schon mal grundlegend unterscheiden zwischen den Personen, die es betrifft
- also Ehepartner oder auch feste Paare, die aber vielleicht nicht verheiratet sind,
oder Jugendliche oder überhaupt Erwachsene? Gibt es da Unterscheidungen zwischen den
Personen?
"Nach der Vorstellung der katholischen Kirche ist die Ehe der einzige
Ort legitimer sexueller Beziehungen - dahinter steht die Vorstellung, dass eine auf
Dauer angelegte Liebesbeziehung unter dem Dach der Ehe eben in der Sexualität ihren
angemessenen körperlichen Ausdruck findet. Aber das ist eine Zielvorstellung, der
viele junge Menschen während einer langen Phase der Vorbereitung auf eine eventuelle
spätere Ehe nicht gerecht werden. Auch die Realität muß man zur Kenntnis nehmen.
Und das ist vor allen Dingen dann dringlich, wenn sexuelle Beziehungen außerhalb der
Ehe oder vor der Ehe zum Einfallstor einer tödlichen Erkrankung werden, wie das bei
Aids der Fall ist. Da gewinnt die Frage, wie man sich dagegen schützen kann, natürlich
auch unter moralischen Gesichtspunkten, also unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung,
eine vordringliche Brisanz. Sicher ist es richtig, dass Enthaltsamkeit der beste
und im übrigen auch der einzig wirklich sichere Weg darstellt, auch Kondome vermitteln
ja keine hundertprozentige Sicherheit - aber die Frage, was geschieht, wenn das eine
Überforderung, so wie faktisch die Verhältnisse sind, für Menschen darstellt... gibt
es dann überhaupt keinen Ratschlag, den man ihnen geben kann? Oder gibt es dann sozusagen
die zweitbeste Möglichkeit, das geringere Übel, das dann immer noch der Gebrauch eines
Kondoms darstellt? Offenbar gibt es ja jetzt innerhalb des Vatikans Überlegungen,
die in diese Richtung weisen. Dann muß man natürlich differenzieren: Sozusagen
die vorsichtigste Überlegung würde nur die Ehe selbst betreffen, bei der einer von
beiden Partnern sich auf welche Weise auch immer infiziert hat und nun der andere
beim Vollzug des ehelichen Verkehrs vor einer Ansteckung geschützt werden soll. Da
ist auch auf der Basis der kirchlichen Morallehre über die künstliche Empfängnisregelung
an sich nicht zu sehen, was man dagegen (d.h. gegen Kondome, Anm. der Red.) einwenden
sollte, denn die Intention einer solchen Regelung, dass man dabei zum Schutz vor einer
Ansteckung ein Kondom benützt, ist ja nicht empfängnisregelnder Art; da geht es ja
nicht darum, eine mögliche Empfängnis zu unterdrücken, sondern sich vor Ansteckung
zu schützen. Das hat eine therapeutische Zielsetzung, und das ist auch auf der Basis
der bisher geltenden kirchlichen Morallehre an sich eine andere Art von Handlung als
eine künstliche Empfängnisregelung. So wie es die therapeutische Sterilisation
als erlaubte Handlung gibt, wenn sie wirklich aus medizinischen Gründen erforderlich
ist, so haben wir es auch hier mit einem anderen Handlungstyp zu tun. Denn für die
moralische Bewertung einer Handlung ist ja die intentionale Struktur, also die Ausrichtung
des Willens, was beabsichtigt ist mit der Handlung, maßgeblich und nicht der äußere
Vollzug. Dass man da also ein Kondom anlegt, das ist nicht als solches moralisch verwerflich,
sondern immer noch auf der Basis der geltenden kirchlichen Morallehre ist das erst
dann der Fall, wenn man gezielt die Intention auf die Verhinderung einer möglichen
Empfängnis beim Vollzug der sexuellen Begegnung richtet. Das ist dort nicht der Fall
- deshalb verstehe ich eigentlich auch überhaupt nicht, warum das bisher abgelehnt
wurde. Da ist man sich manchmal auch in kirchlichen Kreisen über die eigentliche Begründung
der Morallehre der Kirche selbst nicht hinreichend bewußt gewesen. Eine andere
Frage ist, wenn man nun einen weiteren Personenkreis einbezieht, nämlich den von mir
am Anfang genannten, bei dem die Ansteckungsgefahr durch einen ungeschützten Geschlechtsverkehr
sehr viel größer ist. Da könnte man, denke ich, eine Überlegung anhand der Verantwortung,
die man hat, anschließen und fragen, ob nicht auch in diesen Fällen der Gebrauch eines
Kondoms zur Verhinderung einer Ansteckung das geringere Übel darstellt, wenn die faktischen
Möglichkeiten durch eine grundsätzliche Enthaltsamkeit der betreffenden Personen nicht
gegeben sind. Da muß man ja auch fragen: Was ist dann unter realistischen Annahmen,
die man voraussetzen muß, die Auswirkung der kirchlichen Morallehre? Und wenn sie
nicht dazu führt, dass sich die Menschen enthaltsam verhalten, sondern daß sie faktisch
in einer riskanteren Weise sich noch unverantwortlicher verhalten - dann muß man sich
fragen, ob man noch eine solche Moraltheorie oder einen solchen moralischen Ratschlag
auf sich nehmen darf."
* Was muß denn die katholische Kirche tun, um dem Problem
Aids aus dem Geist des Evangeliums zu entsprechen, abgesehen jetzt von Erlauben oder
Verbieten?
"Der Ansatz ist sicher richtig, dass man auf die Gefahr Aids nicht
mit rein technischen Mitteln antworten kann - das ist ja das Manko oder der strukturelle
Fehler der meisten Regierungsprogramme, die Aids-Prävention nur dadurch glauben wahrnehmen
zu können, daß sie Kondome verteilen und zum Kondomgebrauch auffordern. Wie gesagt
- das kann das geringere Übel sein. Aber das ist keineswegs eine Zielvorstellung,
die als solche eine adäquate Antwort auf die Herausforderung Aids bietet, sondern
das kann nur eine sexuelle Beziehung sein, eingebettet in Verantwortung und Liebe,
die auf Ausschließlichkeit beruht und sozusagen nicht sexuelle Außenbeziehungen außerhalb
der eigentlichen Liebesbeziehung sucht. Wirklichen Schutz und wirkliche Verantwortung
angesichts des Risikos Aids kann man nur leben, wenn man Sexualität integriert in
eine von personaler Verantwortung für den anderen getragene, wirkliche Liebesbeziehung
- und das ist das, was letztlich der Ehe entspricht."