Vatikan: Seligsprechungen als Reflex von Demokratie
Zwischen 1.800 und 2.000 Selig- und Heiligsprechungsverfahren sind im Moment in den
Diözesen der Welt bzw. im Vatikan anhängig. Das berühmteste davon ist zweifellos jenes
von Papst Johannes Paul II., dessen Todestag sich am kommenden Sonntag zum ersten
Mal jährt. „Santo Subito!“ riefen damals die Anhänger des verstorbenen Papstes, „sofort
heilig!“ Die deutsche Kirchenrechtlerin Elisabeth Braunbeck, Protokollführerin an
der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen, sagt dazu:
„Das „santo
subito“ war meines Erachtens Ausdruck dessen, was schon zu Lebzeiten von Johannes
Paul II. geschehen ist - dass er nämlich mit seiner charismatischen Persönlichkeit
viele Menschen gewonnen und sie für Christus und die Kirche aufgeschlossen hat. Und
aus Zuschriften an die Kongregation weiß ich auch, dass er durch seine Leidensphase
und durch sein Sterben viele Menschen bekehrt hat.“
Es ist in der Tat
zunächst das Volk, das Selige und Heilige "macht". Die Kirchenrechtlerin sieht hier
einen Reflex von Demokratie in kirchlichen Strukturen. „Es gibt
kein Verfahren, in dem dieser so genannte Ruf der Heiligkeit verzichtbar wäre. Und
das zeigt auch meines Erachtens, wofür Heiligsprechungen da sind. Denn die Heiligsprechungen
sind keine Prämie für ein gutes und braves Christenleben, sondern sie sind für das
Volk Gottes da, für die Menschen da, sie sollen ihnen Orientierung geben, eine Möglichkeit,
für authentisches Christenleben aufzeigen, sie sollen ihnen auch Freunde geben, Helfer,
an die sie sich wenden können auf ihrem Weg durchs Leben, auf ihrem Weg zu Gott. Und
durch das Ernstnehmen der Stimme des Volkes in seinen verschiedenen Teilen kommt das
zum Ausdruck – dass Heiligsprechungen für das Volk da sind und nicht am Reißbrett
entworfen werden.“
Seligkeit als Vorstufe zur Heiligkeit könnte man eigentlich
abschaffen, meinen Kritiker des komplizierten, langwierigen und nicht zuletzt kostspieligen
Verfahrens. Zumal die Seligsprechung eine Erfindung der jüngeren Kirchengeschichte
ist. Mitte des 17. Jahrhunderts war Franz von Sales der erste Selige. Der Unterschied
ist nicht qualitativ, sondern ganz allein eine Frage der Größenordnung: Heilige gelten
für die ganze Weltkirche, Selige sind zur lokalen Verehrung freigegeben. Elisabeth
Braunbeck plädiert für friedliche Koexistenz im Heiligenkalender.
„Ich
glaube, dass nicht alle Kandidaten unbedingt bis zur Heiligsprechung gelangen müssen.
Sondern dass es auch Sinn macht, jemanden in einem Land, in einer Nation, in einem
Kontinent oder auch nur in einem Orden zu verehren, und dass es nicht unbedingt notwendig
ist, alle auch der Gesamtkirche vorzustellen. Denn das stelle ich mir wirklich als
eine Schwierigkeit vor, als eine Überflutung des Heiligenkalenders, sodass die Gesamtkirche
nicht mehr mitkommt, all diese Vorbilder in der rechten Weise einzuordnen.“
Um
nochmals auf das Seligsprechungsverfahren für Johannes Paul II. zurückzukommen: Da
widerspricht der Postulator Slawomir Oder Meldungen, nach denen der entsprechende
Prozess auf Bistums-Ebene fast abgeschlossen sei. In Wirklichkeit gehe nur eine Anhörungs-Phase
von polnischen Texten, die in dem Verfahren eine Rolle spielen, Anfang April zu Ende.
Im übrigen verlaufe das Verfahren streng nach den Vorschriften des Kirchenrechts.
(rv/ansa 30.03.06 gs)